European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00035.23Z.0517.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 335,64 EUR (davon 55,94 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Im Verfahren AZ 9 C 1010/19p des Bezirksgerichts Fünfhaus (Vorprozess) wurde die von der (hier) Beklagten gegenüber der Klägerin erhobene gerichtliche Aufkündigung vom 16. 1. 2020 mit Urteil des Erstgerichts vom 28. 8. 2020 für rechtswirksam erklärt. Dieses stellte – unter anderem aufgrund der Aussage des Zeugen M* (künftig: der Zeuge) – fest, die Beklagte wohne nicht in der gekündigten Wohnung. Ausgehend davon bejahte es das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 6 MRG. Die Entscheidung ist nach Bestätigung durch das Berufungsgericht und Zurückweisung der von der Klägerin dagegen erhobenen außerordentlichen Revision durch den Obersten Gerichtshof (Beschluss vom 15. 4. 2021, AZ 6 Ob 60/21z) rechtskräftig.
[2] Mit am 20. 7. 2021 beim Erstgericht eingebrachter, in der Folge verbesserter Klage begehrte die Klägerin die Wiederaufnahme des Vorprozesses aus den Gründen des § 530 Abs 1 Z 2 und 7 ZPO.
[3] Sie brachte vor, der Zeuge habe im Vorprozess in der mündlichen Streitverhandlung am 16. 6. 2020 zur Nutzung der gekündigten, in Wien befindlichen Wohnung unter anderem ausgesagt, die Klägerin wohne ganz sicher an einer anderen Adresse (im Burgenland), sie fahre nur nach Wien, wenn sie dort einen Termin habe, anschließend fahre sie gleich wieder zurück ins Burgenland. Sie habe sich an der Adresse der gekündigten Wohnung (in Wien) hauptwohnsitzgemeldet, wohne aber nicht dort. Diese hier zusammengefasst wiedergegebenen Aussagen wurden in Form wörtlicher Zitate vorgebracht.
[4] Im Verfahren AZ 3 C 23/19x des Erstgerichts habe der Zeuge in der mündlichen Streitverhandlung am 30. 1. 2020 ausgesagt, er wisse nicht, ob die Klägerin die Wohnung dauernd vermietet habe oder ob sie zwischendurch leer gestanden sei; wenn er an der Wohnung vorbeifahre, sei immer Licht; die Klägerin nutze die Wohnung „schon auch“; sie habe ein Notbett, das sie in die Küche stelle, weil die Wohnung nur ein Bett habe. Auch diese Aussagen wurden als wörtliche Zitate wiedergegeben.
[5] Zusätzlich legte die Klägerin beide Verhandlungsprotokolle als Urkunden vor und brachte vor, der Zeuge habe sich mit seiner Aussage im Vorprozess, er sei sich sicher, dass die Klägerin nach dem Auszug (ihres Untermieters) im November 2019 wieder untervermietet habe und nicht selbst dort wohne, einer für den Ausgang des Vorprozesses kausalen falschen Zeugenaussage gemäß § 288 StGB schuldig gemacht; aus seiner Aussage im Verfahren AZ 3 C 23/19x ergebe sich vielmehr, dass die Klägerin die Wohnung regelmäßig nutze. Darüberhinaus stützte sich die Klägerin auf das Protokoll der mündlichen Streitverhandlung vom 30. 1. 2020 im Verfahren AZ 3 C 23/19x als neues Beweismittel iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Sie habe dieses erst am 16. 7. 2020 von ihrer Verfahrenshelferin erhalten und daher nicht früher benützen können.
[6] Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage, weil der behauptete Widerspruch in den Zeugenaussagen nicht vorliege und die Klage zudem verspätet erhoben worden sei.
[7] Mit Note vom 10. 11. 2021 teilte die Staatsanwaltschaft Wien dem Erstgericht mit, sie sehe gemäß § 35c StAG von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Zeugen ab, weil kein Anfangsverdacht bestehe.
[8] Mit Beschluss vom 15. 11. 2021 wies das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage zurück und verwies begründend darauf, dass die Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen habe.
[9] Das von der Klägerin angerufene Rekursgericht hob den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts mit Beschluss vom 18. 1. 2021 auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es führte aus, es habe kein „Splitting“ in einzelne Wiederaufnahmegründe stattzufinden.
[10] Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage ab. Es stellte die vom Zeugen getätigten Aussagen aus den Verhandlungsprotokollen wörtlich fest. Rechtlich verneinte es das Vorliegen der Wiederaufnahmegründe gemäß § 530 Abs 1 Z 2 und 7 ZPO. Der Wiederaufnahmegrund gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO liege nicht vor, weil der Zeuge keine voneinander abweichenden Aussagen getroffen habe. Darüber hinaus sei der Klägerin die Aussage des Zeugen bereits in der Verhandlung am 30. 1. 2020 bereits bekannt geworden, sodass sie diese im Vorprozess thematisieren hätte können.
[11] Aus Anlass der Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das angefochtene Urteil und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück.
[12] Der Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO sei nicht schlüssig dargetan, weil das Protokoll der Aussage des Zeugen vom 30. 1. 2020 schon abstrakt nicht geeignet sei, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung im Vorprozess zu bewirken, weshalb die Wiederaufnahmsklage zurückzuweisen sei.
[13] Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
[14] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.
[15] Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[16] 1. Auf den Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 2 ZPO kam die Klägerin bereits in ihrer Berufung nicht mehr zurück, sodass darauf nicht einzugehen ist (vgl RS0043338; RS0043352 [T26, T30]).
[17] 2.1. Im Vorprüfungsverfahren nach § 538 Abs 1 ZPO ist zu prüfen, ob die Wiederaufnahmsklage schlüssig ist. Der Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist schlüssig behauptet, wenn sich aus dem Vorbringen ergibt, dass die Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel im Hauptverfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Die Prüfung, ob dies zutrifft, ist nur abstrakt vorzunehmen. Die Wiederaufnahmsklage ist zurückzuweisen, wenn sich aus dem Klagevorbringen selbst ergibt, dass die vorgebrachten Tatsachen oder die aus den neuen Beweismitteln abzuleitenden Tatsachen sogar dann, wenn man sie als richtig unterstellt, zu keiner Änderung der (früheren) Entscheidung führen (10 Ob 15/15a; RS0044631; RS0044411 [T15, T22]; vgl RS0044504). Dies muss allerdings bereits aus den Klagebehauptungen ersichtlich sein (RS0044411 [T15]); eine Würdigung der neuen Tatsachen und Beweismittel darf im Vorprüfungsverfahren hingegen nicht stattfinden (RS0044411 [T16]).
[18] 2.2. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht in seiner Entscheidung nicht abgewichen. Es setzte vielmehr lediglich die bereits in der Klage wörtlich zitierte Aussage des Zeugen in der Tagsatzung am 30. 1. 2020 im Verfahren AZ 3 C 23/19x des Erstgerichts in Beziehung zu den ebenfalls wörtlich zitierten Aussagen des Zeugen im Vorprozess und zu der im Vorprozess zu beurteilenden Rechtsfrage. Dabei unterstellte es die – in der Wiederaufnahmsklage wörtlich zitierten – Aussagen des Zeugen, wonach in der Wohnung immer, wenn er vorbeifahre, Licht sei, die Klägerin die Wohnung „schon auch“ nutze und ein Notbett in die Küche stelle, als inhaltlich zutreffend; eine Beweiswürdigung hinsichtlich der Aussage des Zeugen im Hinblick auf ihren Aussagewert führte es hingegen nicht durch. Vielmehr werden im Rekurs aus der zitierten Aussage des Zeugen Schlüsse gezogen, die in dessen – in der Klage selbst zitierten – Aussage vom 30. 1. 2020 keine Deckung finden. Erst daraus versucht die Klägerin in der Folge, eine Widersprüchlichkeit der Aussagen des Zeugen abzuleiten.
[19] Damit wird aber nicht dargetan, dass dem Berufungsgericht, indem es die abstrakte Eignung des behaupteten Wiederaufnahmegrundes gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO verneinte, eine unrichtige rechtliche Beurteilung unterlaufen wäre.
[20] 2.3. Die Zurückweisung der Klage vermag daher auch keinen Mangel des Berufungsverfahrens zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO).
[21] 3. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
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