OGH 6Ob554/92

OGH6Ob554/9227.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Kindes Jaqueline ***** A*****, geboren am *****, in Obsorge der Mutter Jadwiga ***** A*****, in Verfolgung der Unterhaltsansprüche vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie 6./7. Bezirk, wegen Erhöhung der vom Vater Franz W*****, geschuldeten Unterhaltsbeträge, infolge Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. März 1992, AZ 43 R 116/92 (ON 59), womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 24. Januar 1992, GZ 2 P 238/88-56, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird stattgegeben. Die angefochtene Rekursentscheidung sowie der erstinstanzliche Beschluß werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz rückverwiesen.

Text

Begründung

Der Antragsgegner hat am 9. März 1988 die Vaterschaft zu dem am 10. Februar 1988 von seiner damaligen Lebensgefährtin unehelich geborenen Mädchen vor dem Jugendwohlfahrtsträger anerkannt und sich am selben Tag vor dem Jugendwohlfahrtsträger zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für das Kind in der Höhe von 2.000 S verpflichtet. Diesem Vergleich lag die Behauptung des Vaters zugrunde, als Versicherungsangestellter monatlich durchschnittlich ca 22.400 S zu verdienen, für seine nicht berufstätige Ehefrau, einen im Mai 1973 geborenen ehelichen Sohn und eine im Juli 1976 geborene eheliche Tochter gesetzlich sorgepflichtig zu sein.

Im November 1990 stellte das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind den Unterhaltserhöhungsantrag, die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. Februar 1991 auf den - in der Folge eingeschränkten Betrag - von 2.700 S zu erhöhen. Das Kind stützte seinen Erhöhungsantrag auf die Behauptung, der Vater könnte als Versicherungsangestellter monatlich durchschnittlich 25.000 S verdienen, ihn treffe nur noch für seine 1976 geborene eheliche Tochter eine konkurrierende Sorgepflicht.

Der Vater sprach sich gegen die beantragte Unterhaltserhöhung aus und machte geltend, nach wie vor für seine beiden ehelichen Kinder unterhaltspflichtig zu sein und seiner nunmehr geschiedenen Ehefrau beträchtliche Unterhaltsrückstände zu schulden. Er selbst sei nunmehr Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH und verdiene nur noch 90.000 S im Jahr. In der Folge gab der Vater an, daß seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau zufolge deren Wiederverehelichung mit Mai 1990 erloschen wäre, er selbst aber auf die Unterhaltsleistung seiner (nunmehrigen) Ehefrau angewiesen sei.

Das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind vertrat anläßlich seiner Antragseinschränkung den Standpunkt, der Unterhaltsbemessung sei das vom Vater zuletzt als Versicherungsangestellter erzielte monatliche Durchschnittseinkommen von 22.400 S zugrundezulegen, weil der Vater selbst sein Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung zum 31. August 1988 aufgelöst habe. Der Vater wendete sich gegen diese Art der Anspannung und vertrat den Verfahrensstandpunkt, daß das in seiner geänderten beruflichen Lage tatsächlich erzielte wesentlich niedrigere Einkommen für die Unterhaltsbemessung heranzuziehen wäre.

Das Gericht erster Instanz wies im ersten Rechtsgang das Erhöhungsbegehren des Kindes ab.

Das Rekursgericht faßte einen Aufhebungsbeschluß.

Im ergänzenden Verfahren erhob das Gericht erster Instanz, daß der Vater nach der Auflösung seines Dienstverhältnisses mit einer Versicherungsanstalt vom September 1988 bis Juli 1989 bei einer anderen Versicherungsanstalt mit einem im großen und ganzen vergleichbaren Einkommen beschäftigt gewesen sei und auf eigenen Wunsch auch aus diesem Dienstverhältnis ausgeschieden sei. Zur Begründung seines abermaligen Beschäftigungswechsels gab der Vater an, in die GesmbH eingetreten zu sein, weil sein Schwiegervater in dem von der Gesellschaft geführten Betrieb als Schlosser beschäftigt sei, die Teilhaber aber den Betrieb nicht weiterführen wollten. Er habe einen 50 %igen Geschäftsanteil an der Gesellschaft erworben und die Funktion eines Geschäftsführers übernommen. Das Unternehmen habe im Jahr 1990 mit einem Verlust von mehr als 0,5 Mio S abgeschlossen. Wegen des schlechten Geschäftsganges beziehe er als Gesellschafter keinen Gewinn und als Geschäftsführer kein höheres Entgelt.

