Spruch:
Im Falle des Vorliegens zweier (ausländischer) Staatsangehörigkeiten entscheidet die Beantwortung der Frage nach der effektiven (praktizierten) Staatsangehörigkeit darüber, welcher der beiden Staatsbürgerschaften der Vorzug zu geben ist. Effektiver ist die Angehörigkeit zu jenem Staat, mit dem die betreffende Person am engsten verbunden ist
OGH 20. Juni 1974, 7 Ob 113/74 (LGZ Wien 44 R 152/74; BG Innere Stadt Wien 12 A 207/72)
Text
Die am 8. Mai 1931 in Eger geborene Hildegard W ist am 14. Oktober 1970 in der CSSR verstorben. Ihr letzter Wohnsitz befand sich in einem Rentnerheim in U, CSSR. Sie war vom Bezirksgericht Klatovy zu P 78/63 voll entmundigt worden. In Österreich befindet sich aus einer Erbschaft stammendes bewegliches Vermögen der Erblasserin in Form eines auf einem Ausländersperrkonto erliegenden Guthabens im Betrage von 365.337.15 S (Stand am Todestag). Eine letztwillige Verfügung liegt nicht vor.
Mit der Behauptung, die Erblasserin sei tschechoslowakische Staatsangehörige und habe keine Verwandten hinterlassen, die nach dem anzuwendenden tschechoslowakischen Recht erbberechtigt wären, so daß der in Österreich befindliche bewegliche Nachlaß an die CSSR heimgefallen sei und von dieser in Anspruch genommen werde, beantragte diese dessen Ausfolgung bezüglich der Staatsangehörigkeit der Erblasserin berief sich die CSSR darauf, daß die Erblasserin gemäß dem § 1 des am 7. Mai 1953 in Kraft getretenen tschechoslowakischen Gesetzes Nr. 34/53 Sb vom 24. April 1953 ab 7. Mai 1953 tschechoslowakische Staatsangehörige gewesen sei.
Die Revisionsrekurswerber beantragten gleichfalls die Ausfolgung des inländischen beweglichen Nachlasses mit der Behauptung, sie seien nach ihrer Kusine, die deutsche Staatsangehörige gewesen sei, nach dem anzuwendenden deutschen Recht erbberechtigt. Sie legten einen Erbschein des Amtsgerichtes W vom 1. Oktober 1973 vor, wonach sie die Erblasserin zu je einem Drittel gesetzlich beerbt hätten. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit brachte sie vor, die Erblasserin sei bis Oktober 1938 Staatsangehörige der CSSR gewesen und habe dann als Sudetendeutsche die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Durch Dekret der CSSR sei ihr die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit im Jahre 1945 aberkannt worden. Sie habe in der Folge die deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten, ohne die tschechoslowakische erworben zu haben. Sie entstamme, so wie alle ihre Verwandten, dem deutschen Kulturkreis und habe nach dem zweiten Weltkrieg ihren Verwandten, die unter Zurücklassung ihres Besitzes die CSSR verlassen hätten, nach Deutschland bzw. Österreich folgen wollen. Mangels Vorliegens des animus manendi könne daher ein Wohnsitz in der CSSR nicht angenommen werden, so daß die deutsche Staatsangehörigkeit effektiver sei als jene der CSSR.
Das Erstgericht stellte das Ausfolgungsverfahren ein, wies alle Ausfolgungsanträge zurück und leitete über den inländischen beweglichen Nachlaß das Abhandlungsverfahren ein. Es hielt die Staatsangehörigkeit der Erblasserin, hinsichtlich deren Feststellung ein weitwendiges Verfahren nicht durchzuführen sei, für ungeklärt und erachtete somit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 AußstrG für die Vornahme der Abhandlung von einem österreichischen Gericht nach österreichischem Recht für gegeben. Aber selbst unter der Annahme einer Doppelstaatsangehörigkeit wäre von einem österreichischen Gericht abzuhandeln.
