OGH 6Ob21/88

OGH6Ob21/886.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Bauer und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Juliane F***, im Haushalt, Häselgehr 161, vertreten durch Dr. Dieter Außerladscheider, Rechtsanwalt in Reutte, wider die beklagten Parteien 1.) Karl K***, Holzschnitzer, Elbingenalp, Untergiblen 11,

  1. 2.) Anna C***, im Haushalt, Elbingenalp, Untergiblen 11, und
  2. 3.) Maria S***, im Haushalt, Elmen 67, alle vertreten durch Dr. Eckart Söllner, Rechtsanwalt in Innsbruck wegen Feststellung (Streitwert S 305.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 15. Juni 1988, GZ 3 R 169/88-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. März 1988, GZ 8 Cg 198/87-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil sowie das Urteil erster Instanz werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des zu ergänzenden Verfahrens.

Text

Begründung

Der im Jahre 1948 verstorbene Großvater der Streitteile war Eigentümer eines Tiroler geschlossenen Hofes sowie einiger walzender Güter. Er war außer von seiner Ehefrau von sieben Kindern überlebt worden, vier Töchtern und drei Söhnen. Die Klägerin ist die Tochter der jüngsten Tochter des Erblassers, die Beklagten sind Kinder dessen zweitältesten Sohnes. In einer im August 1947 eigenhändig errichteten letztwilligen Verfügung hatte der Großvater der Streitteile seinen jüngsten Sohn Erich zum Hofübernehmer bestimmt und dabei folgendes angeordnet: "Sollte mein Sohn Erich ohne Leibeserben bleiben, dann soll nach seinem Tode das Anwesen ... wider (zu ergänzen: "in") die ...ische Verwandtschaftslinie zurückfallen."

In einem maschinschriftlich errichteten Drei-Zeugen-Testament vom 22. August 1948 hatte der Großvater der Streitteile ausdrücklich folgende Erbseinsetzungen vorgenommen:

"Ich setze als meinen Erben meinen Sohn Erich ein. Ihm bestimme ich für den Fall, daß er keine ehelichen Kinder haben sollte, meinen Sohn Hugo und diesem für den gleichen Fall meinen Sohn Max als Nacherben."

Der Nachlaß nach dem am 22. Dezember 1948 im 77. Lebensjahr verstorbenen Großvater der Streitteile wurde dessen jüngsten Sohn, dem am 20. März 1912 geborenen Erich, mit der Beschränkung durch die fideikommissarische Substitution zugunsten seiner beiden älteren Brüder Hugo und Max eingeantwortet.

Max, der älteste Bruder des Vorerben, starb im Jahre 1975. Der zunächst als Nacherbe eingesetzte Hugo starb am 4. Februar 1980. Mangels letztwilliger Anordnung trat nach ihm die gesetzliche Erbfolge ein; nach dieser waren seine drei Kinder, die nunmehrigen Beklagten, und seine Witwe zu Erben berufen. Die Witwe, der Sohn und die jüngste Tochter entschlugen sich der Erbschaft, der ältesten Tochter, der nunmehrigen Zweitbeklagten, wurde der Nachlaß nach ihrem Vater aufgrund des Gesetzes zur Gänze eingeantwortet. Erich, der als Vorerbe eingesetzte Onkel der Streitteile, ist am 23. Oktober 1985 kinderlos gestorben.

Er hatte die Klägerin, eine Tochter seiner jüngsten Schwester, letztwillig als Alleinerbin eingesetzt. Der Nachlaß wurde ihr auch mit Einantwortungsurkunde vom 9. März 1987 zur Gänze eingeantwortet. Nach dem Ableben des Vorerben ohne Hinterlassung ehelicher Kinder leitete das Abhandlungsgericht die Substitutionsabhandlung nach dem Großvater der Streitteile ein. Die drei Beklagten gaben als Kinder und gesetzlich berufene Erben nach dem 1980 gestorbenen Nacherben Hugo zu je einem Drittel des Substitutionsnachlasses die bedingte Erbserklärung ab. Sie stützten sich dabei auf einen Übergang der Nacherbenberufung im Sinne des § 615 Abs 2 ABGB. Die Klägerin vertrat dagegen als Alleinerbin des Vorerben den Standpunkt, daß die Nacherbschaft im Sinne des § 703 ABGB erloschen wäre, weil die Nacherbeneinsetzung durch das Ableben des Vorerben ohne eheliche Nachkommenschaft bedingt gewesen sei und der Nacherbe den Eintritt dieser aufschiebenden Bedingung nicht erlebt habe. Nach Ansicht der Klägerin sei das Substitutionsvermögen als frei vererbliches Vermögen in den Nachlaß des Vorerben gefallen. Das Abhandlungsgericht nahm die Erbserklärungen der drei Beklagten und ebenso die als Erbserklärung gewertete Stellungnahme der Klägerin an, ging vom Vorliegen widersprechender Erbserklärungen aus und wies der Klägerin für den darüber zu führenden Rechtsstreit, wem das Erbrecht zum Substitutionsnachlaß zukäme, die Klägerrolle zu. Hierauf stellte die Erbin des Vorerben als Klägerin mit ihrer als "Erbrechtsklage" bezeichneten Klage gegenüber den drei Kindern des Nacherben als Beklagten das Begehren auf urteilsmäßigen Ausspruch, daß der Titel aus der fideikommissarischen Substitution im Testament vom 22. August 1948, aus dem die Beklagten ihren Anspruch auf den Substitutionsnachlaß ableiten, ungültig sei. Eine besondere mit der Anordnung der fideikommissarischen Substitution verfolgte Testierabsicht ihres Großvaters behauptete die Klägerin nicht. Sie leitete ihren Anspruch auf Erlöschen der Substitution aus der Regel des § 703 ABGB ab.

Die Beklagten behaupteten dagegen, ihr Großvater habe mit der Anordnung der fideikommissarischen Substitution die nicht zuletzt aus seiner eigenhändig verfaßten letztwilligen Verfügung vom August 1947 hervorgehenden Absicht verfolgt, der Hof (der als wesentlichster Bestandteil der Verlassenschaft anzusehen sei) sollte in der Familie bleiben. Der Onkel der Streitteile habe als Vorerbe selbst die Meinung vertreten, daß der Hof im Sinne der Substitutionsanordnung seines Vaters an die Beklagten fallen würde. Hinter diesem Willen des Testators habe die Regel des § 703 ABGB zurückzutreten, die im übrigen bei richtiger Auslegung durch § 615 Abs 2 ABGB inhaltlich abgeändert worden sei. Zum Nachweis der von ihnen behaupteten Testierabsicht machten die Beklagten neun Zeugen namhaft.

Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Klagebegehren ab. Es folgerte aus der Substitutionsanordnung im Testament vom 22. August 1948 im Zusammenhang mit den im Testament vom August 1947 gebrauchten Wendungen auf die Absicht des Erblassers, den Hof in der von ihm bestimmten Reihenfolge jenem seiner Söhne (und dessen Nachkommen) zuzuwenden, der eheliche Nachkommenschaft haben werde. Im übrigen schloß sich das Erstgericht der Rechtsansicht an, daß mangels gegenteiliger Anordnung des Erblassers gemäß § 615 Abs 2 ABGB die Berufung der Erben des vorverstorbenen Nacherben eine Besitznachfolge der Erben des Vorerben ausschließe, auch wenn der Vorerbe den im kinderlosen Ableben seines jüngeren Bruders gelegenen Substitutionsfall nicht erlebt habe.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil erster Instanz im Sinne des Klagebegehrens ab. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt.

Das Berufungsgericht wertete die testamentarische Berufung des älteren Sohnes zum Nacherben für den Fall, daß der zum Erben eingesetzte jüngste Sohn keine ehelichen Kinder haben sollte, als eine aufschiebend bedingte Berufung und folgerte aus der Regel des § 703 ABGB, daß die an den Eintritt der aufschiebenden Bedingung geknüpfte Nacherbschaf nicht bloß einem gegenteiligen Anordnungswillen des Erblassers von der Transmissionsregel des § 615 Abs 2 ABGB ausgenommen bliebe, sondern von vornherein der genannten Regelung gar nicht unterliege. Dazu vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß selbst ein erweislich ausgedrückter Wille des Erblassers, der Nacherbe übertrage das Recht aus seiner bedingten Berufung auf seine Erben auch dann, wenn er die Erfüllung der Bedingung nicht erlebe, am Erlöschen der fideikommissarischen Substitution im Sinne des § 703 ABGB nichts zu ändern vermocht hätte. Zur Stützung dieser Auffassung berief sich das Berufungsgericht auf die Lehrmeinung von Weiß in Klang2, III, 450 f, Koziol-Welser, Grundriß7, II, 318 und Welser in Rummel, ABGB, § 615 Rz 6 ff.

Die Beklagten fechten das abändernde Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 bis 4 ZPO mit einem auf Wiederherstellung des klagsabweisenden Urteiles erster Instanz zielenden Abänderungsantrag an.

Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der in der Revision ausdrücklich genannte Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit wurde in keiner Weise ausgeführt.

Die Ausführungen zu den geltend gemachten Verfahrensmängeln stellen der Sache nach eine Rüge von Feststellungsmängeln dar und sind daher im Zusammenhang mit der Rechtsrüge zu erörtern. Die Rechtsrüge ist im Sinne der gerügten Feststellungsmängel stichhältig.

Innerhalb der gesetzlichen Grenzen einer fideikommissarischen Substitution (§ 612 ABGB) ist es dem freien Regelungswillen des Erblassers anheimgestellt, ob er bei einer aufschiebend bedingten Berufung des Substituten diesen die fideikommissarische Berufung auf dessen Erben (oder bestimmte Erben) auch dann übertragen läßt, wenn der Substitut den Eintritt der Bedingung und damit den Substitutionsfall nicht erleben sollte (§ 615 Abs 2 ABGB), oder ob in einem solchen Fall die Substitution hinfällig sein soll (§ 703 ABGB).

Eine diesbezüglich ausdrücklich angeordnete oder doch aus einer wirksamen letztwilligen Erklärung (sei es auch nur im Zusammenhang mit außertestamentarischen Willensbekundungen) eindeutig erschließbare Nachfolgeregelung des Erblassers geht jeder gesetzlichen Zweifelsregelung und daher sowohl § 615 Abs 2 ABGB als auch § 703 ABGB vor.

Die Prozeßbehauptung der Beklagten über einen derartigen Willen des Erblassers ist nicht von vornherein als in sich unschlüssig anzusehen, sie bedarf daher mangels Zugeständnisses der Klägerin einer urteilsmäßigen Feststellung aufgrund eines im Rahmen der angebotenen Beweise abzuführenden Beweisverfahrens. Zur Feststellung der letztwilligen Anordnungsabsicht des Erblassers reicht weder die bloße Urkundenauslegung, mit der sich das Prozeßgericht erster Instanz begnügte, hin, noch ist der berufungsgerichtlichen Ansicht beizutreten, daß auch ein eindeutig feststellbarer, wirksam geäußerter letzter Wille des Erblassers in der aufgezeigten Richtung unbeachtlich wäre. Selbst Weiß in Klang2 III, 681 f bezeichnet § 703 ABGB nur als eine Zweifelsregel. In diesem Sinne sind auch die übrigen vom Berufungsgericht zitierten Lehrmeinungen zu verstehen.

Erst wenn ein eindeutiger Anordnungswille des Erblassers nicht erweisbar sein sollte, kann die gesetzliche Regel des § 703 ABGB (vgl. JBl 1976, 586) zur Anwendung gebracht werden. Der aufgezeigte Feststellungsmangel erheischt eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz. Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der beiden vorinstanzlichen Urteile an das Prozeßgericht erster Instanz rückzuverweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.

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