OGH 6Ob271/97i

OGH6Ob271/97i16.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde L*****, vertreten durch Prof. Dr.Alfred Haslinger ua Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Eduard K*****, vertreten durch Dr.Reinhard Santner und Dr.Rainer Santner, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 185.149,70 S (Streitwert im Revisionsverfahren 67.773,60 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17.April 1997, GZ 6 R 37/97x-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 28.November 1996, GZ 1 Cg 394/95x-16, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, daß es einschließlich seines in Rechtskraft erwachsenen Teiles wie folgt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 185.149,70 S samt 4 % Zinsen seit 31.5.1995 zu zahlen und nachstehende Kosten aller drei Instanzen zu ersetzen:

an Verfahrenskosten erster Instanz 48.716,30 S (darin Barauslagen 6.890 S und Umsatzsteuer 6.971,05 S),

an Kosten des Berufungsverfahrens 15.441,44 S (darin Barauslagen 5.300 S und Umsatzsteuer 1.690,24 S) und

an Kosten des Revisionsverfahrens 11.491,04 S (darin Barauslagen 6.620 S und Umsatzsteuer 811,84 S).

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte führte im Auftrag der Klägerin Tischlerarbeiten im Rahmen der Sanierung und Aufstockung einer Schule durch. Als Fertigstellungstermin einer zweiten Bauetappe war die 5.Kalenderwoche 1995 (somit der 5.2.1995) vereinbart. Nach Punkt 9 der dem Auftrag zugrundeliegenden allgemeinen Vertragsbedingungen hat der Auftragnehmer 2,5 %o der Abrechnungssumme laut Anbot (im gegenständlichen Fall sind dies 968,18 S) für jeden Arbeitstag verschuldeter Terminüberschreitung zu zahlen.

Im Zuge einer Nachrechnung fiel dem Beklagten am 13.2.1995 auf, daß er einige Positionen des Offerts irrtümlich zu gering kalkuliert hatte, worauf er eine Erhöhung des Entgelts verlangte, widrigens er vom Auftrag zurücktreten müsse. Der Architekt der Klägerin verweigerte eine Vertragsanpassung und setzte den 3.3.1995 als letzten Termin für die Gesamtlieferung einschließlich Montage. Für den Fall der Nichteinhaltung dieses Termins stellte er gerichtliche Schritte in Aussicht und verwies darauf, daß die vereinbarte Pönaleforderung in jedem Fall aufrecht bleibe.

Der Beklagte führte die seiner Meinung nach im Anbot unterkalkulierten Arbeiten nicht durch, worauf die Klägerin mit Schreiben vom 3.3.1995 mitteilte, sie sehe sich wegen Nichteinhaltung des festgesetzten letzten Liefertermines gezwungen, den Auftrag für diese Arbeiten anderweitig zu vergeben und werde den Beklagten mit den auflaufenden Mehrkosten belasten.

Die von der Klägerin daraufhin mit der Ersatzvornahme beauftragte Firma beendete die Arbeiten am 19.6.1995. Der Klägerin entstanden Differenzkosten zu dem mit dem Beklagten vereinbarten Entgelt von

96.510 S.

Die Klägerin begehrt den Ersatz des genannten Differenzschadens, ein Pönale für die Zeit vom 6.2. bis 19.6.1995 von 87.136,20 S sowie einen frustrierten Aufwand wegen Nichteinhaltung eines Besprechungstermins von 1.503,50 S.

Das Erstgericht sprach den Differenzschaden und die Kosten des nicht eingehaltenen Besprechungstermins zu, erachtete aber das Pönale nur für die Zeit vom 6.2. bis 13.2.1995 als gerechtfertigt. Der Beklagte habe am 13.2.1995 unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, den Vertrag zu den im Anbot vorgesehenen Bedingungen nicht mehr erfüllen zu wollen. Die Klägerin habe daher erkennen müssen, daß eine Nachfristsetzung sinn- und aussichtslos sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Die Pönaleforderung sei bis zum Vertragsrücktritt der Klägerin (somit bis 3.3.1995) berechtigt. Eine für den Fall verspäteter Erfüllung vereinbarte Vertragsstrafe könne auch noch neben der Erfüllung begehrt werden. Der Verspätungsschade entstehe jedoch für jenen Zeitraum, in dem der Schuldner in Verzug sei. Ende der Verzug durch rechtswirksamen Vertragsrücktritt, so trete ab diesem Zeitpunkt der Nichterfüllungsschade an die Stelle des Verspätungsschadens. Die Anerkennung eines Verspätungsschadens neben einem konkret berechneten Nichterfüllungsschaden für den Zeitraum nach Vertragsrücktritt würde zu einer Bereicherung der Klägerin führen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob auch nach Vertragsrücktritt eine für verspätete Erfüllung vereinbarte Vertragsstrafe mit dem Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens kumuliert werden könne, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bestehe.

