OGH 6Ob142/09i

OGH6Ob142/09i18.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T***** AG, *****, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.540 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2008, GZ 60 R 65/08a‑19, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 13. Februar 2008, GZ 12 C 985/07a‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:0060OB00142.09I.0918.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 1.540 EUR samt 5 % Zinsen ab 5. 7. 2006 zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.592,83 EUR (darin 250,97 EUR USt und 87 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die mit 771,48 EUR (darin 109,08 EUR USt und 117 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 625,14 EUR (darin 75,02 EUR USt und 175 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Klägerin macht die ihr von Alfred F***** abgetretenen Ansprüche auf Rückerstattung des restlichen Pauschalreisepreises für eine von Alfred F***** und vier weiteren Familienmitgliedern bei der beklagten Partei gebuchten Pauschalreise nach Marokko für den 4. 7. bis 15. 7. 2006 geltend. Bei der Buchung seien keine Informationen über die Einreisebestimmungen nach Marokko erteilt worden. Am 4. 7. 2006 sei Alfred F***** jedoch am Flughafen in München der Check‑In mit dem Hinweis verweigert worden, dass der achtjährige Sohn der Familie, der im Reisepass der Mutter miteingetragen sei, zumindest einen eigenen Lichtbildausweis benötige bzw ein Foto von ihm im Reisepass der Mutter erforderlich sei, was nicht der Fall gewesen sei. Die Information über Pass- und Visavorschriften des Urlaubslandes gehöre zu den vertraglichen Nebenpflichten sowohl des Reisebüros als auch des Reiseveranstalters. Das Reisebüro hafte für den daraus entstandenen Schaden in Höhe des Reisepreises, wobei 50 % bereits refundiert worden seien.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren; es liege ein Alleinverschulden des Klägers vor. Aus Kulanz seien bereits 1.500 EUR auf den nicht konsumierten Hotelaufenthalt und 398,80 EUR an anteiligen Stornogebühren rückerstattet worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Erstgericht ging dabei im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Alfred F***** suchte im Jänner 2006 für sich und seine Familie eine Urlaubsreise nach Marokko. Er suchte mit seiner Ehegattin das Reisebüro A***** im D***** auf, wo ihm ein Hotel aus dem Prospekt der beklagten Partei vorgeschlagen wurde. Der Kläger buchte daraufhin die Reise, ohne sich den Prospekt näher anzusehen. Im Reisebüro wurde auch die Bestätigung/Rechnung ausgefüllt und vom Kläger unterfertigt. In der Rechnung befindet sich ganz oben ein Passus „Beachten Sie die Einreisebestimmungen Ihres jeweiligen Urlaubslandes. Diese finden Sie im Katalog Ihres gebuchten Veranstalters, auf der Homepage des Außenministeriums unter www.reiseinformation.at bzw bei der Botschaft des jeweiligen Landes." Der Kläger erkundigte sich zunächst nicht hinsichtlich der Einreisebestimmungen. Sein minderjähriger Sohn Roman war zu diesem Zeitpunkt im Reisepass seiner Mutter eingetragen, allerdings ohne Lichtbild. In der Vergangenheit gab es diesbezüglich noch nie Einreiseschwierigkeiten.

In der Folge schaute Alfred F***** auf der Homepage des Außenministeriums nach. Dort findet sich für Marokko folgende Information: „Österreichische Staatsbürger können für touristische Zwecke bis zu 3 Monate visumfrei einreisen. Der Reisepass muss bei der Einreise für die geplante Aufenthaltsdauer gültig sein." In einem Reiseführer las der Kläger, dass Kinder einen eigenen Kinderausweis benötigen oder im Pass der Eltern eingetragen sein müssen.

Beim Einchecken am Flughafen in München wurde dem Kläger mitgeteilt, dass der minderjährige Roman für die Einreise nach Marokko einen eigenen Ausweis bzw einen eigenen Pass benötigen würde. Aus diesem Grund wurde auch dem Minderjährigen das Einchecken verweigert. Kurzfristig entschied sich der Kläger, den Flug nicht anzutreten und buchte für sich und seine Familie eine Last‑Minute‑Flugreise nach Mallorca.

Der Kläger hat mit 4. 12. 2006 seine Ansprüche an die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte abgetreten.

Ausgehend von diesem Sachverhalt wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Der Kläger habe die Unterlassung der Einholung näherer Informationen selbst zu verantworten. Bei einem mündigen Konsumenten könne Kenntnis des Umstands, dass für die Einreise in ein anderes Land ein Reisepass erforderlich sei, vorausgesetzt werden. Der Kläger habe im Hinblick auf die eindeutigen Angaben auf der Homepage des Außenministeriums ohnedies Kenntnis von den geltenden Einreisevorschriften gehabt, diese jedoch offensichtlich ignoriert.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. In Anbetracht des Umstands, dass Alfred F***** aufgrund der Kenntnis der Homepage des Außenministeriums bekannt gewesen sein musste, dass grundsätzlich jeder österreichische Staatsbürger verpflichtet sei, einen österreichischen Reisepass aufzuweisen, liege zwar kein Alleinverschulden, jedoch ein Mitverschulden des Geschädigten vor, was zu einer Schadensteilung gemäß § 1304 ABGB im Verhältnis von 1 : 1 führe. Weil bereits mehr als die Hälfte des Reisepreises refundiert worden sei, erweise sich die Klagsabweisung durch das Erstgericht als zutreffend.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Umfang der Aufklärungspflicht des Reiseveranstalters über den Anlassfall hinaus Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1.1. Vorauszuschicken ist, dass es sich bei der klagenden Partei um einen Verband im Sinne des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO handelt. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung erstreckt sich auf alle abtretbaren Ansprüche, deren Wahrnehmung in den Aufgabenbereich der im § 29 KSchG genannten Verbänden fällt (ErläutRV 613 BlgNR 22. GP 4, 7). Damit sollen in solchen Angelegenheiten Musterprozesse „zum Schutz überindividueller Interessen" ermöglicht werden (ErläutRV 613 BlgNR 22. GP 8).

1.2. Abgetretene Ansprüche im Sinne des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO können nur solche sein, deren Geltendmachung nach der Verfassung des jeweils klagenden Verbands als dessen Aufgabe zu qualifizieren ist. Darunter fielen etwa nicht Ansprüche, die im Erb- oder Familienrecht wurzeln (Zechner in Fasching/Konecny2 § 502 ZPO Rz 200). Dass die Geltendmachung von Ansprüchen eines Verbrauchers im Zusammenhang mit einem behaupteten Verstoß gegen Informationspflichten eines Reisevermittlers in den Wirkungskreis der klagenden Partei fällt, kann jedoch keinem Zweifel unterliegen. Die Zulässigkeit der Revision richtet sich daher nach § 502 Abs 5 ZPO, sodass die Anrufung des Obersten Gerichtshofs auch in solchen Streitigkeiten möglich ist, in denen - wie im vorliegenden Fall - der Entscheidungsgegenstand den Betrag von 4.000 EUR nicht übersteigt. Einzige Voraussetzung für die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist daher nach § 502 Abs 1 ZPO das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage.

2. Zwar stellen nach ständiger Rechtsprechung die Beurteilung des Verschuldensgrades unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten wegen ihrer Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage des § 502 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0087606). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht jedoch - wie zu zeigen sein wird - die maßgeblichen Gesichtspunkte für die Gewichtung des Mitverschuldens unzutreffend beurteilt. Die Revision ist daher zulässig; sie ist auch berechtigt.

3.1. Nach § 2 Abs 1 Z 4 lit f der VO über Ausübungsvorschriften für das Reisebürogewerbe (IVO) BGBl II 1998/401, haben, wenn ein Gewerbetreibender als Reiseveranstalter selbst oder über einen Vermittler die von ihm organisierten Pauschalreisen in entsprechend detaillierten Werbeunterlagen anbietet, diese deutlich lesbare, klare und genaue Angaben unter anderem über Pass- und Visumerfordernisse für Angehörige jenes Mitgliedstaats zu enthalten, in dem die Reise angeboten wird, sowie über gesundheitspolizeiliche Formalitäten, die für die Reise und den Aufenthalt erforderlich sind.

3.2. Nach § 3 IVO sind Gewerbetreibende, die Buchungen entgegennehmen, verpflichtet, den Reisenden, bevor dieser seine auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung (Buchung) abgibt, schriftlich oder in einer anderen geeigneten Form ua über 1. Pass- und Visumerfordernisse für Angehörige des Mitgliedstaats, in dem die Reise angeboten wird, und 2. die ungefähren Fristen zur Erlangung der Dokumente zu informieren; soweit die in den Z 2, 4 und 5 genannten Angaben bereits in der vom Reiseveranstalter herausgegebenen und dem Reisenden zur Verfügung gestellten Werbeunterlage enthalten sind und zwischenzeitlich keine Änderungen erfahren haben, ist eine gesonderte Information nicht erforderlich.

3.3. Bei dieser Verordnung handelt es sich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB (Zechner, Reisevertragsrecht Rz 242).

4.1. Im Gegensatz zur deutschen Lehre und Rechtsprechung (Führich, Handbuch des Reisevertrags‑, Reiseversicherungs- und Individualreiserechts2 Rz 200; BGH NJW 1985, 165; aA Tempel, NJW 1996, 625 ff) werden im österreichischen Schrifttum die Aufklärungspflichten betreffend Pass- und Visavorschriften generell als Nebenpflichten eingeordnet (Blumäuer, Reiserecht, 23). Es handle sich um unselbständige Nebenpflichten; die Verletzung dieser vorvertraglichen Aufklärungspflichten führe zu Schadenersatzansprüchen aus culpa in contrahendo. Außerdem könne der Reisende den Vertrag wegen Irrtums anfechten, wobei es sich stets um einen Geschäftsirrtum handle, weil für das Reisevertragsrecht konkret positivierte Aufklärungspflichten im Sinne des § 871 Abs 2 ABGB bestünden (Blumäuer aaO). Zu betonen ist freilich, dass eine - im vorliegenden Fall ohnedies nicht geltend gemachte - Irrtumsanfechtung auch in einem solchen Fall Kausalität des Irrtums voraussetzen würde.

4.2. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass das als Reisevermittler auftretende Reisebüro die ihm obliegenden Informationspflichten nicht erfüllt hat. Werden dem Kunden keine Kataloge zur Verfügung gestellt, in denen sich nähere Informationen über Einreisebestimmungen befinden, so reicht das bloße Durchblättern von Katalogen anlässlich des Buchungsgesprächs keineswegs aus, liegt dabei doch das Schwergewicht nach der Lebenserfahrung stets auf der Auswahl eines konkreten Angebots und nicht auf der Durchsicht von Detailbestimmungen. Ebenso wenig entspricht es den Informationspflichten, wenn bloß pauschal auf den Kunden nicht zur Verfügung gestellte Kataloge oder auf die Möglichkeit der Auskunftserteilung durch andere Stellen, etwa das Außenministerium oder ausländische Botschaften, verwiesen wird. Durch die Informationspflicht nach §§ 2, 3 IVO sollen dem Kunden derartige eigenständige weitere Erkundungen ja gerade erspart werden.

5.1. Nach ständiger Rechtsprechung richtet sich bei einem Mitverschulden die Verschuldensteilung nach dem Gewicht des Verschuldens, gegebenenfalls der Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das Verschulden jeweils bewirkten Gefahr sowie der Bedeutung der verletzten Vorschriften (vgl Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1304 Rz 5, Harrer in Schwimann, ABGB3 § 1304 Rz 35 mwN).

5.2. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das Reisebüro gegen eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung verstoßen hat, deren Zweck es gerade ist, dem Reisenden eigene Nachforschungen zu ersparen. Dazu kommt, dass jedenfalls im Jahr 2006 die Miteintragung von Kindern im Reisepass der Eltern in zahlreichen Staaten ausreichte, sodass diesbezüglich kein entsprechendes Problembewusstsein bei den Reisenden vorausgesetzt werden konnte. Im vorliegenden Fall hat nun der Reisende darüber ohnedies auch eigene Nachforschungen angestellt, sodass ihm allenfalls nur vorgeworfen werden könnte, die Information auf der Homepage des Außenministeriums missverstanden zu haben. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen ergibt sich aus der allgemeinen Aussage, dass österreichische Staatsbürger zur Einreise nach Marokko einen Reisepass benötigen, keinesfalls mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass die verbreitete Miteintragung von Kindern im Reisepass eines Elternteils nicht ausreicht. Darüber hinaus hat der Reisende auch weitere Nachforschungen angestellt und einen Reiseführer konsultiert. Bei dieser Sachlage bleibt aber für die Berücksichtigung eines ins Gewicht fallende Mitverschuldens des Reisenden kein Raum. Der Verstoß des Reisebüros gegen die gesetzliche Informationspflicht wirkt vielmehr derart schwer, dass demgegenüber ein im Missverständnis der amtlichen Informationen des Außenministeriums liegendes Mitverschulden des Reisenden völlig in den Hintergrund tritt.

5.3. Dass der Reisende und seine anderen Familienangehörigen die Reise nicht antraten, weil die Einreise für ihr achtjähriges Kind nicht möglich gewesen wäre, kann jedenfalls kein Mitverschulden begründen; der Reiseantritt unter Zurücklassung des achtjährigen Kindes wäre unzumutbar.

6. Das Klagebegehren ist daher berechtigt. Dabei hat die klagende Partei nicht nur Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Pauschalreisepreises, sondern des gesamten vom Reisenden bezahlten Betrags von 3.437,80 EUR, soweit dieser noch nicht refundiert wurde. Dass insgesamt 3.437,80 EUR bezahlt wurden, ist nicht strittig. Dass das Entgelt für die Reiseversicherung und das Reisebüro‑Serviceentgelt nicht dem Reiseveranstalter zufließen, hat in diesem Zusammenhang außer Betracht zu bleiben, war doch Folge des Verstoßes gegen die Belehrungspflichten, dass diese Leistungen für den Reisenden wertlos wurden.

7. Damit waren die Urteile der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision spruchgemäß abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte