Spruch:
Beschlüsse im Außerstreitverfahren, durch die Dritte Rechte erworben haben, können nach Ablauf der Rekursfrist auch dann nicht mehr angefochten werden, wenn ein Nichtigkeitsgrund i. S. des § 477 ZPO. behauptet wird.
Entscheidung vom 9. Juli 1969, 6 Ob 156, 157/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Ferlach; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Die am 11. November 1949 verstorbene Rosa G. hinterließ eine letztwillige Verfügung, in der sie ihren Ehegatten Vinzenz G. zum Alleinerben eingesetzt hatte. Vinzenz G. verstarb am 5. Juni 1950, bis zu welchem Zeitpunkt er zum Nachlaß der Rosa G. keine Erbserklärung abgegeben hatte. Er hinterließ eine letztwillige Verfügung, laut der das ihm von seiner Gattin hinterlassene Vermögen zur Gänze auf eine "minderjährige Enkelin Stefanie G." übergeben sollte. Die beiden Nachlässe wurden gemeinsam abgehandelt. Bei der Abhandlungstagsatzung vom 30. Mai 1951 wurde die Identität der im Testament des Vinzenz G. genannten minderjährigen Stefanie G. mit der am 30. Mai 1940 geborene minderjährigen Herta G., der einzigen Enkelin des Vinzenz G., von Johann G. und Maria S., den Kindern des Vinzenz G., zugegeben. Die minderjährige Herta G. wurde von Felix A., dem Leiter des zum Widerstreitsachwalter bestellten Bezirksjugendamtes K. vertreten. Nach dem am 30. Mai 1951 geschlossenen Erbübereinkommen übernahm Johann G., der Vater der minderjährigen Herta G., den gesamten Nachlaß mit der Verpflichtung, die Nachlaßliegenschaft EZ. X (Haus in F.) der Testamentserbin Herta
G. ohne Belastung durch Erb- und Pflichtteilsansprüche zu übergeben oder zu hinterlassen, die Liegenschaft ohne Zustimmung der Testamentserbin weder zu belasten noch zu veräußern, der Tochter des Erblassers Maria S., geb. G., zur Abfindung ihrer Pflichtteilsansprüche 7000 S zu zahlen, die Abgaben und Abhandlungsgebühren allein zu tragen, das Haus in F. auf seine Kosten instandzuhalten und die dafür anerlaufenen Steuern und Feuerversicherungsprämien zu entrichten. Einverständlich wurde die Vornahme folgender Grundbuchshandlungen beantragt: Die Einverleibung
a) des Eigentumsrechtes an der Liegenschaft EZ. X zugunsten des erblasserischen Sohnes Johann G. mit der Beschränkung, diese Liegenschaft ohne Belastung durch Erb- und Pflichtteilsansprüche seiner Tochter, der minderjährigen Herta G., zu übergeben oder zu hinterlassen; b) des Belastungs- und Veräußerungsverbotes bei dieser Liegenschaft zugunsten der minderjährigen Herta G.; c) des Pfandrechtes auf dieser Liegenschaft zugunsten der Pflichtteilsforderung der minderjährigen Maria S. und d) des Eigentumsrechtes an der Liegenschaft EZ. Y zugunsten des Sohnes des Erblassers, Johann G.
Mit Beschluß des BG. Ferlach vom 29. September 1951 wurde "die Verlassenschaftsabhandlung für die minderjährige Herta G. pflegschaftsbehördlich genehmigt." Mit der am selben Tag ergangenen Einantwortungsurkunde wurden die genannten Nachlässe der minderjährigen Herta G. eingeantwortet. Beschluß und Einantwortungsurkunde vom 29. September 1951 wurden dem Johann G., der Maria S. und dem Bezirksjugendamt K. zu Handen des Felix A. am
2. bzw. 3. Oktober zugestellt. Keine dieser Personen ergriff dagegen ein Rechtsmittel. In der Folge wurden die Abhandlungsergebnisse entsprechend der in der Einantwortungsurkunde enthaltenen Ankündigung verbüchert. Da Maria S. auf die grundbücherliche Sicherstellung ihrer Pflichtteilsforderung vorläufig verzichtete, unterblieb die Eintragung eines Pfandrechtes für diese Forderung.
Am 7. März 1969 erhob die inzwischen längst großjährig gewordene und nunmehr verehelichte Alleinerbin Herta B., geb. G., gegen den Beschluß und die Einantwortungsurkunde des BG. Ferlach vom 29. September 1951 Vorstellung und Rekurs. Sie beantragte deren Abänderung in der Art, daß dem Punkt 6 A des Erbübereinkommens von 30. Mai 1951 - betreffend die Einverleibung des Eigentumsrechtes für Johann G. an der EZ. X - die pflegschaftsbehördliche Genehmigung versagt und dementsprechend in der Einantwortungsurkunde die Einverleibung des Eigentumsrechtes der Herta B., geb. G., an dieser Liegenschaft angeordnet werde. Hilfsweise stellte sie den Antrag, Beschluß und Einantwortungsurkunde im Umfang der Anfechtung aufzuheben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Der Vorstellung gab das Erstgericht unter Hinweis auf § 9 (3) AußStrG. nicht statt. Den Rekurs legte es zur Entscheidung vor.
Das Rekursgericht wies ihn mit dem angefochtenen Beschluß zurück. Es ging davon aus, daß die angefochtenen Entscheidungen ordnungsgemäß zugestellt wurden und daß innerhalb der Rekursfrist dagegen ein Rechtsmittel nicht erhoben wurde, so daß Beschluß und Einantwortungsurkunde vom 29. September 1951 in Rechtskraft erwachsen seien. Der Rekurs sei somit verspätet. Auf ihn könne auch nicht nach § 11 (2) AußStrG. Bedacht genommen werden, weil die in den bekämpften Beschlüssen getroffenen Verfügungen nicht mehr ohne Nachteil für Dritte, hier also für Johann G., abgeändert werden könnten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Herta B., geb. G., gegen den Zurückweisungsbeschluß des Rekursgerichtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin verkennt nicht, daß die angefochtenen Verfügungen formell in Rechtskraft erwachsen sind und daß die dagegen am 7. März 1969 von ihr erhobene Verstellung sowie der damit verbundene Rekurs nach Ablauf der Rechtsmittelfristen eingebracht wurden. Sie vertritt jedoch die Auffassung, das Rekursgericht hätte auf den Rekurs gemäß § 11 (2) AußStrG. Rücksicht nehmen können, weil eine Abänderung der angefochtenen Verfügungen ohne Nachteil eines Dritten noch möglich gewesen wäre. Abgesehen davon, seien diese Verfügungen offenbar gesetzwidrig und mit Nichtigkeit bzw. mit absoluter Nichtigkeit behaftet, welche Mängel auch durch die Rechtskraft der davon betroffenen Verfügungen nicht saniert würden. Dem kann aber nicht beigepflichtet werden.
Die Ansicht, daß eine allenfalls unterlaufene Nichtigkeit auf Grund oder aus Anlaß eines verspäteten Rechtsmittels auch dann wahrgenommen werden könnte, wenn sich die angefochtene Verfügung ohne Nachteil eines Dritten nicht mehr abändern läßt, ist schon mit dem Wortlaut des § 11 (2) AußStrG. unvereinbar. Sie findet auch in Lehre und Rechtsprechung, insbes. was die Anfechtung der Ergebnisse eines formell rechtskräftig abgeschlossenen Abhandlungsverfahrens anlangt, keine tragfähige Stütze. Nur Schuster (Kommentar zum Außerstreitgesetz, S. 47) hält bei einer auf Grund einer offenbar gesetzwidrigen Grundlage erflossenen Erledigung den Rekurs ungeachtet der damit zusammenhängenden Rechte Dritter auch nach Verlauf der Rekursfrist für zulässig. Hingegen vertreten Ott (Rechtsfürsorgeverfahren, S. 212) und Rintelen (Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, S. 41) die Auffassung, daß Beschlüsse, die ohne Nachteil für einen Dritten nicht mehr abgeändert werden können, gemäß § 11 (2) AußStrG. nur während der ordentlichen Rechtsmittelfrist angefochten werden können. Der Grundsatz, daß das rechtliche Interesse eines Dritten die Schranke der zeitlich unbeschränkten Geltendmachung einer Nichtigkeit bildet, wurde auch von der Rechtsprechung immer wieder anerkannt (GlUNF. 5299, NotZ. 1934 S. 227, SZ. XXIII 99, EvBl. 1958 Nr. 105 u. a.), die ihn auch dahin formulierte, daß Verfahrensmängel durch den Eintritt der formellen Rechtskraft geheilt werden. Nun wurde allerdings wiederholt die Einschränkung gemacht, daß absolute Nichtigkeitsgrunde hievon ausgenommen sein sollen (1 Ob 784/47, SZ. XXV 170, 1 Ob 590/52, JBl. 1953 S. 50, 1 Ob 56, 57, 58/52, EvBl. 1953 Nr. 315). Der Ausdruck "absolute Nichtigkeit" kommt im Gesetz nicht vor. Die Rekurswerberin erblickt eine solche in den Fällen des § 477 ZPO. Damit stimmt sie mit einer verbreiteten Ausdrucksweise überein (so Fasching, Kommentar IV. S. 102). Ein absoluter Nichtigkeitsgrund ist danach ein solcher, der ohne Parteiantrag von Amts wegen berücksichtigt werden muß, auch wenn durch die Gesetzesverletzung keine Partei einen Nachteil erleidet. Es ist nicht klar, ob die zuletzt angeführten Entscheidungen eine solche Nichtigkeit vor Augen gehabt und in allen diesen Fällen einen Rekurs noch für zulässig gehalten haben, wenn auch die Frist abgelaufen ist und Rechte Dritter berührt würden. Damit würde es im Verfahren außer Streitsachen eine Rechtskraft nur in sehr eingeschränktem Maß geben; ein Revisionsrekurs nach § 16 AußStrG. wäre überhaupt unbefristet. Dafür fehlt es nicht nur an einer gesetzlichen Grundlage, vielmehr steht diese Auffassung auch mit § 11 (2) AußStrG. im Widerspruch. Es wäre auch unerfindlich, wie denn Bestimmungen des AußStrG. formelle Rechtskraft voraussetzen könnten, wenn immer noch ein ordentliches Rechtsmittel wegen Nichtigkeit zulässig wäre, wie etwa § 177 AußStrG. Damit ist auch die oben erwähnte Ansicht Schusters widerlegt.
Von absoluter Nichtigkeit wird allerdings auch im Sinn einer Nichtentscheidung gesprochen. Ob die zuletzt erwähnten Entscheidungen eine solche vorausgesetzt haben, ist nicht zu ersehen, da sie in diesem Punkt jeder Begründung entbehren. Hier kann von einer Nichtentscheidung keine Rede sein.
Es liegt auf der Hand, daß bei Richtigkeit der Ansicht der Rekurswerberin jede Rechtssicherheit verloren gehen würde. Entscheidungen des Außerstreitverfahrens, wie Festsetzung von Unterhaltsbeträgen, Bestimmung einer Entschädigungssumme im Enteignungsverfahren, des Heiratsgutes, Grenzberichtigungen u. dgl., die von keiner Seite angefochten wurden, könnten noch nach Jahren bekämpft werden, wenn sich § 11 (2) AußStrG. nicht auch auf die Anfechtung wegen Nichtigkeit i. S. des § 477 ZPO. bezöge.
Der Fall eines Mangels, der die formelle Rechtskraft an und für sich ausschließt, wie etwa der Unterlassung der Beiziehung einer zur Erbschaft berufenen Person zur Verlassenschaftsabhandlung, hat mit der vorliegenden Rechtsfrage nichts zu tun.
Für die Beantwortung der Frage, ob das Rekursgericht den verspäteten Rekurs hätte berücksichtigen können, ist somit nur noch ausschlaggebend, ob die angefochtenen Verfügungen ohne Nachteil für Johann G. hätten abgeändert werden können. Diese Frage wurde vom Rekursgericht mit Recht verneint. Die Anträge der Rekurswerberin zielen ja gerade darauf ab, daß ihrem Vater Johann G. das Eigentumsrecht an der Liegenschaft EZ. X., welches er auf Grund der Ergebnisse der Verlassenschaftsabhandlungen nach Vinzenz und Rosa G. erlangt hat, entzogen und sie selbst als Eigentümerin dieser Liegenschaft im Grundbuch eingetragen werde. Die Rekursbehauptung, daß diese von der Rekurswerberin angestrebte Änderung der Ergebnisse der genannten Verlassenschaftsabhandlungen ohne Nachteil für Johann G. vorgenommen werden könne, weil diesem an der Liegenschaft auf Grund des Erbübereinkommens nur das bloße Eigentumsrecht zustehe und er außerdem die erwähnten Lasten zu tragen habe, trifft nicht zu. Mögen auch die Befugnisse des Johann G. als Eigentümer der Liegenschaft durch die Bestimmungen des Erbübereinkommens weitgehend eingeschränkt sein und mag er danach auch zur Tragung der diese Liegenschaft betreffenden Steuern, Versicherungsprämien und Instandhaltungskosten verpflichtet sein, steht ihm als Eigentümer doch das Recht der Nutzung der Sache und die Befugnis, jeden anderen davon auszuschließen, zu (§ 354 ABGB.). Dieses Recht würde ihm aber als Folge der von der Rekurswerberin begehrten Änderung des Beschlusses und der Einantwortungsurkunde vom 29. September 1951 genommen werden. Wie weit Johann G. die ihm nach dem Erbübereinkommen noch verbliebenen Befugnisse derzeit tatsächlich ausübt, ist unerheblich, weil er sie auf Grund seines Eigentumsrechtes jederzeit in Anspruch nehmen könnte. Daß seine echtliche Stellung durch die begehrte Änderung der angefochtenen Verfügungen ungünstiger gestaltet würde, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Das Rekursgericht durfte daher die formell in Rechtskraft erwachsenen Verfügungen auf Grund des Rekurses der Herta B., geb. G., nicht mehr ändern. Es hat somit diesen Rekurs zu Recht als verspätet zurückgewiesen.
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