OGH 6Ob96/17m

OGH6Ob96/17m29.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K***** AG, *****, vertreten durch Putz & Rischka Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 6.949,60 EUR sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Februar 2017, GZ 60 R 78/16z‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00096.17M.0529.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1.1. Dem Obersten Gerichtshof kommt im Bereich des ausländischen Rechts keine Leitfunktion zu (RIS‑Justiz RS0042948 [T1]). Der Mangel einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum anzuwendenden ausländischen Sachrecht begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042948).

1.2. Die Revision wäre aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre oder hiebei grobe Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtig gestellt werden müssten (RIS‑Justiz RS0042948 [T21]).

2.1. Einen derartigen Mangel der angefochtenen Entscheidung vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen. Das Argument, die Beklagte sei als „beherrschende Mehrheitsgesellschafterin“ zu qualifizieren und hafte bereits deshalb, weil damit das „generell akzeptierte Prinzip der Firmenwahrheit und Firmenklarheit“ nicht beachtet worden sei, geht ins Leere. Einerseits ging das Berufungsgericht bei der Behandlung der Rechtsrüge ohnedies – zugunsten der Klägerin – von der Annahme aus, die Beklagte sei als beherrschende Gesellschafterin zu qualifizieren. Im Übrigen ist nicht erkennbar, wieso sich aus der Verletzung der Prinzipien der „Firmenwahrheit und Firmenklarheit“ eine Haftung gegenüber der Klägerin ergeben sollte.

2.2. Die deutsche Literatur zur Haftung des beherrschenden Gesellschafters haben die Vorinstanzen eingehend dargestellt. Mehrere Autoren sprechen sich bloß für eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft aus (vgl Nerlich in Michalski , GmbHG 2 § 64 Rz 113; Altmeppen in Roth/Altmeppen , GmbHG 8 § 64 Rz 62; Penz in Rowedder/Schmidt‑Leithoff , GmbHG 5 § 13 Rz 112). Dies entspricht auch der Ansicht des BGH, der eine Haftung des Gesellschafters wegen „existenzvernichtenden Eingriffs“ in seiner neueren Rechtsprechung grundsätzlich (bloß) als Fallgruppe der Haftung für vorsätzliche sittenwidrige Schädigungen nach § 826 BGB einordnet und als Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft ansieht (BGH II ZR 3/04‑ Trihotel Rz 28). Auffassungsunterschiede in der deutschen Literatur zu klären ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs.

2.3. Für die Annahme, die Beklagte hätte Einfluss auf den Geschäftsführer genommen, die Stellung eines Insolvenzantrags zu unterlassen ( Nerlich aaO § 64 Rz 103) bietet der vorliegende Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte. Auch ein kompensationsloser „existenzvernichtender Eingriff“ in die Gesellschaft durch die Beklagte im Sinne der zitierten Trihotel ‑Entscheidung des BGH läge nicht vor, weil darunter bloß Fälle verstanden werden, in denen der Gesellschafter der Gesellschaft ohne angemessenen Ausgleich – offen oder verdeckt – Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt (BGH II ZR 3/04 Rz 18 mwN). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte aber keine Vermögenswerte entzogen, sondern bloß die letzte Rate eines Darlehens nicht ausbezahlt. Aus welchen konkreten Handlungen der Beklagten sich ihre Haftung hier ergeben sollte, legt die Revision nicht näher dar.

3. Die bloße Verlagerung der Buchhaltung, die nach den Feststellungen des Erstgerichts offenbar aus Kostengründen erfolgte, kann auch nicht mit einer „faktischen Geschäftsführung“ gleichgesetzt werden. Im Übrigen hängt das Vorliegen faktischer Geschäftsführung regelmäßig von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (zu den hier anzuwendenden Kriterien vgl Haas in Baumbach/Hueck , GmbHG 19 § 64 Rz 9).

4. Auch die Revisionsausführungen zur angeblichen „Führungslosigkeit“ der Gesellschaft gehen ins Leere, weil diese in § 35 Abs 1 GmbHG dahin definiert ist, dass die Gesellschaft keinen Geschäftsführer hat. Im vorliegenden Fall war für die Gesellschaft jedoch stets ein Geschäftsführer bestellt. Das bloße Bemühen des Geschäftsführers um eine andere Anstellung ist auch nicht unter den in der Literatur teilweise gleich behandelten Fall, wonach Führungslosigkeit auch dann vorliegen könne, wenn sich der bestellte Geschäftsführer seiner Verantwortung entzieht ( Wabnitz/Janovsky , Handbuch Wirtschaftsstraf‑ und Steuerstrafrecht 4 Rz 150), zu subsumieren. Bloß passives Verhalten reicht für die „Führungslosigkeit“ der Gesellschaft nicht aus ( Stephan/Tieves in Münchner Kommentar GmbHG 2 § 35 Rz 240).

5. Zusammenfassend bringt die klagende Partei daher keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen, sodass dafür keine Kosten zuzuerkennen waren.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte