OGH 6Ob2191/96s

OGH6Ob2191/96s30.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Anna Karina W*****, in Obsorge der Mutter Dokmai K*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters, Peter W*****, vertreten durch Dr.Stefan Bruckschwaiger, Rechtsanwalt in Wien, sowie außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter, vertreten durch Dr.Erich Haase, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 26. März 1996, GZ 43 R 142/96t-68, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 15.November 1995, GZ 19 P 55/91-60, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs des Vaters wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs der Mutter wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Auf gemeinsamen Antrag der unehelichen Eltern Peter W***** und Dokmai K***** wird verfügt, daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind Anna Karina W***** zukommt."

Text

Begründung

Der uneheliche Vater des nunmehr sechsjährigen, in Thailand geborenen Kindes hat die Vaterschaft am 15.6.1992 anerkannt. Das Kind ist seit 1991 österreichische Staatsangehörige, seine Mutter besitzt die Staatsangehörigkeit von Thailand. Der Vater ist Österreicher. Er beantragte am 7.3.1991, ihm die alleinige Obsorge für das Kind zu übertragen. Dieser Antrag wurde vom Erstgericht am 2.9.1991 abgewiesen, weil damals noch keine Vaterschaftsfeststellung vorlag (ON 8). Am 8.2.1993 beantragte der Vater eine gerichtliche Verfügung dahin, daß ihm gemeinsam mit der Mutter die elterlichen Rechte und Pflichten übertragen werden (ON 17). Die Mutter stimmte am 12.10.1993 dem Antrag des Vaters zu (S 3 zu ON 32). Der Jugendwohlfahrtsträger sprach sich zunächst gegen den Antrag aus (ON 21). Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab (ON 35). Dieser Beschluß wurde wegen Befangenheit des Erstrichters als nichtig aufgehoben (ON 41). Am 5.10.1994 stimmte die Mutter der Festsetzung einer gemeinsamen Obsorge der Kindeseltern für das Kind neuerlich zu (S 1 zu ON 51). Der Jugendwohlfahrtsträger befürwortete am 15.5.1995 die gemeinsame Obsorge der Eltern (ON 58).

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters neuerlich ab. Es stellte über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch fest:

Der Vater des Kindes sei seit 1980 verheiratet und lebe seit Jänner 1991 mit seiner Ehefrau, der Minderjährigen und deren Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Um die Minderjährige kümmere sich hauptsächlich die Mutter, es bestehe aber auch ein sehr gutes Vater-Kind-Verhältnis. Die Minderjährige habe auch zur Gattin des Vaters ein gutes Verhältnis. Der Vater unterhalte sowohl mit seiner Gattin als auch mit der Mutter des Kindes sexuelle Beziehungen. Der gemeinsame Haushalt befinde sich in einer rund 130 m2 großen Eigentumswohnung. Es sei eine Zusammenlegung mit der Nachbarwohnung geplant. Die Mutter bewohne mit dem Kind ein eigenes Kabinett; nach der Wohnungszusammenlegung sei geplant, daß die Minderjährige ein eigenes Zimmer erhalte. Die Mutter sei formell im Betrieb des Vaters als Dolmetscherin angestellt und erhalte hiefür monatlich 6.500 S. Der Vater lebe mit beiden Frauen in umfassender Lebens-, Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß bei der Entscheidung nach § 167 ABG über die gemeinsame Obsorge das Kindeswohl zu beachten sei. Aufgrund der Lebensführung des Vaters sei dieser nicht geeignet, die Obsorge gemeinsam mit der Mutter auszuüben. Das Zusammenleben (mit zwei Frauen) sei aus der Sicht des Kindes problematisch. Infolge der vorliegenden Konfliktsituation einer praktizierten Lebensgemeinschaft des Vaters mit zwei Frauen in derselben Wohnung sei die Gefahr einer nachteiligen Entwicklung des Kindes gegeben.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es führte aus, daß kein gemeinsamer Antrag der Eltern vorliege. Die Mutter habe sich lediglich mit dem Antrag des Vaters einverstanden erklärt. Zustimmungserklärungen seien einem formellen Antrag nicht gleichzusetzen. Die faktischen Lebensverhältnisse der Eltern seien dadurch gekennzeichnet, daß der Vater eine Lebensform mit zwei Frauen praktiziere. Das Rekursgericht teile die Bedenken des Erstgerichtes wegen der bestehenden Konfliktsituation. Schon wegen des Vorliegens zweier Wohnungen sei das Kriterium des Lebens in dauernder häuslicher Gemeinschaft im Sinne des § 167 Satz 1 ABGB nicht erfüllt. Das Gesetz stelle darauf ab, daß die Eltern des Kindes "allein" mit dem Kind zusammenwohnten, also eine typische Familiensituation bestehe. § 167 ABGB ermögliche es den Eltern eines außerehelichen Kindes, die Obsorge unter den Rahmenbedingungen, wie sie bei ehelichen Kindern gegeben seien, auszuüben. Dazu müsse eine umfassende Lebensgemeinschaft der Eltern wie bei Eheleuten gefordert werden. Dies sei bei einer gleichzeitigen Lebensgemeinschaft mit einem anderen Partner aber ausgeschlossen. Der Rechtsordnung sei die Wertung zuentnehmen, daß eine gleichzeitig ausgeübte volle Lebensgemeinschaft mit verschiedenen Partnern ablehnend beurteilt werde. Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.

Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung dahin, daß seinem Antrag auf Festsetzung einer gemeinsamen Obsorge der Eltern stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 10.10.1996 den Akt dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, die Rekursentscheidung auch der Mutter des Kindes mit einer Rechtsmittelbelehrung zuzustellen, weil auch der Mutter die Beteiligtenstellung und damit eine Rekurslegitimation zukommt. Die Zustimmung der Mutter zur beantragten gemeinsamen Obsorge muß auch noch im Rechtsmittelverfahren vorliegen (ON 74). Die Rekursentscheidung wurde der Mutter am 27.11.1996 durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt zugestellt. Innerhalb der 14tägigen Rekursfrist brachte auch die Mutter einen außerordentlichen Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung ein, daß den unehelichen Eltern die gemeinsame Obsorge eingeräumt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist verspätet.

Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wurde dem Vater am 7.6.1996 zugestellt. Sein Revisionsrekurs wurde am 5.7.1996, somit außerhalb der 14tägigen Rekursfrist des § 11 Abs 1 AußStrG zur Post gegeben. Da sich die angefochtene Verfügung nicht ohne Nachteil eines Dritten (des Kindes) abändern ließe, kann auf den verspäteten Revisionsrekurs des Vaters nicht meritorisch eingegangen werden (Abs 2 leg cit).

(Der Revisionsrekurs der Mutter ist rechtzeitig, zulässig und berechtigt.)

Die Wirkungen der Unehelichkeit eines Kindes sind nach dessen Personalstatut zu beurteilen (§ 25 Abs 2 IPRG). Unter "Wirkungen" ist das gesamte Rechtsverhältnis zwischen dem unehelichen Kind und seinen Eltern zu verstehen (Schwimann in Rummel, ABGB2 Rz 6 zu § 25 IPRG mwN). Infolge der österreichischen Staatsangehörigkeit des Kindes ist auf die vorliegende Obsorgeentscheidung österreichisches Recht anzuwenden (§ 9 Abs 1 IPRG).

Ungeachtet der ausländischen Staatsangehörigkeit der Mutter des Kindes sind die internationale Zuständigkeit des österreichischen Gerichtes und die Anwendung österreichischen Rechts im Hinblick auf die österreichische Staatsangehörigkeit des Kindes und seinen Aufenthalt in Österreich auch nach den Bestimmungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens BGBl 1975/446 (MSÜ) zu bejahen (Art 1 und 2 MSÜ; JBl 1981, 434). Das Aufenthaltsrecht und das Heimatrecht des Kindes (für letzteres ist die Staatsbürgerschaft entscheidend) sind hier identisch. Probleme aufgrund gesetzlicher Obsorgeregelungen nach dem Heimatrecht, die von der Aufenthaltsbehörde gemäß Art 3 MSÜ anzuerkennen wären, können daher hier nicht auftreten.

Nach § 167 ABGB hat das Gericht auf gemeinsamen Antrag der Eltern zu verfügen, daß ihnen beiden die Obsorge für das (uneheliche) Kind zukommt, wenn die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist.

