OGH 6Ob701/88

OGH6Ob701/8810.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz W***, geboren am 6. Oktober 1910 in Wien, Pensionist, Wien 12., Meidlinger Hauptstraße 12-14/7/16, vertreten durch Dr. Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien wider die beklagte Partei Wilhelmine W***, geboren am 23. August 1918 in Wien, im Haushalt, Wien 12., Meidlinger Hauptstraße 12-14/7/16, vertreten durch Dr. Hans Herndlhofer und Dr. Erich Kovar, Rechtsanwälte in Wien wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. Juni 1988, GZ 17 R 111/88-50, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Januar 1988, GZ 22 Cg 120/85-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise stattgegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden derart abgeändert, daß der Ausspruch über ein Überwiegen des Verschuldens der klagenden Partei entfällt. Die Prozeßkosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten ein Drittel der mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 308,85 S), das sind 1.132,45 S, zu ersetzen. Dagegen ist die Beklagte schuldig, dem Kläger an Gerichtsgebühren die Hälfte der Pauschalgebühren für das Verfahren erster Instanz und je ein Drittel der Pauschalgebühren für das über Berufung des Klägers durchgeführte Berufungsverfahren und das Revisionsverfahren, somit einen Betrag von 1.208,33 S, zu ersetzen. Danach ist also die Beklagte schuldig, dem Kläger einen Betrag von 75,88 S binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 25. September 1970 die Ehe geschlossen. Der Mann war Witwer, er stand damals im 60. Lebensjahr. Die Frau hatte ihr 52. Lebensjahr vollendet, ihre vorangegangenen Ehen waren durch Scheidung aufgelöst worden. Der zweite Ehemann der Frau heiratete nach seiner Scheidung eine aus der ersten Ehe stammende Tochter seiner geschiedenen Frau. Dieses Ehepaar lebt mit seinem Sohn in Bayern. Den ehelichen Haushalt führen die Streitteile seit ihrer Eheschließung in einer aus Zimmer, Wohnküche, Bad, WC und Vorraum bestehenden Mietwohnung des Mannes.

Nachdem der Mann hauptsächlich aus gesundheitlichen und altersbedingen Gründen im Jahre 1977 den ihm ehemals von seinem Dienstgeber zur Verfügung gestellten Personenkraftwagen abgemeldet hatte, äußerte die Frau fallweise gegenüber ihrem Mann, sie empfände das Fehlen eines Personenkraftwagens als Mangel, in der kleinen Ehewohnung fühle sie sich eingeengt. Diese Kritik am Lebensstandard änderte aber zunächst nichts an dem im wesentlichen harmonischen ehelichen Zusammenleben. Das Ehepaar besuchte auch wiederholt die in Bayern wohnhafte Tochter der Frau und deren früheren Ehemann und nunmehrigen Schwiegersohn.

Gegen Ende des ersten Ehejahrzehntes geriet das Ehepaar aus nichtigen, nicht mehr aufklärbaren Anlässen in Streit. Im Verlaufe solcher Auseinandersetzungen beschimpften die Ehegatten einander wechselseitig. Dabei bezeichnete der Mann seine Frau etwa als "Mistvieh".

Der Mann gab sich zunehmend grantig und aggressiv.

Nach einem Herzinfarkt des bereits 70 Jahre alten Mannes nahmen die Ehegatten einvernehmlich von weiterem Sexualverkehr Abstand. Im Jahre 1981 lernte der Mann gelegentlich seiner Parkspaziergänge eine 14 Jahre jüngere Frau kennen, die wie er Vögel zu füttern pflegte. Um diese Zeit verstärkte der Mann sein schlecht gelauntes und nörgelndes Verhalten gegenüber seiner Frau. Er brach wiederholt aus nichtigen Anlässen Streit vom Zaun, was mit wechselseitigen Beschimpfungen endete. Im Verlaufe solcher Auseinandersetzungen bezeichnete die Frau ihren Mann etwa als "Schizerl" und drohte ihm, sie werde ihn "zur Strecke bringen". Im Jahre 1981 brach der Mann seine Beziehungen zu der in Bayern lebenden Stieftochter und deren Ehemann, dem vormaligen Ehemann seiner Frau, ab, nachdem dieser ihn im Streit einen "Pharisäer" genannt hatte. Die Frau besuchte dagegen weiterhin ihre Tochter und deren Ehemann in Bayern "mit ziemlicher Regelmäßigkeit". Die Abwesenheit seiner Ehefrau empfand der Mann zunächst als störend, mit zunehmender Verschlechterung des ehelichen Einvernehmens aber als Periode der Ruhe.

Die Ehefrau lernte bei ihren Parkbesuchen die Frau kennen, mit der ihr Mann beim Vögelfüttern wiederholt zusammengetroffen war. Dieser Frau gegenüber klagte die Ehefrau öfter über das unwirsche Verhalten ihres Mannes.

