OGH 5Ob123/11s

OGH5Ob123/11s9.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte/Hofrätinnen Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. Dr. Gustav E*****, 2. G***** GmbH, *****, diese vertreten durch Dr. Harald Schicht, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Wiedner, Rechtsanwalt in Wien, und sämtliche weiteren Mieter der Liegenschaft EZ 329 GB *****, wegen §§ 17, 37 Abs 1 Z 9 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. Februar 2011, GZ 39 R 30/11t-28, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht hat mit Zwischensachbeschluss mit Wirkung für die Parteien sowie für alle, aus der angeschlossenen Nutzflächenaufstellung ersichtlichen Hauptmieter der auf der bezeichneten Liegenschaft gelegenen Räumlichkeiten festgestellt, dass sämtliche auf dieser Liegenschaft gelegenen vermieteten, von der Antragsgegnerin benützten oder trotz ihrer Vermietbarkeit nicht vermieteten Wohnungen oder sonstigen Mietgegenstände des Hauses einschließlich der gegenüber Stiege VIII gelegenen Tiefgarage in die Berechnung der Nutzflächen und die daraus sich ergebenden Anteile eines Mietgegenstands an den Gesamtkosten des Hauses iSd § 17 MRG einzubeziehen sind, wobei die Nutzfläche einer allfälligen Hausbesorgerwohnung, für die kein besonderes Entgelt entrichtet wird, außer Betracht zu bleiben hat.

Das Rekursgericht hat dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Antragsgegnerin nicht Folge gegeben und ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Die Antragsgegnerin macht in ihrem gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobenen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG geltend:

1. Zur behaupteten Mangelhaftigkeit des (Rekurs-)Verfahrens:

1.1.1. Die Antragsgegnerin behauptet einen Mangel des Rekursverfahrens, der darin bestehen soll, dass sich das Rekursgericht nicht mit dem Umfang jener Flächen der Liegenschaft auseinandergesetzt habe, für welche Grundsteuerfreiheit bestehe. Das Rekursgericht habe dies deshalb nicht für erforderlich erachtet, weil dieser Aspekt von der Antragsgegnerin - unter dem Gesichtspunkt der Unbilligkeit einer liegenschaftsbezogenen Aufteilung - erstmals im Rekurs und demnach als unzulässige Neuerung geltend gemacht worden sei; tatsächlich habe aber die Antragsgegnerin bereits vor der Schlichtungsstelle auf diesen Umstand hingewiesen.

1.1.2. Der Antragsgegnerin ist zwar dahin zuzustimmen, dass sie bereits in ihrer Stellungnahme vom 29. 5. 2008 an die Schlichtungsstelle auf die teilweise Grundsteuerbefreiung von Liegenschaftsteilflächen hingewiesen hat. Dem Rekursgericht ist allerdings dahin beizupflichten, dass die Antragsgegnerin nie konkret dargestellt hat, welche Flächen im Einzelnen von der Grundsteuerpflicht ausgenommen sind, sodass bis zuletzt unklar bleibt, ob der von der Antragsgegnerin eigengenützte Bereich unter dem Gesichtspunkt der Grundsteuerpflicht als Einheit betrachtet werden kann. Dass aber die Antragsgegnerin für jene Umstände behauptungs- und beweispflichtig ist, die ein Abweichen von der liegenschaftsbezogenen Aufteilung rechtfertigen sollen (5 Ob 213/03i; 5 Ob 1095/92 WoBl 1993/61; RIS-Justiz RS0067347), bezweifelt auch die Antragsgegnerin nicht.

1.2.1. Die Antragsgegnerin vermisst Feststellungen „zu den einzelnen Ausbaustadien“ näher genannter Gebäudebereiche und zur Größe der dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen und meint, dass diese Feststellungen aus den Verfahrensergebnissen hätten getroffen werden können oder Urkunden und Zeugenaussagen zu entnehmen gewesen wären. Auf diese Feststellungsmängel sei das Rekursgericht nicht eingegangen.

1.2.2. Der Antragsgegnerin ist, soweit die zuvor wiedergegebenen Ausführungen nicht ohnehin als Geltendmachung sekundärer Feststellungsmängel der Rechtsrüge zuzuordnen sind, in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu erwidern, dass das Erstgericht ohnehin Feststellungen zur baulichen Entwicklung des Gebäudekomplexes getroffen hat. Welche konkreten weiteren Tatsachen „zu den einzelnen Ausbaustadien“ zu treffen gewesen wären, wird im Revisionsrekurs nicht ausgeführt. Erstgericht und Rekursgericht waren nicht verpflichtet, den Sachverhalt amtswegig dort zu prüfen, wo kein Vorbringen der Partei vorliegt. Der erkennende Senat hat nämlich auch für das AußStrG 2003 an der bis dahin maßgeblichen Rechtsprechung festgehalten, nach welcher im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren die Parteien zwar keine förmliche Beweislast, aber doch eine qualifizierte Behauptungspflicht trifft (5 Ob 159/06b wobl 2007/4 = immolex 2007/40; RIS-Justiz RS0083783).

2. Zur Rechtsrüge:

2.1. § 17 Abs 1 MRG normiert als Grundsatz die gleichförmige Verteilung der Gesamtkosten des Hauses nach dem Verhältnis der Nutzflächen (RIS-Justiz RS0107467 [T7]; 3 Ob 299/04y SZ 2005/178). Der Begriff des „Hauses“ ist zwar nicht strikt liegenschaftsbezogen und kommt bei der Auslegung dieses Begriffs der Verkehrsanschauung mehr Bedeutung zu als dem Prinzip der Einheit der Grundbuchseinlage, doch ist aus der mehrfachen synonymen Verwendung von „Haus“ und „Liegenschaft“ abzuleiten, dass grundsätzlich auf die Liegenschaft, also auf den Grundbuchskörper abgestellt werden soll (RIS-Justiz RS0069823 [T1]). Die Identität von Haus und Liegenschaft ist also der Regelfall (5 Ob 107/95 WoBl 1996/22; 5 Ob 213/03i MietSlg LVI/3; 5 Ob 43/05t MietSlg 57.316; Würth in Rummel³, § 17 MRG Rz 3).

