OGH 5Ob515/94

OGH5Ob515/9422.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosa P*****, Religionslehrerin, ***** vertreten durch Dr.Ekkehard Erlacher und Dr.Renate Erlacher-Philadelphy, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Hermann P*****, Kfz-Mechanikermeister, ***** vertreten durch Dr.Bernt Strickner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 5.November 1993, GZ 2a R 603/93-8, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz vom 23. August 1993, GZ 1 C 147/93-4x, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.348,80 (darin enthalten S 724,80 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile waren verheiratet. Ihre Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz vom 1.4.1992, 1 C 65/92m-3, nach mehr als sechsjähriger Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft gemäß § 55 EheG rechtskräftig geschieden. Die nunmehrige Klägerin war auch Klägerin in diesem Scheidungsverfahren.

In der zu 1 C 65/92m des Bezirksgerichtes Schwaz eingebrachten Scheidungsklage, einer Protokollarklage, hatte die Klägerin vorgebracht, daß die Ehe "aus dem Alleinverschulden des Beklagten unheilbar zerrütet sei". Sie erwähnte in diesem Zusammenhang, daß der Beklagte sie im Jahr 1983 verlassen, gegen ihren Willen ein ehewidriges Verhältnis zu einer anderen Frau unterhalten habe und erst vor kurzem bei seiner Lebensgefährtin ausgezogen und gegen ihren Willen zu ihr zurückgekehrt sei, verknüpfte damit aber kein Scheidungsbegehren wegen Verschuldens. Sie machte vielmehr ausdrücklich den "Scheidungsgrund gemäß § 55 EheG" geltend.

Nunmehr strebt die Klägerin die Änderung des Scheidungsurteils in der Weise an, daß die Scheidung aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten ausgesprochen wird. Sie qualifiziert ihr Begehren als "Ergänzungsklage", durch die der seinerzeit mögliche, aber nicht gestellte "Verschuldensantrag" nachgeholt wird. Als Scheidungsgründe macht die Klägerin geltend, daß der Beklagte die Ehe gebrochen und sie gegen ihren Willen verlassen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bejahte zwar die grundsätzliche Möglichkeit einer Ergänzungsklage zur nachträglichen Geltendmachung von Scheidungsgründen iSd §§ 47, 49 EheG trotz bereits aufgelöster Ehe, hielt sie jedoch im konkreten Fall für verfristet, weil gemß § 57 EheG das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn die darauf gestützte Scheidungsklage nicht binnen 6 Monaten erhoben wird. Im konkreten Fall hätten die jetzt den Gegenstand der Ergänzungsklage bildenden Scheidungsgründe binnen sechs Monaten nach Rechtskraft des Scheidungsurteils geltend gemacht werden müssen, weil seither eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft nicht mehr in Frage kommt und eine Hemmung der Präklusionsfrist des § 57 EheG nach der Judikatur dann nicht eintritt, wenn beide Teile zumindest schlüssig erklären, an einer Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft nicht interessiert zu sein (EFSlg 66.433).

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil aus folgenden Erwägungen:

Die Ergänzungsklage sei im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden, weil sich für sie gar keine Rechtsgrundlage finden lasse. Die Rechtsprechung lasse zwar ausnahmsweise eine Ergänzungsklage zu, um - bei Aufrechterhaltung der Ehescheidung - einen Schuld - oder Mitschuldausspruch nachzutragen, doch seien dabei immer die Schranken der Rechtskraft zu beachten (SZ 25/331 ua). Die Präklusionswirkung der Rechtskraft bringe es mit sich, daß ein auf § 55 EheG beruhendes Scheidungsurteil nicht nachträglich in ein solches nach § 47 EheG oder § 49 EheG umgeändert werden könne. Ebensowenig werde einem Ehegatten, der nach § 55 EheG Klage führte, im nachhinein die Möglichkeit einer Erörterung des Verschuldens des beklagten Ehegatten eröffnet, was ihm ja selbst im "zu ergänzenden Vorverfahren" nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen gänzlich verwehrt wäre. Diese Erwägung wiege umso mehr, als etwa die Fällung eines Teilurteils allein über das Scheidungsbegehren nach § 55 Abs 3 EheG für unzulässig gehalten wird, wenn der beklagte Ehegatte einen Antrag nach § 61 Abs 3 EheG gestellt hat (SZ 59/64).

