European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00133.23M.1120.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.239,83 EUR (darin 206,64 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb im Jahr 2012 ein von der Zweitbeklagten hergestelltes Neufahrzeug mit einem Dieselmotor des Typs EA189. Darin war bei Übergabe eine Abschalteinrichtung verbaut, die aufgrund ihrer Software erkannte, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand (NEFZ) (= Modus 1) oder im normalen Fahrbetrieb im Straßenverkehr befand (= Modus 0; „Umschaltlogik“; dazu näher 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 3]). Seit einem später durchgeführten Software‑Update findet die volle Abgasrückführung zwar auch im normalen Fahrbetrieb statt, dies allerdings nur zwischen 15 Grad bis 33 Grad Celsius („Thermofensters“) und damit in Österreich nur während rund vier bis fünf Monaten im Jahr.
[2] Die Klägerin machte gegenüber der erstbeklagten Händlerin Gewährleistungsansprüche geltend (insoweit erwuchs das der Klage überwiegend stattgebende Urteil des Berufungsgerichts in Rechtskraft) und fordert von der Zweitbeklagten Schadenersatz.
[3] Das Berufungsgericht verpflichtete die Zweitbeklagte zur Zahlung von 10.433,25 EUR und wies ein Mehrbegehren von 2.370,77 EUR ab.
Rechtliche Beurteilung
[4] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision der Zweitbeklagten nicht zulässig:
[5] 1. Die Zweitbeklagte stattete das Fahrzeug als Fahrzeugherstellerin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Auch nach dem Software-Update ist darin weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden (zur Unzulässigkeit von „Umschaltlogik“ und „Thermofenster“ vgl 3 Ob 146/22z [ErwGr 1. und 3.])
[6] 2.1. Die einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen (Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG und Art 18, 26 und 46 Rahmen‑RL 2007/46/EG ) schützen auch die Einzelinteressen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs. Aus diesem Grund hat ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 leg cit ausgestattet ist. Unionsrechtlich ist vorgegeben, dass der Schaden bereits in der Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit liegen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 84). Dieser Schaden tritt bereits durch den Kaufvertrag ein (10 Ob 27/23b [Rz 25]), es sei denn es wäre im konkreten Fall ein Schadenseintritt deshalb zu verneinen, weil das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprochen hätte (vgl 10 Ob 27/23b [Rz 26]). Dass dies der Fall gewesen wäre, lässt sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.
[7] 2.2. Die Zweitbeklagte kritisiert die Feststellungsgrundlage deshalb in Bezug auf „den Kausalzusammenhang zwischen Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt“ als mangelhaft. Das Unterbleiben von Feststellungen dazu hätte aber nur dann einen Feststellungsmangel begründen können, wenn die insoweit behauptungs- und beweispflichtige Zweitbeklagte (RS0109832) im Verfahren erster Instanz vorgebracht hätte (RS0053317 [T2]), dass im hier zu beurteilenden Fall (ausnahmsweise) deswegen kein Schaden eingetreten ist, weil das konkrete Fahrzeug mit der unzulässigen Abschalteinrichtung zwar nicht objektiven Verkehrserwartungen, aber dennoch konkret dem Willen der Klägerin entsprochen habe. In diese Richtung abzielende Tatsachen hat die Zweitbeklagte aber nicht vorgetragen.
[8] 3. Irrelevant ist, ob der Zweitbeklagten (auch) hinsichtlich des „Thermofensters“ ein Verschulden anzulasten ist, zumal der bereits durch die „Umschaltlogik“ eingetretene Schaden (des Bestehens einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit der damit verbundenen latenten Unsicherheit in Bezug auf die Möglichkeit, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen) damit nicht beseitigt wurde. Schlägt – wie hier – der Versuch einer Schadensbeseitigung (verschuldet oder unverschuldet) fehl, hat es bei der Haftung des Schädigers zu bleiben (6 Ob 84/23f [ErwGr 3.5.]).
[9] 4. Zu der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage der Schadensberechnung für derartige Fälle besteht bereits ausreichend Judikatur des Obersten Gerichtshofs (grundlegend 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023; vgl auch 10 Ob 27/23b zur Berechnung ohne Herausgabe des Fahrzeugs). Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht in Einklang mit dieser Rechtsprechung.
[10] 5. Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass aus Schadenersatz zustehende Verzugszinsen erst ab Fälligstellung – durch zahlenmäßig bestimmte Geltendmachung mittels empfangsbedürftiger Mahnung, Klage oder Klagserweiterung (3 Ob 121/23z [ErwGr 3.3]; 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [ErwGr II.3.8]) – zustehen. Es sprach Verzugszinsen aus dem für den Zeitpunkt der Einbringung der Klage richtig berechneten Schadenersatzbetrag im Zeitraum ab Fälligstellung (durch Klagszustellung) bis Schluss der Verhandlung und danach aus dem zuerkannten geringeren Punktum zu. Die Klägerin hatte sich nämlich ohnehin (zur grundsätzlichen Behauptungs- und Beweislast des Schädigers für die Vorteilsausgleichung siehe RS0036710) bei Geltendmachung des mit der Klage verlangten Schadenersatzbetrags Benutzungsentgelt – ausgehend von der mit dem Auto im Zeitpunkt der Klage zurückgelegten Kilometerleistung – als Vorteil angerechnet. Der Zuspruch des letztlich geringeren Punktums beruhte auf der Anrechnung des weiteren Vorteils, der in der Nutzung des Fahrzeugs während des Verfahrens liegt.
[11] Die Beklagte hat das von der Klägerin gestellte Zinsenbegehren in erster Instanz nie bestritten. Wenn sie erstmals in der Revision rügt, dass angesichts dieser weiteren (nach Klagseinbringung erfolgten) Nutzung des Fahrzeugs Verzugszinsen ab Klagszustellung (bis zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung) aus einem überhöhten Betrag zugesprochen worden wären, verstößt dies gegen das Neuerungsverbot.
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