European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121481
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.424,96 EUR (darin 404,16 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 2.909,70 EUR (darin 484,95 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin ist im Handelsregister des Kantons St. Gallen als Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht eingetragen. Sie hat ihren Sitz seit dem Jahr 2006 in der Schweiz. Unternehmenszweck der Klägerin ist die Durchführung und Finanzierung von Leasinggeschäften mit Maschinen für die Metallverarbeitung.
Die Beklagte ist die Witwe des am 26. 4. 2012 verstorbenen G* S*. C* S* ist das einzige Kind der Beklagten und des G* S*. C* S* war am 6. 12. 2016 allein zeichnungsberechtigter und alleinvertretungsbefugter Verwaltungsrat der Klägerin. Als solcher war er im Handelsregister des Kantons St. Gallen eingetragen. Das Dienstverhältnis von C* S* zur Klägerin wurde mit Schreiben der Klägerin vom 30. 9. 2016 zum 31. 12. 2016 gekündigt, wobei C* S* im Kündigungsschreiben mitgeteilt wurde, dass er ab sofort keine Spesen (Tanken, Reparaturen, Service, Reisekosten usw) zu Lasten der Klägerin verursachen dürfe. Die Löschung von C* S* als alleinzeichnungsberechtigter und alleinvertretungsbefugter Verwaltungsrat der Klägerin wurde am 10. 1. 2017 im Handelsregister eingetragen. Einziger weiterer alleinzeichnungsberechtigter und alleinvertretungsbefugter Verwaltungsrat der Klägerin war am 6. 12. 2016 Dr. F* M*, der zugleich Präsident des Verwaltungsrats war.
Die Beklagte hat ihren Wohnsitz in Nüziders in Österreich.
Am 6. 12. 2016 schloss C* S* als Vertreter der Klägerin mit der Beklagten eine Vereinbarung ab. Darin veräußerte er eine Reihe von Maschinen im Bereich Aluminiumherstellung. Gleichzeitig war vorgesehen, dass diese Maschinen von zwei im gleichen Gruppenverband agierenden Gesellschaften weiterhin gemietet werden können. Die Vereinbarung sollte Schweizer Recht unterstehen; als Gerichtsstand war „Zürich 1“ vereinbart.
Einzige Gesellschafterin der Klägerin war bei Abschluss der Vereinbarung am 6. 12. 2016 die G* Privatstiftung, die ihren Sitz in B* hat und mit Stiftungserklärung vom 19. 4. 2012 von G* S*, als Erststifter, der Beklagten als Zweitstifterin und C* S* als Drittstifter errichtet worden war.
Die Klägerin begehrt in ihrer Klage die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der oben wiedergegebenen Vereinbarung vom 6. 12. 2016, in eventu deren Aufhebung, sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihr für sämtliche zukünftigen Schäden aus der Geltendmachung von Rechten aus dieser Vereinbarung bzw aus dem auf deren Grundlage ausgestellten Wechsel hafte. C* S* habe am 6. 12. 2016 unter Missbrauch seiner Vertretungsmacht als Vertreter der Klägerin für diese eine Vereinbarung mit der Beklagten abgeschlossen. Diese Vereinbarung sehe die Veräußerung des gesamten Maschinenparks der Klägerin vor, was einer Teilliquidation gleichkomme. Durch die Vereinbarung werde die Klägerin in unvertretbarer Weise benachteiligt. Die Vereinbarung sei ohne Genehmigung und ohne Kenntnis der Generalversammlung, ohne Zustimmung und ohne Kenntnis des Verwaltungsrats und ohne entsprechende Vollmacht des C* S* abgeschlossen worden. Der Missbrauch der Vertretungsmacht, der allen Beteiligten bewusst gewesen sei, bewirke die Rechtsunwirksamkeit der Vereinbarung. Die in der Vereinbarung getroffene absurde Vereinbarung eines Gerichtsstands in Zürich sei ebenso unwirksam wie die Vereinbarung selbst.
Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit. In der Vereinbarung vom 6. 12. 2016 sei für allfällige Streitigkeiten der Gerichtsstand Zürich 1 vereinbart worden. Bei dieser Gerichtsstandsvereinbarung handle es sich um einen prozessrechtlichen Vertrag, der die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts Zürich 1 rechtsverbindlich festlege. Wegen ihrer prozessrechtlichen Natur könne die Gerichtsstandsvereinbarung aus materiell‑rechtlichen Gründen nicht bekämpft und ihre Aufhebung nicht wegen eines behaupteten Willensmangels begehrt werden. Diese teile nicht das Schicksal der materiell‑rechtlichen Hauptvereinbarung und bleibe unabhängig davon bestehen, ob die Hauptvereinbarung bestritten, ihr Bestand überhaupt verneint oder ihre Auflösung begehrt werde.
Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Das Gericht eines Staats, das in einer gemäß Art 17 Abs 1 LGVÜ wirksam getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung als zuständiges Gericht bestimmt sei, sei auch dann ausschließlich zuständig, wenn mit der Klage unter anderem die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags begehrt werde, in dem diese Vereinbarung enthalten sei. Inwiefern C* S* als im Handelsregister eingetragener alleinzeichnungsberechtigter und alleinvertretungsbefugter Verwaltungsrat der Klägerin zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung einer zusätzlichen Zustimmung des Verwaltungsrats, dessen alleinzeichnungsberechtigtes und ‑befugtes Mitglied er sei, oder einer speziellen Vollmacht bedurft hätte, sei nicht ersichtlich. Dass der Vertragserrichter seinen Sitz in der Schweiz habe, demgegenüber jedoch die einzige Gesellschafterin der Klägerin ihren Sitz in Österreich, begründe insbesondere im Hinblick darauf, dass die Klägerin selbst ihren Sitz ebenfalls in der Schweiz habe und die Beklagte demgegenüber in Österreich, keine Unvertretbarkeit der Gerichtsstandsvereinbarung. Aus dem Kündigungsschreiben vom 30. 9. 2016 sei keine Vollmachtsbeschränkung zu entnehmen. Auch die Schreiben vom 5. 5. 2014 und 29. 10. 2015 seien nicht geeignet, die im Handelsregister eingetragene alleinige Zeichnungs‑ und Vertretungsbefugnis des C* S* als Verwaltungsrat wirksam zu beschränken.
Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Prozesseinrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit verwarf und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem herangezogenen Zurückweisungsgrund auftrug. Zwar lasse eine geltend gemachte Nichtigkeit des Hauptvertrags den Rechtsbestand einer darin eingebetteten Gerichts-standsvereinbarung grundsätzlich unberührt. Anderes gelte aber, wenn eine Partei geltend mache, der Vertrag sei nicht gültig, weil es an der erforderlichen Vollmacht fehle. In einem solchen Fall erstrecke sich die Anfechtung auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung. Gehe man von den Klagsangaben aus, so wäre die Gerichtsstandsvereinbarung selbst dann, wenn sie dem Regelungsregime des Art 25 Abs 5 EuGVVO unterliegen würde, unwirksam. Umso mehr gelte dies nach dem LGVÜ 2007, dem eine vergleichbare Bestimmung fremd sei. Im Sinne der Lehre von den „doppelrelevanten Tatsachen“ sei im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts von diesem Vorbringen der Klägerin auszugehen.
Der Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil zur Lehre von den „doppelrelevanten Tatsachen“ Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig. Er ist auch berechtigt.
1.1. Das Rekursgericht hat die Frage der Vollmacht des für die Klägerin einschreitenden Verwaltungsrats als doppelrelevante Tatsache angesehen. Nach diesem Grundsatz sind für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage im Normalfall die Klagsangaben maßgebend; die Behauptungen des Beklagten sind dann ebensowenig zu berücksichtigen wie die Aussagen der Zeugen und Parteien (RIS‑Justiz RS0050455). Es hat daher bei der Maßgeblichkeit der vom Kläger zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vorgetragenen Tatsachen zu bleiben, wenn der Beklagte seine Unzuständigkeitseinrede nur mit Behauptungen untermauert, die zugleich das Nichtbestehen des eingeklagten Anspruchs belegen sollen (RIS‑Justiz RS0050455 [T2]). Ob diese „doppelrelevanten Tatsachen“ zutreffen (und demnach eine Stattgebung des Klagebegehrens verhindern), ist nicht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung des angerufenen Gerichts zu entscheiden, sondern der Sachentscheidung vorbehalten (RIS‑Justiz RS0050455 [T3]).
