OGH 6Ob203/04b

OGH6Ob203/04b15.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Erlagssache des Antragstellers DDDr. Franz L*****, gegen die Erlagsgegnerin Verlassenschaft nach Ferdinand N*****, wegen Erlags von 1.445,91 EUR, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Erlegers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Juni 2004, GZ 44 R 292/04y-22, womit über den Rekurs des Erlegers der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Jänner 2004, GZ 5 Nc 71/03p-14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Erlagsantrag nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Der antragstellende Rechtsanwalt vertrat den Erblasser der Verlassenschaft (Erlagsgegnerin) in einem Oppositionsprozess gegen seinen unterhaltsberechtigten Sohn. Der Prozess wurde mit dem Vergleich vom 21. 3. 2000 beendet. Die Parteien erklärten, dass der Unterhaltsanspruch des Oppositionsbeklagten mit 1. 8. 1997 erloschen sei. Der Kläger verpflichtete sich, den Betrag von 20.000 S (1.453,46 EUR), der sich aufgrund vorgängiger Lohnexekutionen bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter angesammelt habe, an den Beklagten zu Handen des Rechtsanwalts des Klägers (Erleger) zu bezahlen. Der Kläger erteilte ferner seine Zustimmung zur Ausfolgung des Betrages durch die Pensionsversicherungsanstalt an den Rechtsanwalt. Dieser erklärte sich bereit, den angeführten Betrag kostenlos als Treuhänder zu verwalten, ausgenommen die Barauslagen, deren Begleichung der Kläger übernehme. Der Beklagte erklärte sich damit einverstanden, dass der genannte Betrag zur Beschaffung einer Wohnung verwendet werde und vom Treuhänder (Erleger) nur mit Zustimmung seiner Bewährungshelferin zu deren Handen auszubezahlen sei. Wenn der genannte Geldbetrag nicht bis zum 21. 9. 2002 widmungsgemäß verwendet werde, falle er an den Kläger zurück. Der Treuhänder habe dann diesen Betrag an den Kläger zu Handen seiner Sachwalterin zu überweisen. Der Oppositionskläger verstarb am 19. 7. 2001. Der zitierte Vergleichsbetrag wurde nicht widmungsgemäß verwendet. Der Antragsteller schlug der Gerichtskommissärin am 28. 10. 2002 vor, seine offene Honorarforderung gegen den Erblasser für dessen Vertretung im Zivilprozess in Höhe von 1.204,96 EUR zuzüglich 20 % Umsatzsteuer mit dem bei ihm erliegenden Geldbetrag von 1.889,30 EUR (Erlag der Pensionsversicherungsanstalt) zu verrechnen. Mit dem weiteren Schreiben vom 5. 11. 2002 erklärte der Erleger unter Hinweis auf § 19 Abs 1 RAO die Aufrechnung seiner Honorarforderung mit dem bei ihm erliegenden Treuhandbetrag. Den Restbetrag von 443,39 EUR habe er auf das Anderkonto der Gerichtskommissärin überwiesen.

