Spruch:
Der Revision wird nicht stattgegeben.
Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 7.185,45 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Barauslagen 960 S und an Umsatzsteuer 565,95 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 11.April 1981 hat der damals 19 Jahre alte Beklagte den Kläger durch eine gegen ihn geschleuderte Bierflasche derart verletzt, daß dieser die Sehkraft des rechten Auges einbüßte. Der Beklagte wurde deswegen mit einem in Rechtskraft erwachsenen Strafurteil des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen schuldig erkannt. Der Kläger stand zur Zeit seiner Verletzung im 51.Lebensjahr. Er war Werkstättenleiter einer Postautobusbetriebsleitung. Er wurde wegen der durch die Verletzungsfolgen eingetretenen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 31. Mai 1982 in den Ruhestand versetzt.
Am 20.Mai 1983 erhob der Kläger gegen den Beklagten eine Schadenersatzklage. Er begehrte ein mit 250.000 S beziffertes Schmerzengeld, einen Verdienstentgang bis zur Versetzung in den Ruhestand von 67.019,82 S und als Ersatz gemäß § 1326 ABGB einen Betrag von 80.000 S. Überdies stellte er unter Hinweis auf den durch die vorzeitige Pensionierung erlittenen erheblichen Verdienstentgang das Begehren auf Feststellung, daß ihm der Beklagte für alle zukünftigen Schäden aus der Verletzung vom 11.April 1981 zu haften habe. Mit dem den Parteienvertretern am 5.März 1984 zugestellten Urteil vom 27.Februar 1984 sprach das Ertgericht dem Kläger ein Schmerzengeld von 100.000 S, die begehrte Entschädigung gemäß § 1326 ABGB von 80.000 S sowie den begehrten Verdienstentgang von 67.019,82 S zu und gab auch dem Feststellungsbegehren statt. Der Beklagte verbüßte zur Zeit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteiles seine Haftstrafe. Während der Berufungsfrist trat sein Prozeßvertreter an den Prozeßvertreter des Klägers mit dem Vorschlag einer vergleichsweisen Regelung heran und wies darauf hin, daß der Beklagte mit Rücksicht auf die Haftzeit vermutlich lange auf eine Bezahlung urteilsmäßig zugesprochener Schadenersatzbeträge würde warten müssen, der Vater des Beklagten sei aber bereit, für seinen Sohn Zahlungen zu leisten, um diesen zu entschulden, er biete einen Betrag von 100.000 S. Der Beklagte nahm schließlich durch seinen Rechtsanwalt am 22.März 1984 im Fernsprechwege einen Gegenvorschlag des Klägers an und hielt den solcherart geschlossenen Vergleich in seinem Schreiben vom 23.März 1984 fest. Nach dem Inhalt des Vergleiches sollte der Beklagte bis 10. April 1984 100.000 S und einen Kostenbeitrag von 30.000 S sowie bis 30.September 1985 einen weiteren Betrag von 50.000 S bezahlen. Mit der termingerechten Bezahlung der genannten Beträge sollten sämtliche Ansprüche des Klägers aus dem Vorfall vom 11.April 1984 ein für allemal abgegolten und verglichen sein.
Das erstinstanzliche Urteil im Schadenersatzprozeß blieb beiderseits unangefochten. In Erfüllung des Vergleiches zahlte der Vater des Beklagten am 2.April 1984 den Teilbetrag von 100.000 S zuzüglich 30.000 S Kostenbeitrag.
Der Kläger hatte bereits am 26.Juli 1982 einen Antrag um Hilfeleistungen nach dem Gesetz über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechen vom 9.Juli 1972, BGBl. Nr.288, in der damals geltenden Fassung (kurz: VOG) gestellt. Dabei unterschrieb er die formularmäßige Erklärung, er nehme zur Kenntnis, daß Personen, die auf ihre Schadenersatzansprüche aus dem Verbrechen verzichtet haben, von Hilfeleistungen nach dem Bundesgesetz ausgeschlossen sind, und erkläre, auf einen Schadenersatzanspruch nicht verzichtet zu haben und auch nicht in Hinkunft zu verzichten.
Der Kläger hätte den Vergleich (mit der Abfindungsklausel) nicht abgeschlossen, wenn dem Klagevertreter damals bekannt gewesen wäre, daß der Vergleich Einfluß auf eine (vom Kläger bereits beantragte) Rentenleistung (des Bundes) nach dem VOG übte. Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses war dem Kläger nicht bewußt, daß der Vergleich die (von ihm beantragten) Leistungen nach dem VOG beeinflussen könnte. (Nach § 8 Abs.3 VOG sind Personen, die auf ihre Schadenersatzansprüche aus dem Verbrechen verzichtet haben, von Hilfeleistungen ausgeschlossen. § 12 VOG normiert eine gesetzliche Abtretung von Ersatzansprüchen des Empfängers von Hilfeleistungen an den Bund, soweit dieser Leistungen nach dem VOG erbringt.) Auch den beiden Rechtsanwälten, die namens der Streitteile den Vergleich geschlossen hatten, war beim Abschluß dieses Rechtsgeschäftes nichts davon bekannt, daß ein solcher Vergleich einen Einfluß auf eine Leistung nach dem VOG an den Kläger haben könnte.
