OGH 6Nc9/21g

OGH6Nc9/21g3.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen M*****, geboren am *****, wegen Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060NC00009.21G.0503.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Schwaz vom 18. März 2021, GZ 1 Ps 35/21a‑50, verfügte Übertragung der Zuständigkeit für diese Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Linz wird genehmigt.

 

Begründung:

[1] Die Eltern lebten mit dem Kind in L*****. Die Obsorge für das Kind kommt beiden Elternteilen zu. Nach Auflösung ihrer Lebensgemeinschaft vereinbarten die Eltern im November 2019 im Pflegschaftsverfahren vor dem Bezirksgericht Linz unter anderem die abwechselnde Betreuung des Kindes („Doppelresidenz“).

[2] Im Februar 2021 übersiedelte die Mutter mit dem Kind ohne Zustimmung und Wissen des Vaters nach Tirol und beantragte, den hauptsächlichen Aufenthaltsort und die überwiegende Betreuung bei ihr festzulegen. Das Bezirksgericht Schwaz übernahm daraufhin am 15. März 2021 gemäß § 111 JN die Zuständigkeit für die Pflegschaftssache vom Bezirksgericht Linz. In der Folge wendete der Vater die Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Schwaz ein und beantragte, ihm die alleinige Obsorge für das Kind zu übertragen.

[3] Mit Beschluss vom 18. März 2021 verfügte das Bezirksgericht Schwaz die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Linz. Der Vater habe vorgebracht, die Mutter habe entgegen einer vor dem Bezirksgericht Linz getroffenen Vereinbarung und ohne seine Zustimmung den Wohnsitz des Kindes verlegt. Es werde zu klären sein, ob die von der Mutter geplante Verlegung des Wohnsitzes des Kindes nach Tirol ohne Zustimmung des Vaters rechtswidrig (gewesen) sei.

[4] Das Bezirksgericht Linz lehnte die Übernahme der Zuständigkeit ab. Es sei davon auszugehen, dass das Kind aufgrund der Übersiedlung der Mutter seinen Lebensmittelpunkt seit Ende Februar 2021 auf Dauer zumindest zum Teil in Tirol habe.

[5] Nach der derzeitigen Aktenlage befindet sich das Kind – gegen den Willen der Mutter – seit 16. März 2021 nicht mehr in Tirol, sondern wieder beim Vater.

Rechtliche Beurteilung

[6] Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

[7] Die Übertragung der Zuständigkeit ist gerechtfertigt.

[8] 1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen. Im Fall der Weigerung des anderen Gerichts bedarf die Übertragung zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichts (§ 111 Abs 2 JN).

[9] 2. Das ausschlaggebende Kriterium für die Beurteilung, ob die Pflegschaftssache nach § 111 JN an ein anderes Gericht übertragen werden soll, ist das Kindeswohl (RS0046908). Eine Zuständigkeitsübertragung hat nur zu erfolgen, wenn dies im Interesse des Kindes und zur Förderung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes erforderlich erscheint (RS0046929).

[10] 3. In der Regel wird es den Interessen des Kindes am besten entsprechen, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (RS0047300). Die Zuständigkeitsübertragung setzt allerdings einen stabilen Aufenthalt des Pflegebefohlenen voraus. Die Übertragung wird deshalb insbesondere dann als unzweckmäßig erachtet, wenn noch nicht endgültig über die Obsorge entschieden ist, der Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters und damit des Kindes instabil oder die zukünftige Lebenssituation unklar ist (3 Ob 169/16y; 6 Nc 22/15k; RS0046908 [T12]).

[11] 4. Im vorliegenden Fall ergibt sich aufgrund der hervorgekommenen neuen Umstände, dass sich das Kind lediglich wenige Wochen in Tirol aufgehalten hat, sodass von einem stabilen Aufenthalt dort nicht gesprochen werden kann.

Da nach wie vor beiden Eltern die Obsorge zukommt, kann auch nicht mit erforderlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich das Kind in Hinkunft dauerhaft in Tirol aufhalten wird. Das Bezirksgericht Schwaz hat zudem noch keine wesentlichen Verfahrenshandlungen vorgenommen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Führung des Verfahrens durch das Bezirksgericht Schwaz nun nicht mehr als zweckmäßig. Zur Förderung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes liegt vielmehr die weitere Verfahrensführung durch das schon bisher mit der Pflegschaftssache befasste Bezirksgericht Linz im Interesse des Kindes.

[12] Die Übertragung der Zuständigkeit war somit gemäß § 111 Abs 2 JN zu genehmigen.

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