OGH 6Ob32/95

OGH6Ob32/959.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Friedrich H*****, Innenarchitekt,*****, vertreten durch Prof.Dr.Alfred Haslinger u.a. Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Dr.Franz D*****, Bürgermeister, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Eypeltauer u.a. Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert S 120.000) und Widerruf (Streitwert S 60.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 10.Mai 1995, AZ 3 R 95/95 (ON 8), womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 8. Februar 1995, GZ 4 Cg 340/94-4, nicht stattgegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.135,- (darin S 1.522,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit der am 23.11.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger vom Beklagten, gestützt auf die Bestimmungen des § 1330 Abs 1 und 2 und § 16 ABGB die Unterlassung der Behauptung, der Kläger sei ein "Nazi" sowie den Widerruf der Behauptung vor der Vollversammlung des Tourismusverbandes *****. Bei der Vollversammlung dieses Verbandes am 27.11.1991 habe der Kläger den Vorschlag gemacht, in ***** ein Museum für die Zeit vom 1.Weltkrieg bis 1955 zu errichten. Anläßlich der Diskussion über diesen Vorschlag habe der Beklagte den Kläger als "Nazi" bezeichnet. Wiederholungsgefahr bestehe deswegen, weil der Beklagte einen Widerruf der Behauptung in der nächsten Vollversammlung des Tourismusverbandes ablehne. Mit seiner Äußerung habe der Beklagte dem Kläger ("pauschal": Vorbringen des Klägers S 2 zu ON 3) eine politische Einstellung entsprechend der eines Nationalsozialisten unterstellt. Es liege eine in einem Beweisverfahren überprüfbare, kreditschädigende Tatsachenbehauptung vor.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Es sei nicht richtig, daß er den Kläger als "Nazi" bezeichnet habe. Die Bezeichnung wäre auch keine Tatsachenbehauptung, sondern ein reines Werturteil im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB. Die Klagsansprüche seien gemäß § 1490 Abs 1 ABGB verjährt.

Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens und ohne Feststellungen zu treffen ab und vertrat zu dem vom Kläger behaupteten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, daß die Behauptung, jener sei ein "Nazi", einer Überprüfung auf die Richtigkeit nicht zugänglich sei. Es liege nur ein Urteil vor, das eine rein subjektive Auffassung wiedergebe. Der Äußerung des Beklagten sei als Werturteil von der Bestimmung des § 1330 Abs 2 ABGB nicht erfaßt. Als Beschimpfung im Sinne des § 115 StGB und damit als Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB sei der Anspruch des Klägers gemäß § 1490 Abs 1 ABGB verjährt. Deswegen könne sich der Kläger auch nicht auf das Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB stützen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht statt. Es verneinte den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Bezeichnung eines anderen als "Nazi" keine objektiv überprüfbare Tatsachenbehauptung darstelle. Es handle sich um den Vorwurf einer verpönten Gesinnung, bei der jeder Anhaltspunkt fehle, welchen der möglichen Bedeutungsinhalte des mehrdeutigen Begriffs "Nazi" der Äußerung zugrunde gelegt worden sei. Ehrenbeleidigungen in Form einer Beschimpfung könnten nach dem Verlauf eines Jahres nicht mehr erhoben werden. Der Anspruch des Klägers sei verjährt.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob in der Bezeichnung eines Menschen als "Nazi" auch eine Tatsachenbehauptung im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 1 ABGB zu erblicken sei.

Mit seiner Revision beantragt der Kläger die Aufhebung des Berufungsurteils (gemeint: der Urteile beider Vorinstanzen) zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die öffentliche Bezeichnung eines anderen als "Nazi" (Nationalsozialisten) ist tatbildlich sowohl im Sinne des § 111 Abs 1 StGB (Vorwurf einer verächtlichen Gesinnung oder eines unehrenhaften Verhaltens) als auch im Sinne einer Beschimpfung nach § 115 Abs 1 StGB (EvBl 1981/94).

Für die zivilrechtliche Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB gilt, insoweit sie nicht gleichzeitig auch eine rufschädigende Tatsachenbehauptung nach Abs 2 leg cit darstellt, eine einjährige Verjährungsfrist (§ 1490 Abs 1 ABGB). Für Schadenersatzklagen nach § 1330 Abs 2 ABGB gilt die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB (§ 1490 Abs 2 ABGB). Da die Klage erst knapp vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist eingebracht wurde, kommt der Frage, ob die Bezeichnung "Nazi" nur als reines Werturteil im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB zu qualifizieren ist (wie dies die Vorinstanzen annahmen), oder aber einen überprüfbaren Tatsachenkern enthält, entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Die Rechtsfrage ist, wegen der über den Anlaßfall hinausreichenden Bedeutung erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO.

Tatsachen im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB sind Umstände, die ihrer allgemeinen Natur nach objektiv überprüfbar sind. Die Richtigkeit der verbreiteten Äußerung muß grundsätzlich einem Beweis zugänglich sein, so daß das Verbreiten nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann. Der Begriff der Tatsachenbehauptung ist weit auszulegen. Tatsachen können auch "konkludent" behauptet werden. Dies ist dann der Fall, wenn dem Urteil, das eine rein subjektive Auffassung wiedergibt, entnommen werden kann, daß es von bestimmten Tatsachen ausgeht. Daß das Verhalten eines Dritten auf Grund eigener gedanklicher Tätigkeit interpretiert und einer wertenden Stellungnahme unterzogen wird, schließt das Vorliegen einer Tatsachenmitteilung noch nicht aus. Werturteile sind hingegen rein subjektive Aussagen, die objektiv nicht überprüfbar sind. Sie werden vom § 1330 Abs 2 ABGB nicht erfaßt, können aber als Ehrenbeleidigungen gegen § 1330 Abs 1 ABGB verstoßen (MR 1994, 111 mwN).

