European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00119.17V.0707.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.241,55 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger begehrt Schadenersatz von 23.108 EUR sA. Er habe am 30. 4. 2015 und am 29. 6. 2015 Aktien der Beklagten um insgesamt 44.625 EUR börslich gekauft und im Jänner und Februar 2016 um insgesamt 21.517 EUR verkauft. Für die Differenz hafte die Beklagte schadenersatzrechtlich, weil sie als Emittentin fundamentale Informationen zur Preisbildung verschwiegen habe. Sie habe bereits 2008 begonnen, eine Software in zahlreiche von ihr hergestellte Autos zu implementieren, um die Messungen des Schadstoffausstoßes zu manipulieren. Trotz dieser für den Börsekurs verbundenen maßgebliche Risiken habe sie das Anlegerpublikum über diese Umstände nicht zeitgerecht informiert, was einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Ad‑hoc‑Publizität gemäß § 15 Abs 1 dWpHG darstelle. Hätte der Kläger Kenntnis von den genannten Umständen gehabt, hätte er die Aktien nicht gekauft.
Zur internationalen (und örtlichen) Zuständigkeit brachte der Kläger zusammengefasst vor, die Beklagte habe ihren Sitz in Deutschland, weshalb die Vorschriften der VO (EU) Nr 1215/2012 (EuGVVO) anzuwenden sei. Sein Anspruch sei deliktischer Natur. Der Schaden sei in Wien eingetreten. Von hier hätte er die gebotene ad-hoc-Meldung abrufen können, und der Schaden sei unmittelbar auf seinem Bankkonto in Wien, somit an seinem Wohnsitz eingetreten, über das er den An- und Verkauf der Aktien abgewickelt habe. Daher sei gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 das Handelsgericht Wien zuständig. Die Verletzung von Publizitätsvorschriften durch den Emittenten eines Finanzinstruments/Wertpapiers stelle nach der Rechtsprechung des EuGH eine „unerlaubte Handlung“ im Sinne dieser Bestimmung dar. Die von der Beklagten eingewandte Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht wirksam. Die Satzung der Beklagten sei nicht auf die Verletzung von ad-hoc-Meldepflichten anwendbar. Er stütze seine Ansprüche auch nicht auf seine Aktionärsstellung gegenüber der Beklagten.
Die Beklagte erhob die Einreden der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit und bestritt das Klagebegehren inhaltlich. In ihrer Satzung sei eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, die für Ansprüche aus unterlassener Kapitalmarktinformation den ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft, somit am Landgericht Braunschweig, vorsehe. Mangels Vorliegens eines Verbrauchervertrags iSd Art 17 EuGVVO [2012] sei diese Gerichtsstandsvereinbarung zulässig. Die Voraussetzungen für den vom Kläger herangezogenen Deliktsgerichtsstand in Österreich lägen nicht vor, weil der Handlungsort in Deutschland liege und der behauptete Schaden am Bankkonto des Klägers nur einen Folgeschaden darstelle, auf den es nicht ankomme. Schließlich sehe auch § 32b dZPO eine ausschließliche Zuständigkeit deutscher Gerichte am Sitz des Emittenten für unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformationen vor.
Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler (und erkennbar auch örtlicher) Zuständigkeit zurück. Es traf folgende Feststellungen:
Die auf der Homepage der Beklagten abrufbare und im Handelsregister einsehbare Satzung der Beklagten lautet seit zumindest Mai 2015 auszugsweise wie folgt:
„ § 29 Gerichtsstand:
Für alle Streitigkeiten zwischen Aktionären und Berechtigten und/oder Verpflichteten von Finanzinstrumenten, die sich auf Aktien der Gesellschaft beziehen, sowie der Gesellschaft andererseits besteht ein ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft, soweit dem nicht zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Dies gilt auch für Streitigkeiten, mit denen der Ersatz eines auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursachten Schadens geltend gemacht wird. Ausländische Gerichte sind für solche Streitigkeiten nicht zuständig.“
Ausgehend von diesem Sachverhalt führte das Erstgericht zusammengefasst aus, die in der Satzung der Beklagten enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung erfülle die Voraussetzungen nach Art 25 Abs 1 lit a bis c EuGVVO 2012. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei jeder Aktionär an die Satzung und damit auch an die darin enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden. Eine Verbrauchersache im Sinn des Art 19 EuGVVO 2012 liege nicht vor, weil der Kläger die Aktien am Sekundärmarkt erworben habe.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.
Eine in der Satzung enthaltene Gerichtsstandsklausel stelle nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vereinbarung iSd Art 17 EuGVÜ dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei davon auszugehen, dass der Kläger der in der Satzung enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung durch den Erwerb der Aktien zugestimmt habe.
Die Gerichtsstandsklausel der Satzung sei auch ausreichend bestimmt und erfasse jedenfalls alle gegenwärtigen und zukünftigen Aktionäre. Der Kläger habe sich weder darauf berufen, dass eine Verbrauchersache im Sinn des Art 17 Abs 1 EuGVVO 2012 vorliege, noch sei er der das Vorliegen einer Verbrauchersache verneinenden Ansicht der Beklagten und des angefochtenen Beschlusses entgegen getreten.
Rechtliche Beurteilung
Der nachträglich zugelassene ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom heutigen Tag, AZ 6 Ob 18/17s, in einem Parallelverfahren mit eingehender Begründung dargelegt, dass in der vorliegenden Konstellation die internationale Zuständigkeit selbst unter der Annahme der Unwirksamkeit der in der Satzung der Beklagten enthaltenen Gerichtsstandsklausel fehlt.
2. Entgegen der Ansicht des Rechtsmittelwerbers ist der Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, auf den allein sich der Kläger beruft, nicht gegeben, wie der Oberste Gerichtshof in der zuvor genannten Entscheidung ausgeführt hat:
2.1. Für die Ad-hoc-Publizitätspflicht ist in Bezug auf den Handlungsort auf das Land abzustellen, in dem der Emittent der Ad-hoc-Publizitätspflicht unterliegt. Die bloße Duplikation der Information in anderen Mitgliedstaaten ist unbeachtlich (Pimmer/Nikolai, Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO in Prospekthaftungsfällen und bei Verletzung der Ad-hoc-Publizität, Zak 2016, 224 [225]).
2.2. Auf den Vorschlag, stattdessen auf den Marktort abzustellen (dazu Schacherreiter,ÖBA 2016, 528 [531] mwN) ist nicht einzugehen. Der Marktort befindet sich im vorliegenden Fall nämlich nicht in Österreich.
2.3. Alternativ kann der Kläger seine Ansprüche auch am Erfolgsort geltend machen. Darunter ist der Ort zu verstehen, an dem die schädigenden Auswirkungen eintreten. Bei Anlegerschäden fehlt jedoch eine physische Manifestation des Schadens. Nach österreichischem Verständnis liegt der Schaden bereits im Vertragsabschluss („Abschlussschaden“; vgl Kodek, Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 f). Dies spräche dafür, auf den Ort des Vertragsschlusses abzustellen. Nach anderer Ansicht soll der Ort der „Vermögenszentrale“ maßgeblich sein. Dies wäre der Wohnsitz des Klägers (vgl Machohl,Schadenersatz nach gescheiterten Vertragsverhandlungen 13.3.5). Der Nachteil dieser Sichtweise ist, dass man auf diesem Weg zu einem allgemeinen Klägergerichtsstand käme, was wohl nicht im Sinne der Brüssel Ia‑VO ist. Nach der Entscheidung 3 Ob 14/12y liegt der Erfolgsort an dem Ort, an dem sich das angelegte Geld befindet.
a) Im Fall Kronhofer (EuGH 10. 06. 2004, C‑168/02) hatte der EuGH einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem ein österreichischer Anleger den deutschen Geschäftsführer und Anlageberater in Österreich wegen unzureichender Bankberatung im Zusammenhang mit Call-Optionen klagte. Nach Ansicht des EuGH reicht es nicht aus, dass der Verlust auch in Österreich eingetreten ist. Es bestehe nicht schon deshalb ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers, „… weil dem Kläger dort ein finanzieller Schaden durch den in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen und erlittenen Verlust von Vermögensbestandteilen entstanden sein soll“. Der EuGH betonte die Wichtigkeit der Vorhersehbarkeit („leichte Identifizierbarkeit“) des Gerichtsstands.
b) Im Fall Kolassa (EuGH 28. 01. 2015, C‑375/13 – Kolassa/Barclays Bank plc) hatte der Kläger als Verbraucher außerbörslich über „direktanlage.at“ in Zertifikate investiert. Emittentin war die englische Barclays Bank mit einer Zweigniederlassung in Deutschland. Direktanlage.at orderte die Wertpapiere bei ihrer deutschen Muttergesellschaft, die diese bei Barclays erwarb. Die Orders erfolgten jeweils im Namen der betreffenden Gesellschaften. Die Zertifikate wurden in München in eigenem Namen auf Rechnung des Kunden gehalten; es erfolgte keine Übertragung der Zertifikate an den Kunden. Bei diesem Sachverhalt lokalisierte der EuGH den Schadenseintritt am Ort des Bankkontos.
