OGH 6Ob586/94

OGH6Ob586/9420.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter K*****vertreten durch Dr.Heinz Oppitz und Dr.Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1) Hubert V*****, und 2) Tatjana V*****, beide vertreten durch Dr.Norbert Gugerbauer, Dr.Gerhard Schatzlmayr, und Dr.Klaus Schiller, Rechtsanwälte in Schwanenstadt, wegen je 76.000,-- S (Rekursinteresse je 47.073,34 S) sA, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17. März 1994, GZ 6 R 227/93-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 15. Juni 1993, GZ 8 Cg 106/92w-21, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Mit Notariatsakt vom 23. April 1990 übergab Alois K***** (im folgenden Erblasser) seiner Enkelin, der Zweitbeklagten, und deren Ehegatten, dem Erstbeklagten, je zur Hälfte eine ihm gehörige 824 m2 große Liegenschaft mit Haus in einer Bergarbeitersiedlung gegen Zahlung eines Übergabspreises von 150.000,-- S, Einräumung eines Wohnrechts sowie Leistung im einzelnen bezeichneter Ausgedingsleistungen.

Am 4. Juli 1990 verstarb der Erblasser. Sein Nachlaß wurde seinem Sohn, dem Kläger - einem Onkel der Zweitbeklagten - und seinen fünf Geschwistern zu je 1/6 eingeantwortet. Vom Reinnachlaß von 203.442,50 S entfiel auf den Kläger ein Betrag von 33.907,-- S.

Der Kläger begehrt (nach Neuformulierung seines Begehrens in zweiter Instanz ON 28 AS 120) als durch die gemischte Schenkung verkürzter Noterbe von beiden beschenkten Beklagten aus dem Titel der Pflichtteilsergänzung (§ 951 ABGB) die Zahlung von je 76.000,-- S sA bei Exekution in die den beiden Beklagten je zur Hälfte übergebene Liegenschaft. Der vom Erstgericht zur Bewertung der den Beklagten übergebenen Liegenschaft bestellte Sachverständige legte seinen Berechnungen das Sachwertverfahren und das Ertragswertverfahren zu Grunde - ohne darzulegen, warum er diese Bewertungsverfahren herangezogen habe - und kam über eine Mittelwertberechnung und nach Abzug der Wohn- und Ausgedingsleistungen zu einem Verkehrswert der Liegenschaft von 530.000,-- S.

Das Erstgericht verhielt beide Beklagte unter Heranziehung der Berechnungen des Sachverständigen sowie Berücksichtigung der Erbquote des Klägers und eines Vorempfanges zur Zahlung von je 4.856,60 S sA und wies das Mehrbegehren von je 71.134,40 S sA ab.

Das Berufungsgericht hob über Berufung des Klägers, der den klagsabweisenden Teil des Ersturteils nur in Ansehung von je 47.073,34 S sA angefochten hatte, das Urteil des Erstgerichtes im Umfang der Anfechtung auf und wies die Rechtsache in diesem Umfang an die erste Instanz zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.

Rechtlich nahm die zweite Instanz, soweit hier relevant, einen Mangel des Sachverständigen-Gutachtens an. § 9 LBG, wonach ua die Gründe für die Auswahl des angewendeten Wertermittlungsverfahrens oder der allenfalls angewendeten Verfahrensverbindung anzugeben seien, bestimme die über § 362 Abs 1 ZPO hinausgehenden spezifischen Inhaltserfordernisse des Bewertungsgutachtens. Hier sei mangels einer Anordnung des Erstgerichts die Auswahl des Wertermittlungsverfahrens dem Sachverständigen überlassen gewesen. Der Sachverständige habe weder in seinem schriftlichen Gutachten noch im Rahmen der Erörterung Gründe dafür angegeben, wieso er den Verkehrswert der übergebenen Liegenschaft durch Verknüpfung von Ertragswert- und Sachwertverfahren ermittelt und nach welchen Kriterien er die Ergebnisse der beiden Wertermittlungsverfahren miteinander verknüpft habe. Das Gutachten sei zwar rechnerisch nachvollziehbar, inhaltlich aber nicht überprüfbar. Da das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen habe, daß das beschlossene Sachverständigen-Gutachten vollständig abgegeben werde, die Unvollständigkeit des Sachverständigen-Gutachtens somit einen Stoffsammlungsmangel iS des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO darstelle, könnte das Berufungsgericht diesen Umstand auf Grund einer gesetzmäßigen ausgeführten Rechtsrüge aufgreifen. Wenn das LBG auch großteils formelles Recht enthalte und die Partei dagegen begangene Verstöße nach § 196 ZPO rügen müsse, bleibe die Stoffsammlung nach wie vor Aufgabe des Gerichts. Das Sachverständigen-Gutachten müsse im aufgezeigten Sinn erörtert bzw ergänzt werden. Der Sachverständige werde ua jedenfalls zu begründen haben, warum er seiner Wertermittlung nicht das Sachwertverfahren allein zugrunde gelegt habe, zumal doch in der Regel Einfamilienhäuser zur Eigennutzung herangezogen und nur ausnahmsweise in Bestand gegeben würden, aus ihnen daher meist kein Ertrag erzielt werde. Ebenso aufklärungsbedürftig sei, falls es bei der Heranziehung des Sachwert- und des Ertragswertverfahrens bleibe, die Grundlagen der Verhältnismäßigkeit des Sach- und Ertragswerts zueinander.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist mangels Vorliegens von Rechtsprechung zu §§ 7, 9 Abs 1 Z 3 LBG zulässig, aber nicht berechtigt.

