OGH 6Ob54/19p

OGH6Ob54/19p25.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B***** AG, *****, sowie 2. B***** GmbH & Co KG, *****, beide vertreten durch KNOETZL HAUGENEDER NETAL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.600 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR, Gesamtstreitwert 11.600 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. Dezember 2018, GZ 60 R 83/18p‑64, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00054.19P.0425.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 946,39 EUR (darin 157,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

1. Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei der Frage, ob ein Tatbestand vorliegt, der eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast im Sinne des Anscheinsbeweises zulässt, um eine (grundsätzlich revisible) Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0040196 [T5, T15, T17]). Der Lösung dieser Frage kommt allerdings im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle in der Regel keine erhebliche Bedeutung zu (RS0022624 [T4, T5, T10]; RS0022549 [T3]; 8 Ob 92/18a). Es kann nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sein, in jedem Fall, in dem behauptet wird, dass ein bestimmter allgemeiner Erfahrungssatz bestehe, dazu in der Sache Stellung zu nehmen (2 Ob 151/03z).

2.1. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht mit eingehender Begründung dargelegt, dass kein typischer Erfahrungsgrundsatz bestehe, dass eine venöse Thromboembolie durch eine vorangegangene Einnahme von oralen Kontrazeptiva verursacht werde.

2.2. Nach Auffassung der Revisionswerberin soll die Ursache für die bei der Klägerin aufgetretene Thrombose im Umstieg der Klägerin von „Ya*****“, welches Medikament sie seit einigen Jahren ohne Gesundheitsbeschwerden eingenommen hatte, auf „Y*****“ bilden; dieser Umstieg sei der einzige neue hinzutretende Faktor.

2.3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts leidet die Klägerin an einer Prothrombin‑Mutation heterozygoter Art sowie an Lupus Antikoagulans. Die Prothrombin‑Mutation ist eine vererbte Gerinnungsstörung, die zu einer Erhöhung des Prothrombin‑Spiegels führt. Bei Lupus Antikoagulans handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der eine abnorme pathologische Aktivität körpereigener Antikörper für venöse bzw arterielle Thrombosen verantwortlich ist. Diese beiden Vorerkrankungen sind genetische Gerinnungsstörungen, die in Kombination und sogar einzeln das Thromboserisiko um ein Mehrfaches steigern. Der Grund für die Thrombose, die die Klägerin im Juni 2009 erlitt, war eine Venenentzündung. Diese wurde nicht durch die Einnahme der Pille verursacht. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Einnahme der Pille „Y*****“ oder „Ya*****“ zur Thrombose der Klägerin führte.

2.4. Selbst wenn man – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – den Anscheinsbeweis im vorliegenden Fall für zulässig hielte, handelte es sich bei der Frage, ob dieser im Einzelfall erbracht oder erschüttert worden ist, um eine vom Revisionsgericht nicht mehr überprüfbare Beweisfrage (10 ObS 97/01i; Rechberger in Fasching/Konecny 3 Vor § 266 ZPO Rz 66 ff).

2.5. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht ausdrücklich ausgeführt, dass, selbst wenn der Anscheinsbeweis zulässig wäre, die Klägerin nicht habe beweisen können, dass das Kontrazeptivum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Thrombose geführt hätte. Andere Umstände seien wesentlich gravierender und naheliegender für das Auftreten der Thrombose gewesen. Diese Einschätzung des Berufungsgerichts unterliegt als dem Tatsachenbeweis zuzuordnende Frage der Beweiswürdigung nicht der Kognition des Obersten Gerichtshofs.

2.6. Im Übrigen treten nach dem eigenen Vorbringen der Revisionswerberin Thrombosen lediglich in ca neun bis zwölf pro 10.000 Fällen im Jahr auf, sodass keineswegs davon ausgegangen werden kann, die Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva führe „typischerweise“ zum Eintritt einer Thrombose.

3. Soweit sich die Revision auf die erst mit der Revision vorgelegte Verlautbarung des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 19. 12. 2018 beruft, handelt es sich dabei um eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung.

4. Zusammenfassend bringt die Revision daher keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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