Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung eines Begehrens von S 105.066,59 in Rechtskraft erwachsen sind, werden in ihrem klagestattgebenden Teil, also hinsichtlich des Zuspruches von S 127.057,80 sA, aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 29.11.1990, GZ S 52/90, wurde über das Vermögen der P***** GesmbH der Konkurs eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt.
Am 17.10.1990 zahlte die spätere Gemeinschuldnerin der beklagten Partei die Sozialversicherungsbeiträge für August 1990 in Höhe von S 127.057,80 und für September 1990 von S 105.066,59. Die Beitragsschuldnerin war zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig.
Der Masseverwalter focht die beiden Zahlungen nach den §§ 30 und 31 KO "und nach allen sonstigen in Betracht kommenden Anfechtungstatbeständen" mit der Begründung an, die Gemeinschuldnerin sei am 17.10.1990 zahlungsunfähig gewesen. Dieser Umstand sei der beklagten Partei bekannt gewesen; zumindest hätte er ihr bekannt sein müssen. Die Beklagte habe Sicherstellung und Befriedigung erlangt, die sie nicht oder nicht in der Art oder nicht in der Zeit zu beanspruchen gehabt habe.
Die beklagte Partei bestritt im Zuge des Verfahrens die Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners nicht mehr, wandte jedoch ein, diese sei ihr nicht bekannt gewesen und habe ihr auch nicht bekannt sein müssen, sie habe keine inkongruente Deckung erhalten.
Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich der Zahlung von S 127.057,80 an Sozialversicherungsbeiträgen für August 1990 statt und wies das Rückzahlungsbegehren für die Beiträge für September 1990 ab.
Rechtlich sei die in Lehre und Judikatur nicht unumstrittene Frage der Kongruenz nach § 30 Abs 1 Z 1 KO zu lösen. Die Anfechtungstatbestände nach § 30 Abs 1 und nach § 31 Abs 1 KO setzten eine bereits bestehende Gläubigerstellung voraus. Beträfen die bekämpften Rechtshandlungen hingegen gleichzeitig begründete Gläubigerrechte, komme eine Anfechtung wegen dieser Tatbestände grundsätzlich nicht in Betracht. Sei eine Zug-um-Zug-Abwicklung vereinbart, so müsse ein zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen. Die Rechtsprechung habe klargestellt, daß auch die Erbringung von Arbeitsleistungen und die Zahlung des Entgeltes hiefür in regelmäßigen Abständen aufgrund eines auf unbestimmte Dauer abgeschlossenen Dienstvertrages als Zug-um-Zug-Abwicklung anzusehen sei, wenn die Zahlungen nicht so spät nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgten, daß der zeitliche Zusammenhang mit der Arbeitsleistung gelöst sei. Gleiches müsse für Sozialversicherungsbeiträge gelten, zumal in diesen Beiträgen Lohnnebenkosten des Unternehmers und Arbeitnehmerbeiträge enthalten seien. Da die Sozialversicherungsbeiträge am letzten Tag des Kalendermonates fällig seien, in den das Ende des Beitragszeitraumes falle, sei der zeitliche Zusammenhang der Zahlung für die Beiträge September 1990 noch gegeben, nicht aber hinsichtlich der für August 1990 gezahlten Beiträge.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge.
Es führte aus, die beklagte Partei bestreite nicht, daß die angefochtene Zahlung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin geleistet worden sei. Neben diesem Erfordernis sei aber für eine Anfechtung nach § 30 Abs 1 Z 1 KO nur notwendig, daß es sich um eine inkongruente Befriedigung handle und der Gläubiger dadurch vor den übrigen Gläubigern (objektiv) begünstigt werde. Daß dieses Erfordernis hier gegeben sei, sei nach der Aktenlage evident. Hinsichtlich der erst am 17.10.1990 gezahlten, bereits Ende August 1990 fällig gewordenen Beiträge liege eine inkongruente Deckung vor. Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit sei zwar bei einer Anfechtung nach § 31 KO, nicht aber bei einer solchen nach § 30 KO erforderlich. Darauf komme es daher hier nicht an.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer zweifelhaften Rechtsfrage nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil die Vorinstanzen den Anfechtungstatbestand des § 30 Abs 1 Z 1 KO verkannt haben und von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sind. Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des stattgebenden Teiles der Urteile der Vorinstanzen auch berechtigt.
Der von den Vorinstanzen zur Lösung des vorliegenden Falles
herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 61/101 =
EvBl 1989/21 = WBl 1988, 373 = BankArchiv 1989, 78 lag kein
gleichgelagerter Fall zugrunde, weil dort - unbestritten - der Anfechtungsgegner Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin, einer GesmbH, hatte und überdies deren Gesellschafter, also gemäß § 32 Abs 2 KO "naher Angehöriger" war. Es war dort zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach den §§ 30 Abs 1 Z 2 und 31 Abs 1 Z 2 KO vorlagen und keineswegs das Problem der inkongruenten Deckung nach § 31 Abs 1 Z 1 KO zu lösen. Für letzteren Anfechtungstatbestand wäre es erforderlich, daß die beklagte Partei Befriedigung erlangt hätte, die sie nicht oder nicht in der Art oder nicht in der Zeit zu beanspruchen hatte. Diese Voraussetzungen liegen hier keineswegs vor, denn es ist unbestritten, daß die beklagte Partei Anspruch auf die Beitragszahlungen hatte und ihre Forderungen zur Zeit der Zahlung fällig waren. Die Zahlungen entsprachen den materiellen Rechtsverhältnissen. Die beklagte Partei erhielt nur das, was ihr gebührte. Es handelte sich somit nicht um eine inkongruente Befriedigung (vgl den insoweit gleichgelagerten Fall in der Entscheidung 2 Ob 543/92 mwN). Eine Anfechtung nach § 31 Abs 1 Z 1 KO scheidet daher aus.
Der Kläger hat jedoch die Anfechtung auch darauf gestützt, daß der beklagten Partei die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin bekannt war, zumindest aber hätte bekannt sein müssen, also auch den Tatbestand des § 31 Abs 1 Z 2 KO geltend gemacht, der von der beklagten Partei bestritten wurde. Beide Streitteile haben hiezu Vorbringen erstattet und Beweise angeboten. Wegen der unrichtigen Rechtsansicht der Vorinstanzen sind aber bisher zu dieser subjektiven Anfechtungsvoraussetzung Beweise nicht aufgenommen und Feststellungen nicht getroffen worden. Dies wird im fortgesetzten Verfahren nunmehr nachzuholen sein.
Der Ausspruch über den Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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