1.2. Dies bedeutet, dass es zur Begründung der internationalen Zuständigkeit ausreicht, dass der Kläger schlüssig die die Zuständigkeit begründenden Tatsachen behauptet. Sind diese Tatsachen zugleich auch Anspruchsvoraussetzungen (für die erfolgreiche Stattgebung des Klagebegehrens), dann ist die Frage der Zuständigkeit allein auf Grund der Klagebehauptungen zu prüfen. Für den Bereich der internationalen Zuständigkeitsprüfung muss insoweit nur eine Schlüssigkeitsprüfung vorgenommen werden (RIS‑Justiz RS0112838). Die Beurteilung der Zuständigkeit hat daher aufgrund der Klagebehauptungen zu erfolgen; ihre Richtigkeit ist zu unterstellen (RIS‑Justiz RS0115860 [T4]).
2.1. Der angeführte Grundsatz kommt allerdings nur zum Tragen, wenn die die Zuständigkeit oder Nichtzuständigkeit begründenden Tatsachen auch Anspruchsvoraussetzungen sind (RIS‑Justiz RS0050455). Im vorliegenden Fall liegt jedoch eine Gerichtsstandsvereinbarung vor. Art 23 Abs 1 Satz 1 und 2 LGVÜ 2007 lautet: „Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.“
2.2. Art 23 LGVÜ 2007 entspricht damit im Wesentlichen Art 23 der EuGVVO VO 44/2001 („Brüssel I‑VO“) und Art 25 EuGVVO 2012. Die letztgenannte Bestimmung enthält allerdings in ihrem Abs 5 nun ausdrücklich die Anordnung, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln ist. Außerdem wird dort normiert, dass die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht allein mit der Begründung in Frage gestellt werden kann, dass der Vertrag nicht gültig ist. Derartige ausdrückliche Bestimmungen fehlen in Art 23 LGVÜ (vgl auch Kodek/Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 23 LGVÜ Rz 1).
2.3. Schon vor Einführung des Art 25 Abs 5 EuGVVO 2012, das heißt auch schon zur Rechtslage nach der EuGVVO VO 44/2001 und zum EuGVÜ, hatte der EuGH jedoch entschieden, dass eine Gerichtsstandsklausel grundsätzlich unabhängig von dem Vertrag zu sehen ist, in dem sie enthalten ist, sodass die nach der Gerichtsstandsvereinbarung als zuständig bestimmten Gerichte auch dann zuständig sind, wenn mit der Klage ua die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags begehrt wird, in dem die Vereinbarung enthalten ist (EuGH C‑269/95 Benincasa/Dentalkit ECLI:EU:C:1997:337; vgl auch Simotta in Fasching/Konecny² Art 23 EuGVVO Rz 61, 212 und 303 mzN). Art 25 Abs 5 EuGVVO 2012 brachte daher sachlich keine Neuerung im Vergleich zur früheren Rechtslage (Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht4, Art 25 Brüssel Ia‑VO Rz 78).
2.4. Auch in der Literatur zum LGVÜ 2007 entspricht es ganz herrschender Auffassung, dass im Zusammenhang mit Art 23 LGVÜ 2007 der Grundsatz der „Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung“ gilt, wonach die Gerichtsstandsvereinbarung eine vom Hauptvertrag unabhängige Übereinkunft bildet (Berger in Oetiker/Weibel, Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen², Art 23 Rz 54; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht³, Art 23 LGVÜ Rz 94 [die dort zu Fn 139 zitierte BGH-Entscheidung betrifft allerdings die EuGVVO und das EuGVÜ]). Demnach kann gegen die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht eingewendet werden, der Hauptvertrag sei ungültig (Berger in Oetiker/Weibel, Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen² Art 23 Rz 55; Killias in Dasser/Oberhammer, LugÜ-Kommentar, Art 23 Rz 141; vgl zu Art 25 Abs 5 EuGVVO 2012 auch E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art 25 EuGVVO 2012 Rz 117). Der Streit über das Nichtbestehen eines Vertrags (namentlich über dessen Nichtigkeit) ist daher grundsätzlich von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst (Hausmann in Simons/Hausmann, Brüssel I‑Verordnung: Kommentar zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano, Art 23 Rz 144; Grolimund in Schnyder, Lugano-Übereinkommen (LugÜ), Art 23 Rz 56 jeweils unter Verweis auf die EuGH-Entscheidung Dentalkit, die zum EuGVÜ erging).
2.5. All dies gilt aber nur dann, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung ihrerseits wirksam zustande gekommen ist, denn es ist möglich, dass Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag an demselben Wirksamkeitsmangel leiden, in welchem Fall von „Fehleridentität“ gesprochen wird (vgl E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art 25 EuGVVO 2012 Rz 117; Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht4, Art 25 Brüssel Ia‑VO Rz 80).
2.6. Der Grundsatz der Unabhängigkeit vom Hauptvertrag bedeutet daher nicht, dass auch Streitigkeiten um das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung als Teil des Hauptvertrags jedenfalls vor dem – scheinbar – prorogierten Gericht auszutragen wären: Bestreitet der Beklagte, den Hauptvertrag jemals geschlossen zu haben, indem er etwa die Vertretungsmacht der angeblich für ihn handelnden Person bestreitet, ist die Gerichtsstandsvereinbarung selbst in Frage gestellt, sodass das Gericht bereits im Rahmen der Zulässigkeit diesem Einwand nachgehen muss (G. Wagner in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung22, Art 23 EuGVVO Rz 114).
2.7. Eine Ausnahme vom Grundsatz der „doctrine of separability“ gilt daher dann, wenn der Mangel, der den Hauptvertrag ungültig macht, zwangsläufig zugleich dazu führen muss, dass auch die Gerichtsstandsvereinbarung an demselben Mangel leidet, wie etwa wenn die abschließende Partei nicht handlungsfähig oder nicht rechtswirksam vertreten war oder wenn der Hauptvertrag an einem grundlegenden Fehler in der Willensbildung, wie einem offenen Dissens leidet oder durch Furchterregung erzwungen wurde (Berger in Oetiker/Weibel, Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen² Art 23 Rz 56; zum Fall fehlender Vertretungsmacht ebenso Killias in Dasser/Oberhammer, LugÜ-Kommentar, Art 23 Rz 142, sowie Schlosser in Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht4, Art 25 EuGVVO Rz 39; zu Willensmängeln ebenso Oberhammer/Koller/Slonina in Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht § 15 Rz 139). Zu beachten wäre also beispielsweise der Fall, dass eine Partei einzig unter dem Einfluss einer Drohung spezifisch auch der Gerichtsstandsklausel zugestimmt hat (Grolimund in Schnyder, Lugano-Übereinkommen (LugÜ), Art 23 Rz 56).
2.8. Nicht darunter fallen hingegen beispielsweise die Fälle der „Übervorteilung“ nach Art 21 Schweizer Obligationenrecht (entspricht im Wesentlichen dem Wucher nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB), Irrtum oder absichtlicher Täuschung, weil sich der jeweilige Einwand in diesen Fällen nur auf einen Mangel in der Willensbildung beziehen kann, der allein dem Hauptvertrag anhaftet (Berger in Oetiker/Weibel, Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen² Art 23 Rz 56).
2.9. Es ist daher eine Differenzierung geboten, sodass Gründe, die für die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Hauptvertrags sprechen, damit nicht per se auch für die Gerichtsstandsvereinbarung gelten (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 25 EuGVVO Rz 17–19): Insbesondere betrifft dies eine gröbliche Benachteiligung, Sitten- oder Gesetzwidrigkeit sowie Äquivalenzstörungen des Hauptvertrags, während es bei Willensmängeln darauf ankommt, ob auch die Gerichtsstandsvereinbarung bei isolierter Betrachtung von dem geltend gemachten Willensmangel betroffen ist. Macht eine Partei geltend, der Vertrag sei nicht gültig, weil es an der erforderlichen Vollmacht gefehlt habe, so erstreckt sich dies auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung, weil auch diese nur dann gültig ist, wenn die sie abschließende Person die dafür erforderliche Rechtsmacht gehabt haben muss.
2.10. Zustandekommen und Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sind daher stets unabhängig von Zustandekommen und Wirksamkeit des Hauptvertrags zu beurteilen, sodass die Zuständigkeitsprüfung insoweit unabhängig von der Sachentscheidung erfolgt; auch in Fällen der Fehleridentität gibt es keinen Nexus oder ein Junktim zwischen den beiden Unwirksamkeiten, weil sie eben verschiedene Gegenstände haben (Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht4, Art 25 Brüssel Ia‑VO Rz 77 und 80). Zusammenfassend ist eine Gerichtsstandsvereinbarung grundsätzlich unabhängig von dem Vertrag zu beurteilen, in dem sie enthalten ist, sofern sich der geltend gemachte Nichtigkeits- bzw Anfechtungsgrund nicht ausnahmsweise auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht.
3.1. Im vorliegenden Fall bringt die Klägerin vor, ihr vormaliger Verwaltungsrat habe Rechtshandlungen unter Missbrauch seiner Vertretungsmacht gesetzt, was der Beklagten als Vertragspartnerin klar gewesen sei.
3.2. Gerade der Fall der (behaupteten) fehlenden Vertretungsmacht wird in der Literatur als einer jener Ausnahmefälle angesehen, in denen der geltend gemachte „Fehler“ sowohl die Gerichtsstandsvereinbarung als auch den übrigen Vertragsinhalt erfasst (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 25 EuGVVO Rz 17–19; G. Wagner in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung22, Art 23 EuGVVO Rz 114; Berger in Oetiker/Weibel, Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen² Art 23 Rz 56; Killias in Dasser/Oberhammer, LugÜ-Kommentar, Art 23 Rz 142; Schlosser in Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht4, Art 25 EuGVVO Rz 39).
3.3. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt jedoch darin, dass dem damaligen Verwaltungsrat der Klägerin die Vertretungsmacht zum Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung nicht generell fehlte, sondern sich das Fehlen der Vertretungsmacht nur daraus ergeben könnte, dass dieser seine Vertretungsmacht missbraucht hat. Die Klägerin hat zur Gerichtsstandsvereinbarung zwar zunächst nur vorgebracht, die in der Vereinbarung vom 6. 12. 2016 getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei „ebenso unwirksam wie diese Vereinbarung selbst“. In der Folge hat die Klägerin behauptet, die Gerichtsstandsvereinbarung sei „Teil der kollusiv zustande gekommenen Vereinbarung“; die Gerichtsstandsvereinbarung sei aus dem unlauteren Motiv getroffen worden, einem bestimmten Rechtsanwalt ein „Heimspiel“ in Zürich zu verschaffen; die Gerichtsstandsvereinbarung sei für die Klägerin „stark benachteiligend“.
3.3. Damit unterscheidet sich aber der angebliche Missbrauch der Vertretungsmacht hinsichtlich der Gerichtsstandsvereinbarung deutlich von demjenigen hinsichtlich des Abschlusses des Hauptvertrags. Der Missbrauch könnte nach dem eigenen Vorbringen der klagenden Partei nur darin liegen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung die Klägerin aus spezifisch prozessualen Gründen benachteiligt. Insoweit ist daher eine gesonderte Beurteilung der Gerichtsstandsvereinbarung und des Hauptvertrags erforderlich, was auch dem angeführten Grundsatz der „Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung“ besser entspricht, wonach die Gerichtsstandsvereinbarung eine vom Hauptvertrag unabhängige Übereinkunft bildet.
