European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E120232
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 94.050 EUR samt 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 1. August 2015 und 4 % Zinseszinsen ab 27. Dezember 2016 zu zahlen und die mit 8.019,04 EUR (davon 2.779 EUR Barauslagen und 873,34 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.
Das auf Zahlung von Zinseszinsen vom 21. bis 26. Dezember 2016 gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 15.434,10 EUR (davon 936,85 EUR USt und 9.813 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Mit schriftlichem Vertrag vom 12. 8. 2013 verpachtete die Klägerin der Beklagten das H* L*. Nach Vertragspunkt 5.1.1. „Nebenkosten des Pächters“ trägt der Pächter „sämtliche mit dem Besitz und/oder Betrieb des Pachtobjekts verbundenen Betriebskosten, insbesondere ... [im Einzelnen angeführte Posten]“. Der Verpächter trägt (Punkt 5.1.2. „Nebenkosten des Verpächters“) Anlieger- und Erschließungskosten sowie „andere Kosten, öffentliche Abgaben und Gebühren, die ihn in seiner Eigenschaft als Eigentümer, dessen Vertreter bzw. Verpächter des Pachtobjekts betreffen, mit ausdrücklicher Ausnahme der Grundsteuer, welche durch den Pächter getragen wird“.
Den Parteien war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bekannt, dass der Pachtvertrag eine Rechtsgeschäftsgebühr auslöst. Der – den Standardverträgen der Beklagten entsprechende – Vertragsentwurf war der Geschäftsführerin der Klägerin vom Geschäftsführer der Beklagten vorgelegt worden. Auf Wunsch der Klägerin war– abweichend vom Vertragsentwurf – der Passus eingefügt worden, wonach der Pächter die Grundsteuer zu tragen hat. Über andere Gebühren war zwischen den Streitteilen nicht verhandelt oder gesprochen worden.
Die vom Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel der Klägerin mit Bescheid vom 11. 4. 2014 für den Pachtvertrag vorgeschriebene Rechtsgeschäftsgebühr von 188.100 EUR zahlte die Klägerin am 14. 5. 2014.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten– gestützt sowohl auf den Pachtvertrag als auch auf § 896 ABGB – den Ersatz der Hälfte der Rechtsgeschäftsgebühr.
Die Beklagte beantragt unter Berufung auf die vertragliche Regelung der Tragung der Nebenkosten die Abweisung des Klagebegehrens.
Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts. Bei der Rechtsgeschäftsgebühr handle es sich nach der zutreffenden Beurteilung des Erstgerichts um eine Gebühr, die die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Verpächterin betreffe, sodass die Klägerin diese vertragsgemäß zu tragen habe. Als Verpächterin habe sie die Gebühr berechnen und bis zum Fälligkeitstag entrichten müssen. Dass die Beklagte ebenfalls Gebührenschuldnerin sei, ändere nichts daran, dass die Rechtsgeschäftsgebühr eine Gebühr im Sinn des Punktes 5.1.2. des Pachtvertrags sei.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten nach Freistellung beantwortete außerordentliche Revision der Klägerin ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Die Auslegung eines Vertrags hat stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf, wenn – wie hier – infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (1 Ob 85/16f; RIS‑Justiz RS0042776; RS0044358; RS0042555; RS0042936).
2. Die Revisionswerberin führt aus, das Berufungsgericht habe ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt, weil dieses weder im Wortlaut des Vertrags noch in den Feststellungen zur Parteienabsicht eine ausreichende Grundlage habe. Die Klägerin habe nur die Verpflichtung zur Zahlung jener Gebühren übernommen, die sie in ihrer Eigenschaft als Verpächterin treffe. Gesetzlich seien aber beide Vertragsteile zur Entrichtung der Gebühr verpflichtet. Die Verpflichtung zur Übernahme dieser Gebühr, die im Vertrag nicht genannt und auch beiden Vertragsparteien nicht bekannt gewesen sei, setze eine Willenseinigung voraus. Es sei darauf abzustellen, was redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten. Diese Auslegung könne nur zu dem Ergebnis führen, dass die Gebühr zur Hälfte von der Beklagten zu tragen sei, sei doch davon auszugehen, dass keiner von ihnen die gesamte Gebühr übernommen hätte.