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes enthält den Ausspruch, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Begründet wurde dies mit der klaren Rechtslage.

In der nunmehr vorliegenden ao Revision macht die Klägerin geltend, daß keine Judikatur auffindbar sei, die es ausschließe, ein auf § 55 EheG gestütztes Scheidungsurteil durch einen Verschuldensausspruch zu ergänzen. Gerade dafür sei die Ergänzungsklage vorgesehen; der Grundsatz der Einheitlichkeit des Eheverfahrens werde insoweit durch das Anerkenntnis der Teilrechtskraft und der dadurch geschaffenen Situation eines Teilurteils über die Auflösung des Ehebandes durchbrochen. Wenngleich dabei in erster Linie an die Nachholung eines Verschuldensausspruches iSd § 61 Abs 3 EheG auf Grund einer Ergänzungsklage des im seinerzeitigen Ehescheidungsverfahren beklagten Ehegatten gedacht sei, dürfe diese Möglichkeit - schon aus Gründen der Gleichbehandlung - der klagenden Partei des seinerzeitigen Scheidungsprozesses nicht vorenthalten werden. Die Festlegung auf den Scheidungsgrund des § 55 EheG bedeute nicht den Verzicht auf die Geltendmachung anderer, den §§ 47 oder 49 EheG unterstellbarer Scheidungsgründe. Auch die (Teil-) Rechtskraft des Scheidungsurteils könne der gegenständlichen Ergänzungsklage nicht entgegenstehen, weil die Verschuldensfrage gar nicht Streitgegenstand des Vorprozesses war. Die weiteren Revisionsausführungen beschäftigen sich mit der vom Erstgericht angenommenen Verfristung. Der Revisionsantrag geht dahin, das angefochtene Urteil entweder im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern oder aber aufzuheben und die Rechtssache zur Entscheidung über die noch nicht erledigten Berufungsgründe an das Gericht zweiter Instanz zurückzuverweisen.

Dem Beklagten wurde die Erstattung einer Revisionsbeantwortung freigestellt. Er hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Zurückweisung der Revision, hilfsweise die Bestätigung des angefochtenen Urteils beantragt.

Die Revision ist zulässig, weil der Fall einer Ergänzungsklage des im Scheidungsverfahren nach § 55 EheG voll obsiegenden klagenden Ehegatten erstmals an den Obersten Gerichtshof herangetragen wird; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Richtig ist, daß die Judikatur mit Billigung der Lehre eine Ergänzungsklage zur Nachholung eines im rechtskräftigen Scheidungsurteil nicht enthaltenen Verschuldens- oder Mitverschuldensausspruches zuläßt (JBl 1991, 50 mwN). Einer der möglichen Anwendungsfälle einer solchen Klage (siehe dazu Jelinek,

Die Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen und Beweismittel im Eheprozeß, JBl 1968, 514 f) ist jedoch im Begehren der Klägerin nicht zu erkennen.

