Spruch:
Die Unterhaltspflicht des ehelichen Vaters ruht, wenn das Kind von der Mutter ohne Wissen des Vaters und ohne Genehmigung ins Ausland verbracht wurde und dauernd unbekannten Aufenthaltes ist.
Entscheidung vom 11. September 1968, 5 Ob 237/68.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Ehe der Eltern des am 16. Oktober 1959 geborenen Minderjährigen wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 1. Oktober 1962 geschieden. Der Minderjährige wurde der ehelichen Mutter in Pflege und Erziehung zugewiesen. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 21. Jänner 1963 wurde der eheliche Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in der Höhe von 15% seines jeweiligen monatlichen Einkommens aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zuzüglich der staatlichen Kinderbeihilfe von monatlich 140 S zu Handen der zur besonderen Sachwalterin bestellten ehelichen Mutter verpflichtet. Die Unterhaltsleistungen wurden nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen des Vaters bis einschließlich 1. Oktober 1965 auf ein Konto der Mutter überwiesen.
Am 24. Oktober 1965 begab sich die Mutter mit dem Minderjährigen ohne Genehmigung des Vaters oder des Pflegschaftsgerichtes nach Kanada. Seither sind sie und das Kind unbekannten Aufenthaltes. Nachforschungen blieben bisher erfolglos.
Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 7. Jänner 1966 wurde der eheliche Vater auf seinen Antrag ermächtigt, die ab 1. November 1965 fällig werdenden Unterhaltsbeträge auf ein zugunsten des Pflegschaftsgerichtes gesperrtes Einlagebuch zu erlegen. Mit Beschluß vom 23. Februar 1966 wurde die Sperre des Einlagebuches verfügt.
Am 16. November 1967 stellte der eheliche Vater den Antrag, mit Rücksicht auf den bereits mehr als zwei Jahre währenden unbekannten aufenthalt des Minderjährigen festzustellen, daß seine Verpflichtung zur Unterhaltsleistung mit 30. Oktober 1965 erloschen sei. Diesen Antrag änderte er später dahin ab, daß er die Feststellung des Ruhens seiner Unterhaltsverpflichtung begehre.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Aus dem Beschluß vom 7. Jänner 1966, womit auf Antrag des ehelichen Vaters Maßnahmen zur Sicherung der dem Mj. zustehenden Unterhaltsleistungen getroffen worden seien, seien diesem Rechte erwachsen. Der Außerstreitrichter sei daher an diesen Beschluß gebunden, solange nicht eine Änderung des der Beschlußfassung zugrunde gelegenen Sachverhalts eingetreten sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des ehelichen Vaters eilweise Folge und stellte fest, daß die mit Beschluß des Erstgerichtes vom 21. Jänner 1963 festgestellte Verpflichtung des ehelichen Vaters zur Unterhaltsleistung an den Mj. ab 16. November 1967 ruhe. Das Mehrbegehren, das Ruhen der Unterhaltsverpflichtung bereits ab 1. November 1965 auszusprechen, wies es ab. Durch den Beschluß vom 7. Jänner 1966 sei lediglich die Art der Zahlung der Unterhaltsleistungen für die Dauer der Abwesenheit des Mj. geregelt worden, der Beschluß vom 23. Februar 1966 habe nur die Sperre des für den Mj. eröffneten Sparkontos zum Gegenstand gehabt. Durch diese Beschlüsse sei demnach nicht in einer der Rechtskraft fähigen Weise über die Frage entschieden worden, welche Wirkungen die Tatsache, daß der Aufenthalt des Mj. dauernd unbekannt sei, auf den Unterhaltsanspruch habe. Außerdem sei zur Zeit der Erlassung dieser Beschlüsse noch nicht geklärt gewesen, ob nicht sein Aufenthalt in absehbarer Zeit ermittelt werden könnte. Diese Beschlüsse stunden daher dem Antrag des Vaters nicht entgegen. Das Wesen eines Unterhaltsanspruchs bestehe in der Deckung der laufenden Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten. Aus diesem Grund sei in erster Linie die Unterhaltsgewährung in natura vorgesehen und nur dann, wenn diese untunlich oder unmöglich sei, träten an deren Stelle die laufenden, im voraus zu zahlenden Unterhaltsbeiträge. Hieraus sei abzuleiten, daß dann, wenn der Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten dauernd unbekannt sei, der mit den Unterhaltsleistungen verfolgte Zweck nicht erreicht werden könne, sodaß ein solcher Zustand das Ruhen des Unterhaltsanspruches zur Folge haben müsse. Dies habe aber nur ab dem Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt werden können.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Kollisionskurators nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Da die zur Lösung stehende Frage nicht die Bemessung, sondern den Grund des Anspruchs betrifft, ist der Rekurs zulässig (Jud. 60 neu). Er ist jedoch nicht begrundet.
Gemäß § 141 ABGB. ist der eheliche Vater zwar verpflichtet, den Unterhalt des Kindes zu bestreiten; allein daraus folgt nicht, daß ihn diese Verpflichtung auch dann trifft, wenn das Kind gegen seinen Willen und ohne Genehmigung des Pflegschaftsgerichtes ins Ausland verbracht wird, sein gegenwärtiger Aufenthalt unbekannt bleibt und dadurch verhindert wird, daß die Unterhaltsleistung überhaupt zur Deckung der laufenden Bedürfnisse des Kindes verwendet werde (ähnlich GlUNF. 1782). Überdies hat die unbekannten Aufenthaltes befindliche eheliche Mutter durch ihren Rechtsfreund dem Gericht gegenüber die Erklärung abgeben lassen, sie sei imstande, "in bester Weise für das körperliche und geistige Wohl des Kindes zu sorgen". Aus dieser Erklärung ergibt sich, daß die Mutter derzeit für das Kind tatsächlich sorgt.
Der Kollisionskurator bekämpft in seinem Rechtsmittel nicht etwa die Ansicht des Rekursgerichtes, daß ein Anspruch auf Unterhaltsleistung für die Dauer des unbekannten Aufenthalts des Kindes an sich nicht bestehe, sondern will den Anspruch auf Weiterleistung in der bisherigen Höhe auf eine rechtsverbindliche Vereinbarung gegrundet wissen, die dadurch zustande gekommen sein soll, daß sich der eheliche Vater bereit erklärt habe, ab 1. November 1965 die Beträge auf ein neu zu errichtendes Konto einzuzahlen, und daß diesem Antrag stattgegeben worden sei. Mit seinem Antrag habe der Vater seine Bereitschaft erklärt, dem Mj. ein Vermögen in Österreich allmonatlich zusammenzusparen.
Dem Inhalt der Erklärungen des ehelichen Vaters kann jedoch eine derartige Absicht nicht entnommen werden, hat er doch seinen Antrag, ihn anzuweisen, die fällig werdenden Unterhaltsbeträge ab 1. November 1965 auf ein zugunsten des Pflegschaftsgerichtes gesperrtes Sparbuch zu erlegen, ausdrücklich damit begrundet, wegen des unbekannten Aufenthaltes der ehelichen Mutter die Beträge nicht mehr auf deren Konto überweisen zu können. Gegen seine Absicht, dem Mj. mit den Unterhaltsbeträgen ein Vermögen in Österreich anzulegen, spricht ferner nicht nur sein Antrag vom 1. Dezember 1965, das Kind in seine Pflege und Erziehung zu übergeben, sondern auch sein noch vor Beschlußfassung durch die erste Instanz eingebrachter Schriftsatz, worin er erklärte, er fühle sich nicht verpflichtet, Unterhaltsbeträge für ein Kind zu bezahlen, das von der ehelichen Mutter ohne Wissen des Pflegschaftsgerichtes und gegen seinen Willen ins Ausland verbracht worden sei. Aus diesen Erklärungen läßt sich die vom Rekurswerber behauptete Absicht, für das Kind ein Vermögen anzulegen, ebensowenig ableiten, wie die vom Kollisionskurator behauptete Tatsache, daß das Pflegschaftsgericht mit seinem Beschluß vom 7. Jänner 1966 ein solches Anerbieten angenommen habe. Mit diesem Beschluß ermächtigte das Pflegschaftsgericht den ehelichen Vater lediglich, die Unterhaltsbeiträge nunmehr anstatt zu Handen der ehelichen Mutter auf ein Sperrkonto zu leisten, es sprach aber nicht über eine Verpflichtung zur Weiterleistung von Unterhaltsbeträgen für die Dauer des unbekannten Aufenthaltes des Mj. ab.
Der Rechtsauffassung des Rekursgerichtes, daß dem Mj. aus diesem Beschluß kein Recht erwachsen sei, über das nur bei nachträglicher Änderung der Verhältnisse neuerlich entschieden werden könnte, kann somit nicht entgegengetreten werden.
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