Das Rekursgericht gab dem von der CSSR gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs Folge; es hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die Fortsetzung des Ausfolgungsverfahrens auf. Das Rekursgericht nahm auf der Grundlage der oben zitierten Gesetze eine Doppelstaatsangehörigkeit der Erblasserin (eine deutsche und eine tschechoslowakische) an, so daß die Staatsangehörigkeit entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht ungeklärt sei. Da jedoch die Erblasserin ihren Wohnsitz in der CSSR gehabt habe, sei der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit als der effektiveren der Vorzug gegenüber der deutschen zu geben.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß dem § 25 AußStrG ist der bewegliche Nachlaß der Ausländer, rücksichtlich deren nicht ausgemittelt werden kann, welchem Staate sie angehören, oder welche die Staatsbürgerschaft in demjenigen Staate, welchem sie angehören, bereits verloren haben, von den österreichischen Gerichten und nach österreichischen Gesetzen zu verhandeln. Bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit des Erblassers ist jedoch kein weitwendiges Beweisverfahren durchzuführen; im Zweifel ist die inländische Gerichtsbarkeit zu bejahen (SZ 10/158; SZ 23/42; NotZ 1964/62). Bei der nach diesen Grundsätzen vorzunehmenden Klärung der Staatsangehörigkeit ist von der vom Rekursgericht festgestellten Doppelstaatsangehörigkeit auszugehen. Die neuere Literatur stimmt im wesentlichen darin überein, daß im Falle des Vorliegens zweier (ausländischer) Staatsangehörigkeiten die Beantwortung der Frage nach der effektiven (praktizierten) Staatsangehörigkeit darüber entscheidet, welcher der beiden Staatsangehörigkeiten der Vorzug zu geben ist (vgl. Schwind, FamRZ 1964, 481; Makarov, Grundriß des internationalen Privatrechts, 69; Makarov, Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts[2], 311 ff.; Kegel, IntPR[3], 176; Schnitzer, Handbuch des IntPR[4], I, 162 f.; Dölle, IntPR[2], 67; Walker, IntPR[5], 103; Mänhardt, Das internationale Personen- und Familienrecht Österreichs, 26 f.; Murad Ferid, Rabels's Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 1968, 498 ff., insbesondere 514). Effektiver ist demnach die Angehörigkeit zu jenem Staat, mit dem die betreffende Person am engsten verbunden ist. Es muß hiebei in jedem einzelnen Fall den tatsächlichen Lebensverhältnissen Rechnung getragen werden, um unter Berücksichtigung aller Verknüpfungen der Person mit jedem ihrer Heimatstaaten ihre stärkste Staatsangehörigkeit zu ermitteln. Hiebei sind alle jene Tatsachen zu berücksichtigen, die für die Lebensverhältnisse der betreffenden Person von maßgebender Bedeutung sind, wie Wohnsitz, Aufenthalt, Zeitpunkt des Erwerbes der einzelnen Staatsangehörigkeiten, ius sanguinis, Militärdienst, Beruf und dgl. mehr. Nur die Würdigung aller aus den Lebensverhältnissen der betreffenden Person sich ergebenden Anknüpfungen an den einen von mehreren Staaten, denen sie angehört, wird es ermöglichen, die tatsächlich stärkste von allen ihren Staatsangehörigkeiten zu ermitteln (so insbesondere Makarov, Allgemeine Lehren, 311).
Eine derartige Klärung ist aber im vorliegenden Fall zumindest ohne weitwendiges Beweisverfahren nicht möglich. Nicht zuletzt weil von den Revisionsrekurswerbern der animus manendi der Erblasserin in Zweifel gezogen wurde, kann entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes dem Wohnsitz allein keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Da aber, wie bereits erwähnt, eine Klärung aller anderen für die Lebensverhältnisse der Erblasserin bedeutsamen Tatsachen zumindest ohne weitwendiges Beweisverfahren nicht möglich ist, bleibt es infolge ungeklärter effektiver Staatsangehörigkeit bei der Abhandlung durch ein österreichisches Gericht nach österreichischem Recht (§ 25 AußStrG).
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