OGH 6Ob236/05g

OGH6Ob236/05g15.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Ablehnungssache der Antragsteller M*****-Aktiengesellschaft und ihres Vorstandsmitglieds Manfred D*****, beide vertreten durch Weh Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Bregenz, wegen Ablehnung eines Richters des Oberlandesgerichts Wien, über den Rekurs der Gesellschaft und ihres Vorstandsmitglieds gegen den Beschluss des Ablehnungssenats des Oberlandesgerichts Wien vom 3. August 2005, GZ 13 Nc 22/05t-3, womit der Ablehnungsantrag zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Firmenbuchgericht hatte mit Beschluss vom 3. 2. 2005 über das Vorstandsmitglied wegen Nichtoffenlegung des Konzernabschlusses der Gesellschaft zum 28. 2. 1997 eine Zwangsstrafe von 2.000 EUR verhängt. Dagegen erhobenen die Gesellschaft und ihr Vorstandsmitglied Rekurs. Das Rekursgericht wies den Rekurs der Gesellschaft mit seinem Beschluss vom 31. Mai 2005, 4 R 50/05k, mangels Rekurslegitimation zurück und stützte seine Rechtsansicht u. a. auf die in einem Artikel von G. Kodek und G. Nowotny vertretenen Ansichten (zur Parteistellung der Gesellschaft im Zwangsstrafenverfahren, NZ 2004, 165). Dem Rekurs des Vorstandsmitglieds wurde nicht Folge gegeben.

In dem gegen diese Entscheidung von der Gesellschaft und ihrem Vorstandsmitglied erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs wurde u. a. die Befangenheit eines an der Entscheidung des Rekursgerichts mitwirkenden Richters für den Fall geltend gemacht, dass dieser mit dem namensgleichen Mitverfasser des Artikels identisch sein sollte. Letzteres trifft zu. Nach der ständigen Rechtsprechung zweier ausländischer Höchstgerichte sei ein Richter befangen, wenn er eine Rechtsansicht zu einer zentralen Frage eines Verfahrens veröffentlicht habe, weil Lehre und Rechtsprechung zu trennen seien und sich der Richter durch die Veröffentlichung bereits vorab auf eine Meinung festgelegt habe, weshalb er bei der Entscheidungsfindung nicht mehr den Anschein der Unbefangenheit vermittle. Der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Wien wies den Ablehnungsantrag zurück. Dass der abgelehnte Richter eine von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweichende Rechtsmeinung vertrete und diese auch veröffentlicht habe, sei kein Grund, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Er habe auch nicht zu erkennen gegeben, dass er seine Rechtsmeinung nicht überprüfen und gegebenenfalls ändern werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Ablehnungswerber ist nicht berechtigt. Die Rechtsmittelwerber betonen, dass sie dem abgelehnten Richter nicht vorwerfen, subjektiv voreingenommen zu sein. Es lägen aber Umstände vor, die objektiv berechtigte Zweifel an seiner Unbefangenheit begründen. Der Ablehnungssenat habe es unterlassen, im Rahmen des zu fordernden „objectiv test" die Wirkung des richterlichen Verhaltens auf die rechtstreue Allgemeinheit zu untersuchen. Es rechtfertige die Ablehnung, wenn sich das Rekursgericht lapidar den Argumenten von G. Kodek und G. Nowotny anschließe. Dadurch entstehe objektiv der Eindruck, dass es dem abgelehnten Richter an der nötigen Distanz und Unbefangenheit fehle und es ihm darum gehe, seine im Schrifttum vertretene (und angesichts der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, des Obersten Gerichtshofs wie auch der Rechtsprechung in Deutschland unvertretbare) Auffassung auch durchzusetzen.

Nach § 19 JN kann ein Richter in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Bei einer nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Prüfung (objectiv test) ist entscheidend, ob feststellbare Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründen, wobei - wenn dies der Fall ist - der Anschein ausreichen kann (Miehsler/Vogler in Karl, Internationaler Kommentar zu europäischen Menschenrechtskonvention Art 6 Rz 301 und 302; 6 Ob 89/05i, 6 Ob 112/05x ua mwN). Entscheidend ist, ob diese Befürchtung als objektiv gerechtfertigt anzusehen ist. Im vorliegenden Fall ergeben sich auch bei objektiver Prüfung keine Umstände, die den Anschein einer Voreingenommenheit erwecken könnten. Dass ein Richter eine Rechtsmeinung vertritt (mag sie auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgelehnt werden), begründet für sich allein ebensowenig den Anschein einer Befangenheit wie die Veröffentlichung einer bestimmten Rechtsmeinung in Form einer wissenschaftlichen Abhandlung (6 Ob 89/05i, 6 Ob 112/05x ua mwN). Sinn und Zweck der Ablehnung wegen Besorgnis einer Befangenheit ist nämlich nicht die Abwehr einer unrichtigen Rechtsauffassung des Richters. Die Unrichtigkeit seiner Entscheidung (die Rechtsmittelweber meinen sie sei unvertretbar) ist vielmehr durch die Rechtsmittelinstanzen zu überprüfen und keine Angelegenheit des Ablehnungsverfahrens. Schwerwiegende Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze bei der Entscheidungsfindung, die die Objektivität mit Grund bezweifeln ließen (6 Ob 89/05i, 6 Ob 112/05x ua; 4 Ob 36/89) sind hier nicht zu erkennen und werden von den Rechtsmittelwerbern auch nicht geltend gemacht. Die Entscheidungsbegründung, wonach sich das Rekursgericht den - zuvor ausführlich wiedergegebenen - Argumenten von G. Kodek und G. Nowotny anschließe, lässt zwar erkennen, dass der Verfasser seine veröffentlichte Meinung vollinhaltlich aufrecht hält, entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerbern entsteht dadurch aber nicht der Eindruck, dem abgelehnten Richter gehe es vorrangig um die Durchsetzung seiner im Schrifttum vertretenen Auffassung und es fehle ihm die nötige Distanz und Unbefangenheit. Dass Richter sich auch literarisch betätigen, ist durchaus üblich (vgl § 63 Abs 2 RdG) und der Öffentlichkeit bekannt. Weder die Veröffentlichung selbst noch auch eine Bezugnahme darauf geben für sich allein begründeten Anlass für die Befürchtung einer Voreingenommenheit, solange nicht weitere Umstände vorliegen, denen entnommen werden könnte, dass der Verfasser nicht bereit wäre, gegebenenfalls seine Meinung neuerlich zu überprüfen und ihr entgegenstehendes Vorbringen der Verfahrensbeteiligten unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Umstände, die einen derartigen Anschein erwecken könnten, liegen hier nicht vor.

Dass der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Wien den Rechtsmittelwerbern keine Gelegenheit gegeben hat, zur Äußerung des abgelehnten Richters Stellung zu nehmen, verwirklicht hier keinen relevanten Verfahrensmangel, weil sie ihren Standpunkt sowohl im Ablehnungsantrag als auch in ihrem Rechtsmittel ausreichend dargelegt haben und sich aus der Äußerung des Richters keine neuen Gesichtspunkte ergaben.

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