OGH 6Ob38/11y

OGH6Ob38/11y16.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A***** U*****, vertreten durch Dr. Wolfgang C.M. Burger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** K*****, vertreten durch Mag. Timo Gerersdorfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.420 EUR sA (Streitwert im Revisionsverfahren 24.089,31 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2010, GZ 40 R 201/10w-25, womit das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 28. Juli 2010, GZ 7 C 5/10k‑21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.400,04 EUR (darin 233,34 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die klagsgegenständliche Wohnung wurde seit ihrer Anmietung im Jahr 1987 bis 1991 von der Schwester des Klägers, danach auch vom Kläger selbst, jedenfalls bis 2008 bewohnt. Bereits im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses wies die elektrische Anlage der Wohnung Mängel auf, welche sowohl eine Personengefährdung (Gefahr für Leib und Leben) als auch eine Gefahr für die Bausubstanz in Form einer permanenten Brandgefahr darstellten. Der Kläger ging bei der Anmietung und in der Folge davon aus, dass die Elektrik zwar veraltet, aber durchaus funktionstüchtig ist. Deren Gefährlichkeit war dem Kläger nicht bekannt und für ihn auch nicht erkennbar.

Im Jahr 2003 wurde der Kläger im Rahmen eines Kostenvoranschlags eines Elektroinstallateurs darauf hingewiesen, dass die Leitungen überaltet und ohne Schutzleiter sind. Am 5. 6. 2003 brachte der Kläger bei der Schlichtungsstelle einen Antrag gemäß § 3 MRG ein. Im Rahmen einer Verhandlung am 26. 2. 2004 wurde die elektrische Anlage von der MA 36 außer Betrieb genommen. Mittlerweile wurden die Arbeiten über Auftrag des Klägers selbst durchgeführt.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 28.420 EUR sA für den Zeitraum November 1987 bis November 1999, wobei er sich auf Mietzinsminderung gemäß § 1096 ABGB stützt.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Vermieterin zur Rückzahlung von 24.089,31 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab. Weil die Benützung des Bestandobjekts bis zur Sanierung der elektrischen Anlage ohne Gefahr für Leib und Leben nicht möglich gewesen sei, resultiere ein Zinsminderungsanspruch von jedenfalls 70 %. Bis Februar 2003 habe der Kläger die ihm vorgeschriebenen Mietzinse rechtsirrtümlich in Unkenntnis der eine Zinsminderung rechtfertigenden Umstände zur Gänze geleistet. Der Grad der Unbrauchbarkeit sei grundsätzlich nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Dass trotz der permanent bestehenden Gefahr niemand zu Schaden gekommen sei, sei eine glückliche Fügung und könne dem Beklagten nicht zum Vorteil gereichen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im gänzlich klagsabweisenden Sinn ab. Der Kläger begehre die Mietzinsminderung in Wahrheit nicht wegen einer im relevanten Zeitraum erlittenen Gebrauchsbeeinträchtigung, sondern ausschließlich aufgrund seines erst nachträglich erlangten Wissens, dass ihm seinerzeit eine ‑ sich nicht verwirklicht habende ‑ Gefahr gedroht habe. Die in der Entscheidung 7 Ob 184/03i dargelegten Grundsätze könnten gleichermaßen auf einen dem Mieter nicht bekannten Sachmangel angewendet werden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das objektive Vorliegen eines dem Mieter nicht bekannten Sachmangels einen Mietzinsminderungsanspruch ungeachtet der durchgehenden, subjektiv nicht beeinträchtigten Nutzung des Bestandobjekts begründe.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1. Zwar kann die Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB regelmäßig nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (6 Ob 40/08p). Im vorliegenden Fall geht es aber um die allgemeine Frage, ob bzw inwieweit gefährliche Elektroinstallationen auch dann eine Reduktion des Mietzines rechtfertigen, wenn der Bestandnehmer die Wohnung in Unkenntnis dieses Mangels jahrelang uneingeschränkt benützt hat. Die Revision ist daher aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

2.1. Im Vollanwendungsbereich des MRG werden die Erhaltungspflichten des Vermieters durch die Regelung des § 3 MRG im Wesentlichen auf die Arbeiten an den allgemeinen Teilen des Hauses und, soweit es sich um Mängel im Inneren des Mietobjekts handelt, auf ernste Schäden des Hauses bzw auf erhebliche Gesundheitsgefahren beschränkt. Nach § 3 Abs 1 MRG bleibt jedoch § 1096 ABGB „im Übrigen unberührt“. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dahin auszulegen, dass die umfassende Erhaltungspflicht des § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB in dem von § 3 MRG geregelten Bereich gänzlich verdrängt wird. Aufrecht bleibt im Anwendungsbereich des § 3 MRG jedoch die Mietzinsminderung bei Gebrauchsbeeinträchtigungen ( Vonkilch , Erhaltungspflichten im Mietrecht: Wo steht die Judikatur? wobl 2009, 209 [212]; Riss in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 1096 Rz 21 mwN).

2.2. Nach § 1096 Abs 1 ABGB steht eine Mietzinsminderung für die Dauer und in dem Maß der Unbrauchbarkeit zu, wenn das Bestandstück bei der Übergabe derart mangelhaft ist oder während der Bestandzeit ohne Schuld des Bestandnehmers derart mangelhaft wird, dass es zu dem bedungenen Gebrauch nicht taugt (zuletzt 7 Ob 90/10a).

2.3. Bei der Mietzinsminderung nach § 1096 Abs 1 Satz 2 ABGB handelt es sich um einen Gewährleistungsanspruch eigener Art, der unabhängig von den Fristen des § 933 ABGB geltend gemacht werden kann, nicht vom Verschulden des Bestandgebers am Eintritt des Mangels abhängt und ex lege ab Beginn der Unbrauchbarkeit bzw Gebrauchsbeeinträchtigung des Bestandobjekts bis zu deren Behebung besteht (RIS‑Justiz RS0021326, RS0107866).

3.1. Als brauchbar ist die Bestandsache anzusehen, wenn sie eine solche Verwendung zulässt, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte gemacht wird. Bei der Beurteilung der Brauchbarkeit kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS‑Justiz RS0021054 [T5]; RS0021324).

3.2. Nach Prader/Pittl (Veraltete Elektroleitungen ‑ Auswirkungen auf Mieteransprüche, Zak 2009/22) muss der fehlende bedungene Gebrauch auch merklich sein. Der Mieter müsse also in seinem Gebrauch in welcher Form auch immer beeinträchtigt sein, sei es, dass er übliche Tätigkeiten im Haushalt nur in eingeschränktem Umfang durchführen könne oder sich aber die geschäftliche Tätigkeit (nicht mehr) wie bisher ausüben lasse.

3.3. In der Entscheidung 7 Ob 184/03i hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass das Fehlen einer erforderlichen gewerberechtlichen Genehmigung als solche noch nicht zu einer Zinsminderung nach § 1096 ABGB führe. Vielmehr komme es bei der Beurteilung des Anspruchs des Mieters oder Pächters auf Zinsminderung auch in einem solchen Fall auf den tatsächlich erzielten Vorteil an. Weil die Pächterin das Pachtobjekt ohne Einschränkung so benutzen konnte, wie dies im Bestandvertrag vereinbart war und ihr der Mangel der behördlichen Genehmigung gar nicht bekannt war, seien Rücksichtnahmen darauf nicht in Betracht gekommen. An dieser Beurteilung hat auch der erkennende Senat in einer Folgeentscheidung festgehalten (6 Ob 40/08p).

4.1. Im vorliegenden Fall ergibt sich die mangelnde Berechtigung des Klagebegehrens jedoch bereits aus einer weiteren Überlegung:

4.2. Zu § 1097 ABGB, wonach der Bestandnehmer dem Vermieter Anzeige erstatten muss, wenn „Ausbesserungen“ notwendig werden, entspricht es ganz herrschender Auffassung, dass der Verstoß gegen diese Verpflichtung nicht nur schadenersatzpflichtig machen kann, sondern auch zum Verlust des Rechts auf Mietzinsminderung führt ( Würth in Rummel , ABGB³ § 1097 Rz 1; Iro in Koziol/Bydlinski/Bollenberger , ABGB³ § 1097 Rz 1; Riss in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 1097 Rz 1). In Hinblick auf zwischenzeitige gesetzliche Änderungen muss dies ‑ wie zu zeigen sein wird ‑ aus systematischen Gründen nicht nur für „Ausbesserungen“, sondern allgemein für das Recht auf Bestandzinsminderung nach § 1096 ABGB gelten:

4.3. Tragender Grundsatz der Gewährleistungsreform war ‑ soweit im vorliegenden Fall von Belang ‑ das Prinzip der „zweiten Chance“ (vgl nur Zöchling‑Jud in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 932 Rz 4). Dieses Prinzip gilt grundsätzlich auch im Bestandrecht (vgl Riss aaO § 1117 Rz 5; Würth aaO § 1096 Rz 2). Nur durch die Anzeige des Mangels wird aber dem Vermieter die Möglichkeit gegeben, den Mangel zu beheben und damit die Mietzinsminderung zu vermeiden. Damit trägt die Anzeigepflicht zu einer erhöhten Wertungskonsistenz zwischen Wohnrecht und allgemeinem Zivilrecht bei. Aus dieser Überlegung ist aus der eine Anzeigepflicht für den Pächter statuierenden Regelung des § 1108 ABGB kein Umkehrschluss zu ziehen.

4.4. Ins Gewicht fallende Nachteile für den Mieter sind damit nicht verbunden. Abgesehen davon, dass nach der ‑ im vorliegenden Fall nicht anzuwendenden ‑ Verbrauchsgüterkauf‑RL (Art 5 Abs 2) sogar eine Rügepflicht zulässig wäre, führt die Unterlassung der Anzeige nicht zum Verlust von Gewährleistungsrechten überhaupt, sondern nur zum Verlust der Möglichkeit der Mietzinsminderung. Dem Bestandnehmer bleibt es vielmehr unbenommen, die Anzeige später nachzuholen und ab diesem Zeitpunkt den Mietzins zu mindern, sofern dann keine Behebung des Mangels erfolgt. Im Normalfall wird sich der Mieter bei auftretenden Mängeln schon im eigenen Interesse rechtzeitig an den Vermieter wenden. Eine Anzeige des Mangels liegt im Übrigen auch darin, dass der Mieter unter Bezugnahme auf diesen Mangel bei Gericht oder der Schlichtungsstelle ein Mietzinsüberprüfungsverfahren einleitet (1183 BlgNR 22. GP 41).

5.1. Eine Bestätigung erfährt diese Auffassung durch die Wohnrechtsnovelle 2006. Damit novellierte der Gesetzgeber unter anderem § 15a MRG. Nach der Neufassung dieser Bestimmung ist ‑ soweit im vorliegenden Fall von Belang ‑ der Umstand, dass die Wohnung im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags nicht brauchbar ist, für die Einstufung der Wohnung im Kategoriesystem nur zu berücksichtigen, wenn der Mieter die Unbrauchbarkeit oder das Fehlen des zeitgemäßen Standards dem Vermieter anzeigt und dieser den Mangel nicht in angemessener Frist, höchstens aber binnen dreier Monate ab Zugang der Anzeige, behoben hat.

5.2. Nach den Materialien (1183 BlgNR 22. GP 40 ff) erschien die bisherige Rechtslage, wonach sich der Mieter auf eine Unbrauchbarkeit in Zusammenhang mit der Kategorieeinstufung auch ohne vorhergehende Rüge berufen könne, als unbefriedigend. Diese Rechtslage erweise sich in der Praxis zuweilen als echte „Vermieterfalle“, weil in manchen Fällen Vermieter von einer solchen Unbrauchbarkeit überrascht würden, daher keine Sanierungsmöglichkeit mehr vorfänden und sich mit den Folgen einer entsprechend schlechteren Einstufung der Wohnung im Kategoriesystem zufrieden geben müssten. So könne es beispielsweise zur Herabstufung eines als Kategorie A ‑ Wohnung vermieteten Mietgegenstands in die Kategorie D kommen, wenn etwa wegen einer gefährlichen Elektroinstallation und eines verhältnismäßig hohen Aufwands zur Behebung dieser Gefährlichkeit die Unbrauchbarkeit der Wohnung angenommen werde. Um auch in solchen Fällen dem Vermieter die Möglichkeit einer kategoriewahrenden Sanierung zu geben, werde die bisher nur in § 15a Abs 1 Z 4 MRG vorgesehene Sanierungsmöglichkeit nach Anzeige durch den Mieter nun auf alle Fälle der Unbrauchbarkeit ausgedehnt. Eine derart umfassende Möglichkeit zur Mängelbehebung nach Anzeige stehe auch mit den Grundsätzen des neuen Gewährleistungsrechts im Einklang (1183 BlgNR 22. GP 41).

5.3. Das vom Gesetzgeber aus Anlass der Wohnrechtsnovelle 2006 erkannte Problem besteht jedoch nicht nur im Bereich der Kategorieeinstufung, sondern in gleicher Weise im Rahmen der Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB. Gerade der vorliegende Fall zeigt dies deutlich: Der Kläger bzw seine Schwester haben jahrelang die Wohnung unbeanstandet und uneingeschränkt benützt. Könnten sie jetzt gestützt auf § 1096 ABGB einen erheblichen Teil des Mietzinses zurückfordern, so würde sich gerade jene „Vermieterfalle“ realisieren, die der Gesetzgeber der Wohnrechtsnovelle 2006 vermeiden wollte. Zur Vermeidung eines krassen Wertungswiderspruchs ist daher die § 15a Abs 2 MRG zugrunde liegende Wertung auch auf die Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB zu erstrecken. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB eine Anzeige iSd § 1097 ABGB voraussetzt.

5.4. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein dem MRG unterliegendes Objekt handelt oder nicht, weil dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, dass er außerhalb des Anwendungsbereichs des MRG „Vermieterfallen“ weiter bestehen lassen wollte und damit den Mieter außerhalb des Anwendungsbereichs des MRG sogar günstiger stellen wollte als in dessen Vollanwendungsbereich.

5.5. Die gegenteilige Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (NJW 1972, 821 = BGHZ 58, 181), wonach der Mangel einer Miet‑ oder Pachtsache schon dann zu bejahen sei, wenn der Mangel vorhanden sei und es nicht darauf ankomme, ob dieser Mangel bereits hervorgetreten sei oder gar eine Schädigung verursacht habe, lässt sich in Anbetracht der ausdrücklichen Dokumentation des Willens des Gesetzgebers in den Materialien nicht auf das österreichische Recht übertragen.

6.1. Da im vorliegenden Fall im klagsgegenständlichen Zeitraum unstrittig keine Anzeige an den Vermieter erstattet wurde, besteht daher für diesen Zeitraum für eine Mietzinsminderung kein Raum.

6.2. Damit erweist sich das angefochtene Urteil als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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