Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 665,70
Euro (= 9.160,32 S) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens
(darin 110,95 Euro [= 1.526,72 S] USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Mit der vorliegenden Klage, deren internationale Zuständigkeit in Frage steht, begehrt die Klägerin vom Beklagten, der seinen Wohnsitz in der BRD hat, aus dem Titel des Schadenersatzes S 102.448,-- sA. Die Klägerin habe am 29. 9. 1999 dem Beklagten den ihr gehörenden KKW "VW Golf" Kennzeichen W 714 RI in Berlin geliehen, wobei sich der Beklagte verpflichtet habe, der Klägerin dieses Fahrzeug innerhalb eines Monats in ordnungs- und betriebsfähigem Zustand auf seine Kosten in Wien an der damaligen Wohnadresse der Klägerin ***** in *****, zu übergeben. Der Beklagte habe sich dabei verpflichtet, allfällig notwendige Reparaturen zur Herstellung eines ordnungs- und betriebsfähigen Zustandes des Fahrzeuges auf seine Kosten durchführen zu lassen. Der Beklagte habe die getroffene Vereinbarung nicht eingehalten, sodass die Klägerin gezwungen gewesen sei, am 15. 5. 2000 das Fahrzeug in Berlin in schlechtem Zustand zu einem ungünstigen Preis zu verkaufen. Insgesamt sei ihr durch die Vertragsverletzung des Beklagten ein Schaden in Höhe des Klagsbetrags entstanden.
Die internationale Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Bezirksgerichtes gründete die Klägerin auf den Gerichtsstand des Art 5 Z 1 EuGVÜ, wobei sie sich darauf stützte, dass vereinbarter Erfüllungsort Wien gewesen sei, weil sich der Beklagte verpflichtet habe, das Fahrzeug innerhalb eines Monats in fahr- und betriebssicherem Zustand ihr in Wien zu übergeben.
Der Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichts und beantragte, die Klage zurückzuweisen. Zwischen den Parteien sei kein Erfüllungsort vereinbart worden. Insbesondere bestritt der Beklagte die behauptete Verpflichtung, der Klägerin das Fahrzeug in Wien zu übergeben. Selbst wenn man allerdings einen zwischen den Parteien abgeschlossenen Leihvertrag zugrundelege und eine Übergabepflicht des Leihgegenstands in Wien bestünde, so wäre Letztere nur eine unselbständige vertragliche Nebenleistungspflicht, die den Gerichtsstand des Art 5 Abs 1 EuGVÜ nicht zu begründen vermöge.
Nach Vernehmung der Klägerin - der Beklagte war zur mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2001 nicht geladen worden -, wies das Erstgericht die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zurück.
Dabei legte es folgende Feststellungen zugrunde:
Das Fahrzeug der Beklagten (richtig: der Klägerin) befand sich im September 1999 bereits in einem schlechten Erhaltungszustand, sodass es für längere Fahrstrecken, etwa für die Strecke von Berlin nach Wien, nicht mehr fahrtüchtig war. Am 28. 9. 1999 lieh der Beklagte, der ehemalige Geschäftspartner und Lebensgefährte der Klägerin, in Berlin das Fahrzeug für eine Fahrt zu seinen Eltern. Tags darauf verließ die Klägerin Berlin und kehrte nach Wien zurück. In einem späteren Telefongespräch sagte der Beklagte dann zu, das Fahrzeug zu reparieren und nach Wien zu bringen.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht die Frage der internationalen Zuständigkeit wie folgt:
Für den Gerichtsstand nach Art 5 Z 1 EuGVÜ sei stets maßgeblich, wo die primäre Vertragspflicht zu erbringen sei oder zu erbringen gewesen wäre. Das angerufene Gericht habe zunächst nach internationalem Recht das auf das Vertragsverhältnis anzuwendende Recht zu ermitteln und aufgrund dieses materiellen Rechts den Erfüllungsort der strittigen Verpflichtung festzustellen. Die Klägerin stütze ihr Klagebegehren zwar formal auf die Rückstellungsverpflichtung des Beklagten in Wien, inhaltlich aber auf die damit untrennbar verbundene Verpflichtung, das Fahrzeug zuvor instandsetzen zu lassen. Eine Verpflichtung also, die sich nicht aus dem Leihvertrag selbst ergebe. Zweifellos sei für den zwischen den Parteien zustandegekommenen Leihvertrag deutsches Recht anzuwenden, was sich aus Art 4 Abs 1 und 2 EVÜ ergebe. Wenn keine Rechtswahl getroffen worden sei, sei der Vertrag nach dem Recht des Staates zu beurteilen, zu dem er die engsten Verbindungen aufweise. Für den eingetretenen Schaden komme es allerdings nicht auf eine Verletzung der Rückstellungspflicht an, sondern darauf, dass der Beklagte angeblich seine Instandsetzungspflicht nicht erfüllt habe. Ohne vorherige Instandsetzung wäre eine Rückstellung des Fahrzeugs nach Wien nicht denkbar gewesen. Dass der Erfüllungsort für die Instandsetzung aber in Österreich gelegen wäre, sei nicht vorgebracht worden. Die Klägerin könne sich daher zur Durchsetzung der von ihr geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht auf die internationale Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichtes stützen, was zur Zurückweisung der Klage zu führen habe.
Einem dagegen von der Klägerin erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Bei der Bestimmung des Erfüllungsortes für Klagsansprüche aus sekundären Pflichten aus einem Vertragsverhältnis, wie etwa Schadenersatzansprüchen, seien jene Verpflichtungen maßgeblich, deren Nichterfüllung zur Begründung des Klagsanspruches behauptet würden. Primär richte sich der Erfüllungsort nach der vertraglichen Vereinbarung. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte nach den Klagsbehauptungen zugesagt, das ihm geliehene Fahrzeug zu reparieren und der Klägerin nach Wien zu überstellen. Damit sei Wien als Erfüllungsort vereinbart worden. Sowohl eine aus dem Leihvertrag entspringende Rückgabepflicht des Beklagten also auch der Vertrag über die Reparatur des Fahrzeugs der Klägerin wären demnach wegen der vereinbarten Rückstellung des Fahrzeugs in Wien zu erfüllen gewesen, wenn auch möglicher Weise nicht ausdrücklich so sei doch durch Auslegung zu ermitteln, dass die Parteien konkludent Wien als Leistungsort vertraglich festgelegt hätten. Die Rückgabe der geliehenen oder reparierten Sache sei eine Bringschuld, diese sei auf Kosten des Entleihers am Sitz des Verleihers zu erfüllen (4 Ob 351/99f).
Auch nach dem auf den gegenständlichen Vertrag, weil nach dem 30. November 1998 abgeschlossen, anzuwendenden europäischen Vertragsstatutübereinkommen, BGBl III 1998/208, ergebe sich keine andere Lösung. Nach dessen maßgeblichem Art 4 Abs 2 werde vermutet, dass der Vertrag die engste Verbindung mit dem Staat aufweise, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen habe, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Weil zum Zeitpunkt des Leihvertrages beide Streitteile ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten und die charakteristische Leistung vom Beklagten zu erbringen war, sei jedenfalls deutsches Recht anzuwenden. Der Erfüllungsort nach deutschem Recht bestimme sich - unter der Voraussetzung, dass eine Erfüllungsortvereinbarung nicht getroffen wurde, nach der Natur des Schuldverhältnisses. Übernehme ein Vertragspartner die Anlieferung der Sache, sei eine Bringschuld anzunehmen (Heinrichs, BGB zweites Buch, erster Abschnitt, § 269 Rz 12). Wenn sich der Beklagte verpflichtet habe, das Fahrzeug reparieren zu lassen und es dann unter seiner Verantwortung nach Wien zu bringen, wäre also auch diesfalls Erfüllungsort der Wohnsitz der Gläubigerin, der Klägerin. Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil zu einer vergleichbaren Fallkonstellation des Art 5 Z 1 erster Satz EuGVÜ der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht Stellung bezogen habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinn einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Beklagten ist zulässig, weil zur Frage des Umfangs und der Art der Ausübung des materiellen Prüfungsrechts des angerufenen inländischen Gerichts und allfälliger dabei begründeter Mangelhaftigkeit keine Rechtsprechung des Höchstgerichts vorliegt. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber beschwert sich nämlich primär dagegen, dass er dem Prüfungsverfahren über die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit, nachdem er den Mangel derselben eingewendet hatte, nicht in gehöriger Form beigezogen worden sei. Das Erstgericht habe sich mit einer Vernehmung der Klägerin begnügt und danach festgestellt, der Beklagte habe der Klägerin zugesagt, das Fahrzeug reparieren zu lassen und nach Wien zu bringen. Der Beklagte sei zu dieser Frage nicht einvernommen worden, diesfalls hätte er erwiesen, dass eine solche Vereinbarung zu keinem Zeitpunkt zustandegekommen sei, darin liege eine Nichtigkeit allenfalls ein wesentlicher Verfahrensmangel iSd § 496 ZPO begründet.
Dem Beklagten ist zunächst die Geltendmachung des behaupteten Mangels (eine Nichtigkeit liegt nicht vor) nicht verwehrt, weil der Grundsatz, dass eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nur in der nächsthöheren Instanz wahrgenommen werden kann, nicht in vom Grundsatz der Amtswegigkeit beherrschten Verfahren gilt (vgl Stohanzl, ZPO15 § 503 E 44).
Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat und der vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht aufgrund der Bestimmungen dieses Übereinkommens begründet ist (Art 20 EuGVÜ).