Aufgrund eines Sachverständigengutachtens wurde aktenkundig, daß die nunmehrige Ehefrau des Vaters als Angestellte der Gesellschaft mit Prokura ein monatliches Nettogehalt von 33.400 S beziehe. Dazu erklärte der Vater, das ergäbe sich daraus, daß seine Ehefrau als Buchhalterin und im Verkauf tätig sei und alle finanziellen Belange des Unternehmens innehabe, während er selbst (als Geschäftsführer) die Kundenbetreuung vornehme.

Das Gericht erster Instanz gab im zweiten Rechtsgang dem Erhöhungsbegehren statt.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung jedoch im antragsabweisenden Sinne ab. Dazu sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Im zweiten Rechtsgang gingen die Vorinstanzen von folgenden Feststellungen aus:

Der Vater bezieht als ein mit einer 50 %igen Stammeinlage als Geschäftsführer tätigen Gesellschafter monatlich 14.756 S. Wegen Geschäftsverlusten kommt es zu keiner Gewinnausschüttung an die Gesellschafter. Den Vater treffen konkurrierende Sorgepflichten für seine beiden Kinder aus erster Ehe. Das - nun vier Jahre alte - Kind befindet sich nach wie vor in der Obsorge seiner Mutter. Diese ist Hauswartin und bezieht ein monatliches Einkommen von 12.800 S.

In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Gericht erster Instanz von der Ansicht aus, daß der freiwillige Wechsel des Vaters von einer unselbständigen (durchschnittlich mit 22.000 S monatlich entlohnten) zu einer selbständigen (mit weniger als 15.000 S monatlich entlohnten) Tätigkeit als Geschäftsführer mit einem derart einschneidenden Einkommensverlust verbunden sei, daß dies den Unterhaltsanspruch des Kindes nicht schmälern dürfe, der Unterhaltsbemessung daher das zuletzt bezogene (und nach wie vor erzielbare) unselbständige Einkommen des Vaters zugrundezulegen wäre.

Das Rekursgericht lehnte dagegen eine Unterhaltsbemessung auf der Grundlage des tatsächlich nicht mehr bezogenen ehemaligen unselbständigen Einkommens des Vaters aus der Erwägung ab, daß dieser nun in selbständiger Position zwar ein wesentlich niedrigeres Einkommen als früher aus unselbständiger Beschäftigung beziehe, das derzeitige Einkommen aber als durchschnittlich zu bezeichnen sei und den Vater in die Lage versetze, auch den Durchschnittsbedarf des Kindes zu befriedigen. Eine Anspannung sei immer nur auf durchschnittliche Verhältnisse zulässig. Die wesentlich höhere Entlohnung der im selben Unternehmen tätigen Ehefrau des Unterhaltspflichtigen sei nicht von vornherein unplausibel.

Das Kind ficht die abändernde Rekursentscheidung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Erhöhungsbeschlusses gerichteten Abänderungsantrag an.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist aus den darzulegenden Erwägungen zum geltend gemachten Anfechtungsgrund im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig. Er ist auch insoweit berechtigt, als Feststellungsmängel eine Verfahrensergänzung notwendig machen.

Im einzelnen sind folgende Unterhaltsbemessungsgrundsätze festzuhalten:

Der mit einem Berufswechsel des unterhaltspflichtigen Vaters verbundene Einkommensverlust ist vom unterhaltsberechtigten Kind insoweit als Schmälerung der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzunehmen, als nicht eine Unterhaltsverkürzungsabsicht angenommen werden kann oder einem rechtschaffenen Familienvater ein abermaliger Berufswechsel nach seinen persönlichen Fähigkeiten und den allgemeinen wirtschaftlichen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zuzumuten wäre, dem sich aber der Unterhaltspflichtige ohne triftige Gründe verschlösse.