3.4. Der bloße Umstand, dass das Verfahren statt in Feldkirch in Zürich auszutragen sein wird, stellt im konkreten Fall jedenfalls keinen Nachteil dar, dessen Gewicht geeignet wäre, die Nichtigkeit der Gerichtsstandsklausel wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht zu begründen. Abgesehen davon, dass es sich bei der Klägerin um eine Schweizer Aktiengesellschaft handelt, sodass ein Gerichtsstand in Zürich schon deshalb nicht als unzumutbar angesehen werden kann, beträgt nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin die Fahrzeit von ihrem Sitz nach Feldkirch eine halbe Stunde, nach Zürich hingegen eine Stunde. Dieser geringe Unterschied von einer halben Stunde Fahrzeit vermag ebenso wie der bei Austragung des Verfahrens in Zürich einem bestimmten Rechtsanwalt angeblich zukommende „Heimvorteil“ keine Nichtigkeit der Gerichts-standsvereinbarung zu begründen. Der Rechtsschutz der klagenden Partei, einer Unternehmerin kraft Rechtsform, wird durch die Notwendigkeit, das Verfahren in Zürich abzuführen, nicht in relevanter Weise beeinträchtigt.
3.5. Für dieses Ergebnis spricht auch die schon vom Erstgericht hervorgehobene Überlegung, dass es dem Gericht im Sinne des Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit möglich sein muss, ohne Schwierigkeiten über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen. Die Rechtssicherheit wäre gefährdet, wenn einer Vertragspartei die Möglichkeit eingeräumt würde, das Eingreifen des Art 23 LGVÜ 2007 allein durch die Behauptung zu vereiteln, dass der gesamte Vertrag aus Gründen des anwendbaren materiellen Rechts unwirksam sei (vgl EuGH C‑269/95 , Benincasa/Dentalkit, Rn 29; Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht4, Art 25 Brüssel Ia‑VO Rz 77); ein Junktim zwischen beiden Unwirksamkeiten besteht gerade nicht (Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht4, Art 25 Brüssel Ia‑VO Rz 80).
3.6. Zusammenfassend ist daher eine in einem Hauptvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung nur dann unwirksam, wenn diese auch bei spezifisch prozessualer Betrachtung unwirksam ist. Dies ist zwar bei (völligem) Fehlen der Vertretungsmacht eines Beteiligten der Fall; wird die Nichtigkeit hingegen aus einem angeblichen Missbrauch der Vertretungsmacht abgeleitet, so muss sich dieser Missbrauch gerade auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung beziehen und die Rechtsschutz- bzw Rechtsverteidigungsmöglichkeiten durch einen Nachteil von besonderem Gewicht beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
4. Der im Revisionsrekurs gestellte Antrag auf Vorabentscheidung beim EuGH ist nach ständiger Rechtsprechung unzulässig (vgl RIS‑Justiz RS0058452). Im Übrigen ist die vom Revisionsrekurs vorgeschlagene Frage, ob die Gerichtsstandsvereinbarung das Schicksal des Hauptvertrags teilt, durch die Entscheidung C‑269/95 Benincasa/Dentalkit und den herrschenden Meinungsstand in der Literatur bereits hinreichend beantwortet; ob dann eine bestimmte Fallkonstellation (hier der behauptete Missbrauch der Vertretungsmacht) einen jener Ausnahmefälle bildet, in denen der Fehler, der den Hauptvertrag ungültig macht, gleichzeitig dazu führt, dass auch die Gerichtsstandsvereinbarung an demselben Mangel leidet, ist im Einzelfall vom jeweiligen nationalen Gericht und nicht vom EuGH zu beurteilen.
5. Damit war dem Revisionsrekurs spruchgemäß Folge zu geben und die zutreffende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
6. Aufgrund der Abänderung war auch die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens neu zu fassen. Diese Entscheidung sowie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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