OGH 5Ob51/22v

OGH5Ob51/22v21.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Johannes Grahofer, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte Partei C*, vertreten durch Mag. Dr. Josef Kattner, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Feststellung des Nichtbestehens einer Dienstbarkeit und Unterlassung (Gesamtstreitwert 6.000 EUR) über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 10. November 2021, GZ 21 R 141/21z‑26, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 16. Mai 2021, GZ 40 C 742/19d‑22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00051.22V.0421.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile sind Schwestern. Die Beklagte hat mit Übergabsvertrag vom 28. 11. 2001 von den Eltern der Streitteile mehrere landwirtschaftlich genutzte Grundstücke übertragen erhalten, darunter auch das in der digitalen Katastralmappe als „Weg“ bezeichnete Grundstück 509/4. Dieses hat in seinem südlichen Bereich einen rechtwinkeligen Knick und erreicht so die unmittelbar vorbeiführende Landesstraße. Das Grundstück 541, das südlich mit einem sogenannten „Spitz“ an das Grundstück 509/4 anschließt, verblieb zunächst noch im Eigentum der Eltern der Streitteile. Mit Schenkungsvertrag vom 30. 9. 2011 erhielt die Klägerin (ua) dieses Grundstück geschenkt. Im Revisionsverfahren strittig ist das Bestehen einer Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen im Bereich der geradlinigen Verlängerung des Weges auf Grundstück 509/4 nach Süden über den „Spitz“ des Grundstücks 541 der Klägerin.

[2] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, festzustellen, dass der Beklagten als Eigentümerin der – näher bezeichneten – Liegenschaft keine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen auf dem im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstück 541 zusteht, statt und verpflichtete die Beklagte, das Befahren des Grundstücks und ähnliche derartige Handlungen zu unterlassen sowie für die Unterlassung des Befahrens des Grundstücks mit ihr gehörenden Fahrzeugen zu sorgen.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, inwieweit im Fall der Aufhebung der Eigentümeridentität bei Fehlen einer Weganlage auf dem dem Veräußerer verbleibenden Grundstück der Umstand bzw die Kenntnis der Beteiligten, dass bisher auch – wenn auch nicht ausschließlich über den klagegegenständlichen Bereich – auf die veräußerten Grundstücke zugefahren wurde, das für die Begründung einer Wegeservitut erforderliche Dienen offenkundig macht.

[4] Dagegen richtet sich die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten, in der sie die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klageabweisung, hilfsweise eine Aufhebung dieser Entscheidungen anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, sie kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

[6] 1.1. Das Berufungsgericht bezog sich zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne spezifische Vereinbarung und Verbücherung unmittelbar durch den Übertragungsakt eine (außerbücherliche) Dienstbarkeit entsteht (RIS‑Justiz RS0011618) und Offenkundigkeit dann anzunehmen ist, wenn im maßgebenden Zeitpunkt der Eigentumsübertragung das tatsächliche Bestehen eines Gebrauchszwecks durch offenkundige Vorgänge oder ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen erkennbar war (6 Ob 154/20w). Die positive Kenntnis der Veräußerer des herrschenden Grundstücks (der Eltern der Streitteile) davon, dass schon vor dem Eigentumserwerb der Beklagten im strittigen Bereich – fallweise – gefahren wurde, hielt das Berufungsgericht deshalb nicht für ausreichend, weil nicht festgestellt werden konnte, dass sie in Kenntnis davon waren, dass dabei tatsächlich über ihr Grundstück 541 gefahren wurde und weil es einer entsprechenden Anlage auf dem strittigen Grundstücksteil mangelte. Der Grundsatz, dass im Zweifel bei Aufhebung der Eigentümeridentität ein bestehender Zustand aufrecht bleiben und demnach die Eigentümerbefugnis als Dienstbarkeit fortbestehen solle, gelte hier daher nicht. Zur Beantwortung dieser – nach seiner Auffassung noch nicht durch höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärten – Frage ließ das Berufungsgericht die Revision zu.