Der erkennende Senat hat bereits zu 6 Ob 530/92 ausgesprochen, daß nicht jede auch schon im vorhinein als bedenklich oder als unwirtschaftlich erkennbare wirtschaftliche Disposition eines selbständig Erwerbstätigen (in diesem Sinne auch der Entschluß eines unselbständig Beschäftigten, in eine selbständige Berufstätigkeit überzuwechseln) automatisch als Verletzung der unterhaltspflichtigen Obliegenheit zur angemessenen Nutzung aller Kräfte zu werten sei, um zu einer erforderlichen Deckung der Bedürfnisse eines Unterhaltsberechtigten beitragen zu können.

Die Tatsache allein, daß der Vater nun als Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH, an der er zu 50 % beteiligt ist, nur noch etwa 60 % seines früheren Einkommens als Versicherungsangestellter verdient, vermag entgegen dem Standpunkt des vom Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Kindes eine Heranziehung des früheren Verdienstes als Unterhaltsbemessungsgrundlage noch nicht zu rechtfertigen, weil nicht behauptet oder dargetan wurde und auch kein aktenkundiger Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Vater verantwortungsbewußterweise wieder in eine seiner seinerzeit aufgegebenen vergleichbare Berufsstellung zurückkehren sollte.

Das nunmehr in der Regelung des § 140 Abs 1 ABGB positiv zum Ausdruck gebrachte Gebot, real gegebene Einkommensmöglichkeiten auszuschöpfen, ist entgegen der in der angefochtenen Rekursentscheidung dargelegten Begründung nicht mit der Erzielung eines durchschnittlichen Einkommens zur Gewährleistung einer durchschnittlichen Bedürfnissicherung einzuschränken. Der Unterhaltspflichtige hat vielmehr nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten alle sich nach der allgemeinen Wirtschaftslage ergebenden Verdienstmöglichkeiten zu nutzen (vgl SZ 63/74 ua).

Die im Revisionsrekurs vertretene These, daß der Unterhaltsbemessungsgrundlage auch ein Ehegattenunterhaltsanspruch des Unterhaltsverpflichteten miteinzubeziehen wäre, verkennt grundlegend den Zweck und die Grenzen des gesetzlichen Unterhaltes.

Zu Recht weist allerdings das Kind in seinem Revisionsrekurs auf den bereits im erstinstanzlichen Verfahren konkret dargelegten Verdacht hin, daß es dem Vater gelungen sein könnte, durch weitgehende Verschiebung des Familieneinkommens auf einen Bezug seiner Frau die Höhe seines eigenen Einkommens als Unterhaltsbemessungsgrundlage formal herabzusetzen.

Zu diesem sich nach der Aktenlage aufdrängenden Verdacht hätte das Rekursgericht von Amts wegen veranlassen müssen, daß die tatsächlichen Umstände möglichst ins Klare gesetzt würden, was für das Gericht erster Instanz nach seiner nicht zu teilenden Ansicht, nicht erforderlich erschienen war.

Es ist ein offenkundiger Mangel, daß die Einflußmöglichkeiten des Klägers als eines Geschäftsführers und Gesellschafters mit einer 50 %igen Beteiligung auf die Gestaltung des Dienstverhältnisses seiner nunmehrigen Ehefrau und insbesondere auf deren Einkommen im Zusammenhang mit seiner eigenen Entlohnung und eine etwa tatsächlich erfolgte derartige Einflußnahme zum Nachteil des unterhaltsberechtigten Kindes nicht zu erheben und festzustellen versucht wurde. Es werden insbesondere das Verhältnis des Klägers zu den übrigen Gesellschaftern, die Entlohnung früherer Geschäftsführer und die Entlohnung anderer, allerfalls früherer Angestellter mit dem Aufgabenbereich der nunmehrigen Ehefrau des Klägers zu erheben und zu vergleichen sein.

In der Unterlassung solcher Erhebungen und Feststellungen liegt ein derart grober Verfahrens- und Feststellungsmangel, daß eine den Grundsätzen des § 140 ABGB entsprechende Unterhaltsfestsetzung ausgeschlossen erscheint.

In Stattgebung des aus den dargelegten Gründen zulässigen außerordentlichen Revisionsrekurses war die Rechtssache unter Aufhebung der Entscheidungen beider Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz rückzuverweisen.

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