OGH 6Ob162/07b

OGH6Ob162/07b13.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Jasen Said I*****, geboren am 16. Juni 1990, *****, vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt, Jugend und Familie, *****, über den Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 19. Februar 2007, GZ 4 R 43/07a-U30, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 16. November 2006, GZ 1 P 2196/95g-U24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob ein Schulausschluss des Unterhaltsvorschüsse beziehenden Kindes und die damit einhergehende Frage seiner fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit die Mitteilungspflicht der das Kind betreuenden Mutter gemäß § 21 UVG auslöst.

1. Nach § 22 Abs 1 UVG haftet (unter anderem) diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, für zu Unrecht ausbezahlte Unterhaltsvorschüsse, wenn sie die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs 2 UVG) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21 UVG) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst hat. Wer demnach in Kenntnis eines Grundes zur Einstellung von Unterhaltsvorschusszahlungen erhaltene Beträge nicht aufbewahrt, sondern für den Unterhalt des Kindes verbraucht, haftet nicht deshalb allein nach § 22 UVG; diese Bestimmung führt vielmehr die beiden allein in Betracht kommenden Haftungsfälle in einer Weise an, dass eine ausdehnende Interpretation unmöglich ist (RIS-Justiz RS0008899).

2. Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz wirft der Mutter im vorliegenden Fall vor, ihre Mitteilungsverpflichtungen nicht ausreichend wahrgenommen zu haben: Jasen sei bis 14. 3. 2006 als lehrstellensuchend vorgemerkt gewesen, habe sich dann in einer Schulungsmaßnahme der Volkshochschule Klagenfurt befunden und sei schließlich mit Wirkung vom 1. 6. 2006 davon aus disziplinären Gründen ausgeschlossen worden; es sei Kenntnis der Mutter von diesen Umständen anzunehmen, weil die Großmutter Jasens am 31. 5. 2006 von dessen Ausschluss telefonisch informiert worden sei. Die Unterhaltsvorschüsse für Juli und August 2006 seien durch die zumindest grob fahrlässig unterbliebene Mitteilung der Mutter, der bei Vorschussgewährung eine Rechtsbelehrung zugekommen war, in der Folge zu Unrecht ausbezahlt worden.

3. Die Mutter wurde am erstgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt; ihr wurden erst der Beschluss des Erstgerichts über die Abweisung des Rückzahlungsantrags sowie in weiterer Folge die Rechtsmittel des Präsidenten des Oberlandesgericht Graz und die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts zugestellt. Allerdings hat sie sich am Verfahren insofern - gleichsam indirekt - beteiligt, als der Jugendwohlfahrtsträger in seinen Schriftsätzen und Rechtsmittelbeantwortungen auch ihre Interessen vertrat. Ihre - an sich gesetzwidrige (formelle Partei gemäß § 2 Abs 1 Z 2 AußStrG) und mit Nichtigkeit sanktionierte - Nichtbeteilung am erstinstanzlichen Verfahren ist außerdem dadurch geheilt, dass sich die Mutter dagegen im Rekursverfahren trotz Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht beschwerte; im Hinblick auf die Abweisung des Rückzahlungsantrags ist die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse wegen Verletzung des Parteiengehörs der Mutter keinesfalls geboten.

4. Die Verpflichtung zum Ersatz von Unterhaltsvorschüssen setzt voraus, dass die Vorschüsse rechtswidrig, also entgegen den im Unterhaltsvorschussgesetz vorgesehenen objektiven Voraussetzungen gewährt (gezahlt) wurden. Dem Einstellungsbeschluss ist zwar in Ansehung der Unrechtmäßigkeit ausgezahlter Unterhaltsvorschüsse keine auf die am Verfahren nicht beteiligten, nach § 22 UVG subsidiär haftenden Personen erweiterte Bindungswirkung beizulegen (6 Ob 504/84 = SZ 57/24); allerdings hat im Rückersatzverfahren keine der Parteien die Unrechtmäßigkeit bestritten.

5.1. Weitere Voraussetzung der Geltendmachung der Rückersatzpflicht gegenüber der Mutter wäre eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung ihrer Mitteilungspflicht. Der Oberste Gerichtshof hat dazu in der Entscheidung 7 Ob 346/97a (= ÖA 1999, 43) ausgeführt, das Außerachtlassen der zugekommenen Rechtsbelehrung sei grundsätzlich als grobe Fahrlässigkeit zu werten; so werde die Rückersatzpflicht begründet, wenn es der Unterhaltsschuldner unterlassen hat, seine geänderten Einkommensverhältnisse dem Gericht mitzuteilen. Diese Auffassung wurde in der Entscheidung 2 Ob 41/98p (= EvBl 1999/199) dahingehend ergänzt, dass jedenfalls auch die Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit heranzuziehen seien, weil auch eine objektive Verletzung der Mitteilungspflicht nicht immer bedeute, dass sie auch subjektiv schwer vorwerfbar wäre.

Nach der zuletzt genannten Entscheidung liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt. Insbesondere dürften die Sorgfaltspflichten nicht überspannt werden; die Kenntnis der aktuellen Unterhaltsspruchpraxis könne bei Nichtjuristen nicht verlangt werden. Im allgemeinen und gebräuchlichen Sinn könne grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung der Mitteilungspflicht nur angenommen werden, wenn (auch für einen einfachen Menschen) die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Bezugs einsichtig ist und von ihm daher eine Bekanntgabe an das Gericht erwartet werden kann, etwa weil es plötzlich zu einer Überalimentation aufgrund von Mehrbezug gleichgelagerter staatlicher Geldleistungen komme. Eine solche Gewissheit müsse aber etwa beim Unterhaltsschuldner trotz Erhalts einer deutlichen Rechtsbelehrung nicht immer gegeben sein. Die Tatsache einer solchen Rechtsbelehrung mit dem Gewährungsbeschluss reiche somit allein nicht aus, grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung der Mitteilungspflicht zu begründen.

5.2. Diese Auffassung vertritt auch Neumayr (in Schwimann, ABGB³ I [2005] § 22 UVG Rz 26 mit Hinweisen auf zweitinstanzliche Rechtsprechung, etwa LG Salzburg EFSlg 101.393).

6. Ob im Einzelfall bei (objektiver) Verletzung der Mitteilungspflicht auch vorsätzliches oder zumindest grob fahrlässiges Unterlassen der Mitteilung angenommen werden kann, ist keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG; sie übersteigt in ihrer Bedeutung nicht das jeweilige Verfahren. Es ist auch nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, praktisch einen Anwendungskatalog zu erstellen, in welchen Fällen eine vorsätzliche oder zumindest grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflichten der gemäß § 22 Abs 1 UVG subsidiär haftenden Personen zu bejahen bzw zu verneinen ist.

Das Rekursgericht hat im vorliegenden Fall der Mutter zugute gehalten, „landläufig betrachtet" und aus der „Warte eines einfach strukturierten, rechtlich nicht gebildeten Menschen" sei Jasen noch immer ohne abgeschlossene Schulausbildung, ohne eigenes Einkommen und somit (aus ihrer subjektiven Sicht) keineswegs selbsterhaltungsfähig;

sie habe den Verlust des Unterhaltsanspruchs ihres Kindes bei Kenntnis vom Schulausschluss „ganz sicher nicht in Erwägung gezogen";

für sie habe sich nichts Wesentliches geändert gehabt. Dass das Rekursgericht die Rechtslage damit krass verkannt hätte, kann nicht gesagt werden.

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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