Die Rechtsmeinung des Rekursgerichtes, daß es an einem gemeinsamen Antrag fehle und schon deshalb der Antrag abzuweisen wäre, kann nicht geteilt werden. Die im Verfahren erster Instanz erklärte Zustimmung der unehelichen Mutter zur beantragten Obsorgeentscheidung steht fest. Eine solche Zustimmung zu einem schon gestellten Antrag ist einem gemeinsamen (zeitgleich) gestellten Antrag gleichzuhalten, weil damit dem Gesetzeswillen, nämlich der einvernehmlichen Vorgangsweise der Eltern, ebenso entsprochen wird. Auch in der Lehre wird eine (nachträgliche) Zustimmung zum Antrag als ausreichend erachtet (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 167 und Rz 3 zu § 55a EheG mwN). Dem Gesetz kann nicht einmal nach der grammatikalischen Auslegung entnommen werden, daß unter einem gemeinsamen Antrag nur ein gemeinsam eingebrachter Antrag beider Elternteile zu verstehen wäre. Nach dem Zweck der Regelung kommt es nur auf das Einverständnis beider Elternteile an, das allerdings auch noch im Rechtsmittelverfahren vorhanden sein muß. Daß die Mutter mit der Übertragung der gemeinsamen Obsorge an den Vater nach wie vor einverstanden ist, ergibt sich eindeutig aus ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, in dem sie diese Übertragung ausdrücklich begehrt.

Der Gesetzgeber will grundsätzlich eine Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen Kindern. Gemäß § 166 ABGB kommt die Obsorge für das uneheliche Kind der Mutter allein zu. Im übrigen gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, die das eheliche Kind betreffenden Bestimmungen über den Unterhalt und die Obsorge auch für das uneheliche Kind. Auch mit der Bestimmung des § 167 ABGB soll eine Gleichstellung erreicht werden. Bei Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft der außerehelichen Eltern mit dem Kind soll diesen die gemeinsame Obsorge zukommen, wie dies bei aufrechter ehelicher Gemeinschaft der Fall ist (§ 144 ABGB). Die Angleichung der Rechtsstellung unehelicher Eltern an die ehelicher Eltern setzt allerdings das Vorliegen vergleichbarer Verhältnisse voraus (RV 1972 BlgNR 17.GP). Diese Voraussetzung liegt hier trotz der als außergewöhnlich zu bezeichnenden besonderen Familiensituation vor. Der Umstand, daß der Vater nicht nur mit dem Kind und der unehelichen Mutter, sondern gleichzeitig auch mit seiner Ehefrau in einer umfassenden Lebensgemeinschaft lebt, ändert noch nichts daran, daß jedenfalls auch die im § 167 ABGB geforderte uneheliche häusliche Gemeinschaft vorliegt und daß diese einer ehelichen häuslichen Gemeinschaft vergleichbar ist.

Unter "dauernder häuslicher Gemeinschaft", die zwischen Eltern und Kind bestehen muß, ist ein häusliches Zusammenleben im Sinne einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, das nach dem erkennbaren Willen der Eltern auf Dauer angelegt ist (Schwimann, ABGB Rz 3 zu § 167). Auch bei einer ehelichen häuslichen Gemeinschaft sind besondere Verhältnisse möglich, die den Pflichten der Eheleute zueinander (§ 90 ABGB) nicht entsprechen (etwa die sogenannte "Papierehe"), ohne daß dies auf die Obsorge der Kinder von Einfluß wäre. Selbst bei einem anhängigen Scheidungsstreit wären die Voraussetzungen für die Zuteilung der Elternrechte an einen Elternteil nicht gegeben, wenn die Eltern noch im gemeinsamen Haushalt leben (EFSlg 54.063). Das Gesetz stellt bei der Obsorge nur auf die häusliche Gemeinschaft im aufgezeigten Sinne ab.

§ 167 ABGB normiert für die gemeinsame Obsorge neben der häuslichen Gemeinschaft auch noch, daß die Obsorgeentscheidung für das Kind nicht nachteilig sein darf. Grundsätzlich ist der gemeinsamen Obsorge der Vorzug zu geben, weil dies der Absicht des Gesetzgebers entspricht, die Rechtsstellung der unehelichen Kinder derjenigen der ehelichen Kinder gleichzustellen. Die vom Rekursgericht gegen die Lebensgestaltung der Eltern geäußerten Bedenken sind zwar durchaus nachvollziehbar, mit der Obsorgeentscheidung kann jedoch auf diese Lebensgestaltung nicht Einfluß genommen werden. Die vorliegende besondere Familiensituation ist unabhängig davon, ob die Obsorge der Mutter alleine zukommt oder ob die gemeinsame Obsorge der unehelichen Eltern verfügt wird. Es ist kein Grund ersichtlich, daß die beantragte gemeinsame Obsorge für das Wohl des Kindes nachteilig wäre. Dem gemeinsamen Antrag der Eltern, dem auch der zuständige Jugendwohlfahrtsträger zugestimmt hat, ist daher stattzugeben.

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