OGH 6Ob601/92

OGH6Ob601/9212.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr. Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am 14. Januar 1963 geborenen Karl-Heinz G*****, derzeit Langzeitpatient in der ***** Landesnervenklinik W*****, wegen Genehmigung der fortdauernden stationären Krankenhauspflege, infolge Revisionsrekurses des Betroffenen gegen den zum Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 28. April 1992, GZ SW 106/85-46, ergangenen rekursgerichtlichen Beschlusses des Landesgerichtes St.Pölten vom 27.Mai 1992, AZ R 450/92 (ON 49), den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Betroffenen wird stattgegeben. Die angefochtene Rekursentscheidung und der erstinstanzliche Beschluß werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen, nach Verfahrensergänzung zu fällenden Entscheidung über die vom Sachwalter beantragte Genehmigung der fortdauernden Betreuung des Betroffenen in der ***** Nervenklinik W***** - vorbehaltlich der Prüfung jeder Unterbringungsmaßnahme im Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz - an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Behinderte wurde am 14. Januar 1963 geboren. Er wuchs in einer kinderreichen Familie in beengten Wohnverhältnissen auf. Die Familie litt unter dem Alkoholismus des Vaters. Schulunterricht genoß der Behinderte in einer allgemeinen Sonderschule. Als 13jähriger wurde er einer Untersuchung an der heilpädagogischen Beobachtungsstation Mödling unterzogen. Damals wurde eine hirnorganische Störung diagnostiziert. Bei einem IQ von 53 wurde er als imbezil eingestuft. Knapp nach Vollendung des 14.Lebensjahres wurde er in Fürsorgeerziehung eingewiesen und im Sonderschulheim Reichenauerhof untergebracht. Anschließend befand er sich im Landesjugendheim Korneuburg in Heimerziehung und genoß eine dreijährige Ausbildung im Schneiderberuf. Als 18jähriger trat er einen Arbeitsplatz mit Kost und Quartier an, verließ diesen aber nach einigen Monaten wieder. Er lebte dann beschäftigungslos bei seinen Eltern. Als 19jähriger fand er - nach einem Straffall - Aufnahme im Caritasheim Turmhof in Retz und blieb dort mehr als ein Jahr. In dieser Zeit konnte ein positiver Persönlichkeitswandel festgestellt werden. Nach einem im Frühjahr 1984 über den damals 21jährigen erstatteten Sachverständigengutachten war sein Persönlichkeitsbild nach wie vor von einem "höhergradigen intellektuellen Schwachsinn" geprägt, aber dennoch eine gute manuelle Geschicklichkeit und praktische Anstelligkeit vorhanden. Ihm wurde unter der Voraussetzung ständig wirksamer Führung, Beaufsichtigung und Hilfe eine gute Anpassungsfähigkeit bestätigt. Der Sachverständige sprach aber die Prognose aus, daß der Untersuchte niemals in der Lage sein würde, selbständig seine Angelegenheiten gehörig zu besorgen. Im Jahre 1984 war der damals 21jährige bei einem Landwirt auf einem geschützen Arbeitsplatz beschäftigt. Von der Bestellung eines Sachwalters wurde damals abgesehen. Nach einen Sittlichkeitsdelikt verlor der Behinderte seinen Arbeitsplatz und lebte wieder bei seinen Eltern. Auf eigenen Wunsch wurde in der Folge sein vormaliger Bewährungshelfer als Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt.

Am 30.Juli 1985 wurde der damals 22jährige über Anordnung des Amtsarztes in das psychiatrische Landeskrankenhaus ***** eingewiesen.

Am 28.Juli 1986 beging er anläßlich eines Ausganges an einem 7jährigen Schüler ein Sittlichkeitsdelikt.

Der Betroffene blieb mit Billigung seines Sachwalters in stationärer Pflege des psychiatrischen Krankenhauses. Er ist dort in einer offenen Abteilung asyliert. Zeitweilig war er auf einem Meierhof. Nach wiederholtem Ansprechen eines 8jährigen Mädchens wird der Patient nun ständig auf der offenen Station des psychiatrischen Krankenhauses betreut, dabei aber - vor allem zur Vermeidung weiterer Sittlichkeitsattentate - Ausgangsbeschränkungen unterworfen.

Mitte März 1992 stellte der Sachwalte den formellen Antrag, den Betroffenen "weiterhin in M***** in stationärer Pflege zu belassen".

Nach einem Amtsvermerk vom 3.April 1992 machte der Patient auf den Richter einen "debilen Eindruck"; es sei "mit ihm nur schwer zu kontaktieren".

Hierauf faßte das - auch nach dem Unterbringungsgesetz zuständige - Sachwalterschaftsgericht ohne jede weitere Erhebung den Beschluß, daß "die bisherige Unterbringung des Patienten ...

sachwalterschaftsbehördlich genehmigt und seine zukünftige Unterbringung angeordnet" werde. Dabei ging das Sachwalterschaftsgericht davon aus, daß mangels psychischer Erkrankung des Betroffenen Unterbringungsmaßnahmen im Sinne des Unterbringungsgesetzes unzulässig wären, bei der Geistesschwäche des Patienten aber seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die "einzig mögliche Form der Existenz" darstellte und diese Unterbringung deshalb sachwalterschaftsbehördlich anzuordnen wäre.

Der Betroffene erhob nach Beratung durch die Patientenanwältin gegen diese erstrichterliche Entscheidung Rekurs.

Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluß mit der Maßgabe, daß die Wahl des Aufenthaltsortes in der Nervenklinik und die dort erforderliche Behandlung sachwalterschaftsgerichtlich genehmigt werde. Dazu sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht ließ sich bei seiner Entscheidung von der Erwägung leiten, daß ein Aufenthalt des Betroffenen, der an einer Geistesschwäche leide, in der Nervenklinik seiner Persönlichkeit gerecht werde und seinem Wohl entspräche, wobei nach der Aktenlage keine Betreuungsalternativen bestünden; als wichtige Angelegenheit der Personenfürsorge sei der (dauernde) Klinikaufenthalt sachwalterschaftsgerichtlich zu genehmigen. Ausgangsbeschränkungen seien therapeutisch bedingte Maßnahmen und nicht als Beschränkung der Bewegungsfreiheit im Sinne des § 2 UbG zu qualifizieren und daher auch außerhalb eines Verfahrens nach § 38 UbG sachwalterschaftsgerichtlich zu genehmigen.

Der Betroffene ficht die bestätigende Rekursentscheidung wegen qualifiziert unrichtiger Lösung der verfahrensrechtlichen und materiellen Fragen nach der Zuständigkeit und Regelungsbefugnis des Gerichtes im Sachwalterschaftsverfahren mit einem auf ersatzlose Aufhebung (Abweisung des Genehmigungsantrages des Sachwalters) zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Das Rechtsmittel ist wegen der gebotenen Klarstellung der Befugnisse des Gerichtes im Sachwalterschaftsverfahren zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Anordnung freiheitsbeschränkender Maßnahmen zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist auch im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Betroffene wird bereits durch Jahre als Dauerpatient in einer Nervenklinik betreut. Dabei wird er auch freiheitsbeschränkenden Maßnahmen unterworfen. Der Sachwalter erachtet die bestehende Asylierung zum Wohl des Betroffenen als notwendig. In einem Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz erkannte das Gericht erster Instanz auf die Unzulässigkeit von Unterbringungsmaßnahmen. Als Sachwalterschaftsgericht fällte dasselbe Gericht eine der Sache nach gegenteilige Entscheidung. Das Rekursgericht änderte zwar den Wortlaut, nicht aber den Sinn der erstinstanzlichen Entscheidung im Sachwalterschaftsverfahren. Soweit die sachwalterschaftsgerichtliche Genehmigung freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Sinne des Unterbringungsgesetzes mitumfaßt, verstößt sie - bei unveränderter Sachverhaltslage - gegen die Rechtskraft der im Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz ergangenen Entscheidung. Davon abgesehen hätte sie nur in einem Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz und nur unter den dort vorgesehenen materiellen Voraussetzungen getroffen werden dürfen (8 Ob 562/92, 7 Ob 555/92, 7 Ob 550/92 und 6 Ob 546/92).

Unbeschadet der nach dem Unterbringungsgesetz zu prüfenden und festzustellenden Voraussetzungen der Zulässigkeit von Unterbringungsmaßnahmen unterliegt aber die Aufrechterhaltung der Dauerbetreuung im Sinne einer Asylierung in (einer offenen Abteilung) der Nervenklinik als wichtige, die Person betreffende Angelegenheit der sachwalterschaftsgerichtlichen Genehmigung.

Auch eine solche Entscheidung mit der dargelegten Ausklammerung jeder Entscheidung über die Zulässigkeit freiheitsbeschränkender Maßnahmen setzt voraus, daß dem Betroffenen Gelegenheit geboten wurde, gegenüber dem Gericht zum Genehmigungsbegehren des für ihn bestellten Sachwalters Stellung zu nehmen. Wegen der unterschiedlichen Themenkreise genügte eine bloße Einsichtnahme in die Akten über das Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz hiezu nicht.

Aus diesem Grund waren die Entscheidungen beider Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht erster Instanz zur neuerlichen, nach Verfahrensergänzung zu fällenden Entscheidung über die vom Sachwalter beantragte Genehmigung einer Aufrechterhaltung der Betreuung des Betroffenen in einer offenen Abteilung der ***** Landesnervenklinik W***** - vorbehaltlich der Prüfung jeder Unterbringungsmaßnahme auf ihre Zulässigkeit in einem Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz - an das Gericht erster Instanz rückzuverweisen.

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