Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Für die Mutter der am 21. 8. 1997 geborenen minderjährigen Nicole Maria P***** ist eine Sachwalterin bestellt. Gesetzlicher Vertreter des Kindes und allein Obsorgeberechtigter ist die Bezirkshauptmannschaft G***** als Jugendwohlfahrtsträger (§§ 145a und 211 ABGB).
Mit Beschluss vom 17. 9. 1998 entzog das Pflegschaftsgericht den Eltern über Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers die Pflege und Erziehung und genehmigte die Unterbringung des Kindes auf einem Dauerpflegeplatz. Nach Scheidung der Pflegeeltern übertrug der Jugendwohlfahrtsträger die Pflege und Erziehung an die Pflegemutter allein.
Am 20. 6. 2003 teilte der Jugendwohlfahrtsträger mit, das Kind werde in einer Wohngruppe untergebracht. Ein weiterer Verbleib in der Pflegefamilie sei nicht möglich, weil sich das Kind als bindungsunfähig erweise und gegen Pflegemutter und Pflegeschwester aggressiv geworden sei. Die Unterbringung bei einer anderen Pflegefamilie wäre nicht günstig.
Die nunmehrigen Rechtsmittelwerber - sie sind mit der früheren Pflegemutter verwandt bzw verschwägert - begehren mit ihrem als „Antrag auf Ersatz der Zustimmung" bezeichneten Antrag, das Pflegschaftsgericht möge die Zustimmung zur Inpflegenahme des Kindes erteilen. Aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zur früheren Pflegemutter bestehe ein familiärer Bezug, und sie seien bereit, das Kind in Pflege zu nehmen. Dessen ungeachtet habe der Jugendwohlfahrtsträger ihrem entsprechenden Antrag nicht Folge gegeben.
Der vom Erstgericht zur Stellungnahme aufgeforderte Jugendwohlfahrtsträger stimmte einer Übernahme des Kindes in Dauerpflege der Antragsteller mit ausführlicher Begründung nicht zu.
Das Erstgericht wies den Antrag, die Zustimmung zur Inpflegenahme des Kindes zu erteilen bzw zu ersetzen, „zurück- und ab". Mit dem Beschluss des Erstgerichts auf Entziehung der Obsorge (Pflege und Erziehung) und auf Bewilligung der Unterbringung auf einem Dauerpflegeplatz sei die gerichtliche Maßnahme der vollen Erziehung iSd §§ 37 und 39 OÖJWG begründet worden. Den Antragstellern als „Gastfamilie" stehe ein Antragsrecht auf Übernahme des Kindes in ihre Obsorge nicht zu. Der Antrag sei auch inhaltlich nicht berechtigt, weil nach den Stellungnahmen der Jugendwohlfahrt die neuerliche Veränderung des Lebensschwerpunkts das Kind beeinträchtigen könnte.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge und bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Antrag, die Zustimmung zur Inpflegenahme zu ersetzen bzw zu erteilen, zurückgewiesen wurde. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei; das Rekursgericht sei nicht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen, seine Entscheidung stehe mit der herrschenden Meinung und dem Willen des Gesetzgebers zu den KindRÄG 1989 und 2001 in Einklang. Die Antragsteller hätten keinen Antrag auf Übertragung der Obsorge im Sinn des § 186a ABGB gestellt, ihr Antrag beziehe sich lediglich auf das Pflegeverhältnis (Innenverhältnis). Es komme ihnen im gerichtlichen Pflegschaftsverfahren keine Parteistellung und keine Rechtsmittellegitimation zu. § 186 Satz 2 ABGB verschaffe Pflegeeltern in den die Person des Kindes betreffenden Pflegschaftsverfahren zwar ein Antrags- und damit auch ein Rekursrecht, die „Pflegeelternschaft" setze aber die faktische (gänzliche oder partielle) Besorgung von Pflege und Erziehung des Kindes und das Bestehen oder die beabsichtigte Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Kind und seinen Betreuern voraus, die an Intensität dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe komme. Unter Pflegeeltern seien daher nur Personen zu verstehen, die die Pflege und Erziehung des Kindes tatsächlich besorgen, nicht jedoch Personen, die das Kind nur vorübergehend betreuen. Die Parteistellung der Antragsteller scheitere hier schon daran, dass sie keine Pflegeeltern im Sinn dieser Gesetzesbestimmung seien. Derjenige, der einen Minderjährigen in Pflege nehmen wolle, sei nicht am Verfahren beteiligt und damit auch nicht antrags- oder rekursberechtigt. Ihr Antrag sei daher zurückzuweisen. Im Übrigen sei die hier angestrebte Ersetzung der Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Abschluss eines Pflegevertrags im Gesetz nicht vorgesehen. Ersetzbare Rechte seien nur zwischen den Eltern oder zwischen anderen Obsorgeträgern strittige Rechte; das Gericht könne nur die Zustimmung des anderen, nicht handelnden Elternteils ersetzen, nicht aber auch die Handlung des vertretenden Elternteils selbst. So könne auch die mangelnde Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu einem Vertrag grundsätzlich nicht durch das Pflegschaftsgericht ersetzt werden. Das Gericht könne nicht anstelle der Obsorgeberechtigten bzw gesetzlichen Vertreter ein Rechtsgeschäft für das Kind abschließen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragsteller ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage befasst hat, ob der Pflegeelternbegriff des § 186 ABGB idF KindRÄG 2001 die tatsächliche Besorgung von Pflege und Erziehung voraussetzt. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Die Rechtsmittelwerber machen geltend, als potenzielle Pflegeeltern komme ihnen im verwaltungsbehördlichen Verfahren zur Bewilligung der Inpflegenahme eines Kindes gemäß § 23 Abs 2 OÖJWG Parteistellung zu. Der Pflegeelternbegriff des § 186 ABGB sei seit dem KindRÄG 2001 vom Bestand eines (tatsächlichen) Pflegeverhältnisses unabhängig, weil nach dem Willen des Gesetzgebers auch Personen unter den Begriff fielen, die eine Beziehung zum Kind erst herstellen müssten. Sie seien daher als Pflegeeltern iSd § 186 ABGB legitimiert, beim Pflegschaftsgericht einen Antrag nach § 176 Abs 1 ABGB auf Ersetzen der Bewilligung des Jugendwohlfahrtsträgers zu stellen. Das Erstgericht hätte die Voraussetzungen für das Ersetzen der Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers prüfen müssen, gerechtfertigte Gründe für ihre Verweigerung lägen nicht vor.
Der Jugendwohlfahrtsträger hat eine - nach § 71 Abs 2 AußStrG 2005 freigestellte - Rechtsmittelbeantwortung nicht erstattet.
Den Einwänden des Rechtsmittels ist entgegenzuhalten:
Die Kindesmutter ist besachwaltert und damit von der gesetzlichen Vertretung und Vermögensverwaltung ausgeschlossen, gesetzlicher Vertreter des Kindes ist der Jugendwohlfahrtsträger (§§ 145a und 211 ABGB). Das Pflegschaftsgericht hat den Eltern Pflege und Erziehung entzogen und die Unterbringung des Kindes in Dauerpflege genehmigt. Damit wurde die gerichtliche Maßnahme der vollen Erziehung iSd § 28 JWG und der §§ 37 und 39 OÖJWG begründet. Als gesetzlicher Vertreter des Kindes und alleiniger Obsorgeberechtigter entscheidet der Jugendwohlfahrtsträger im Rahmen der vollen Erziehung allein über die Unterbringung des Kindes (§ 15 JWG, § 22 OÖJWG). Er kann auch ein Pflegeverhältnis zu Pflegeeltern begründen, ohne dass es einer gesonderten Bewilligung bedürfte (§ 17 Abs 1 Z 3 JWG). In einem solchen Fall bedarf es auch nicht der Zustimmung des Pflegschaftsgerichts (Haberl in Schwimann, ABGB³ § 186 Rz 6; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 186 Rz 7).
Die Rechtsmittelwerber streben den Abschluss eines Pflegevertrags mit dem Jugendwohlfahrtsträger an. Sie beantragen nicht die Übertragung der Erziehungsrechte (Obsorge) und machen auch nicht geltend, dass das Kindeswohl durch die Vorgangsweise des Jugendwohlfahrtsträgers gefährdet werde. Nach § 16 Abs 3 JWG und § 23 Abs 2 OÖJWG haben Pflegeeltern (Pflegepersonen) neben den Erziehungsberechtigten (das sind die mit Pflege und Erziehung iSd § 146 ABGB betraute Personen) Parteistellung. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Personen, die beim Jugendwohlfahrtsträger den Antrag auf Inpflegenahme (Pflegebewilligung) gestellt haben, auch im Pflegschaftsverfahren vor Gericht antragslegitimiert sind, zumal sich der Pflegeelternbegriff des Jugendwohlfahrtsgesetzes schon seiner Funktion nach nicht mit jenem des § 186 ABGB deckt (Materialien zum KindRÄG 2001, RV 296 BlgNR 21. GP 69). Die Antragslegitimation im Pflegschaftsverfahren vor Gericht setzt nach § 186 ABGB vielmehr voraus, dass die betroffene Person Pflege und Erziehung des Kindes faktisch besorgt (Stabentheiner aaO § 186 Rz 1), und zwischen dieser Person und dem Kind eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern nahekommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Schon die Formulierung des Gesetzes „ganz oder teilweise besorgen" macht deutlich, dass - anders als dies bei der Voraussetzung der Eltern-Kind-Beziehung der Fall ist - eine bloß beabsichtigte Ausübung der Pflege und Erziehung nicht ausreicht, um die Pflegeelternschaft iSd § 186 ABGB und damit eine Parteistellung in dem das Kind betreffenden Pflegschaftsverfahren zu begründen. Die Pflege und Erziehung muss zumindest teilweise - wenn auch nur im Innenverhältnis iSd § 144 ABGB - besorgt werden (zur Abgrenzung des Innenverhältnisses siehe RV 296 BlgNR 21. GP 69; Stabentheiner aaO § 144 Rz 1a; Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, ÖJZ 2001, 530). Die bloß vorübergehende Betreuung anlässlich gelegentlicher Besuche reicht dazu nicht aus (zu den Beispielen vorübergehender Betreuung sieh Stabentheiner aaO § 186 Rz 1).