Am 21. 2. 2003 beantragte der Antragsteller, den strittigen Betrag von 1.445,91 EUR, den die Verlassenschaft von ihm begehre, als Gerichtserlag anzunehmen. Auch Beträge, die der Rechtsanwalt von einem Dritten als Treuhänder für seine Partei übernommen habe, seien als bei ihm eingegangene Barschaften im Sinne des § 19 Abs 1 RAO anzusehen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Annahme des Gerichtserlags mit der Begründung ab, dass § 19 Abs 1 RAO voraussetze, dass die Geldbeträge von Dritten, also nicht vom Mandanten selbst, dem Rechtsanwalt übergeben worden und dem Mandanten zugedacht seien. An Geldern, die die Partei selbst ihrem Rechtsanwalt übergeben habe, bestehe kein Abzugsrecht nach § 19 Abs 1 RAO und auch kein Recht zum Gerichtserlag gemäß § 19 Abs 3 RAO oder ein gesetzliches Pfandrecht nach § 19 Abs 4 RAO. Im vorliegenden Fall habe der Klient den Betrag seinem damaligen Rechtsanwalt als Treuhänder selbst übergeben. Die Pensionsversicherungsanstalt habe lediglich die "faktische Überweisung" an den Erleger vorgenommen, nicht jedoch als Dritter fungiert.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Es teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, dass für die Bejahung eines Abzugsrechts die Geldbeträge von einem Dritten stammen müssten. Es könne wertungsmäßig keinen Unterschied machen, ob der Mandant ein Bankguthaben behebe bzw sich von einer Bank einen Barkredit auszahlen lasse und anschließend die Bargeldsumme seinem Rechtsanwalt übergebe oder ob der Mandant seiner Bank einen Überweisungsauftrag zur Überweisung an den Rechtsanwalt erteile. Als "Dritter" könne wohl nur eine Gegenpartei angesehen werden, gegenüber welcher der Rechtsanwalt den eigenen Mandanten vertrete. Wenn der Dritte als bloße Zahlstelle bzw Erfüllungsgehilfe des Mandanten fungiere, sei dies einer Zahlung bzw Überweisung durch den Mandanten selbst gleichzuhalten. Die Verpflichtung des ehemaligen Mandanten des Antragstellers, den aufgrund anhängiger Lohnexekutionen bei der Pensionsversicherungsanstalt angesammelten Betrag zu Handen des Erlegers zu bezahlen und seine Zustimmung zur Ausfolgung des Betrages an den Erleger sei einem Überweisungsauftrag an eine Bank gleichzuhalten. Es sei damit von einem vom Mandanten selbst an den Rechtsanwalt gezahlten Geldbetrag auszugehen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die gestellte Rechtsfrage in der Entscheidung 6 Ob 16/02z offengelassen wurde.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Antragsteller die Abänderung dahin, dass der beantragte Gerichtserlag angenommen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 19 Abs 1 RAO normiert, dass der Rechtsanwalt berechtigt ist, von den für seine Partei an ihn eingegangenen Barschaften die Summe seiner Auslagen und seines Verdienstes, insoweit sie durch erhaltene Vorschüsse nicht gedeckt sind, in Abzug zu bringen, dass er jedoch schuldig ist, sich hierüber sogleich mit seiner Partei zu verrechnen. § 1440 zweiter Satz ABGB nimmt (ua) in Verwahrung genommene Sachen vom Zurückbehaltungsrecht und Kompensationsrecht aus.

Das Rekursgericht hat zutreffend die zum Abzugsrecht des Anwalts nach § 19 Abs 1 RAO vertretene herrschende Auffassung wiedergegeben, dass unter dem gesetzlichen Begriff "für seine Partei an ihn eingegangenen Barschaften" nur die Geldbeträge zu verstehen sind, die von einem Dritten, also nicht vom Mandanten selbst, dem Rechtsanwalt übergeben wurden und dem Klienten zugedacht sind, nicht aber Geldbeträge, die der Mandant selbst dem Rechtsanwalt übergibt (Dullinger, Handbuch der Aufrechnung 113; 1 Ob 55/98i = SZ 71/155 = ecolex 1999/97, 260 [Rabl]; 8 Ob 194/01i; 6 Ob 16/02z; 8 Ob 73/02x). Weiters wird die Aufrechnungsbefugnis generell dann abgelehnt, wenn Zahlungen zu einer bestimmten Verwendung geleistet werden (Dullinger aaO; RIS-Justiz RS0110836). Zu fragen ist daher, 1. ob die von der Pensionsversicherungsanstalt dem Rechtsanwalt zur Verfügung gestellten Beträge als Leistung des Klienten oder als Drittleistung zu qualifizieren sind und 2. ob der mit der Treuhandvereinbarung verfolgte Verwendungszweck der Aufrechnungsbefugnis des Rechtsanwalts entgegensteht.

