OGH 5Ob137/06t

OGH5Ob137/06t29.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache des Antragstellers Stane D*****, vertreten durch den Mieterschutzverband Österreichs, Landesorganisation Steiermark, Sparbersbachgasse 61, 8010 Graz, gegen die Antragsgegnerin Helene H*****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 4. April 2006, GZ 3 R 25/06b-41, womit der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Graz vom 20. Dezember 2005, GZ 6 Msch 10004/02g-37, bestätigt wurde, nachstehenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird Folge gegeben.

Der angefochtene Sachbeschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihrer rechtsanwaltlichen Vertretung im Revisionsrekursverfahren jedenfalls selbst zu tragen. Die übrigen Kosten sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Der Antragsteller war im Zeitraum 1. 6. 1995 bis 31. 5. 2004 Hauptmieter einer Wohnung im Haus Bodenfeldgasse 20 in 8020 Graz, welches Haus im Eigentum der Antragsgegnerin steht. Bis einschließlich November 2001 bezahlte der Antragsteller für die 60,63 m² große Wohnung den vereinbarten Pauschalmietzins von monatlich S

5.280 (EUR 383,71) und von Dezember 2001 an bis zum Ende des Bestandverhältnisses einen „verminderten" Pauschalmietzins von monatlich EUR 306,97. In diesen Pauschalmietzinsen sind EUR 87,21 (S 1.200) an Betriebskosten und öffentlichen Abgaben enthalten. Die Elektroinstallationen der dem Antragsteller vermieteten Wohnung waren mit Ausnahme jener in den beiden Schlafzimmern vor ca 30 Jahren erneuert worden und entsprachen zwar nicht dem heutigen Stand der Technik, im Wesentlichen aber den seinerzeitigen Herstellungsvorschriften und wiesen keine maßgeblichen Mängel auf. Vorschriftswidrig und lebensgefährlich war jedoch der Zustand der Elektroinstallationen in den beiden Schlafzimmern, wo die Stromleitungen nicht wie in den anderen Räumlichkeiten erneuert worden waren und keine PE-Leiter (Schutzleiter) nachgezogen worden waren. Dieser Teil der elektrischen Anlage entsprach daher auch den Bestimmungen des seinerzeit gültigen Elektrotechnikgesetzes 1965 nicht. Weder die Schutzkontakte bei den Schukosteckdosen noch die mit Metallrohr abgehängten Beleuchtungskörper waren in die Schutzmaßnahmen gegen das Auftreten von gefährlichen Berührungsspannungen eingebunden. Das bedeutet, dass bei einem Isolationsschaden (Außenleiter zu Gehäuse) bei einem aus der Steckdose versorgten elektrischen Betriebsmittel der Schutzklasse I (mit Schutzleiteranschluss) bzw der abgehängten Beleuchtungskörper das Gehäuse die volle Spannung gegenüber der Erdpotenzial aufwies und somit die Berührung solcher Betriebsmittel lebensgefährlich war. Eine Überprüfung der Wohnungselektroinstallationen durch die zuständigen Stadtwerke hatte nicht stattgefunden. Dieser beschriebene Zustand der Elektroleitungen bestand bereits bei Abschluss des Mietvertrages im Juni 1995.

Zur Behebbarkeit der festgestellten Mängel der Elektroleitungen traf das Erstgericht folgende Feststellungen:

Die einfachste und kostengünstigste Durchführung der notwendigen Instandsetzungsarbeiten der Elektroanlage erfordert Kosten von insgesamt EUR 1.115,40 (S 15.348,24). Diese Durchführung mittels auf Putz verlegten Kabelkanälen ist jedoch technisch nicht durchführbar. Eine Verlegung der Leitungen unter Putz, also mit Aufstemmen der Mauer würde insgesamt zumindest EUR 2.688,48 (S 36.994,25) kosten. Beide Ausführungsvarianten entsprechen dem technischen Standard.

Weiters steht fest:

Das Badezimmer der Wohnung weist eine lichte Höhe von 1,85 m auf und ist bei einer Fläche von 1,38 m² derart klein, dass man sich dort nicht umziehen kann, sondern sich in der Küche be- und entkleiden muss. Weiters ist die Verbindungswand vom WC zur Nachbarwohnung nur durch eine 3 cm dicke Holzplatte hergestellt, sodass aufgrund der Lagerung von Heizöl im angrenzenden Raum eine Geruchsbelästigung in der Wohnung gegeben ist. Bei Einzug des Antragstellers war die Wohnung in Küche und Bad neu ausgemalt, eine Schimmelbildung war nicht vorhanden. Diese trat in der Folge erst dadurch ein, dass in der Küche nur eine Balkontüre und im Badezimmer ein kleines Fenster vorhanden sind, die teilweise im Winter nicht geöffnet werden konnten, weil sie zufroren.

Ein Möbelbenützungsentgelt wurde zwischen den Parteien des Bestandverhältnisses nicht vereinbart.

Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag rügte der Antragsteller erstmals den Zustand der Elektroleitungen der Wohnung und begehrte, festzustellen, dass die Wohnung infolge des lebensgefährlichen Zustandes der Elektroinstallationen in die Ausstattungskategorie „D unbrauchbar" einzustufen sei. Er beantragte, den vereinbarten Mietzins auf seine gesetzliche Zulässigkeit hin zu überprüfen. Die Antragsgegnerin begehrte die Abweisung des Antrags mit der Begründung, dass sowohl das Bad als auch die Elektroinstallationen dem zeitgemäßen Standard entsprochen hätten. Es liege zumindest eine Wohnung der Ausstattungskategorie B vor, weshalb der vereinbarte Pauschalmietzins keineswegs überhöht sei.

Ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen sprach das Erstgericht aus, dass der gesetzlich zulässige Hauptmietzins für die vom Antragsteller gemietete Wohnung für die Zeit vom 1. 6. 1995 bis 30. 4. 1998 monatlich EUR 25,30, für die Zeit vom 1. 5. 1998 bis 30. 6. 2001 monatlich EUR 26,14 und für die Zeit vom 1. 7. 2001 bis 31. 5. 2004 monatlich EUR 27,71 betrage. Die Antragsgegnerin habe dem Antragsteller gegenüber das gesetzlich zulässige Zinsausmaß für die genannten Zeiträume um monatlich EUR 236,32, EUR 235,48, EUR 233,91 und EUR 181,59, somit insgesamt um EUR 26.220,36 überschritten. Das Erstgericht verpflichtete die Antragsgegnerin, dem Antragsteller diesen Betrag samt 4 % Zinsen seit 1. 12. 1999 zurückzuzahlen. In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, dass aufgrund der Gefährlichkeit der Elektroinstallationen in der Wohnung deren gänzliche Unbrauchbarkeit gegeben sei, zumal auch die Behebung der Mängel jedenfalls einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordert hätte. Eine Verpflichtung des Mieters bei Übernahme des Objekts, den Zustand der Elektroanlage zu bemängeln, habe nicht bestanden. Die Wohnung sei daher für die gesamte Bestanddauer in die Ausstattungskategorie D/unbrauchbar einzustufen. Daraus ergäben sich die Höhe des zulässigen Hauptmietzinses und die insgesamt für 108 Monate Mietzeit errechneten Überschreitungsbeträge. Zu deren Rückzahlung sei die Antragsgegnerin gemäß § 37 Abs 4 MRG zu verpflichten.

Einem dagegen erhobenen Rekurs der Antragsgegnerin gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass infolge der erheblichen Mängel der Elektroinstallationen, die deren Gefährlichkeit indiziere, eine dauernde Einstufung der vermieteten Wohnung in die Ausstattungskategorie D/unbrauchbar zu erfolgen habe. Die Antragsgegnerin habe nicht einmal nach der Rüge des Antragstellers im Antrag an die Schlichtungsstelle (17. 7. 2001) die angezeigten Mängel behoben, was einer Ablehnung der Mängelbehebung gleichkomme. Die einzig technisch durchführbare Sanierung hätte EUR 2.688,48 gekostet, was als „größere Aufwendung" zu werten sei. Während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses sei das Objekt als unbrauchbar anzusehen, weshalb die Mietzinsvereinbarung die Obergrenze des § 16 Abs 5 erster Halbsatz MRG nicht überschreiten dürfe.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 10.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht vorlägen.

Gegen diesen Sachbeschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Sachbeschlusses im Sinne einer Abweisung des verfahrenseinleitenden Antrags. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag zwecks Verfahrensergänzung durch das Gericht zweiter, in eventu erster Instanz gestellt.

Der Antragsteller hat von der ihm eingeräumten Äußerungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet. Mit dieser beantragt er, dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig, weil die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen die rechtliche Beurteilung der Erheblichkeit der Mittel zur Mängelbehebung nicht decken und insoweit eine relevante sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorliegt.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist im Sinne des in ihm gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Soweit die Revisionsrekurswerberin allerdings darauf beharrt, den Mieter, der Elektrofachmann sei, hätte eine Rügepflicht getroffen, ist dem entgegenzuhalten, dass nach hier anzuwendender Rechtslage die ständige höchstgerichtliche Judikatur in einem Fall wie diesem eine Rügepflicht des Mieters verneint (SZ 73/81 ua). Ob den Mieter als Fachmann, wäre diese seine besondere Fähigkeit überhaupt behauptet und festgestellt worden, eine Rügepflicht getroffen hätte und die Unterlassung einer Rüge diesfalls als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben anzusehen wäre (vgl RIS-Justiz RS0070162 [T4]), muss wegen des bestehenden Neuerungsverbots unbeachtlich bleiben. Im Weiteren wendet sich die Revisionsrekurswerberin - unter dem Titel der Aktenwidrigkeit - gegen die vom Rekursgericht zugrunde gelegte Tatsache, dass die Mängelbehebung jedenfalls EUR 2.688,48 gekostet hätte, obwohl sich nach dem Sachverständigengutachten ergeben habe, dass auch mit EUR 1.115,40 an Behebungskosten die Gefährlichkeit der Anlage beseitigt hätte werden können. Im Übrigen hätte der Zustand der Elektroleitungen in den Schlafzimmern es nicht gerechtfertigt, eine Unbrauchbarkeit der gesamten Wohnung zugrundezulegen.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Die oben wiedergegebenen Feststellungen über die Art der Mängelbehebung und die Höhe der daraus resultierenden Kosten sind tatsächlich widersprüchlich. Sie basieren auf einem Sachverständigengutachten, das in der angesprochenen Frage nicht nachvollziehbar ist. So führte der Sachverständige aus, die billigere Variante (EUR 1.115,40) zur Mängelbehebung entspreche dem technischen Standard, sei aber „glaube ich" nicht durchführbar.

Gerade auf die Höhe des zur Mängelbeseitigung notwendigen Aufwands

kommt es aber entscheidend an. Eine Wohnung kann nämlich nur dann in

eine höhere Kategorie als „D" eingestuft werden, wenn sie sich -

bezogen auf den Zeitpunkt der Vermietung - in einem brauchbaren

Zustand befindet, was voraussetzt, dass sie keine gröberen, die

Benützung behindernden Mängel aufweist und insbesondere auch die

vorgesehenen oder ortsüblichen Energieanschlüsse gefahrfrei verwendet

werden können (RIS-Justiz RS0069887; RS0103222 ua). Steht aber wie

hier unüberprüfbar fest, dass die bestehende Elektroinstallation in

zwei Räumen lebensgefährlich war, kommt es nur noch darauf an, ob

dieser Mangel ohne größere Aufwendungen beseitigt werden konnte, weil

ein Mangel, der die Benützung zwar hindert, doch jederzeit ohne

größere Aufwendungen beseitigt werden kann, der Annahme der

Brauchbarkeit eines Bestandobjekts nicht entgegensteht (RIS-Justiz

RS0070135 ua). Jedenfalls muss der tatsächliche Aufwand festgestellt

werden, um dies beurteilen zu können (5 Ob 279/98k = wobl 1999/147

[Dirnbacher]; 5 Ob 71/99y = wobl 1999/155; 5 Ob 255/98f = immolex

2000/62 ua).

Die Feststellung der Höhe des tatsächlich erforderlichen Behebungsaufwandes ist daher unerlässlich. Während im Jahr 1995 (Beginn des Bestandverhältnisses) Aufwendungen von EUR 2.688,48 einen „größeren Aufwand" darstellten, ist dies bei der billigeren Variante der Behebungskosten von EUR 1.115,40 (S 15.348,24) nicht der Fall (vgl RIS-Justiz RS0070135 [T16]). Deshalb muss geklärt werden, wie hoch die Kosten der einfachsten und kostengünstigsten Durchführung der notwendigen Instandsetzungsarbeiten der Elektroanlage tatsächlich waren. Dabei ist der Widerspruch zu beseitigen, dass die Überputzverlegung in Kabelkanälen einerseits „technisch nicht durchführbar" sein soll, andererseits als Ausführungsvariante dem technischen Standard entspricht (Seite 6 des erstinstanzlichen Sachbeschlusses).

Die fehlende Klärung der Höhe des Behebungsaufwands hindert eine abschließende rechtliche Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses, im konkreten, ob eine dauernde Einstufung der vom Antragsteller gemieteten Wohnung während der gesamten Bestandzeit in die Ausstattungskategorie D/unbrauchbar stattzufinden hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich hinsichtlich der Vertretungskosten auf § 37 Abs 3 Z 19 MRG idF vor Inkrafttreten des WohnAußStrBeglG (Art 10 § 2 WohnAußStrBeglG: Verfahrenseinleitung vor dem 31. 12. 2004). Im weiteren gründet sich die Kostenentscheidung auf § 52 ZPO iVm § 37 Abs 3 Z 19 MRG.

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