Die Ergänzungsklage dient, wie schon ihr Name sagt (Jelinek aaO bezeichnet sie als "Schuldausspruchsänderungsklage"), der Nachholung oder Korrektur eines Schuldausspruches, der mangels Ausschöpfung vorhandener prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten im Urteil des Vorprozesses nicht enthalten oder unvollständig geblieben ist. Dabei geht es stets um Gestaltungsmöglichkeiten des im Scheidungsverfahren beklagten Ehegatten durch einen Verschuldens- oder Mitverschuldensantrag, da der Scheidungskläger den Ausspruch eines Verschuldens der beklagten Partei nur durch die Geltendmachung eines darauf abzielenden Scheidungsgrundes (§§ 47 bis 49 EheG) erwirken kann und seine prozessualen Möglichkeiten zur gerichtlichen Erörterung der Verschuldensfrage endgültig vergibt, wenn er sich auf einen anderen Scheidungsgrund festlegt. In einem solchen auf die Scheidungsgründe der §§ 50 - 52 EheG oder § 55 EheG beschränkten Verfahren bliebe nur dann Raum für einen Schuldausspruch, wenn die beklagte Partei einen Antrag nach § 61 Abs 2 oder 3 EheG stellt. Darum steht auch nur der im vormaligen Scheidungsprozeß beklagten Partei die Ergänzungsklage offen. Es geht darum, das im Vorprozeß nach Maßgabe des Klagebegehrens ergangene, durch die Unterlassung eines Mitverschuldens- oder Verschuldensantrages der beklagten Partei jedoch unvollständig gebliebene Scheidungsurteil zu ergänzen (vgl JBl 1971, 574), und nicht um die Gewährung eines zusätzlichen Rechtsschutzanspruches an den, der mit seinem frei gewählten, die Verschuldensfrage ausklammernden Scheidungsbegehren bereits durchgedrungen ist. Grundsätzlich gilt, daß die rechtskräftige Scheidung einer Ehe dem Erfolg einer zweiten, sei es auch auf neue Scheidungsgründe gestützten Klage entgegensteht (vgl Jelinek aaO) und damit auch die nachträgliche Erörterung von Verschuldensfragen ausschließt (idS auch SZ 25/331); die Ergänzungsklage soll die Ausnahme sein.

Folgerichtig wurden als Anwendungsbereiche der Ergänzungsklage bisher nur Fälle diskutiert und als Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbrauch des Klagerechtes durch Auflösung der Ehe anerkannt, in denen das Scheidungsurteil im Vorprozeß mangels Antrages des Beklagten keinen Verschuldensausspruch oder Mitverschuldensausspruch enthielt (Jelinek aaO). In dieser Beschränkung des Klagerechts liegt - entgegen der Rechtsmeinung der Revisionswerberin - auch keine gleichheitswidrige Bevorzugung der im Ehescheidungsstreit beklagten Partei. Für sie läßt sich ins Treffen führen, einen Verschuldens- oder Mitverschuldensantrag nur deshalb unterlassen zu haben, weil sie an der Ehe festhalten wollte und ihr primäres Prozeßziel die Abweisung des Scheidungsbegehrens war. Die Geltendmachung von Eheverfehlungen des Prozeßgegners, mit dem sie ja in der Ehe verbunden bleiben wollte, konnte dabei den eigenen Interessen widersprechen und folglich unzumutbar sein. Anders verhält es sich mit dem Scheidungswilligen, der losgelöst von einem solchen Interessenkonflikt frei entscheiden kann, ob er seine Klage von Anfang an auf schuldhafte Eheverfehlungen oder auf andere Scheidungsgründe stützt. Die Ungleichbehandlung der Parteien des Scheidungsprozesses bei der Gewährung eines Rechtsbehelfs zur nachträglichen Änderung des Scheidungsurteils bezüglich des Schuldausspruches erscheint daher sachlich gerechtfertigt.

Im gegenständlichen Fall hat die Klägerin ihr Scheidungsbegehren ausschließlich auf § 55 Abs 3 EheG gestützt. Da der Beklagte keinen Antrag stellte, im Urteil das alleinige oder überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe festzustellen (§ 61 Abs 3 EheG), bestand gar keine Möglichkeit, die Verschuldensfrage zu erörtern. Der jetzt begehrte Ausspruch, der Beklagte trage das alleinige Verschulden an der Scheidung, geht aus den obigen Darlegungen über eine "Ergänzung" des Verfahrens hinaus und würde die Einleitung eines völlig neuen Verfahrens bedeuten. Zu Recht hat daher das Berufungsgericht schon aus diesem Grund die Unschlüssigkeit der Ergänzungsklage angenommen. Auf weitere Rechtsfragen, etwa auf die Verfristung der Klage nach § 57 Abs 1 EheG, ist daher gar nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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