a) Der Rekurs ist nicht absolut unzulässig, weil mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche (hier: gegen beide Beklagte von je 47.073,34 S sA) zusammenzurechnen sind, wenn sie ... gegen mehrere Personen erhoben werden, welche Streitgenossen iS des § 11 Abs 1 ZPO sind. Das ist dann der Fall, wenn sie ua aus demselben tatsächlichen Grund (hier: ein Übergabsvertrag) berechtigt und verpflichtet sind (Fasching, Lehrbuch2 Rz 261 und 371).

b) Zweck des Rekurses nach § 519 ZPO ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz - in jeder Richtung (SZ 58/210, SZ 54/124 uva) - durch den Obersten Gerichtshof; ist die dem Aufhebungsbeschluß zugrunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, aber nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (ZAS 1993/5 mit Anm von Trost; JBl 1992, 785; JBl 1991, 580; 9 Ob A 110/94 uva; Kodek in Rechberger, Rz 5 zu § 519 ZPO).

Die Beurteilung des vorliegenden Übergabsvertrags als gemischte Schenkung war schon in den Vorinstanzen nicht mehr strittig. Wenn bei Bestimmung des Pflichtteiles Schenkungen in Anschlag gebracht werden (§ 785 ABGB), der Nachlaß aber zu dessen Deckung nicht ausreicht, kann der verkürzte Noterbe vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes zur Deckung des Fehlbetrages verlangen. Der Beschenkte kann die Herausgabe durch Zahlung des Fehlbetrages abwenden (§ 951 Abs 1 ABGB). Gleichzeitig Beschenkte haften verhältnismäßig (§ 951 Abs 3 zweiter Satz ABGB). Die Höhe der Verkürzung des klagenden Noterben ergibt sich aus dem Verhältnis der Geschenkquote zum Wert der übergebenen Liegenschaft zum Zeitpunkt der Übergabe unter Berücksichtigung allfälliger bis zum Erbanfall eintretender Wertveränderungen (SZ 59/6). Zur Ermittlung des - vom Kläger mit 2,500.000,-- S behaupteten - Werts der übergebenen Liegenschaft bestellte das Erstgericht einen Sachverständigen. Dieser hatte bei der Bewertung bereits die Vorschriften des mit 1. Juli 1992 in Kraft getretenen LiegenschaftsbewertungG BGBl 1992/150 (LBG) anzuwenden, weil die Bewertung der übergebenen Liegenschaft vom Erstgericht nach dem 1. Juli 1992 angeordnet wurde - auch wenn der Bewertungsstichtag davor lag (Art IV leg.cit.) - und dieses Gesetz nach seinem § 1 Abs 1 für die Ermittlung des Wertes (Bewertung) von Liegenschaften ... in allen gerichtlichen Verfahren - einschließlich von Zivilprozessen - gilt. Nach dem Bewertungsgrundsatz des § 2 Abs 1 leg.cit. ist, sofern durch Gesetz oder Rechtsgeschäft nichts anderes bestimmt wird, der Verkehrswert der Sache zu ermitteln. Das Gesetz enthält beim Ausfall des Pflichtteils durch eine Schenkung keine abweichende Bestimmung. Nach § 2 Abs 2 leg.cit. ist der Verkehrswert der Preis, der bei einer Veräußerung der Sache üblicherweise im redlichen Geschäftsverkehr für sie erzielt werden kann. Die Definition ist in ihrer Bedeutung gleich mit dem "ordentlichen und gemeinen Preis" des § 305 ABGB (Stabentheiner, Das Liegenschaftsbewertungsgesetz, Anm 5 zu § 2). Dies ist hier insoweit von Belang, als eine Berechnungsgröße zur Ermittlung des Ausfalls am Pflichtteil des klagenden Noterben der Wert der übergebenen Liegenschaft ist.