Hierzu wurde erwogen:
3.1. Gemäß § 28 Abs 1 Z 1 lit a und Abs 6 GebG sind bei einem Pachtvertrag, der vom Bestandgeber und vom Bestandnehmer unterfertigt ist, beide Vertragsteile Gebührenschuldner und zur ungeteilten Hand zur Entrichtung der Gebühren verpflichtet (vgl Twardosz, GebG-ON6.01 § 28 Rz 4 ff). Nach Maßgabe des § 33 Tarifpost 5 Abs 5 Z 1 GebG trifft den Bestandgeber die Pflicht zur Berechnung und Entrichtung der Gebühr. Diese Bestimmung lässt aber die Eigenschaft des Bestandnehmers als Gebührenschuldner unberührt (VwGH 2013/16/0028).
3.2. Für die Auslegung einer schriftlichen Vereinbarung ist zunächst der Wortlaut maßgeblich. Dabei ist aber nach § 914 ABGB nicht stehen zu bleiben, sondern der übereinstimmende Wille der Parteien zu erforschen. Oberstes Ziel der Auslegung ist die Erforschung der Absicht der Parteien (1 Ob 4/17w; RIS‑Justiz RS0017915; RS0014160). Der Wortlaut der Vereinbarung ist aber allein maßgeblich, wenn keine abweichende Absicht festgestellt werden kann (RIS-Justiz RS0017915 [T35]).
3.3. Die Rechtsgeschäftsgebühr ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichts keine Abgabe (Gebühr), die die Klägerin in ihrer „Eigenschaft als Eigentümer, dessen Vertreter bzw. Verpächter des Pachtobjekts [betrifft]“. Sie unterliegt der Gebühr nämlich nicht, weil sie den Vertrag als Verpächterin geschlossen hat, sondern – so wie die Beklagte – weil beide Vertragsparteien eine Urkunde über das zweiseitige Rechtsgeschäft errichtet (§ 15 Abs 1 GebG) und unterzeichnet haben (§ 16 Abs 1 Z 1 lit a GebG). Die Verpflichtung zur Zahlung der im Vertragspunkt 5.1.2. angeführten Grundsteuer hingegen knüpft allein daran an, dass die Klägerin Eigentümerin des Steuergegenstands ist (§ 9 Abs 1 GrStG 1955), woraus sich eine gegen das vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis sprechende Parteienabsicht ergibt.
3.4. Da demnach der Pachtvertrag schon seinem Wortlaut nach nicht regelt, dass die Rechtsgeschäftsgebühr von der Klägerin allein oder zu einem bestimmten Teil zu tragen ist, ist die Klägerin gemäß § 896 ABGB berechtigt, von der Beklagten den Ersatz der Hälfte der von ihr gezahlten gesamten Rechtsgeschäftsgebühr zu fordern.
4. Nach § 456 UGB idFd ZVG BGBl I 2013/50, der auf nach dem 16. 3. 2013 geschlossene Verträge anzuwenden ist (§ 906 Abs 25 UGB) und ein beiderseitiges Unternehmergeschäft voraussetzt (§ 455 UGB), beträgt bei der Verzögerung der Zahlung von Geldforderungen der gesetzliche Zinssatz 9,2 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz; die Klägerin fordert weniger. Soweit der Schuldner für die Verzögerung aber nicht verantwortlich ist, hat er nur die in § 1000 Abs 1 ABGB bestimmten Zinsen zu entrichten. Gemäß § 1298 ABGB ist es Aufgabe des Schuldners, Behauptungen darüber aufzustellen, warum der höhere Zinssatz im Einzelfall nicht zur Anwendung kommt (vgl 8 ObA 75/04v zu § 49a ASGG; Haberer/Zehetner in Straube, UGB § 456 Rz 14 und 16; Ratka in U. Torggler, UGB² § 456 Rz 6). Die Beklagte hat Vorbringen in dieser Richtung nicht erstattet und den Beginn des Zinsenlaufs nicht konkret bestritten. Der Klägerin stehen gemäß § 1000 Abs 2 ABGB Zinseszinsen erst ab Streitanhängigkeit und nicht wie von ihr begehrt ab Klagstag zu. Die Streitanhängigkeit ist mit der Zustellung der Klage an die Beklagte (§ 232 ZPO) am 27. 12. 2016 eingetreten.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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