c) In einer Folgeentscheidung betonte der EuGH allerdings, dass für die Annahme des Erfolgsorts am Ort der Kontoführung nur die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgeblich waren. Nach der Entscheidung des EuGH im Fall Universal Music (EuGH 16. 06. 2016, C‑12/15 – Universal Music Holding/Schilling ua) kann als Ort des Schadenseintritts in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin Universal Music zwischen mehreren Bankkonten wählen konnte, sodass der Ort, an dem dieses Konto geführt wird, nicht unbedingt ein zuverlässiges Anknüpfungskriterium sei. Nur dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Orts, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitrügen, könnte ein solcher Schaden dem Kläger in vertretbarer Weise die Erhebung einer Klage vor diesem Gericht ermöglichen.
d) In Teilen der Literatur wird zur Lokalisierung des Schadenseintritts eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall vertreten ( Zaprianos , GPR 2016, 251; ähnlich schon v on Hein , Deliktischer Kapitalanlegerschutz im Europäischen Zuständigkeitsrecht, IPrax 2005, 17). Nach verbreiteter Auffassung ist zwischen „Betrugs-“ und „Untreuefällen“ zu differenzieren (vgl Engert/Groh, IPRax 2011, 463 ff mwN; Fichtinger, Internationale Zuständigkeit bei Kapitalanlagedelikten, Zak 2012, 347 mwN; Wagner/Gess, NJW 2009, 3481). Demnach erfolgt im Untreuefall die Schädigung am im Ausland gelegenen Ort der Belegenheit der Wertpapiere/des Wertpapierkontos, im Betrugsfall hingegen schon mit der Überweisung. Der BGH nimmt hier einen inländischen Erfolgsort an (vgl Engert/Groh, IPRax 2011, 458 [463 ff] mwN; Fichtinger, Zak 2012, 347 unter Hinweis auf BGH 12. 10. 2010, XI ZR 394/08 = WM 2010, 2214; Wagner/Gess, NJW 2009, 3481; zu weiteren Nachweisen s Gargantini, Capital Markets 14 FN 37). Auch der Oberste Gerichtshof lokalisierte einmal den Erfolgsort am Ort des Geldabflusses (3 Ob 14/12y).
e) Gegen das Abstellen auf den Überweisungsort spricht, dass dieser schwer vorhersehbar ist; eine Überweisung von verschiedenen Konten könnte zudem zu mehrfachen Gerichtsständen führen (vgl Schacherreiter,ÖBA 2016, 529). Zudem wird der Umstand, wo sich das Bankkonto des Geschädigten befindet, oft von Zufälligkeiten geprägt sein. Das Art 7 Nr 2 EuGVVO zugrunde liegende (rechtspolitische) Kriterium der besonderen Sach‑ bzw Beweisnähe der Gerichte am Ort des Schadenseintritts (vgl Czernich in Czernich/Kodek/Mayr , Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht, Art 7 Rz 1 mwN) vermag die Klagemöglichkeit am Ort der Kontoführung nicht zu rechtfertigen. Die gegenteilige Auffassung würde demgegenüber in weitem Umfang einen Klägergerichtsstand eröffnen und damit die Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände beeinträchtigen und die Grundregel des Art 4 Abs 1 EuGVVO geradezu umkehren.
3. In Anbetracht des Umstands, dass es sich bei der Beklagten um ein deutsches börsenotiertes Unternehmen handelt, die Aktien der Beklagten an deutschen Börsen – und nicht an österreichischen – gehandelt werden und die die Aktien verkörpernde Globalurkunde in Deutschland hinterlegt ist, ist ein Erstschaden mangels greifbarer Anknüpfungspunkte nicht in Österreich eingetreten. Bloße Folgeschäden sind von Art 7 Nr 2 EuGVVO nicht umfasst (vgl auch Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozess‑ und Kollisionsrecht4 Art 7 Brüssel Ia‑VO Rz 121; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr aaO Art 7 EuGVVO Rz 129). Im vorliegenden Fall befinden sich der Marktort, der Börseort, die Globalurkunde und das emittierende Unternehmen sämtliche in Deutschland.
4. Damit besteht im vorliegenden Fall überhaupt kein ausreichender Bezug zu Österreich. Aufgrund dieser abweichenden Sachverhaltskonstellation war der Ausgang des vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 28/17i gestellten Vorabentscheidungsersuchens nicht abzuwarten. In diesem Fall ging es um die Lokalisierung des Deliktsgerichtsstands, wenn der Anleger seine durch einen in Österreich notifizierten mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung in Österreich getroffen hat und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde. Im vorliegenden Fall hat der Kläger demgegenüber seine Aktien an einer deutschen Börse erworben. Damit befinden sich der Marktort, der Börseort, die Globalurkunde und das emittierende Unternehmen in Deutschland. Bei dieser Sachlage kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass für die geltend gemachten Ansprüche weder der Erfolgs- noch der Handlungsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO in Österreich liegen, sodass es insoweit einer Befassung des EuGH nicht bedurfte.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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