[7] 1.2. Die Revisionswerberin setzt dem nur entgegen, bei positiver Kenntnis aller Beteiligten sei ohne Zweifel von der geforderten Offenkundigkeit auszugehen, weil es sich um offenkundige Vorgänge handle. Eine nähere Auseinandersetzung mit der ausführlichen rechtlichen Begründung des Berufungsgerichts zu dieser Frage lässt die Revision hingegen vermissen. Zwar sieht § 506 Abs 1 Z 5 ZPO nur bei der außerordentlichen Revision und § 508 Abs 1 ZPO für den Antrag auf Abänderung des Nichtzulassungsausspruchs die Anführung der Gründe vor, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Entsprechende Ausführungen zur Zulässigkeit sind aber auch für die zugelassene Revision notwendig (6 Ob 113/20s mwN). Selbst wenn das Berufungsgericht – zu Recht – ausgesprochen hat, die Revision sei zulässig, kann das Rechtsmittel nämlich zurückgewiesen werden, wenn nur Gründe geltend gemacht werden, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0102059). Die Revision erfordert daher – ohne Bindung an die Zulässigkeitsbegründung des Berufungsgerichts – eine Darstellung der erheblichen Rechtsfragen und eine konkrete juristische Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Berufungsgerichts. Erklärt das Berufungsgericht die Revision mit konkretisierter Begründung (zutreffend) für zulässig, reicht es zwar, wenn der Revisionswerber dieser Begründung beitritt, er muss aber zur maßgeblichen Rechtsfrage inhaltliche Ausführungen erstatten, sich also mit der konkreten Entscheidung des Berufungsgerichts juristisch auseinandersetzen (6 Ob 113/20s). Dem entspricht die Revision der Beklagten nicht, weshalb eine nähere Auseinandersetzung mit der der Zulassungsbegründung zugrunde liegenden Rechtsfrage entbehrlich ist.

[8] 2.1. Die Revisionswerberin begründet ihre Revision im Wesentlichen damit, das Berufungsgericht sei von ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Offenkundigkeit des Dienens einer Liegenschaft zu Zwecken einer anderen bei Aufhebung der Eigentümeridentität abgewichen. In dem Zusammenhang zitiert sie die Entscheidungen 8 Ob 65/17t und 3 Ob 29/14g. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wirft sie damit aber nicht auf.

[9] 2.2. Offenkundigkeit ist nach gefestigter höchstgerichtlicher Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn im maßgebenden Zeitpunkt der Eigentumsübertragung das tatsächliche Bestehen eines Gebrauchszwecks durch offenkundige Vorgänge oder ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen erkennbar war (RS0034803; RS0011633). Allenfalls vorhandene Anlagen müssen den aktuellen Zweck des Dienens offenkundig machen, was nur für Anlagen gilt, aus denen sich für den Erwerber offenkundig ergibt, dass sie weiterbestehen bleiben sollen, weil sie für die Benützung des herrschenden Grundstücks notwendig sind (RS0011554). In der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 8 Ob 65/17t ging der Oberste Gerichtshof davon aus, selbst eine teilweise in der Natur noch vorhandene Anlage, die nicht mehr in Anspruch genommen werde, könne einen aktuellen Bedarf nicht substituieren, in ausreichender zeitlicher Nähe zum maßgebenden Zeitpunkt sei dort der länger schon brachliegende Weg nicht mehr genutzt worden. Zur Frage der Offenkundigkeit von Anlagen ist eine Abweichung von dieser Entscheidung nicht zu erkennen. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof zwei ausgefahrene Radspuren auf einer im übrigen grasbewachsenen Bodenfläche (RS0011547 [T1]) und auch einen „ausgetretenen“ Gehweg (RS0011547 [T4]) mangels genügender Deutlichkeit als für eine offenkundige Dienstbarkeit nicht ausreichend beurteilt. Die in der Revision ebenfalls zitierte Entscheidung 3 Ob 29/14g befasste sich mit der Frage der analogen Anwendung der zur „Eigentümerservitut“ entwickelten Grundsätze auf Fälle einer bloßen wirtschaftlichen Nahebeziehung zwischen den Liegenschaftseigentümern, sie ist nicht einschlägig. Dass die ständige Rechtsprechung zur „Eigentümerservitut“ auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht (so 3 Ob 29/14g unter Berufung auf 5 Ob 118/07z) ist zwar richtig; warum daraus eine Abweichung der Entscheidung des Berufungsgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abzuleiten sein soll, erschließt sich dem erkennenden Senat aber nicht.

[10] 2.3. Grundsätzlich ist die Frage der Offenkundigkeit einer nicht im Grundbuch eingetragenen Wegedienstbarkeit nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0107329 [T1]). Ob im Zeitpunkt des Erwerbs des dienenden Grundstücks Anlagen oder sonstige Einrichtungen vorhanden waren, die diesen Zweck des Dienens als offenkundig erkennen ließen und eine Erkundigungspflicht auslösten, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft aufgrund dieser Einzelfallbezogenheit nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterläuft, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (RS0034803 [T16, T19]). Dies gilt ebenso für den – hier zu beurteilenden – Fall des Erwerbs des angeblich herrschenden Grundstücks und daher bei Beurteilung der Frage, ob diese von der Rechtsprechung vorausgesetzte Offenkundigkeit beim Veräußerer, dem die angeblich dienenden Grundstücke verbleiben, anzunehmen ist. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts liegt hier nicht vor.

[11] 2.4. Dass der bloße Umstand kurzfristig erkennbarer Fahrspuren in Form von niedergedrücktem Gras und/oder Reifenprofilabdrücken im Erdreich im nun strittigen Bereich des „Spitzes“ auf dem Grundstück der Klägerin nicht ausreicht, um von einer „offenkundigen Anlage“ auszugehen, entspricht der zitierten Rechtsprechung. Auch dass die Landesstraße in diesem Bereich einen schmalen an die Fahrbahn angrenzenden asphaltierten Streifen in der Breite von ca 50 cm und daran anschließend einen etwa 50 cm breiten Schotterstreifen aufweist, reicht nach der im Einzelfall nicht zu beanstandenden Auffassung der Vorinstanzen nicht aus, um von einer offenkundigen Anlage im Sinn der Rechtsprechung ausgehen zu können. Abgesehen davon, dass sich diese Ausbuchtung nach den Feststellungen nicht auf dem Grundstück der Klägerin, sondern im Bereich der Landesstraße befindet, bildet sie – wie sich aus dem Lichtbild Beil ./L instruktiv ergibt – jedenfalls keinen „Einmündungstrichter“ in die Straße. Die bloße Kenntnis der damals Beteiligten (der Beklagten und ihrer Eltern), dass – fallweise – über den strittigen Bereich zu den veräußerten Grundstücken zugefahren wurde, im Zusammenhang damit, dass die herrschenden Grundstücke auf verschiedenen Wegen erreicht werden konnten und tatsächlich auch erreicht wurden, und dem Umstand, dass die Eltern der Streitteile nicht einmal wussten, ob dieses Befahren tatsächlich im Bereich des ihnen verbleibenden Grundstücks erfolgte, in dem Sinn zu werten, dass damit der Beklagten der ihr obliegende (vgl RS0012186) Nachweis der Berechtigung ihres Eingriffs nicht gelungen ist, weil der wahrgenommene Vorgang nicht die offenkundige Ausübung eines Geh‑ und Fahrtrechts in diesem Bereich zum Ausdruck brachte, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.

[12] 3. Damit war die Revision zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

[13] 4. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat die Beklagte der Klägerin die tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, in der sie auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat.

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