Mit Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 21. Mai 1984 wurde dem Kläger ein Ersatz des Verdienstentganges nach dem VOG für Zeiten nach dem 1.Juli 1982 bewilligt. Für das zweite Halbjahr 1982 und das Jahr 1983 wurden dem Kläger durch das zuständige Landesinvalidenamt 88.752 S angewiesen.
Der Beklagte wurde erstmals anläßlich einer Vernehmung am 19. September 1984 davon in Kenntnis gesetzt, daß er allfällige Hilfeleistungen des Bundes an den Kläger gemäß § 12 VOG zu ersetzen haben werde.
Nach Kenntnisnahme des vollen Vergleichsinhaltes (mit Abfindungsklausel) stellte der Bund seine Zahlungen an den Kläger ein und begehrte die Rückzahlung des bereits angewiesenen Betrages vn 88.752 S.
Mit der am 6.November 1984 angebrachten Klage begehrte der Kläger hierauf vom Beklagten die Aufhebung des Vergleiches vom März 1984. Dazu führte er in der Klagserzählung wörtlich aus, "der bezahlte Betrag und der Wechsel stehen dem Beklagten selbstverständlich zur Verfügung". Zur Begründung seines Begehrens behauptete der Kläger, er habe niemals beabsichtigt, durch den Vergleich seine Ansprüche nach dem VOG gegen den Bund aufzugeben, die für ihn von wesentlich größerer wertmäßiger Bedeutung gewesen wären, als die ihm zuerkannten Entschädigungsleistungen des Beklagten selbst. Er habe bei Abschluß des Vergleiches über Umfang und Inhalt der von ihm abgegebenen Rechtsgeschäftserklärung geirrt, der Beklagte selbst habe noch keine Verfügungen aufgrund des Vergleiches getroffen, die Teilzahlungen habe sein Vater geleistet, die noch nicht fällige Restzahlung sei lediglich durch ein Wechselakzept des Vaters besichert. Daraus folgerte der Kläger, daß sein als Rechtsfolgenirrtum zu beachtender Irrtum im Sinne des § 871 Abs.1 ABGB rechtzeitig aufgeklärt worden sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Klageabweisung ab. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt.
Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes, dem Vertreter des Beklagten hätte bei Vergleichsabschluß auffallen müssen, daß der Kläger gegen Leistung eines im Verhältnis zu seinem künftigen Gesamtanspruch geringfügigen Betrages auf alle weiteren Ansprüche verzichte, die Irrtumsanfechtungsvoraussetzungen lägen daher vor, vertrat das Berufungsgericht die Rechtsansicht, daß der Beklagte den geltend gemachten Irrtum des Klägers nicht im Sinne des § 871 Abs.1 ABGB veranlaßt habe, dieser Irrtum weder ihm noch seinem Vertreter habe auffallen müssen und auch erst nach dem Verstreichen der Berufungsfrist gegen das erstinstanzliche Urteil im Schadenersatzprozeß und den Teilleistungen aufgrund des Vergleiches aufgeklärt worden sei. Der Beklagte und sein Vertreter seien nicht wie der Kläger davon ausgegangen, daß Ansprüche des Klägers gegen den Bund nach dem VOG durch den Vergleichsabschluß unbeeinflußt bleiben würden, zumal von derartigen Ansprüchen des Klägers bis zum Vergleichsabschluß niemals die Rede gewesen sei, der Beklagte vielmehr eine Regelung mit dem Ziel angestrebt habe, nicht zeitlebens von Exekutionen verfolgt zu werden. Ein gemeinsamer Rechtsfolgenirrtum oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sei daher nicht anzunehmen.
Der Kläger ficht das abändernde Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund nach § 503 Abs.1 Z 4 ZPO mit einem auf Wiederherstellung des klagsstattgebenden Urteiles erster Instanz zielenden Abänderungsantrag an.
Der Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kläger hat als Opfer eines Verbrechens mit seinem Schädiger einen Vergleich über seine Schadenersatzansprüche geschlossen und dabei vereinbart, daß mit termingerechter Vergleichserfüllung sämtliche Ansprüche aus dem datumsmäßig bezeichneten Vorfall ein für allemal abgegolten und verglichen sein sollten. Erklärte Geschäftsabsicht des Schädigers war die endgültige Bereinigung aller Ansprüche. Der Kläger hegte bei Vergleichsabschluß die unrichtige Vorstellung, daß der mit dem Schädiger abgeschlossene Abfindungsvergleich ohne Einfluß auf seine bereits geltend gemachten Ansprüche gegen den Bund nach dem VOG bleiben würde. Von den Ansprüchen des Klägers gegen den Bund nach dem VOG war während der Vergleichsverhandlungen nie die Rede.
Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß der vom Kläger als Vergleichsanfechtungsgrund geltend gemachte Irrtum über die Tragweite der Abfindungsklausel weder vom Schädiger veranlaßt worden war, noch diesem offenbar hätte auffallen müssen. Eine Belehrungspflicht über die Regelungen nach dem VOG und damit auch über den Ausschließungstatbestand des § 8 Abs.3 traf nach § 14 die Behörde. Das Landesinvalidenamt nahm überdies gerade in Ansehung des § 8 Abs.3 VOG durch den entsprechenden Hinweis in dem vom Kläger unterschriebenen Antragsformular eine diesbezügliche Belehrung vor. Die Rechtsrüge des Klägers wendet sich auch ausschließlich dagegen, daß die Anspruchsvoraussetzung der rechtzeitigen Aufklärung des Irrtums nach dem erst durch die dritte Teilnovelle gesetzlich formulierten dritten Fall des § 871 Abs.1 ABGB vom Berufungsgericht verneint wurde.
Als der Kläger nach Kenntnisnahme der vom Bundesministerium für soziale Verwaltung vertretenen Rechtsansicht über die Wirkung des Vergleiches (mit Abfindungsklausel) auf den Anspruch nach dem VOG vom Schädiger eine Vergleichsanpassung forderte, hatte dieser nicht nur die Frist zur Berufung gegen das Urteil im Schadenersatzprozeß bereits ungenützt verstreichen lassen, sondern auch seine vergleichsweise festgelegten Zahlungspflichten zu mehr als 70 % erfüllt. Im Sinne der von Rummel in Rummel ABGB § 871 Rz 17 dargestellten Rechtsprechung erfolgte die Aufklärung des beim Kläger bestandenen Irrtums keineswegs rechtzeitig.
Die Revisionsausführung, der Beklagte seinerseits hätte an eine Anfechtung des erstinstanzlichen Urteiles im Schadenersatzprozeß gar nicht gedacht, legt einen nicht festgestellten Tatumstand zugrunde, der vom Kläger als der für die Anfechtungsvoraussetzungen behauptungs- und beweispflichtigen Partei zu behaupten und zu beweisen gewesen wäre. Zu den festgestellten Leistungen im Sinne des Vergleiches vermag der Revisionswerber an sich nichts anzuführen. Er stützt sich vielmehr auf die Lehrmeinung, daß die Schutzwürdigkeit dessen, der auf die irrtumsbehaftete Erklärung seines Rechtsgeschäftspartners vertraue, nicht nur dann zu verneinen sei, wenn er auf der Grundlage des Rechtsgeschäftes noch keine Dispositionen getroffen habe, sondern auch noch dann, wenn die Nachteile aus solchen im Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit der Erklärung des Irrenden getroffenen Dispositionen ausgleichbar seien und vom Irrenden auch tatsächlich durch entsprechende Leistung ausgeglichen würden (sogenannte Redintegration durch Ersatz des Vertrauensschadens). Diese von Ehrenzweig System2 I/1, 234 vertretene Ansicht stimmt mit den im Beschluß der Konferenz für Justizangelegenheiten, 78 BlgHH XXI.Session (siehe Schey Materialien zur dritten Teilnovelle, 256 f) dargelegten Gedankengängen nicht überein und wurde auch von der Rechtsprechung abgelehnt (SZ 24/288; ob mit der Wendung in der Entscheidung RSpr.1932/149: "Da der Kläger nicht behauptet, sich zum Ersatze der der Beklagten entstandenen Kosten erboten zu haben, hatte er sich auch nicht etwa dadurch im Sinne der Lehrmeinung Ehrenzweigs (allgem.Teil § 91,III/3) die Geltendmachung seines Irrtums gewahrt" die zitierte Lehrmeinung übernommen werden sollte, muß zumindestens fraglich bleiben). Bydlinski (Privatautonomie, 179 ff) hat die Ansicht Ehrenzweigs für Fälle erheblicher Äquivalenzstörung gebilligt. Gerade beim Vergleich ist aber der von Bydlinski als wesentlich erachtete Äquivalenzverstoß im Sinne des § 1386 ABGB als unerheblich erklärt. Ein gemeinsamer Irrtum über den Inhalt und Umfang der durch den Vergleich zu bereinigenden Rechtsbeziehungen kann entgegen den Revisionsausführungen keinesfalls angenommen werden, weil es erklärter Vertragswille des Schädigers war, mit den im Vergleich festgelegten Leistungen von allen Verbindlichkeiten gegenüber dem Kläger aus der Straftat endgültig entbunden zu werden (und nicht solche im Wege der Legalzession nach § 12 VOG durch den Bund geltend zu machende Ersatzansprüche des Klägers in irgendeinem Ausmaß aufrecht bestehen zu lassen).
Da der Beklagte keinesfalls als feststehend unterstellte, daß der Vergleich die Ansprüche des Klägers nach dem VOG unberührt lassen würde, bietet sich auch keine Grundlage für eine Aufhebung des Vergleiches unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Geschäftsgrundlage.
Der Revision mußte aus diesen Erwägungen ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; der Ausspruch nach § 500 Abs.2 ZPO ist für die Bemessungsgrundlage im Sinne der §§ 3 und 4 RATG, § 56 Abs.2 JN unerheblich.
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