Außerhalb der ausschließlichen Zuständigkeiten des Art 16 EuGVÜ hat das angerufene Gericht, wenn sich der Beklagte in den Streit nicht einlässt, von Amts wegen seine Zuständigkeit zu überprüfen, ohne hiebei an die Angaben des Klägers (wie nach § 41 JN) gebunden zu sein (Gottwald in Münchener Kommentar ZPO Art 20 Rz 1;
Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel Rz 2 zu Art 20). Der Beklagte muss die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nicht einmal eigens bestreiten. Fehlen der Klage Angaben zur Zuständigkeit oder sind sie zu unzureichend, so hat sie das Gericht im Wege des Verbesserungsverfahrens nachzufordern. Der Kompetenzsachverhalt ist solang zu ermitteln, bis der Richter von seiner Zuständigkeit überzeugt ist (materielle Prüfungspflicht). Dabei hat der Kläger alles darzutun, was nach seiner Ansicht für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes spricht, ihn trifft diesbezüglich die Beweislast. Amtswegigkeit bedeutet, dass das Gericht an unwidersprochene Angaben des Klägers nicht gebunden ist und dass den Beklagten im Säumnisfall keine Folgen treffen (vgl Rz 3 aaO; zum materiellen Prüfungsrecht nach Einwand des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit vgl auch Ballon in Fasching2 § 42 JN Rz 13). Zur Lösung der Zuständigkeitsfrage hat das angerufene Gericht den wahren Kompetenzsachverhalt zu ermitteln und dazu unter Umständen auch die (Rechts-)Position des Beklagten zu hören (vgl Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 4 zu Art 20).
Im gegenständlichen Fall wurde die internationale Zuständigkeit des angerufenen inländischen Gerichtes auf den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Z 1 EuGVÜ gestützt. Es entspricht ganz einheitlicher Rechtsprechung, dass unter der erfüllten oder zu erfüllenden "Verpflichtung" Art 5 Z 1 EuGVÜ grundsätzlich diejenige Verpflichtung versteht, die den Gegenstand der Klage bildet (SZ 71/129; RIS-Justiz RS0108474; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht4 Rz 7 zu Art 5 mit dort zitierter Rechtsprechung des EuGH).
Amtswegige Ermittlung des Kompetenzsachverhaltes bedeutet also Klärung der Verpflichtung, die den Gegenstand der Klage bildet. In diesem Zusammenhang kann eine Prüfung des Einwands des Beklagten, ein Vertrag sei überhaupt nicht zustandegekommen, oder aber anderen Inhalts zustandegekommen nicht erfolgen. Die Vorschrift des Art 5 EuGVÜ ist auch dann maßgeblich, wenn die Frage, ob ein Vertrag vorliegt, strittig ist (Kropholler aaO Rz 6 zu Art 5 LGVÜ, insbesondere die in FN zitierte Rechtsprechung). Denn wenn eine der Parteien nur das Nichtbestehen des Vertrages zu behaupten brauchte, um die Zuständigkeit auszuschalten, wäre Art 5 Z 1 bedeutungslos. Am Gerichtsstand des Erfüllungsortes kann demnach auch dann geklagt werden, wenn das Zustandekommen des Vertrages zwischen den Parteien strittig ist (vgl auch SZ 70/226). Was die sog "doppelrelevanten Tatsachen" betrifft, also jene, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs erfolgt, muss die Schlüssigkeit des Klagevorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten (vgl Kropholler, aaO Rz 5 zu Art 20 u FN 9).
Daher liegt eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht vor. Im Übrigen hat das Rekursgericht die Frage der internationalen Zuständigkeit zutreffend gelöst.
Die Klägerin hat sich darauf berufen, dass Wien als Erfüllungsort vereinbart worden sei. Für die Vereinbarung des Erfüllungsortes sind die in Art 17 EuGVÜ festgelegten Formvorschriften nicht maßgeblich. Es genügt, dass die Vereinbarung nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht wirksam ist (Kropholler aaO Rz 17 zu Art 5 mwN; EuGH 17. 1. 1980 Slg 1980, 89). Das ist sowohl nach § 269 BGB als auch nach österreichischem Recht der Fall. Die Vereinbarung eines Erfüllungsortes muss im Fall des Art 5 EuGVÜ mangels eines dort normierten Erfordernisses auch nicht urkundlich nachgewiesen werden. Zutreffend hat das Rekursgericht auch erkannt, dass bei einer vertraglichen Vereinbarung auf Überstellung eines reparierten Fahrzeuges nach Wien die vertragliche Hauptleistungspflicht in Wien zu erbringen war und es sich nicht nur um eine aus einem Leihvertrag abzuleitende Nebenverpflichtung der Rückstellung des geliehenen Fahrzeuges handelt.
Bei Klagen auf Schadenersatz oder wegen Leistungsstörung liegt der Erfüllungsort dort, wo die verletzte Pflicht hätte erbracht werden müssen (Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 12 zu Art 5 unter Hinweis auf Kropholler aaO Rz 12 zu Art 5; 6 Ob 27/01s; RIS-Justiz RS0114003). Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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