Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin schloss am 1. 5. 2006 bei der Beklagten eine Kreditversicherung ab, der die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kreditversicherung C*****“ (im Folgenden AVB) zugrunde gelegt wurden. Nach deren Art 1 ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer den Ausfall an versicherten Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen ins Ausland, welcher dadurch entsteht, dass in die Versicherung eingeschlossene Kunden des Versicherungsnehmers zahlungsunfähig werden.
Die AVB enthalten unter anderem folgende weitere Bestimmungen:
„ - Allgemeine Obliegenheiten des Versicherungsnehmers
Art 5 (1) [...] Alle bei Abschluss der Versicherung bekannten und während der Versicherungsdauer bekannt werdenden und für die Beurteilung der Kreditfähigkeit eines Kunden erheblichen Tatsachen sind dem Versicherer unverzüglich schriftlich zu melden. Eine solche Meldung ist insbesondere dann zu erstatten, wenn
a) ein Kunde die in den „Besonderen Bedingungen“ bzw im Anhang festgelegte äußerste Zahlungsfrist überschreitet,
[...]
- Verletzung der Vertragspflichten durch den Versicherungsnehmer
Art 11 (1) Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, ohne dass es einer Kündigung des Versicherungsvertrags bedarf, wenn der Versicherungsnehmer
a) [...]
b) während der Laufzeit des Versicherungsvertrags vorsätzlich oder grob fahrlässig eine der vom Versicherungsnehmer dem Versicherer gegenüber nach den „Allgemeinen Versicherungsbedingungen“ und nach den Bestimmungen der „Besonderen Bedingungen“ zu erfüllenden Obliegenheiten sowie sonstige im Vertrag vom Versicherungsnehmer übernommenen Verpflichtungen verletzt. Ist eine Obliegenheit verletzt, die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist, so bleibt bei grob fahrlässiger Verletzung der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung Einfluss weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat.
[...]“.
Die Kreditversicherung umfasste mit einer Versicherungssumme von 20.000 EUR unter anderem Warenlieferungen und Leistungen der Klägerin an die H***** Kft (im Folgenden: Kundin) mit Sitz in D*****, Ungarn.
Aus den Rechnungen, die die Klägerin der Kundin zwischen 10. 11. und 12. 12. 2008 legte, verblieben nach Ablauf des äußersten Zahlungsziels von drei Monaten Zahlungsrückstände von 23.744,49 EUR. Die Klägerin erstattete der Beklagten darüber keine Meldung. Über das Vermögen der Kundin wurde am 28. 8. 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Den Antrag der Klägerin auf Versicherungsleistung für den aus der Insolvenz der Kundin resultierenden Forderungsausfall lehnte die Beklagte unter Hinweis darauf ab, dass ihr die Klägerin den Zahlungsrückstand aus der ältesten offenen Rechnung vom 10. 11. 2008 nicht nach Ablauf von drei Monaten gemeldet habe.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten, ausgehend von der für die Kundin festgelegten Versicherungssumme von 20.000 EUR und nach Abzug des 30%igen Selbstbehalts, eine Versicherungsleistung von 14.000 EUR. Sie habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig eine Obliegenheit verletzt. Außerdem habe eine allfällige Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf die Feststellung oder den Umfang der Versicherungsleistung gehabt und sei damit nicht kausal geworden. An der Leistungspflicht der Beklagten hätte sich nichts geändert, hätte die Klägerin den Zahlungsverzug ihrer Kundin bereits am 10. 2. 2009 gemeldet, weil die zu deckenden Forderungen damals schon bestanden hätten. Die Beklagte könne sich daher nicht auf Leistungsfreiheit berufen.
Die Beklagte wandte Leistungsfreiheit gemäß Art 11 Abs 1 lit b AVB ein, weil die Klägerin die ihr gemäß Art 5 AVB obliegende Meldung der Zahlungsrückstände der Kundin per 10. 11. 2008 nicht bis spätestens 10. 2. 2009 erstattet habe. Die Kausalität der unterbliebenen Meldung für den Versicherungsfall sei unerheblich.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Über Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht dieses Urteil. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren sei nicht strittig gewesen, dass der Klägerin eine Verletzung der unabhängig vom Versicherungsfall zu erfüllenden (primären) Obliegenheit nach Art 5 Abs 1 AVB anzulasten sei. Mangels entsprechender Gegenbehauptungen habe die Beklagte den von der Klägerin behaupteten fehlenden Kausalzusammenhang zwischen der Obliegenheitsverletzung einerseits und der Feststellung des Versicherungsfalls und ihrer Leistungspflicht andererseits schlüssig zugestanden.
Gemäß § 6 Abs 1 VersVG trete bei schuldhafter Verletzung einer sonstigen vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden (primären) Obliegenheit grundsätzlich die volle Verwirkung der Leistung des Versicherten ohne Rücksicht der Kausalität ein. Davon ausgenommen sei eine Gruppe von besonderen, unabhängig vom Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheiten, die der Gefahrenverwaltung dienten. Die lediglich mittelbar gefahrenmindernd wirkende Anzeigeobliegenheit in der Warenkreditversicherung sei als vorbeugende Obliegenheit den §§ 6 Abs 2, 32 VersVG zu unterstellen. Die Meldeobliegenheit werde nämlich in zeitlicher Hinsicht nur durch den Eintritt des Versicherungsfalls, also der Zahlungsunfähigkeit des Kunden begrenzt. Auch bei einer Aufhebung des Versicherungsschutzes eines Kunden blieben die vor diesem Zeitpunkt entstandenen Forderungen weiterhin versichert, sodass sich deren Risiko noch erhöhen könne. Es gebe jedoch oftmals einen Zeitpunkt, zu dem ein möglicher Maßnahmekatalog des Versicherers erschöpft sei und nur der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit abgewartet werden könne. Die Anzeigepflicht habe dann hinsichtlich des Abnehmers ihren Sinn verloren und solle insoweit beendet werden. Das könne jedoch nicht in den AVB verankert werden, da der Zeitpunkt, zu dem die Meldungen sinnlos würden, nicht allgemein gültig beschrieben werden könne. Umso größere Bedeutung komme hier einer indirekten Beendigung der Anzeigepflicht durch die Zulassung des Kausalitätsgegenbeweises zu. Die Zulassung eines Kausalitätsgegenbeweises bewirke daher eine sinnvolle Einschränkung der Anzeigenobliegenheit.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob es sich bei der Meldeobliegenheit des Art 5 Abs 1 lit a AVB um eine solche im Sinn der §§ 6 Abs 2, 32 VersVG handle.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin begehrt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Unstrittig ist, dass die Klägerin die ihr in Art 5 Abs 1 AVB aufgetragene Meldeobliegenheit verletzte.
In ihrer Revision argumentiert die Beklagte zusammengefasst, dass unter Obliegenheiten im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG ausschließlich unmittelbar der Gefahrenverminderung oder -vorbeugung dienende Obliegenheiten zu verstehen seien, wozu die genannte Meldeobliegenheit gerade nicht zähle. Aus diesem Grund stehe der Klägerin auch der Kausalitätsgegenbeweis nicht offen.
Die Klärung, ob die Meldeobliegenheit nach Art 5 Abs 1 AVB § 6 Abs 1 VersVG oder aber § 6 Abs 2 VersVG zuzuordnen ist, kann - wie die folgenden Ausführungen zeigen - dahingestellt bleiben.
§ 6 Abs 1 bis 3 VersVG gehört gemäß § 15a VersVG zu den halbzwingenden und damit zu den die Vertragsfreiheit beschränkenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes. Solche Vorschriften hat der Gesetzgeber zum Schutz besonders wichtiger Interessen der Versicherungsnehmer in das Gesetz aufgenommen. Beim Versicherungsvertrag ist der Versicherungsnehmer im Allgemeinen der schwächere Teil. Er steht an Geschäftserfahrung dem Versicherer regelmäßig nach. Das Bedürfnis für solche Vorschriften erstreckt sich jedoch nicht auf alle Versicherungszweige.
Nach § 187 VersVG sind die nach diesem Bundesgesetz vorgesehenen Beschränkungen der Vertragsfreiheit bei der Transportversicherung von Gütern, bei der Kreditversicherung und bei der Versicherung gegen Kursverluste nicht anzuwenden. Unter die Kreditversicherung fällt auch die Warenkreditversicherung (Kollhosser in Prölss/Martin Versicherungsvertragsgesetz27 § 187 Rz 9 mwN).
In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, dass § 187 VersVG nicht die zwingenden Vorschriften selbst für unanwendbar erklärt, sondern nur die Beschränkung der Vertragsfreiheit. Das heißt, für die in § 187 VersVG genannten Versicherungszweige sind zwingende Vorschriften nicht für unanwendbar, sondern für abdingbar erklärt (7 Ob 21/11f, BGH IV ZR 135/91, IV ZR 127/91, Kollhosser aaO § 187 Rz 5 mwN, Schwintowski in Honsell Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz § 187 Rz 7 mwN).
Daraus folgt, dass § 6 Abs 1 bis 3 VersVG in der Kreditversicherung nach § 187 VersVG abbedungen werden kann (BGH IV ZR 135/91, IV ZR 127/91).
Dafür, dass § 6 Abs 1 bis 3 VersVG im vorliegenden Fall abbedungen wurde, spricht der Umstand, dass in Art 11 Abs 1 lit b AVB der Kausalitätsgegenbeweis ausdrücklich nur für Obliegenheitsverletzungen nach Eintritt des Versicherungsfalls als zulässig angeführt wird. Dagegen vereinbaren die Parteien im ersten Satz der genannten Bestimmung die Leistungsfreiheit für vorsätzlich oder grob schuldhaft begangene Obliegenheitsverletzungen - vor Eintritt des Versicherungsfalls - ohne Bezug auf die Möglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises. Allerdings ist nach dem bisherigen Vorbringen weder erkennbar, ob die Beklagte selbst von einem solchen Verständnis der Bestimmung ausgeht, noch inwieweit sie sich darauf stützt.
Sollte letztlich § 6 Abs 1 bis 3 VersVG und damit die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises im Zusammenhang mit der Verletzung der Meldeobliegenheit vor Eintritt des Versicherungsfalls abbedungen worden sein, dann könnte der Bestimmung ausschließlich eine allfällige Unwirksamkeit nach § 879 Abs 3 ABGB entgegengehalten werden. Falls ein gesetzliches Verbot fehlt, kann Sittenwidrigkeit im Sinn des § 879 ABGB jedenfalls nur dann angenommen werden, wenn die Interessenabwägung ein grobes Missverhältnis der Interessen ergibt (RIS-Justiz RS0045886, 7 Ob 21/11f mwN).
Da auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer von ihnen bisher nicht beachteten Rechtsansicht überraschen darf (RIS-Justiz RS0037300), bedarf es einer Erörterung mit ihnen, was zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen führen muss.
Schon jetzt ist auch darauf hinzuweisen, dass von der Klägerin nur vorgebracht wurde, dass sie weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe. Dieses Vorbringen ist - auf Grund des Fehlens jeglicher Tatsachenbehauptungen - bisher unsubstanziert geblieben.
Das Erstgericht wird im aufgezeigten Sinn mit den Parteien ihr Vorbringen zu erörtern und gegebenenfalls das Verfahren und die Feststellungen zu ergänzen haben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)