Als Pflegeeltern iSd § 186 ABGB sind daher nur Personen zu verstehen, die die Pflege und Erziehung des Kindes zumindest im Innenverhältnis des § 144 ABGB schon tatsächlich besorgen, nicht jedoch Personen, die eine Eingliederung in ihren Haushalt und Lebensablauf erst beabsichtigen und zu denen der Kontakt des Kindes bisher nur in gelegentlichen Besuchen besteht. Diese Personen fallen durch die Anknüpfung an die tatsächliche Ausübung der Pflege und Erziehung im Innenverhältnis nicht unter den Begriff Pflegeeltern iSd § 186 ABGB. Sollte die Formulierung Haberls (in Schwimann, ABGB³ § 186 Rz 3) - sie verwendet den Klammerausdruck „zumindest ins Auge gefasste" auch im Zusammenhang mit der tatsächlichen Betreuung des Kindes - so zu verstehen sein, dass sie eine auch nur beabsichtigte Betreuung als ausreichend erachte, kann diese Auffassung nicht geteilt werden. Sie findet weder im Gesetzestext noch in den Materialen des KindRÄG 2001 Deckung.
Die Vorinstanzen sind daher zutreffend von der fehlenden Antragslegitimation potenzieller Pflegeeltern im gerichtlichen Pflegschaftsverfahren ausgegangen und haben den Antrag auf Ersetzen der Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers zur Inpflegenahme dementsprechend zurückgewiesen.
Die Revisionswerber bekämpfen auch die Auffassung des Rekursgerichts, ihr Antrag auf Ersetzen der Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Abschluss eines Pflegevertrags entbehre einer gesetzlichen Grundlage, die rechtsgeschäftliche Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers als gesetzlicher Vertreter zum Abschluss des Pflegevertrags könne durch das Pflegschaftsgericht nicht nach § 176 Abs 1 ABGB ersetzt werden. Auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts wird verwiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG 2005). Pflegschaftsgerichtlich ersetzbare Rechte iSd § 176 ABGB sind - vom Fall des § 146c Abs 2 ABGB abgesehen - grundsätzlich nur die zwischen Eltern oder zwischen anderen Obsorgeberechtigten strittige Rechte (Stabentheiner aaO § 176 Rz 9 mwN; §§ 154, 154a Rz 4). So bedarf etwa die Übergabe des Kindes in fremde Pflege der Zustimmung des anderen Elternteils; sie kann im Fall der Verweigerung nach § 176 Abs 1 dritter Satz ABGB durch das Gericht ersetzt werden. Das Gericht kann daher die Zustimmung des anderen, nicht handelnden Elternteils, nicht aber auch die Handlung des gesetzlichen Vertreters selbst ersetzen (Stabentheiner aaO §§ 154, 154a Rz 16 mwN). Es kann daher einen Pflegschaftsvertrag nicht anstelle des gesetzlichen Vertreters abschließen.
Für ein amtswegiges Einschreiten über Anregung der Antragsteller besteht - entgegen ihrer Auffassung - kein Anlass, weil nicht geltend gemacht wurde (und nach dem Sachverhalt auch nicht anzunehmen ist), dass das Kindeswohl durch die Weigerung des Jugendwohlfahrtsträgers, dem Pflegevertrag zuzustimmen, gefährdet wäre. Eine Änderung der Obsorgeregelung aus Gründen des Kindeswohls streben die Rechtsmittelwerber gleichfalls nicht an. Ihrem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.
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