OGH 7Ob185/16f

OGH7Ob185/16f9.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Dkfm. Dr. P* F*, vertreten durch Mag. Susanna Perl-Böck, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei L* F*, vertreten durch Mag. Gerhard Angeler, Rechtsanwalt in Baden, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382e EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 17. August 2016, GZ 21 R 149/16k‑17, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 26. April 2016, GZ 11 C 5/16w‑11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E116225

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung mit der Einschränkung wiederhergestellt wird, dass Punkt 3 zu lauten hat:

„Die einstweilige Verfügung gilt für die Dauer eines Jahres.

Das Mehrbegehren, die einstweilige Verfügung auch für die Dauer eines allfälligen Aufteilungsverfahrens zu erlassen, wird abgewiesen.“

Die Gegnerin der gefährdeten Partei ist verpflichtet, der gefährdeten Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR an USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung und die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Bescheinigt ist folgender Sachverhalt:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 7. 1. 2016 zu AZ 13 C 4/13x wurde die Ehe der Parteien geschieden; nur der Scheidungsausspruch wurde rechtskräftig.

Die im Jahr 1950 geborene Antragsgegnerin wohnt in ihrem Haus in K*. Der im Jahr 1934 geborene Antragsteller lebt zumindest seit 2013 allein in einem Haus in U* (*), das sich im Hälfteeigentum der Parteien befindet; er verfügt über keine andere Wohnmöglichkeit. Die Antragsgegnerin ist in den letzten Jahren höchstens zwei bis drei Mal pro Jahr ins Haus nach U* gekommen. Im Jahr 2015 war dies – jeweils unangekündigt – am 5. 8. und 22. 11. der Fall.

Am 22. 11. 2015 verbrachte die Antragsgegnerin Matratzen und Bettzeug aus dem Schlafzimmer des Antragstellers im ersten Stock in einen unbenützten Raum im Erdgeschoss. Zudem entfernte sie die Vorhänge aus dem Schlafzimmer und räumte die Utensilien des Antragstellers aus dem Badezimmer.

Als die Antragsgegnerin das nächste Mal (ebenfalls unangemeldet) am 5. 3. 2016 auftauchte, begann sie nach einem kurzen Wortwechsel wiederum mit dem Ausräumen des Schlafzimmers und brachte Matratzen und Bettzeug in den hintersten Raum im Erdgeschoss. Der Antragsteller wollte sie daran hindern, worauf es zwischen ihnen zu einer „Schubserei“ kam. Weiters räumte die Antragsgegnerin sämtliche Badeutensilien in einen Wäschekorb, entleerte einen Kasten in einem Nebenzimmer und entfernte einen Teppich und eine Gymnastikmatte aus dem Schlafzimmer. Sie äußerte, dass der Antragsteller in eine Mietwohnung ziehen könne, wenn ihm etwas nicht passe, und er Acht geben solle, dass er keinen Herzinfarkt bekomme. Der Antragsteller war nach dieser Auseinandersetzung völlig aufgelöst. Er verständigte die Polizei; nach dem Eindruck der Polizisten lag jedoch keine Gefährdungssituation vor, weshalb keine Wegweisung und kein Betretungsverbot ausgesprochen wurden.

Der Antragsteller leidet an einer malignen Bluthochdruckerkrankung und an einer reaktiven Depression. Damit lässt sich ohne äußere Einflüsse medikamentös gut eingestellt leben. Bei seelischen Belastungen erhöht sich der Blutdruck allerdings auf ein gesundheitsschädliches Ausmaß (Schlaganfallrisiko), weshalb solche strikt zu vermeiden sind. Der Antragsteller ist seit dem letzten Vorfall „psychisch angeschlagen“; er schläft schlecht und wenn er ein Auto hört, hat er Angst.

Der Antragsteller begehrte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382e Abs 1 Z 1 und 2 EO für die Dauer eines allfälligen Aufteilungsverfahrens. Der Antragsgegnerin solle untersagt werden, sich auf der Liegenschaft in U* und in deren unmittelbarer Umgebung aufzuhalten und mit dem Antragsteller zusammenzutreffen und Kontakt aufzunehmen. Der Antragsteller leide vor allem aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und Bluthochdrucks massiv unter der psychischen Gewalt der Antragsgegnerin, sodass ihm ein weiteres Zusammentreffen unzumutbar sei.

Die Antragsgegnerin trat dem Sicherungsantrag entgegen. Sie wandte ein, dass sie keine psychische Gewalt gegen den Antragsteller ausübe. Dieser versuche vielmehr, die Antragsgegnerin von dem ihr zustehenden Mitbenützungsrecht an der Liegenschaft auszuschließen. Mit rechtskräftigem Endbeschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck sei er schuldig erkannt worden, den vor einem Schlossaustausch bestehenden Zustand durch Einräumung des uneingeschränkten Zugangs der Antragsgegnerin zum Wohnhaus wiederherzustellen. Der Antragsteller habe die bestehende Gebrauchsordnung gestört, indem er das von der Antragsgegnerin im Obergeschoss allein benützte Schlaf- und Badezimmer okkupiert habe. Am 22. 11. 2015 habe sie die Sachen des Antragstellers daraus entfernt, die Zimmer wieder bezogen und ihre Sachen eingeräumt. Zwischen 22. 11. 2015 und 5. 3. 2016 habe der Antragsteller die Gebrauchsordnung wieder gestört und die Sachen der Antragsgegnerin entfernt. Sie habe dann nur den vorherigen Zustand wiederhergestellt. Dabei sei sie sorgsam mit den Sachen des Antragstellers umgegangen.

Das Erstgericht erließ antragsgemäß die einstweilige Verfügung und sprach in Punkt 3 der Entscheidung aus, dass diese bis zur rechtskräftigen Beendigung eines allfälligen Aufteilungsverfahrens zwischen den Parteien, mangels Einleitung eines solchen für die Dauer eines Jahres gelten solle. Die von der Antragsgegnerin verursachten Auseinandersetzungen würden zu psychischen Beeinträchtigungen des Antragstellers führen, die eine dauernde Gesundheitsschädigung nach sich ziehen könnten. Daher sei der Aufenthalt der Antragsgegnerin bei der Liegenschaft in U* für den Antragsteller unzumutbar. Sie habe ihr Haus in K* und komme nur selten nach U*, sodass ein Aufenthaltsverbot für sie keine schwerwiegende Beeinträchtigung in ihrem Interesse darstelle.

Das Rekursgericht wies – ohne auf den Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit einzugehen – den Sicherungsantrag ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei. Die „zweimalige Verbringung des Bettzeugs“ des Antragstellers vom Obergeschoss ins Erdgeschoss und das „Ausräumen des Bades“ würden die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung nicht rechtfertigen. Diese Verhaltensweisen würden zwar nicht den normalen Umgangsformen entsprechen; es sei aber bei einer in gewissem Maße gebotenen objektiven Betrachtungsweise völlig unplausibel, dass sich ein Ehegatte über einen solchen „minimalen Bosheitsakt“ so aufregen könne, dass er dies als „Psychoterror“ mit erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf seine Psyche empfinde.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegnerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Der Revisionsrekurs sieht die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382e Abs 1 EO infolge Ausübung von „Psychoterror“ als erfüllt an. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag 1. den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten und 2. aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden, soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.

2.1. Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit weiteren Zusammenlebens gemäß § 382b EO, was auch für das weitere Zusammentreffen gemäß § 382e EO gilt, sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei– ernst gemeinten und als solche verstandenen – Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, je schwerer die unmittelbaren Auswirkungen und die weiteren Beeinträchtigungen des Antragsgegners sind und je häufiger es zu solchen Vorfällen gekommen ist, desto eher wird unter den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein. Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners gezeigt hat, je länger es – ohne weitere „einschlägige“ Vorkommnisse – zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird man dem betroffenen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumuten können (7 Ob 231/15v mwN; RIS-Justiz RS0110446).

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung soll ein effektiver körperlicher Angriff oder die Drohung mit einem solchen die Ausweisung des Antragsgegners aus der oder ein Rückkehrverbot in die Wohnung rechtfertigen, darüber hinaus aber auch ein sonstiges Verhalten („Psychoterror“) derartige Maßnahmen ermöglichen, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (7 Ob 231/15v mwN = RIS‑Justiz RS0110446 [T17]). Von Bedeutung ist dabei nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch „als Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (RIS-Justiz RS0110446 [T4, T8, T15]). Die subjektive Auslegung des Begriffs „Psychoterror“ kann aber nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit begründen könnte (RIS-Justiz RS0121302). Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung (daher) nur dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit des Antragstellers erheblich beeinträchtigt wird; sonst würde diese Ausnahmeregelung zu einer Routinemaßnahme in einem Großteil aller Scheidungsverfahren (RIS-Justiz RS0110446 [T11], RS0121302 [T1]).

Die mit dem Gewaltschutzgesetz angestrebte „Entschärfung“ der Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung legt es nahe, bei der Prüfung der Voraussetzung der Zumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens zugunsten der Opfer von Gewalttätigkeiten im Familienkreis einen großzügigeren Maßstab anzulegen. Hat der Antragsteller eine erhebliche psychische Beeinträchtigung glaubhaft gemacht, so kann diese Verhaltensweise als Indiz für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens sprechen (RIS-Justiz RS0110446 [T6]).