Bei der Beurteilung der Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, kommt es immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an (MR 1995, 16 uva). Der subjektive Wille des Erklärenden ist nicht maßgeblich (MR 1994, 198). Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Vekehrskreisen bei ungezwungener Auslegung verstanden wird. Zu letzterem steht hier (mangels Bestreitung durch den Beklagten) nur fest, daß die Äußerung (sollte sie tatsächlich gefallen sein) in einer öffentlichen Veranstaltung fiel, bei der der Kläger den Vorschlag machte, für die Zeit vom 1.Weltkrieg bis 1955 in ***** ein Museum zu errichten, für eine Zeit also, in welcher die nationalsozialistische Bewegung - entgegen der Auffassung des Beklagten - für das politische Geschehen in Europa und auf der ganzen Welt von sehr nachhaltigem Einfluß war, zumindest ein Jahrzehnt eine prägende Rolle spielte und auch noch nach 1945 schon wegen der Problemkreise der Wiedergutmachung und "Entnazifizierung" wesentlich war. Wenn nun bei der geplanten Darstellung der Zeitgeschichte in einem Museum der Proponent für die Gründung eines solchen Museums als "Nazi" bezeichnet wird, enthält diese unstrittig als Beleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB zu qualifizierende Bezeichnung nach Auffassung des erkennenden Senates keinen einer objektiven Überprüfung zugänglichen Tatsachenkern. Die Äußerung kann höchstverschiedene Bedeutungsinhalte haben. Dem Betroffenen könnte unterstellt werden, ein ehemaliger "Nazi" zu sein oder aber ein sogenannter "Neo-Nazi", also eine Person, die alle (auch die verbrecherischen) oder bloß einige Ideen der nationalsozialistischen Bewegung gutheißt. Schließlich umfaßt die Bezeichnung in der ungünstigsten Auslegung sogar den Vorwurf, sich im nationalsozialistischen Sinne betätigt zu haben oder zu betätigen, also den Vorwurf von Verstößen gegen das Verbotsgesetz. Welcher dieser möglichen Bedeutungsinhalte hier nach dem allein maßgeblichen Zusammenhang, in dem die Äußerung fiel, vorliegt, bleibt völlig offen. In der in MR 1994, 111 veröffentlichten Entscheidung hatte der Oberste Gerichtshof die Äußerung "Nazijournalismus" auf einen etwa vorliegenden Tatsachenkern zu prüfen. Dort fehlte jeder Anhaltspunkt, welchen der möglichen Bedeutungsinhalte der Beklagte dem im allgemeinen Sprachgebrauch nicht vorkommenden Begriff nach dem Verständnis der Zuhörer zugrunde gelegt hatte, was eine Beurteilung als "konkludente" Tatsachenbehauptung ausschließe. Nicht anders verhält es sich hier, wo einem unbefangenen Zuhörer der Debatte über das Museumsprojekt mangels näherer Anhaltspunkte ein über eine bloße Beschimpfung hinausgehender konkreter Bedeutungsinhalt unklar bleiben mußte. Bezeichnenderweise erblickt selbst der Kläger in der Bezeichnung "Nazi" nur pauschal den Vorwurf, die politische Einstellung des Klägers entspreche der eines Nationalsozialisten (S 2 zu ON 3). Entgegen seiner Auffassung ist ein solcher Vorwurf dann, wenn kein weiterer konkreter Sachverhalt behauptet wird, ein unüberprüfbares Werturteil, weil es an jedem Anhaltspunkt fehlt, worin die vorgeworfene verächtliche Gesinnung bestehen sollte. Die Richtigkeit der Äußerung kann nicht überprüft werden. In den vom Revisionswerber für seine gegenteilige Auffassung ins Treffen geführten Entscheidungen war jeweils über beleidigende Äußerungen zu entscheiden, denen nach dem Zusammenhang, in dem sie fielen, ein nachprüfbarer konkreter Sachverhalt zugrunde lag.

Die Vorinstanzen haben zu Recht das Vorliegen einer Tatsachenbehauptung verneint und die Verjährung der nur nach § 1330 Abs 1 ABGB zu beurteilenden Äußerung angenommen. Auch wenn die einjährige Verjährungsfrist nach dem Gesetzeswortlaut nur für Klagen über Ehrenbeleidigungen, die lediglich in Beschimpfungen durch Worte, Schriften oder Gebärden bestehen, gilt (§ 1490 Abs 1 ABGB), ist darunter keine Einschränkung auf die im Sinne des § 115 StGB tatbildlichen Beschimpfungen zu verstehen. Die kurze Verjährungsfrist gilt vielmehr für alle Klagen wegen wörtlicher Ehrenbeleidigungen (Schubert in Rummel ABGB Rz 1 zu § 1490), also für alle nach § 1330 Abs 1 ABGB verfolgbaren Ansprüche. Diese Auslegung ergibt sich schon aus § 1490 Abs 2 ABGB, wonach für die Verbreitung unwahrer Tatsachen, also für rufschädigende Tatsachenverbreitungen nach § 1330 Abs 2 ABGB, die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB gilt, woraus der Schluß zu ziehen ist, daß der Gesetzgeber für sämtliche Ehrenbeleidigungen, die nicht auch gleichzeitig Tatsachenbehauptungen sind, die kürzere Verjährungsfrist anordnen wollte. Die Frage braucht hier aber nicht weiter untersucht werden, weil der Vorwurf "Nazi" im vorliegenden Fall ohnehin auch als Beschimpfung qualifiziert werden kann.

Der Revision des Klägers war nicht stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte