Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er insgesamt lautet: "Die Anträge der Patientenanwältin, festzustellen, daß die an der Untergebrachten vom 19.8.1993 bis 30.8.1993 vorgenommenen Elektroheilkrampfbehandlungen unzulässig waren und dem Abteilungsleiter aufzutragen, weitere derartige Behandlungen bis zur rechtskräftigen Erledigung des Antrages vom 26.7.1993 zu unterlassen werden abgewiesen. Die weiteren Anträge, für den Fall der Zulässigerklärung der vorgenommenen Elektroheilkrampfbehandlungen zu überprüfen, ob die vor dieser Behandlung vorgenommene medikamentöse Behandlung fachgerecht durchgeführt wurde, insbesondere, weshalb bei der Patientin in den letzten Tagen Fieberschübe aufgetreten sind, werden zurückgewiesen."
Text
Begründung
Die Patientin wurde am 24.6.1993 wegen akuter Psychose und Suizidgefahr in die Psychiatrische Abteilung des Wagner-Jauregg-Krankenhauses Linz aufgenommen. Die Unterbringung wurde mit Gerichtsbeschluß bis zum 24.9.1993 (zuletzt verlängert bis 19.11.1993) für zulässig erklärt. Mit Beschluß vom 29.7.1993 genehmigte das Erstgericht eine Elektroheilkrampfbehandlung (ECT) im Ausmaß von maximal 10 Anwendungen. Gegen diesen Beschluß erhob die Patientenanwältin Rekurs. Noch vor der Entscheidung des Rekursgerichtes vom 30.8.1993, mit welchen diesem Rekurs nicht Folge gegeben wurde, stellte die Patientenanwältin am 20.8.1993 die aus dem Spruch ersichtlichen Anträge. Sie brachte vor, ihrem Rekurs gegen die Genehmigung der ECT-Behandlung sei die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden. Nach Einsicht in die Krankengeschichte habe sie festgestellt, daß mit der Behandlung am 19.8.1993 begonnen worden sei, obwohl die Entscheidung über deren Zulässigkeit noch nicht rechtskräftig und mangels besonderer Dringlichkeit von einer gesetzwidrigen Vornahme auszugehen sei.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Anstaltsarztes unter Hinweis auf die noch mangelnde Rechtskraft der Genehmigung teilte dieser am 24.8.1993 mit, mit der ECT-Behandlung sei am 19.8.1993 wegen vitaler Indikation nach § 37 UbG begonnen worden.
Das Erstgericht wies alle Anträge der Patientenanwältin vom 20.8.1993 zurück. Es stellte fest, daß es noch vor Erledigung des Rekurses gegen die Bewilligung der ECT-Behandlungen zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Zustandes der Patientin gekommen sei (Leberfunktionseinschränkung, Eiweißverlust, generalisiertes Hautekzem, zunehmendes Fieber im Rahmen eines substupurösen bis stupurösen Zustandsbildes), sodaß auf Grund von Gefahr im Verzug für das Leben bzw die Gesundheit der Patientin mit der ECT-Behandlung begonnen und von der Einholung der Zustimmung und gerichtlichen Genehmigung Abstand genommen worden sei. Die gemäß § 37 UbG vital indizierte Behandlung setze sich aus mehreren eine sachliche und zeitliche Einheit bildenden Einzelmaßnahmen zusammen und müsse daher fortgesetzt werden. Aus diesen Feststellungen ergebe sich, daß der Beginn der ECT-Behandlungen wegen Gefahr im Verzug im Rahmen des § 37 UbG dringend geboten gewesen sei. Eine rückwirkende Genehmigung der Heilbehandlung gebe es nicht. Habe die Anstalt eine besondere Heilbehandlung rechtswidrig ohne Genehmigung durchgeführt, könne diese nicht durch das Gericht nachträglich saniert werden. Nach § 37 UbG bedürfe eine darnach vorgenommene Heilbehandlung nicht der Zustimmung oder Genehmigung des Gerichtes. Daher sei auch eine nachträgliche Zulässigkeitsprüfung gemäß § 36 Abs 2 UbG nicht durchzuführen. Die von der Patientenanwältin begehrten Feststellungen seien auch deshalb nicht zu treffen, weil sie im Unterbringungsgesetz und im Außerstreitgesetz nicht vorgesehen seien. Eine Überprüfung der "Fachgerechtheit" einer beim Patienten vorgenommenen medikamentösen Behandlung könne keinesfalls Aufgabe des Gerichtes im Rahmen des UbG sein.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Patientenanwältin keine Folge.
Die nachträgliche Überprüfung der Behandlung auf ihre Rechtmäßigkeit sei im UbG nicht vorgesehen. Soweit eine besondere Heilbehandlung ohne gerichtliche Genehmigung oder vor Rechtskraft einer gerichtlichen Genehmigung wegen drohender Lebensgefahr gemäß § 37 UbG durchgeführt werde, entscheide nach dessen Abs 2 über die Notwendigkeit und Dringlichkeit nicht das Gericht, sondern der Abteilungsleiter. Aus der Verständigungspflicht auf eine nachträgliche Überprüfbarkeit einer bereits durchgeführten Heilbehandlung zu schließen, sei wenig überzeugend. Aus der Anordung in § 36 Abs 2 UbG, über die Zulässigkeit einer Behandlung unverzüglich zu entscheiden, folge vielmehr, daß Gegenstand der Entscheidung nur die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit künftiger Heilbehandlung sei. Auch aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bestehe kein Bedürfnis nach einer Entscheidung für die Vergangenheit im Außerstreitverfahren, weil eine allfällige Fehlentscheidung des Abteilungsleiters über Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Behandlung unter der Sanktion des § 110 Abs 2 StGB stehe. Überdies habe das Rekursgericht in seiner Entscheidung vom 30.8.1993, 18 R 568/93, ohnedies sachlich entschieden, sodaß die Rechtmäßigkeit der durchgeführten ECT-Behandlung ohnedies feststehe. Insoweit komme der Grundsatz ne bis in idem zum Tragen. Gänzlich ausgeschlossen erscheine der begehrte Auftrag an den Abteilungsleiter, weitere ECT-Behandlungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Genehmigung zu unterlassen und zu überprüfen, weshalb bei der Patientin Fieberschübe aufgetreten seien. Dem erstgenannten Begehren stehe der klare Wortlaut des § 37 UbG entgegen, das letztere sei selbst bei weitester Interpretation nicht mehr als Entscheidung über die Zulässigkeit einer Heilbehandlung anzusehen.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil außer der in EvBl 1993/33 nur teilweise veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichthofes keine weitere höchstgerichtliche Judikatur zu den §§ 35 ff UbG bekannt sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zwar zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen ausgesprochen und ausführlich begründet, daß die vom Staat im Unterbringungsgesetz gewährten Rechtsschutzeinrichtungen (insb §§ 35 bis 37) im Lichte der in den Bestimmungen der EMRK festgelegten Individualrechte dahin auszulegen sind, daß derjenige, der behauptet, in seinen Rechten auf Achtung der Menschenwürde (Art 3 EMRK) sowie in seinem Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art 5 EMRK) verletzt zu sein, auch noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahmen, also auch noch nach Aufhebung einer freiheitsbeschränkenden Unterbringung in einer psychiatrischen Abteilung oder nach bereits erfolgter Behandlung oder besonderer Heilbehandlung, ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob die Unterbringung oder die an ihm vorgenommene Behandlung zu Recht erfolgte (RZ 1991/85; EvBl 1993/33, zuletzt 2 Ob 539/93). Dies bedeutet aber, daß Patienten unabhängig von der Bestimmung des § 110 StGB, welche nur den staatlichen Strafanspruch sichert, dem Patienten jedoch keinen individuellen Rechtsschutz gewährt, ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Überprüfung von Maßnahmen zusteht, die von Ärzten zufolge der ihnen im Rahmen der Behandlung Kranker übertragenen staatlichen Zwangsbefugnisse gesetzt werden. Es trifft zwar zu, daß eine rückwirkende gerichtliche Genehmigung einer bereits wieder aufgehobenen Unterbringung oder einer schon durchgeführten Heilbehandlung nicht auszusprechen ist, wohl aber über Verlangen des Patienten oder seines Vertreters, auch noch im Rechtsmittelverfahren, die Feststellung, daß eine solche durchgeführte Maßnahme gesetzwidrig war.
Nach § 37 UbG sind die Zustimmung und die gerichtliche Genehmigung zu ärztlichen Behandlungen im Sinne der §§ 35 und 36 nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, daß der mit der Einholung der Zustimmung oder der Genehmigung verbundene Aufschub das Leben der Kranken gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit des Kranken verbunden wäre. Über die Notwendigkeit und die Dringlichkeit einer Behandlung entscheidet der Anstaltsleiter. Dieser hat den gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten, oder, wenn der Kranke keinen solchen hat, den Patientenanwalt nachträglich von der Behandlung zu verständigen. Das Unterbringungsgericht darf einen Antrag auf Feststellung, daß eine Maßnahme im Sinne der §§ 35 bis 37 UbG gesetzwidrig war, nicht zurückweisen, sondern hat darüber meritorisch zu entscheiden.
Im vorliegenden Fall bedeutet dies, daß schon das Erstgericht auf Grund des Antrages der Patientenanwältin zu prüfen gehabt hätte, ob bei Beginn der ECT-Behandlung noch vor Rechtskraft des Genehmigungsbeschlusses, welchem die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden war, tatsächlich die Voraussetzungen des § 37 (Lebensgefahr oder Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit) bestanden haben und daß bei Nichtvorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzungen auch der Auftrag zu erteilen gewesen wäre, weitere Behandlungen bis zur Rechtskraft des Genehmigungsbeschlusses über die besondere Heilbehandlung zu unterlassen. Da im Unterbringungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt, hätte sich das Erstgericht auch nicht allein auf die Auskunft des Anstaltsleiters verlassen dürfen. Dieser Verfahrensmangel ist im vorliegenden Fall jedoch geheilt: Das Rekursgericht hat anläßlich der Überprüfung des angefochtenen Beschlusses des Erstgerichtes über die Genehmigung von 10 ECT-Behandlungen ein ausführliches Sachverständigengutachten, das im Beisein der Patientenanwältin erstattet wurde, eingeholt und in seiner Rekursentscheidung vom 30.8.1993 die Diagnose des Anstaltsleiters bestätigt und ausdrücklich festgestellt, daß wegen der Therapieresistenz und der Erfolglosigkeit selbst hochdotierter Medikation der Patientin eine solche schon wegen des schlechten Zustandes ihrer Leber nicht in Betracht kam und die am 19.8.1993 nach § 37 ohne gerichtliche Genehmigung begonnene ECT-Behandlung nicht nur nützlich war und eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes der Patientin gebracht hat, sondern daß sie zur Abwendung einer akut bedrohlichen Katatonie geradezu lebensrettend war, weiters, daß ein Abbruch der begonnenen Behandlung nicht nur eine Heilungschance vereitelt hätte, sondern daß wegen der vorhanden gewesenen Gefahr der akut bedrohlichen Katatonie neuerlich ein lebensbedrohlicher Zustand zu befürchten gewesen wäre. Damit steht aber fest, daß die Voraussetzungen für eine besondere Heilbehandlung ohne Genehmigung des Gerichtes im Sinne des § 37 UbG und deren Weiterführung vorlagen, sodaß die beiden ersten Anträge der Patientenanwältin abzuweisen waren.
Im Rahmen eines nachträglichen Feststellungsverfahrens (nach bereits durchgeführten Maßnahmen) kann aber nur überprüft werden, ob die im Unterbringungsgesetz normierten Voraussetzungen eingehalten wurden. Zutreffend haben die Vorinstanzen ausgeführt, daß eine Beurteilung, ob eine bereits durchgeführte auch nach dem Standpunkt der Rechtsmittelwerberin zulässige medikamentöse Heilbehandlung auch fachgerecht gewesen sei oder gar, warum dabei bestimmte Krankheitssymptome (hier Fieberschübe) aufgetreten sind, nicht in die Kompetenz des außerstreitigen Unterbringungsverfahrens fällt und durch das Unterbringungsgesetz nicht gedeckt ist. Insoweit haben die Vorinstanzen die darauf abzielenden Anträge der Patientenanwältin zu Recht mangels einer gesetzlichen Grundlage zurückgewiesen.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
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