Die Gründe für die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO (RIS-Justiz RS0110444) sind ebenso wie jene nach § 382e EO verschuldensunabhängig.

2.3. Während es nach § 382b EO des Nachweises eines dringenden Wohnbedürfnisses bedarf, ist nach § 382e EO demgegenüber zwingend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS-Justiz RS0127363 [T1]). Der Sicherungsantrag nach § 382e EO ist abzuweisen, wenn die Interessenabwägung zugunsten des Antragsgegners ausgeht, das heißt, wenn schwerwiegende Interessen des Antragsgegners entgegenstehen (7 Ob 231/15v = RIS-Justiz RS0112179 [T2]).

3. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin den 81-jährigen Antragsteller wiederholt, zuletzt rund zwei Monate nach Rechtskraft des Scheidungsausspruchs, unangemeldet ohne ersichtlichen Grund aufgesucht, sich die von ihm als Schlaf- und Badezimmer genützten Räume „angeeignet“ und darin befindliche Gegenstände entfernt. Damit ist sie einseitig und ohne Vorwarnung in unangemessener Weise in den persönlichen Lebensbereich des Antragstellers eingedrungen. Soweit sich die Antragsgegnerin zur Rechtfertigung auf ihr Miteigentum und die Verletzung einer Gebrauchsordnung durch den Antragsteller beruft, übergeht sie, dass zumindest seit 2013 getrennte Haushalte bestanden und der Antragsteller seitdem im Haus in U* allein wohnt. Durch ihr Verhalten hat sie beim Antragsteller eine psychische Belastung herbeigeführt, die er jedoch angesichts seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen absolut vermeiden sollte und die aufgrund der malignen Bluthochdruckerkrankung letale Folgen haben könnte.

Das dargelegte Verhalten der Antragsgegnerin ist angesichts des Alters des Antragstellers und seiner gesundheitlichen Verfassung nicht zu bagatellisieren. Berücksichtigungswürdige Gründe für das Verhalten der Antragsgegnerin sind nicht bescheinigt.

4. Soweit die Antragsgegnerin Teile des bescheinigten Sachverhalts als aktenwidrig releviert, bekämpft sie in Wahrheit die erstgerichtliche Beweiswürdigung. Im Provisorialverfahren ist jedoch die Überprüfung der Beweiswürdigung durch das Rekursgericht insoweit ausgeschlossen, als der Sachverhalt aufgrund vor dem erkennenden Richter abgelegter Zeugen- und Parteiaussagen als bescheinigt angenommen wurde (RIS‑Justiz RS0012391). Abgesehen davon ergibt sich aus dem (übrigen) bescheinigten Sachverhalt klar, dass die gesundheitsgefährdende Aufregung durch das Verhalten der Antragsgegnerin verursacht wurde.

5.1. Insgesamt hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller durch ihr Verhalten ein weiteres Zusammentreffen mit ihr unzumutbar gemacht. Besondere Interessen der Antragsgegnerin, die dem Kontaktverbot und Aufenthaltsverbot auf der Liegenschaft entgegenstehen würden, sind nicht ersichtlich. Hervorzuheben ist, dass die Antragsgegnerin, die über ein eigenes Haus verfügt, schon bisher nur zwei bis drei Mal pro Jahr die Liegenschaft aufgesucht hat. Daher ist der erstgerichtliche Beschluss betreffend die Anordnung der einstweiligen Verfügung und deren Vollzug wiederherzustellen.

5.2. Allerdings ist zu beachten, dass ein Aufteilungsverfahren im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängig war; aus diesem Grund scheidet eine darauf bezogene Befristung jedenfalls aus (RIS-Justiz RS0116471 [insb auch T4]). Damit hat die vom Erstgericht zusätzlich angeordnete Befristung zu Punkt 3 seiner Entscheidung betreffend die allfällige Einleitung eines Aufteilungsverfahrens zu entfallen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 43 Abs 2, 50 ZPO iVm § 393 Abs 2 EO. Der Antragsteller ist nur hinsichtlich der Dauer und damit geringfügig unterlegen. Die erstgerichtliche Kostenentscheidung kann daher wiederhergestellt werden. Eine Pauschalgebühr fällt in einem Verfahren nach § 382e EO im Revisionsrekursverfahren nicht an. Für den Revisionsrekurs gebührt der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG lediglich in Höhe von (nunmehr) 2,10 EUR (RIS‑Justiz RS0126594).

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