European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060NC00021.17S.1009.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 10. Juli 2017, GZ 3 Ps 372/15d‑301, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Hietzing wird genehmigt.
Begründung:
Das Kind lebt seit August 2016 bei seinem Vater in Wien, nachdem diesem zunächst vorläufig (ON 255) und sodann mit im Instanzenweg bestätigtem Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 30. 12. 2016 (ON 283) die Obsorge zugewiesen worden war. Der Mutter, die laut Auskunft aus dem Zentralen Melderegister vom 25. 7. 2017 (ON 305) weiterhin in Steyr lebt, kommt ein begleitetes Kontaktrecht zu, welches in Wien ausgeübt wird. Derzeit sind keinerlei Anträge offen, die Eltern hatten jedoch einen lang andauernden Obsorgestreit um das Kind vor dem Bezirksgericht Steyr geführt.
Über Antrag der Mutter vom 3. 7. 2017 übertrug das Bezirksgericht Steyr mit rechtskräftigem Beschluss vom 10. 7. 2017 seine Zuständigkeit gemäß § 111 JN unter Hinweis auf den nunmehrigen Lebensmittelpunkt des Kindes an das Bezirksgericht Hietzing, welches jedoch am 26. 7. 2017 die Übernahme verweigerte; der „pflegschaftsbehördliche“ Schutz des Kindes könne weiterhin bestens durch die Beibehaltung der Zuständigkeit des Bezirksgerichts Steyr wahrgenommen werden, das ebenso wie die Familiengerichtshilfe und der „Jugendwohlfahrtsträger“ (gemeint: in Oberösterreich) mit der Problematik des Falls befasst und bestens informiert sei.
Der Vater erklärte am 5. 9. 2017, den Übertragungsbeschluss nicht anfechten zu wollen; er könne jedoch den Argumenten des Bezirksgerichts Hietzing „einiges abgewinnen“, bestehe doch die Vermutung, dass nach Zuständigkeitsübertragung versucht werden könnte, das Verfahren bei einer „anderen Richterin neu aufzurollen“.
Das Bezirksgericht Steyr legte den Akt gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof vor. Es sei nicht absehbar, ob und wann das Kind jemals wieder nach Steyr zurückkehren sollte. Für den Fall eines Kontaktregelungsantrags der Mutter werde weniger die vormalige, sondern vielmehr die (dann) aktuelle Situation des Kindes ausschlaggebend sein.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist zu genehmigen.
Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen. Nach herrschender Auffassung ist ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Minderjährigen regelmäßig zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung. Besteht daher dieses Naheverhältnis zwischen dem ursprünglich zuständigen Gericht und dem Minderjährigen nicht mehr, verlegt dieser also insbesondere den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung (stabil) in einen anderen Gerichtssprengel, so kann die Zuständigkeit übertragen werden (vgl bloß 6 Nc 15/09x; Mayr in Rechberger, ZPO4 [2014] § 111 JN Rz 2; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 111 JN Rz 11; Fucik in Fasching/Konecny³ I [2013] § 111 JN Rz 3 – alle mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Es ist zwar richtig, dass eine solche Übertragung zu unterbleiben hat, wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt (vgl etwa 4 Ob 2288/96s). Dies kann aber nicht bedeuten, dass nach rechtskräftig abgeschlossenem Obsorgeverfahren und zwischenzeitig mehr als einjährigem (stabilem) Aufenthalt des Minderjährigen in einem anderen Gerichtssprengel die Zuständigkeit bloß deshalb beim vormals zuständigen Pflegschaftsgericht zu verbleiben hat, weil versucht werden könnte, dieses Verfahren vor dem Gericht des nunmehrigen Aufenthalts neu aufzurollen oder dort allenfalls einen neuen Kontaktrechtsantrag zu stellen. Der Frage der Sachkenntnis des bisher zuständigen Pflegschaftsgerichts kann vielmehr nur dann Bedeutung zukommen, wenn noch über einen offenen Sachantrag zu entscheiden ist, andernfalls ja dieses Gericht theoretisch bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Kindes zuständig bleiben würde, selbst wenn nie weitere Anträge gestellt werden sollten.
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