Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen
Text
Begründung
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20. Mai 1992 wurde die Obsorge für die am ***** geborene Melanie C***** ihrem Vater und für ihre am ***** geborene Schwester Julia C***** ihrer Mutter zugewiesen. Zu dieser Zeit war bereits ein Scheidungsverfahren anhängig. Das Gericht ging davon aus, dass mit dieser Regelung der Obsorge die bereits bestehende Aufteilung, an die sich die Kinder gewöhnt hatten, weiter beibehalten werden sollte. Die ältere Tochter Melanie, um deren Neuregelung der Obsorge es auch nunmehr geht, wies eine eindeutige Tendenz zu ihrem Vater auf, der sich in den Auseinandersetzungen der Eltern auch rücksichtsvoller und kinderbezogener verhalten hatte (vgl auch Band I AS 19).
Anfang 1999 äußerte dann Melanie bei einem Gespräch mit einer Psychologin den Wunsch, 6 Monate bei ihrer Mutter zu wohnen, über deren Initiative sie auch eine HTL in ihrer Nähe besuchte. Dies wurde von ihrem Vater akzeptiert (Band II AS 213). Am 6. 4. 1999 stellte dann die Kindesmutter den Antrag, dem Kindesvater überhaupt die Obsorge über Melanie zu entziehen und an sie zu übertragen (ON 186). Die Minderjährige schloss sich diesem Wunsch an und führte aus, dass sie mit ihrem Vater nicht mehr reden könne und sich nicht mit ihm vertrage. Es komme öfters zu Streitigkeiten. Sie sei insgesamt durch die Situation sehr belastet und ihre schulischen Leistungen hätten sich verschlechtert. Der Kindesvater gab dazu im Wesentlichen an, dass die Stellungnahme seiner Tochter auf Manipulationen durch die Kindesmutter zurückzuführen sei, die einerseits auf die Tochter dahin eingewirkt habe, dass diese einen anderen als den vom Vater bevorzugten - sprachlich dominierten - Bildungsweg einschreite und auch Klavierübungen sowie andere Übungen von ihrer Tochter nicht verlange und andererseits sie durch verschiedene unnötige Geschenke verwöhne. Die Aussagen seiner Tochter seien auch nicht in Anwesenheit eines Fachpsychologen erfolgt, der die Manipulation des Kindes hätte abschätzen können. Es sei ganz natürlich, dass es in der Zeit der Pubertät zu Konflikten mit dem obsorgenden Elternteil komme und sich Melanie eine weibliche Bezugsperson suche, sie habe aber weiter auch eine gute Gesprächsbasis mit dem Kindesvater (ON 194). Während eines vorübergehenden Aufenthalts von Melanie von Anfang September bis Ende November 1999 beantragte der Kindesvater dann auch, der Kindermutter alles zu untersagen, was seine Obsorge über das Kind untergraben könnte (ON 197). Am 19. 11. 1999 einigten sich die Eltern dann dahin, dass die Minderjährige weitere drei Monate bis Ende Februar 2000 bei ihrer Mutter wohnt (ON 223).
Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gab zu dem Antrag auf Übertragung der Obsorge an die Mutter die Stellungnahme ab, dass dagegen keine Bedenken bestehen, ebenso Amt für Jugend und Familie des 2. Bezirkes (ON 225 und 232). Am 2. 3. 2000 erneuerte die Kindesmutter ihren Antrag auf Übertragung der Obsorge. Der Kindesvater wies wieder darauf hin, dass das Kind bei der Kindesmutter entsprechende Klavierübungen nicht durchführe und sich auch sonst deren Lebensgestaltung nicht nach seinen Vorstellungen entwickle. Die Kindesmutter sei zur Erziehung nicht geeignet und habe wiederholt gegen die Regelungen verstoßen und die Kinder manipuliert. Sie müsse durch einen Sachverständigen untersucht werden.
Mit Beschluss vom 9. 3. 2000 übertrug das Erstgericht die Obsorge vom Kindesvater auf die Kindesmutter. Es ging dabei davon aus, dass Melanie auf Grund der Vereinbarung zwischen den Eltern schon seit mehreren Monaten bei ihrer Mutter mit ihrer Schwester, ihrer Halbschwester und dem zweiten Ehemann in einem Reihenhaus wohne. Ihr Verhältnis zu ihrem Vater sei vor ihrer Übersiedlung sehr angespannt und belastend gewesen. Sie wolle bei ihrer Mutter leben. Diese sei einfühlsam, erzieherisch kompetent und gewährleiste auch eine ausreichende medizinische Versorgung. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass dem ausdrücklich geäußerten Wunsch der bereits im 15-ten Lebensjahr stehenden Minderjährigen entscheidende Bedeutung zuzumessen sei. Gründe gegen eine Übertragung der Obsorge wären nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die auch bereits länger bestehenden Verhältnisse würde ein Verbleib des Kindes in der Obsorge des Vaters gegen den ausdrücklichen Willen der Minderjährigen eine Gefährdung bewirken, die die Übertragung der Obsorge an die Mutter rechtfertige. Dem bereits seit längerer Zeit faktisch durchgesetzten Wunsch der Minderjährigen nach einem Verbleib bei ihrer Mutter sei Rechnung zu tragen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen diese Entscheidung nicht Folge. Es erachtete die von ihm erhobene Mängelrüge wegen der unterlassenen Beiziehung eines Sachverständigen zur psychologischen Begutachten der Mutter als nicht berechtigt. Anhaltspunkte für eine Manipulierung des Willens der Minderjährigen würden nicht vorliegen. Diese habe sich aber klar für einen Verbleib bei der Mutter ausgesprochen. Den Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG als nicht zulässig.
Der gegen diese Entscheidung erhobene ao Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend weist er im Ergebnis ersichtlich daraufhin, dass sich die Vorinstanzen mit der Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, dem Vater die ihm bisher zugesprochene Obsorge zu entziehen, nicht ausreichend auseinandergesetzt haben.
Nach ständiger Rechtsprechung bedarf eine Änderung der Pflege und Erziehungsverhältnisse der sicheren Prognose, dass dies im Interesse einer erheblichen Förderung des Kindeswohles erforderlich ist (vgl EFSlg 81.204). Die einmal einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte aus dem Elternverhältnis und Kindschaftsverhältnis könne nur dann auf den anderen übertragen werden, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB vorliegen; wobei eher noch ein strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl RIS-Justiz RS0047841 = SZ 51/136 EFSlg 33.600, EvBl 1979/185, EvBl 1981/82, JBl 1992, 639 und zahlreiche wN). Dabei wurde auch bereits klargestellt, dass allein aus der Willensäußerung eines mündigen Minderjährigen, zu der Mutter ziehen zu wollen, noch kein Umstand der Gefährdung des Wohles für den Fall des weiteren Verbleibes in der Obsorge des Vaters zu erkennen ist (vgl 7 Ob 605/90). Verlangt doch auch der nach dieser ständigen Rechtsprechung als Mindestmaß heranzuziehende § 176 Abs 1 ABGB, dass der Elternteil, dem die Obsorge nunmehr entzogen werden soll, durch sein Verhalten das Wohl des Minderjährigen gefährdet. Gerade dies kann aber aus dem Verhalten des Vaters, der dem Wunsch der Minderjährigen entsprechend es zeitweise ermöglichte, dass diese länger bei ihrer Mutter wohnt, nicht abgeleitet werden.
Inwieweit nun allfällige Spannungen zwischen ihm und der Minderjährigen über die häufig bei der Erziehung von mündigen Minderjährigen in diesem Alter auftretenden Probleme hinausgehen und eine konkrete Gefährdung des Kindeswohles bewirken, blieb aber ungeklärt. Ein allein aus allfälligen üblichen Erziehungsproblemenschwierigkeiten resultierende Wunsch des Kindes auf Änderung der Obsorgeberechtigung kann schon im Sinne einer kontinuierlichen Erziehung nicht als ausreichend angesehen werden (vgl EFSlg 59.783).
Da aber ungeklärt blieb, inwieweit nun tatsächlich eine konkrete Beeinträchtigung des Kindeswohles zu befürchten ist, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine Ergänzung des Verfahrens aufzutragen.
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