1. Die Zahlung der Pensionsversicherungsanstalt ist als eine von einem Dritten geleistete, beim Rechtsanwalt "eingegangene Barschaft" anzusehen:

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Überweisungsauftrag des Klienten an seine Bank, von seinem Konto an einen Rechtsanwalt einen Geldbetrag zu überweisen, eine Leistung des Mandanten selbst im Sinne der zu § 19 Abs 1 RAO herrschenden Meinung ist, weil die Bank als bloße Zahlstelle im Überweisungsverkehr fungiert. Die hier zu beurteilende, von der Pensionsversicherungsanstalt an den Rechtsanwalt übermittelte "Barschaft" ist schon deshalb als Leistung eines Dritten zu qualifizieren, weil die Pensionsversicherungsanstalt im Exekutionsverfahren die Stellung eines Drittschuldners einnahm und dieser Funktion zur Leistung (wohl nach Übermittlung einer Vergleichsausfertigung durch den antragstellenden Treuhänder) veranlasst wurde. Der Sachverhalt ist nicht mit demjenigen einer zur Zahlung angewiesenen Bank als bloßer Zahlstelle, sondern vielmehr mit demjenigen vergleichbar, wo der Klient eines Rechtsanwalts als Verkäufer den Käufer anweist, den Kaufpreis zu Handen des Rechtsanwalts in seiner Eigenschaft als Treuhänder zu leisten. In einem solchen Fall leistet der Käufer für den Verkäufer und ist im Sinne der zitierten Lehre und Rechtsprechung ein Dritter.

2. Der Zweck der Treuhandvereinbarung spricht nicht gegen ein Zurückbehaltungsrecht bzw eine Aufrechnungsbefugnis des Rechtsanwalts.

Lehre und Rechtsprechung legen zwar den Ausdruck "in Verwahrung genommen" im § 1440 Satz 2 ABGB weit aus. Das Aufrechnungsverbot wird nicht nur angewendet, wenn Sachen aufgrund eines Verwahrungsvertrages iSd §§ 957 ff ABGB übernommen werden, sondern darüber hinaus auf Verträge aller Art, soweit sie ein Verwahrungselement enthalten (Dullinger, Anm zu 2 Ob 518, 519/92, ÖBA 1993, 151, 155). Im Spannungsfeld zwischen den allgemeinen Kompensationsregeln, insbesondere § 1440 zweiter Satz ABGB und § 19 Abs 1 RAO ist aber die Aufrechnungsbefugnis des Rechtsanwalts nur dann abzulehnen, wenn Zahlungen zu einer bestimmten anderen Verwendung als zur Ausfolgung an dessen Klienten geleistet werden (SZ 71/155 mwN). Teilweise wird im Schrifttum für Auftragsverhältnisse und Treuhandverhältnisse sogar die noch weitergehende Auffassung vertreten, dass für diese Rechtsverhältnisse das Zurückbehaltungsrecht grundsätzlich abzulehnen sei (Dullinger in Rummel ABGB³ Rz 15 f zu § 1440 mwN). Auch auf dem Boden der zitierten bisherigen Rechtsprechung, die auf den Zweck der Übergabe des Vermögenswerts an den Rechtsanwalt abstellt und die Aufrechnungsbefugnis nur dann ablehnt, wenn Zahlungen zu einer bestimmten anderen Verwendung als zur Ausfolgung an den Klienten des Rechtsanwalts geleistet werden (RIS-Justiz RS0110836), gelangt man hier zum Ergebnis, dass der Antragsteller zur Zurückbehaltung und Kompensation befugt ist, weil er zwar nach § 16 RL-BA das Geld nicht widmungswidrig verwenden oder zurückbehalten darf, eine Widmung zur unbedingten Rückgabe des Geldbetrages an den Klienten ohne Anrechnung der Kosten und des Verdienstes des Rechtsanwalts anlässlich der im Zuge des Vergleichsabschlusses getroffenen Treuhandvereinbarung aber offenbar nicht erfolgte und die zunächst vorgesehene Auszahlungsverpflichtung an den Prozessgegner infolge Nichteintritts der vereinbarten Bedingung nicht schlagend wurde. Dann hat es aber grundsätzlich dabei zu verbleiben, dass auch Beträge, die der Rechtsanwalt von einem Dritten als Treuhänder für seine Partei übernimmt, und die er aufgrund der Treuhandvereinbarung an seine Partei weiterzuleiten hat, als bei ihm eingegangene Barschaften im Sinne des § 19 Abs 1 RAO zu qualifizieren sind, von denen er seine Kostenforderungen in Abzug bringen darf (2 Ob 518, 519/92 = ÖBA 1993, 151; in der Entscheidung 6 Ob 16/02z hatte die Klientin - anders als hier - als Treugeberin dem Rechtsanwalt das Geld übergeben gehabt, die Barschaft stammte also nicht von einem Dritten).