Gegen die Abweisung des Mehrbegehrens von 67.773,60 S sA richtete sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, sie ist auch berechtigt.

§ 918 Abs 1 ABGB räumt dem vertragstreuen Teil gegenüber dem in Verzug geratenen Vertragspartner das Wahlrecht auf Erfüllung oder Rücktritt vom Vertrag ein. Ist der Verzug verschuldet, treten Schadenersatzansprüche wegen Verspätung bzw wegen Nichterfüllung hinzu. Beide Ansprüche können gemäß § 1336 Abs 1 ABGB durch Vereinbarung einer Konventionalstrafe pauschaliert werden.

Zur Frage der Kumulierung einer für den Fall nicht rechtzeitiger Erfüllung vereinbarter Vertragsstrafe mit einem Schadenersatzanspruch wegen verschuldeter Nichterfüllung hatte der Oberste Gerichtshof zunächst die Auffassung vertreten (HS 6331; 4 Ob 524/78; 6 Ob 517/82), die für die Nichteinhaltung der Erfüllungszeit vereinbarte Vertragsstrafe decke bloß das Interesse an der Rechtzeitigkeit der Erfüllung. Sie setze eine gültige Hauptverbindlichkeit voraus und könne somit nach einem die Hauptvereinbarung beseitigenden Rücktritt vom Vertrag nicht gefordert werden.

In seiner Entscheidung vom 3.10.1985, 7 Ob 632/85 (SZ 58/152 = JBl 1986, 246) ist der Oberste Gerichtshof von dieser Rechtsprechung aus nachstehenden Erwägungen abgegangen:

Eine Vertragsstrafe könne sowohl für den Fall der Nichterfüllung als auch jenen der nichtgehörigen (verspäteten) Erfüllung vereinbart werden, wobei die für den Fall nichtgehöriger Erfüllung vereinbarte Konventionalstrafe neben der Erfüllung begehrt werden könne. Die für den Fall der Verspätung der Leistung vereinbarte Konventionalstrafe gebühre dem vertragstreuen Teil ungeachtet seines (berechtigten) Rücktritts vom Vertrag wenigstens für den Zeitraum zwischen dem Eintritt des Verzuges des Schuldners bis zum Ablauf einer ihm gesetzten angemessenen Nachfrist. Das Argument der früheren Entscheidungen, durch den Rücktritt vom Vertrag sei dieser rückwirkend aufgehoben und damit der nur für den Fall der Verspätung der Leistung vereinbarten Konventionalstrafe der Boden entzogen worden, sei nicht zwingend. Auch Ehrenzweig (System2 II/1, 192) habe zutreffend darauf hingewiesen, daß die Abhängigkeit der Vertragsstrafe-Verpflichtung von einer gültigen Hauptverbindlichkeit den Schadenersatzanspruch für den Fall des Rücktritts unberührt lasse, weil damit die vertragsmäßige Festsetzung des Schadenspauschales nicht aufgehoben werde. Durch die endgültige Nichterfüllung des Vertrages werde der schon vorher eingetretene Verzug nicht aus der Welt geschafft. Ein Nacheinander von Verspätungsschaden und Nichterfüllungsschaden sei gerade dann denkbar, wenn der Gläubiger zunächst auf der Erfüllung besteht und der Schuldner erst später die Leistung endgültig verweigert. Auch sei nicht erkennbar, aus welchem Grunde der Schuldner, der innerhalb der gesetzten Nachfrist nicht erfüllt, in Ansehung der verwirkten Konventionalstrafe besser gestellt werden sollte als jener, der am letzten Tag der Nachfrist erfüllt und die Konventionalstrafe für den ganzen Verspätungszeitraum bezahlen müsse. Die Abhängigkeit der Nebenabrede über die Vertragsstrafe von einem gültig geschlossenen und nicht später ex tunc beseitigten Vertrag schade dem Gläubiger im Fall des Rücktritts nach einem Zeitraum des schuldhaften Verzuges des Schuldners nicht, weil die Konventionalstrafe in der Zwischenzeit des Verzugs bereits verfallen sei und die Vereinbarung der Vertragsstrafe auch nicht nach redlicher Verkehrsübung so verstanden werden könne, daß der Verzug und die Verzugsfolge durch einen späteren berechtigten Rücktritt des Gläubigers beseitigt würden. Auch werde die gesetzliche ex tunc-Wirkung des Rücktritts vom Vertrag nach § 918 ABGB nur relativiert schuldrechtlich verstanden.

Der erkennende Senat teilt diese in der Folge auch von 1 Ob 599/85 (= JBl 1986, 371) und 1 Ob 519/94) vertretene und auch von der Lehre (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 8 zu § 1336; Binder in Schwimann, ABGB2 Rz 15 zu § 921; Beck-Mannagetta, Probleme der Konventionalstrafe ÖJZ 1991, 185 [190]) gebilligte Auffassung.

Gebührt aber dem vertragstreuen Teil die für die Verspätung der Leistung vereinbarte Vertragsstrafe ungeachtet seines (berechtigten) Rücktritts vom Vertrag jedenfalls für den Zeitraum zwischen dem Eintritt des Verzuges bis zum Ablauf einer angemessenen Nachfrist, muß dieser Grundsatz auch für den Zeitraum bis zur Ersatzbeschaffung durch den Gläubiger gelten.

Allerdings kann der durch die vereinbarte Vertragsstrafe pauschalierte Verzögerungsschade nur dann neben Nichterfüllungsschäden begehrt werden, wenn die zu ersetzenden Interessen nicht ident sind. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung (Reischauer aaO Rz 8 zu § 1336 und Rz 22 zu § 918; Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 4 und 8 zu § 1336; SZ 58/152) geht der durch Vertragsstrafe pauschalierte Verspätungsschade im Fall des Vertragsrücktritts in einem Nichterfüllungsschaden nach § 921 ABGB auf und entspricht dem mindesten Schadenersatz für Nichterfüllung. Eine Konkurrenz der für Verzögerungen vereinbarten Vertragsstrafe mit Nichterfüllungsschäden ist somit nur insoweit zulässig, als sich die jeweils zu ersetzenden Interessen nicht decken, wogegen andernfalls der Gläubiger einen durch § 921 ABGB verpönten Gewinn erzielen könnte.

Im selben Sinn vertreten Lehre und Rechtsprechung in Deutschland zu der § 1336 ABGB insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 341 BGB die Auffassung, es komme immer auf die Interessenidentität an, nämlich darauf, welchen Schaden die Vertragsstrafe nach ihrer Zweckbestimmung ersetzen soll und welcher Strafanspruch eben diesen Schaden umfasse. So sei die nach Werktagen bemessene Bau-Vertragsstrafe auf den Verspätungsschaden ausgerichtet, der in dem Verzugszeitraum ausgelöst werde. Deshalb sei die Strafe auf den Mietausfall für die entsprechende Zeit anzurechnen, gleich mit welcher Anspruchsgrundlage dieser Schaden gefordert werde. Komme es zur Vertragsbeendigung - etwa durch Ablauf einer Nachfrist, könne die Vertragsstrafe umgekehrt neben den Mehrkosten für die Fertigstellung durch Ersatzunternehmen als Nichterfüllungsschade gefordert werden (Staudinger, Kommentar zum BGB13 Rz 49 zu § 341; im gleichen Sinn Kohlhammer, Bürgerliches Gesetzbuch Band 2 XII Rz 7 zu § 341).

Im vorliegenden Fall sollte die vereinbarte Vertragsstrafe jene Schäden pauschalieren, die sich aus der verspäteten Leistungserbringung ergeben. Daß die Parteien darin auch Nichterfüllungsschäden wie die nun geltend gemachten Differenzkosten der Ersatzvornahme abgegolten wissen wollten, hat der Beklagte weder behauptet, noch ist dies im Verfahren hervorgekommen. Der Schade, zu dessen Deckung die Vertragsstrafe vereinbart wurde, ist somit mit jenem Schaden, den der Kläger durch die infolge Nichterfüllung nach Rücktritt vom Vertrag erforderliche Ersatzvornahme erleidet, nicht ident. Die zur Abgeltung der Verzögerungsschäden vereinbarte Vertragsstrafe kann somit im vorliegenden Fall neben den Mehrkosten für die Fertigstellung durch den Ersatzunternehmer begehrt werden.

Eine Bereicherung der Klägerin ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes schon deshalb nicht zu befürchten, weil sich die zu ersetzenden Interessen nicht decken.

Der Klägerin ist daher in teilweiser Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes die für Verzögerungen vereinbarte Vertragsstrafe bis zum Zeitpunkt der Ersatzvornahme zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 und 52 Abs 1 ZPO.

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