Das Gesetz nennt als Methoden der Bewertung das Vergleichswertverfahren (§ 4), das Ertragswertverfahren (§ 5) und das Sachwertverfahren (§ 6). Nach § 3 Abs 2 LBG sind für die Bewertung mehrere Wertermittlungsverfahren anzuwenden, wenn es zur vollständigen Berücksichtigung aller den Wert der Sache bestimmenden Umstände erforderlich ist. Denn es kann sein, daß aufgrund der Beschaffenheit der zu bewertenden Sache die Anwendung nur einer Wertermittlungsmethode nicht ausreicht, um bei der Bewertung sämtliche wertbestimmenden Faktoren zutreffend zu erfassen. So ist etwa der Verkehrswert eines bewaldeten Grundstücks im Regelfall aus dem Vergleichswert für den Boden und dem Ertragswert des Bestandes zu bilden. Bebaute Liegenschaften werden mitunter sowohl nach dem Vergleichswertverfahren als auch nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten sein, wobei voneinander abweichende Ergebnisse der beiden Methoden zu einer einzigen Bewertung zu kombinieren sind. In solchen Fällen müssen also mehrere Wertermittlungsverfahren für die Bewertung durchgeführt und miteinander verbunden werden (Stabentheiner aaO Anm 2 zu § 3). Gemäß § 7 Abs 1 LBG hat der Sachverständige, wenn ihm das Gericht ... - wie hier - eine Bewertungsmethode nicht vorgibt, selbst die geeignete Methode auszuwählen. Er hat dabei den jeweiligen Stand der Wissenschaft und die im redlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten zu beachten. Aus dem Ergebnis des gewählten Verfahrens ist der Wert unter Berücksichtigung der Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr zu ermitteln. Wenn für die Bewertung mehrere Wertermittlungsergebnisse anzuwenden sind (§ 3 Abs 2), so ist aus deren Ergebnissen der Wert unter Berücksichtigung der Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr zu ermitteln (§ 7 Abs 2 LBG). Schließlich hat nach § 9 Abs 1 Z 3 LBG das Gutachten die Bewertung unter Darlegung des angewendeten Wertermittlungsverfahrens und der Gründe für die Auswahl des angewendeten Verfahrens oder der allenfalls angewendeten Verfahrensverbindung zu enthalten. Damit werden über die in den Verfahrensgesetzen enthaltenen generellen Bestimmungen über Gutachten von Sachverständigen (zB § 362 Abs 1 ZPO) hinaus die spezifischen Inhaltserfordernisse des Bewertungsgutachtens, und zwar jedes Bewertungsgutachtens, angeführt (Stabentheiner aaO Anm 1 zu § 9 unter Hinweis auf die RV). Dieser gesetzlichen Verpflichtung zur Angabe der Gründe für die Auswahl des angewendeten Verfahrens und der angewendeten Verfahrensverbindung ist der Sachverständige hier nicht nachgekommen.

Nach § 362 Abs 2 ZPO hat das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, daß ein beschlossenes Sachverständigen-Gutachten vollständig

abgegeben wird (SZ 62/53 = RZ 1989/101 = VersR 1990 511; SZ 49/34 =

EvBl 1976/281; JBl 1976, 144 = RZ 1975/70 ua; Fasching III 495). Das Gericht hat nicht nur auf die Vollständigkeit, sondern auch auf die Widerspruchsfreiheit von Amts wegen hinzuwirken. Wenn auch den Parteien das Recht zusteht, die Ergänzung unvollständiger Gutachten, die Beseitigung von Mängeln oder Widersprüchen zu fordern, so ist es doch vor allem Aufgabe des Gerichts, das oder die Gutachten in dieser Richtung auch ohne Parteienantrag zu prüfen.

c) Die Beklagten tragen vor, zwar seien die in § 9 LBG normierten Erfordernisse des Bewertungsgutachtens nicht eingehalten worden, jedoch stelle dies einen rügepflichtigen Formmangel dar. Der Kläger habe keine Rüge erhoben.

Dem kann nicht beigepflichtet werden. Denn nach herrschender Auffassung bedürfen die die Sammlung des Prozeßstoffes betreffenden Mängel keiner Rüge nach § 196 Abs 1 ZPO, um sie mit einem Rechtsmittel geltend machen zu können. Die Rügepflicht bezieht sich nicht auf sogenannte materielle Mängel, somit solche, die die Erfüllung der dem Prozeß gestellten Aufgaben, eine vollständige Erledigung der Sachanträge, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindern (JBl 1970, 266; 6 Ob 798/82, 7 Ob 510/84, beide insoweit nicht veröffentlicht, ua; Fasching II 950; vgl dazu auch Fucik in Rechberger, Rz 2 zu § 196 ZPO). Die Fehlerhaftigkeit des hier in Frage stehenden Gutachtens bzw ihre mangelnde Behebung durch das Erstgericht wurde in der Berufung des Klägers inhaltlich hinlänglich erkennbar geltend gemacht.

Dem Rekurs ist nicht Folge zu geben.

Der Vorbehalt der Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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