Zu den Erlagsgründen nach § 19 RAO und § 1425 ABGB:

Die Hinterlegung nach § 19 Abs 3 RAO ist ein Sonderfall des § 1425 ABGB (RIS-Justiz RS0033596) und setzt voraus, dass die Richtigkeit und Höhe der Forderung des Rechtsanwalts vom Mandanten bestritten wird. Diese Voraussetzungen hat der Antragsteller bisher nicht behauptet. Dazu wurden auch keine Feststellungen getroffen. Aus dem vom Erstgericht aus dem Verlassenschaftsakt beigeschafften notariellen Protokoll vom 25. 11. 2002 und dem Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 4. 2. 2003 (83 A 7/02g-34 und 39 des BG Innere Stadt Wien) geht zwar hervor, dass die Verlassenschaft nicht nur das im § 19 Abs 1 RAO normierte Abzugsrecht des Rechtsanwalts aus dem Grund der Unzulässigkeit wegen Vorliegens eines Treuhanderlags, sondern auch den Grund und die Höhe der Forderung des Rechtsanwalts nach dem zwischen diesem und seinem Klienten bestehenden Bevollmächtigungsvertrag bestritten hat und dass das Verlassenschaftsgericht eine Klageführung gegen den Rechtsanwalt bereits genehmigte. Ob der Standpunkt der Verlassenschaft auch im Erlagsverfahren aufrechterhalten wird, steht mangels bisheriger Beteiligung der Antragsgegnerin aber nicht fest. Die Sache ist daher noch nicht spruchreif:

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht der Antragsgegnerin Gelegenheit zur Äußerung zu geben haben. Sollte die Antragsgegnerin den Grund und die Höhe des Anspruchs des Antragstellers nicht weiter bestreiten und sich nur darauf berufen, dass ihr Rechtsvorgänger den Barerlag (bzw die gleichzuhaltende Geldüberweisung) selbst durchgeführt habe, wird der Erlagsantrag abzuweisen sein, weil dann die im § 19 Abs 3 RAO angeführte Voraussetzung der Bestreitung der Ansprüche des Rechtsanwalts nicht vorläge und der Erlagsantrag auch nicht auf § 1425 ABGB gestützt werden könnte. Wohl wird in der Rechtsprechung auch eine unklare Sach- und Rechtslage bei Vorhandensein mehrerer Forderungsprätendenten als Erlagsgrund anerkannt (Reischauer in Rummel ABGB³ Rz 5a zu § 1425 mwN), nicht aber bei Vorhandensein bloß eines Gläubigers. Die Hinterlegung könnte in diesem Fall keine Klarheit in die Zweierbeziehung bringen. Wo dem Schuldner nur ein Gläubiger gegenüber steht, ist die Streitaustragung unvermeidlich (Reischauer aaO Rz 5e). Wenn es - wie hier - um die Klärung einer Rechtsfrage geht und der Schuldner auf dem Standpunkt steht, nichts zu schulden, ist er zur Hinterlegung nach § 1425 ABGB nicht berechtigt, weil mit dieser Gesetzesbestimmung die schuldbefreiende Wirkung der Hinterlegung eines erfüllungsbereiten Schuldners angestrebt wird.

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