Der Mann nörgelte über das von der Frau zubereitete Essen. Aus diesem Grunde und aus anderen Gründen kam es wiederholt zu ehelichen Auseinandersetzungen mit wechselseitigen Beschimpfungen. Dabei schalt der Mann seine Frau als "Hure" oder "Kanaille" und diese ihren Mann als "seniles Dreckschwein", "Drecksau", "senilen Trottel" oder "Schizerl".

Die Frau fühlte sich in ihrer Nachtruhe durch das Schnarchen ihres Mannes gestört, dieser riet ihr darauf "mit Oropax zu schlafen". Der Mann dagegen fühlte sich durch die Leselampe oder den Fernsehton in seiner Nachtruhe gestört. Die Frau kam aber den Wünschen, nach einem Abschalten der Leselampe oder einer Verringerung der Lautstärke des Fernsehempfängers nicht nach. Eine zunehmende Schwerhörigkeit des Mannes führte gelegentlich zu Mißverständnissen.

Das wechselseitige Mißtrauen der Eheleute wuchs. Die Frau verdächtigte ihren Mann der ehewidrigen Beziehungen zu seiner Parkbekanntschaft. Solche Beziehungen unterhielt der Ehemann nicht. Er verdächtigte dagegen seine Frau, es nur noch auf seine Pension abgesehen zu haben und ihn ins Grab bringen zu wollen. Ende April 1985 gab der Mann eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage zu Protokoll. Die Beklagte stellte im Verlaufe des Rechtsstreites einen Mitschuldantrag.

Während des Scheidungsverfahrens änderten die Streitteile ihre - feindselige - Begegnung nicht, zuletzt suchten sie, einander möglichst aus dem Wege zu gehen.

Das Prozeßgericht erster Instanz befand die Ehe als unheilbar zerrüttet, lastete beiden Streitteilen ihr liebloses Gesamtverhalten als Eheverfehlung an, erachtete aber das nörgelnde und aggressive Verhalten des Mannes als auslösendes Moment für die Verschlechterung des ehelichen Zusammenlebens und sprach die Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers aus.

Das von beiden Parteien mit Berufung angerufene Berufungsgericht übernahm die erstrichterlichen Feststellungen und billigte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Es bestätigte daher das Urteil erster Instanz.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit einem auf Abweisung des Mitschuldantrages, Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Beklagten oder wenigstens Beseitigung des Ausspruches über sein überwiegendes Verschulden zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich das zur Begründung des Mitschuldantrages der Frau geltend gemachte Verhalten des Mannes und die Abwägung dieses Verhaltens gegenüber dem zum Scheidungsgrund erhobenen Verhalten der Frau.

Nach den der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegenden Feststellungen hat es der Kläger an dem auch in seinem vorgerückten Alter und bei seinen krankhaften Beschwerden von ihm zu fordernden Bemühen fehlen lassen, eheliche Meinungsverschiedenheiten im Sinne eines verständnisvollen Eingehens auf den Standpunkt und die Meinungen des Partners zu bereinigen, und statt dessen zu herabsetzenden und kränkenden Ausdrücken Zuflucht gesucht, die weit über das Maß entschuldbarer Reaktionen hinausgingen. Der Mitschuldantrag der Beklagten ist insofern gerechtfertigt. Bei der Abwägung der beiderseitigen schuldhaften Beiträge zur endgültigen Zerrüttung der Ehe ist nach den getroffenen Feststellungen weder mit Sicherheit die Verantwortlichkeit des Klägers für den Beginn der in wechselseitige Beschimpfungen ausartenden ehelichen Streitigkeiten noch ein deutlich faßbares Übergewicht seines ehelichen Fehlverhaltens anzunehmen. Ein augenfällig gradueller Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ist nach den getroffenen Feststellungen nicht faßbar. Entgegen den Wertungen der beiden Vorinstanzen ist daher das Überwiegen des Verschuldens keines der beiden Streitteile feststellbar.

In diesem Sinne ist der Revision des Klägers teilweise stattzugeben und die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteiles im Verschuldensausspruch dahin abzuändern, daß der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Klägers zu entfallen hat. Demgemäß sind die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz gegeneinander aufzuheben. Der Kläger hat aber der Beklagten ein Drittel ihrer Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen, wogegen diese dem Kläger die Hälfte der Pauschalgebühren für das erstinstanzliche Verfahren und je ein Drittel der Pauschalgebühren für das über seine Anfechtung ausgelöste Berufungsverfahren und das Revisionsverfahren zu ersetzen hat. Die vom Kläger in der in erster Instanz gelegten Kostennote verzeichneten Zahlungen auf die ihm mit einstweiliger Verfügung auferlegte Verpflichtung zur Leistung eines Prozeßkostenvorschusses stellen keinen nach § 43 Abs 1 ZPO zu berücksichtigenden Prozeßaufwand dar. Der vom Kläger der Beklagten zu ersetzende Teil der Kosten des Revisonsverfahrens beträgt 1.132,45 S. Da die Beklagte aber dem Kläger gemäß § 43 Abs 1 dritter Satz ZPO an Gerichtsgebühren (Pauschalgebühren) 1.208,33 S zu ersetzen hat, ergibt sich letztlich eine Verpflichtung der Beklagten zur Bezahlung des Betrages von 75,88 S an den Kläger.

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