OGH 6Ob238/22a

OGH6Ob238/22a25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Y*, vertreten durch Dr. Josef Fromhold, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei L*, Schweiz, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen (restlich) 5.907,90 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 23. September 2022, GZ 3 R 119/22d‑39, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am Ziller vom 21. April 2022, GZ 2 C 170/20g‑35, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00238.22A.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz im Zwischenstreit über die internationale Zuständigkeit aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt zuletzt von der in der Schweiz ansässigen Beklagten die Zahlung von 5.907,90 EUR sA. Er habe bei der Beklagten insgesamt den Klagsbetrag in sogenannte Rabattgutscheine investiert. Er habe keine Gutscheine beziehen, sondern nur eine als besonders lukrativ und risikolos beworbene Anlageform nutzen wollen und im Vertrauen auf die Werbeversprechen die Investments erworben. Die versprochenen Gewinne seien jedoch ausgeblieben. Da die Beklagte das Rechtsgeschäft im Rahmen eines verbotenen Schneeballsystems geschlossen habe, sei das Rechtsgeschäft nichtig. Eine Willensübereinstimmung mit der Beklagten über den Vertragsinhalt und das Austauschverhältnis sei nicht zu Stande gekommen, sodass infolge eines Dissenses gar kein Vertrag zwischen den Streitteilen bestehe. Das angerufene Gericht sei im Hinblick auf den Wohnsitz des Klägers als Verbraucher nach Art 16 Abs 1 LGVÜ örtlich und international zuständig. Darüber hinaus habe die Beklagte auch eine (Haupt‑)Niederlassung in Österreich, sodass sich die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte auch aus Art 5 Z 5 LGVÜ ergebe.

[2] Die Beklagte wendet – soweit hier relevant – ein, ihr (näher dargestelltes) Geschäftsmodell sei legal, der Kläger sei gegenüber der Beklagten ausschließlich als Unternehmer aufgetreten. Nach den vom Kläger akzeptierten Geschäftsbedingungen der Beklagten sei als ausschließlicher Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten der Ort ihres Sitzes in der Schweiz vereinbart worden. Das angerufene Gericht sei daher örtlich und international nicht zuständig. Die Hauptverwaltung der Beklagten befinde sich in der Schweiz, sie habe auch keine sonstigen Niederlassungen in Österreich.

[3] Mit dem im nunmehr dritten Rechtsgang ergangenen Beschluss sprachdas Erstgericht seine internationale Unzuständigkeit aus und wies deshalb das (restliche) Klagebegehren zurück. Es traf Feststellungen zum Geschäftsmodell der Beklagten und den Handlungen des Klägers. Es konnte nicht feststellen, wo sich der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung der Beklagten befinde und ob in Österreich eine Zweigniederlassung der Beklagten bestehe. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es stehe aufgrund der vorangegangenen Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts im zweiten Rechtsgang bereits bindend rechtskräftig fest, dass kein Verbrauchergerichtsstand gegeben sei. Die von der Beklagten ins Treffen geführte Gerichtsstandsvereinbarung sei wirksam vereinbart worden. Selbst wenn eine solche nicht vorläge, wäre für den Kläger nichts gewonnen, weil ihm der Beweis einer Haupt‑ oder Zweigniederlassung der Beklagten in Österreich nicht gelungen sei und dann der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten in der Schweiz gälte.

[4] Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Das Erstgericht sei gemäß § 499 Abs 2 ZPO an die im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im zweiten Rechtsgang vertretene Rechtsansicht, der Kläger sei kein Verbraucher und könne daher den Verbrauchergerichtsstand nicht in Anspruch nehmen, gebunden. Diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei allein aufgrund von sieben vom Rekurswerber zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, die überdies eben nicht auf gleichen Sachverhalten basierten, nicht überholt; eine einheitliche, gefestigte Rechtsprechung liege nicht vor. Auch das Rekursgericht (im dritten Rechtsgang) sei an die Rechtsansicht des Berufungsgerichts (im zweiten Rechtsgang) gebunden und erachte diese im Übrigen als zutreffend. Ausgehend vom Nichtvorliegen des Verbrauchergerichtsstands sowie von der Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung habe sich das Erstgericht zutreffend für international unzuständig erklärt.

[5] Das Rekursgericht ließ nachträglich den Revisionsrekurs zu. Der Kläger zitiere neben anderen (die Zuständigkeit österreichischer Gerichte für gegen dieselbe Beklagte gerichtete Klagen aufgrund der dort angenommenen Verbrauchereigenschaft der Kläger bejahenden) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs auch dessen Beschluss vom 25. 1. 2022, 4 Ob 5/22x, der erst nach der Entscheidung des Berufungsgerichts im zweiten Rechtsgang ergangen sei. Der Rechtsfrage, ob eine Judikaturänderung zur Durchbrechung abschließend erledigter Streitpunkte führe, vergleichbar mit dem Fall, dass nach der Überbindung einer Rechtsansicht eine Änderung der Tatsachengrundlagen eintrete, komme eine über den gegenständlichen Rechtsfall hinausgehende Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil das Rekursgericht von (mittlerweile ergangener) höchstgerichtlicher Judikatur abgewichen ist; er ist im Sinne der Verwerfung der Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit auch berechtigt.

[7] Das Rechtsmittel zeigt zutreffend auf, dass bereits sechs Senate des Obersten Gerichtshofs in acht Entscheidungen (in chronologischer Folge: 8 Ob 71/21f; 5 Ob 223/21m; 4 Ob 179/21h; 6 Ob 146/21w; 6 Ob 119/21x; 4 Ob 5/22x; 3 Ob 24/22h; 10 Ob 23/21m) in gegen dieselbe Beklagte wie hier gerichteten Fällen mit vergleichbarem Sachverhalt, wie er hier vom Kläger vorgetragen wurde, die Verbrauchereigenschaft der jeweiligen Kläger und somit auch den (inländischen) Verbrauchergerichtsstand bejaht haben. Auf diese Entscheidungen und ihre Gründe kann daher verwiesen werden.

[8] Es war somit dem Revisionsrekurs Folge zu geben, die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit zu verwerfen und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[9] Die Kostenentscheidung für das Revisionsrekursverfahren gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Im Übrigen wird auf die jüngere Judikatur verwiesen, wonach in komplexen Verfahren die Kostenentscheidung auch der ersten Instanz aufgetragen werden kann (RS0124588 [T13]). Hier liegen derartige komplexe Verhältnisse vor: Das Verfahren befindet sich im dritten Rechtsgang, der Streitwert hat sich infolge Erledigung eines Teils im ersten Rechtsgang geändert, in jedem Rechtsgang wurden vor der erstinstanzlichen Entscheidung Einwendungen erhoben, die Kosten des Zwischenstreits sind von den übrigen Verfahrenskosten abzusondern.

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