2.2. Eine Ausnahme von der zuvor als Grundsatz dargestellten liegenschaftsbezogenen Betrachtungsweise bei der Aufteilung der Betriebskosten kann etwa dann in Betracht kommen, wenn sich mehrere selbstständige Objekte auf einer Liegenschaft befinden, deren Gleichstellung nach den tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu unbilligen Ergebnissen führen würde (5 Ob 593/90 WoBl 1991/12 = MietSlg 42.344; 5 Ob 213/03i MietSlg LVI/3). Denkbar ist auch, nur für einen Teil der Bewirtschaftungskosten gesonderte Verrechnungskreise zu schaffen (5 Ob 213/03i MietSlg LVI/3).

2.3. Ob tatsächlich und wirtschaftlich voneinander getrennte selbstständige Objekte vorliegen, ist letztlich nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen. Üblicherweise wird in der Rechtsprechung die Selbstständigkeit für einzelne/mehrere Geschoße (5 Ob 172/04m) oder Stiegenhäuser eines Gebäudes (5 Ob 107/95 WoBl 1996/22 mwN) verneint. Im Übrigen können verschiedene Kriterien bei unterschiedlichen Problemlagen maßgeblich sein, etwa das Vorhandensein gemeinsamer oder getrennter Versorgungseinrichtungen, das Alter der Gebäude, die bauliche Trennung, der Erhaltungszustand oder auch die unterschiedliche Verwendung zu Wohn- oder Betriebszwecken (5 Ob 163/09w wobl 2010/137 = MietSlg 61.253), womit sich diese Beurteilung als typische Einzelfallentscheidung darstellt.

2.4. Im vorliegenden Fall nimmt die Antragsgegnerin die Verteilung der Betriebskosten im Wesentlichen so vor, dass sie die von ihr selbst und von ihr nahestehenden Organisationen genutzten Objekte einerseits und die fremdgenutzten Objekte andererseits („kirchlicher“ und „weltlicher“ Teil) gesondert abrechnet. Diese Vorgangsweise mag zwar einer lange geübten Praxis entsprechen und aufgrund vorhandener Messeinrichtungen praktisch - zumindest weitgehend - möglich sein; mit den zuvor dargestellten Judikaturgrundsätzen ist diese Praxis freilich schwerlich in Einklang zu bringen:

2.4.1. Gegen „ein“ tatsächlich und wirtschaftliches Gesamtobjekt aller von der Antragsgegnerin selbst genutzten Gebäudeteile spricht zunächst das äußere Erscheinungsbild des Gebäudekomplexes, welches „den Eindruck eines zusammen gehörenden Ensembles“ vermittelt. Es gibt Stiegen, die ausschließlich zu „fremdverwalteten“ Räumlichkeiten führten, und Stiegen, die zu eigen- und fremdgenützten Gebäudebereichen führen. Die von der Antragsgegnerin eigengenützten Räumlichkeiten weisen unterschiedlichste Verwendungszwecke (typische Stiftsräumlichkeiten, Schule, Kindergarten, Garage) auf und erstrecken sich teilweise über mehrere Stiegen und Stockwerke. Die Errichtung bzw Adaptierung insbesondere der von der Antragsgegnerin genutzten Räumlichkeiten erfolgte zu unterschiedlichsten Zeitpunkten über Jahrzehnte hinweg. Wenn daher die Vorinstanzen den Umstand, dass die Antragsgegnerin die Verwaltung der von ihr eigengenützten Räumlichkeiten zumindest weitgehend betreffend Strom, Wasser und Reinigung, allerdings nicht betreffend Müllentsorgung selbstständig organisiert, nicht als ausreichende Rechtfertigung dafür erkannten, zahlreiche, zu unterschiedlichen Zwecken und über den Gesamtkomplex verteilte Räumlichkeiten, die insgesamt praktisch lediglich die gemeinsame „kirchliche“ Verwendung verbindet, im Lichte des § 17 MRG als eine „Einheit“ zu werten, dann liegt darin keine als unvertretbar aufzugreifende Einzelfallbeurteilung.

2.4.2. Ob die Antragsgegnerin allenfalls (auch) selbstständige Verrechnungskreise für bestimmte Arten von Bewirtschaftungskosten anstrebt, wird aus ihren Rechtsmittelausführungen bis zuletzt nicht klar.

2.4.3. Dass sich die Entscheidung des Erstgerichts, wie die Antragsgegnerin meint, auch auf ein (teilweise) auf der Nachbarliegenschaft befindliches Objekt („B*****haus“) beziehe, ist schon nach dem Wortlaut des Spruchs des erstgerichtlichen Zwischensachbeschlusses unzutreffend.

2.4.4. Zur Fortentwicklung der hier einschlägigen Judikaturgrundsätze (Punkt 2.1. und 2.2.) kann der vorliegende Fall überdies deshalb nicht beitragen, weil der zu beurteilende Gebäudekomplex schon aufgrund seiner geschichtlichen Entwicklung, seiner Größe, seines unvergleichlichen Erscheinungsbildes und der wohl einmaligen Art der Nutzung als unitär gelten darf.

Eine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG stellt sich somit insgesamt nicht; der Revisionsrekurs ist daher unzulässig und zurückzuweisen.

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