OGH 7Ob129/21b

OGH7Ob129/21b14.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Fristsetzungssache in Bezug auf die Rechtssache der klagenden Partei I***** R*****, vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. H***** R***** (nunmehr: Dr. H***** G*****), *****, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Dr. H***** K*****, wegen Ehescheidung (AZ 98 C 13/19i [vormals AZ 10 C 70/08h] des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. April 2021, GZ 44 Fs 4/21d (44 Fs 5/21a)‑722, mit dem ihre Fristsetzungsanträge vom 19. März 2021 und 24. März 2021 zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00129.21B.0714.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Im Verfahren AZ 98 C 13/19i (vormals AZ 10 C 70/08h) des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien wurde die Ehe der Streitteile mit Urteil vom 24. 5. 2012 geschieden. Der dagegen vom Beklagten erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. 5. 2014 nicht Folge gegeben. Gegen diese Entscheidung erhob er eine außerordentliche Revision, gleichzeitig lehnte er auch die Senatsmitglieder des Berufungssenats wegen Befangenheit ab.

[2] Mit Beschluss vom 29. 10. 2014 unterbrach der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Ablehnung der Senatsmitglieder des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien.

[3] Mit Beschluss vom 2. 6. 2015 unterbrach das Erstgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Pflegschaftsgerichts über die Frage, ob für den Beklagten ein Sachwalter zu bestellen ist.

[4] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien als Pflegschaftsgericht vom 18. 12. 2018, GZ 88 P 134/13y‑415, wurde für den Beklagten Dr. H***** K***** zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellt, unter anderem mit dem Wirkungsbereich der Vertretung im hier gegenständlichen Ehescheidungsverfahren. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. 1. 2019 wurde das Verfahren fortgesetzt und dem Erwachsenenvertreter aufgetragen, binnen zwei Monaten mitzuteilen, ob er die bisherige Verfahrensführung des Beklagten genehmige. Mit Schriftsatz vom 9. 10. 2019 genehmigte der gerichtliche Erwachsenenvertreter zwar die Verfahrensführung des Beklagten bis einschließlich des Zustellvorgangs zur Übernahme der Berufungsentscheidung. Die danach vom Beklagten gesetzten Verfahrensschritte, wie insbesondere die „Einbringung einer Revisionsschrift oder Verfahrenshilfe oder alle Nebenanträge zum Revisionsverfahren durch den Beklagten“ genehmigte er hingegen nicht.

[5] Der Beklagte beantragte mit seinen Fristsetzungsanträgen vom 19. und 24. 3. 2021 – soweit erkennbar –, dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien eine Frist zur Vorlage seiner (vom gerichtlichen Erwachsenenvertreter nicht genehmigten) außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof zu setzen.

[6] Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wies die Fristsetzungsanträge zurück. Vom Beklagten gesetzte Prozesshandlungen wären nur dann wirksam und nicht zurückzuweisen, wenn sie vom gerichtlichen Erwachsenenvertreter genehmigt worden wären, was hier nicht erfolgt sei.

[7] Gegen diesen Beschluss richtet der Beklagte seinen – neuerlich vom gerichtlichen Erwachsenenvertreter nicht genehmigten – Rekurs .

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Rekurs ist unzulässig.

[9] 1.1 Gemäß § 1 Abs 2 ZPO idF BGBl I Nr 59/2017 mangelt es einer Person in jenen Verfahren an der Prozessfähigkeit, die in den Wirkungsbereich eines Erwachsenenvertreters oder eines Vorsorgebevollmächtigten, dessen Vollmacht bereits wirksam geworden ist, fallen. Zur Vertretung im Verfahren ist nur der gesetzliche Vertreter allein berechtigt; bei mehreren gesetzlichen Vertretern ist dies im Zweifel derjenige, der die erste Verfahrenshandlung setzt.

[10] 1.2 Die ErläutRV (1461 der BlgNR XXV. GP 78 f) stellen ausdrücklich klar: „Nach § 1 Abs 1 ZPO bleibt die Bindung des Umfangs der Prozessfähigkeit an die materiell‑rechtliche Verpflichtungsfähigkeit als Grundsatz aufrecht. [...] Dies bedeutet, dass weiterhin grundsätzlich alle Personen insoweit prozessfähig sind, als sie nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig sind; ist jedoch die bürgerlich‑rechtliche Geschäftsfähigkeit einer Person eingeschränkt, so ist diese Person im Umfang der Beschränkung nicht prozessfähig.

[11] Von diesem Grundsatz des Gleichklangs von Geschäfts‑ und Prozessfähigkeit wird gemäß Abs 2 dann abgegangen, wenn einer Person ein Erwachsenenvertreter bestellt wurde, dessen Wirkungskreis die Vertretung vor Gericht umfasst, oder wenn für sie eine gewählte oder gesetzliche Erwachsenenvertretung oder eine Vorsorgevollmacht für die Vertretung vor Gericht wirksam ist. In diesen Fällen soll die Partei – unabhängig von ihrer im Einzelfall vielleicht vorliegenden Geschäftsfähigkeit – jedenfalls prozessunfähig sein.

[12] Das bedeutet, dass die gerichtliche Bestellung oder gewählte bzw gesetzliche Beistellung eines Erwachsenenvertreters oder eine wirksame Vorsorgevollmacht die Prozessfähigkeit der vertretenen Person dann beschränkt, wenn vom Aufgabenbereich des Erwachsenenvertreters oder Vorsorgebevollmächtigten auch die Vertretung vor Gericht mitumfasst ist. […]

[13] Besteht eine Erwachsenenvertretung oder wirksam gewordene Vorsorgevollmacht für die Vertretung in einem Gerichtsverfahren, so handelt die betroffene Person in diesem Verfahren durch ihren Erwachsenenvertreter oder Vorsorgebevollmächtigten als gesetzlichen Vertreter, sie kann daher in diesem Verfahren nicht parallel selbst wirksame Prozesshandlungen setzen oder einen gewillkürten Vertreter bestellen. […]

[14] Diese Schutzmaßnahme ist nicht zuletzt aufgrund der Vorgaben des Art 6 MRK unumgänglich und dient auch der Wahrung der Interessen des Verfahrensgegners. Es soll nur der Vertreter allein wirksam im Verfahren handeln können. Andernfalls hätte das Prozessgericht jede einzelne Prozesshandlung der vertretenen Person auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Dies wäre mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, weil sich das Gericht diesfalls bei jeder einzelnen solchen Prozesshandlung mit der Frage von deren Wirksamkeit befassen müsste. Dies hätte in der Praxis wohl zur Konsequenz, dass das Prozessgericht – in jedem Verfahren mit Beteiligung einer vertretenen Person im Wirkungsbereich des Erwachsenenvertreters oder Vorsorgebevollmächtigten – einen Sachverständigen beiziehen müsste und zwar während der gesamten Dauer des jeweiligen Verfahrens.“

[15] 1.3 Aus dem insoweit völlig klaren Gesetzeswortlaut folgt für den vorliegenden Fall, in dem für den Beklagten für das konkrete Ehescheidungsverfahren ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt ist, dass der Beklagte ohne Genehmigung seines Erwachsenenvertreters keinen wirksamen Rekurs erheben konnte (vgl auch RS0035338 [insb T3]).

[16] Der Rekurs war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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