European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:0050OB00122.02F.0625.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Die Antragstellerin war in der Zeit vom 28. 9. 1994 bis 28. 9. 1997 Mieterin einer Wohnung in dem der Antragsgegnerin gehörenden Haus***** in*****. Im Mietvertrag wurde ein Pauschalzins von S 4.000 vereinbart.
Am 20. 1. 1998, somit innerhalb der Frist des § 16 Abs 8 MRG für befristete Mietverhältnisse, begehrte die Antragstellerin in ihrem an die Schlichtungsstelle der Stadt Graz gerichteten Antrag, die Schlichtungsstelle möge
"1. die Höhe des gesetzlich zulässigen Mietzinses feststellen,
2. der Gegenseite die Belegvorlage auftragen,
3. den Anteil der von ihr zu zahlenden Betriebskosten und öffentlichen Abgaben feststellen" und regte unter 4. ihres Antrags einen Ausspruch nach § 37 Abs 4 MRG an, wonach sich ergebende Überschreitungsbeträge der letzten drei Jahre ziffernmäßig bestimmt werden sollten und der Antragsgegnerin deren Rückersatz aufgetragen werden sollte.
Dieses Verfahren wurde zu A 21/II‑K8‑27/98 des Magistrats der Stadt Graz eingeleitet und ist derzeit noch anhängig.
Mit einem zweiten, hier gegenständlichen, gleichlautenden Antrag vom 27. April 1999 leitete die Antragstellerin zu A 21/II‑K8‑152/99 ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle des Magistrats der Stadt Graz ein. Dieser Antrag wurde zu Gericht abgezogen. Das Verfahren wurde zu 54 Msch 31/00i vor dem Bezirksgericht für ZRS Graz geführt.
Rechtliche Beurteilung
Für die hier zu erledigende Rechtsfrage erübrigt es sich, auf den Grund der zweiten Antragstellung und die im ersten Schlichtungsstellenverfahren aufgetretenen unzähligen Komplikationen einzugehen. In rechtlicher Hinsicht sei dazu bloß bemerkt, dass die Richtigstellung eines Antrags betreffend die Folgen des § 16 Abs 8 MRG auf den Antragszeitpunkt zurückwirkt (5 Ob 296/99m).
Im gegenständlichen Verfahren wies das Erstgericht durch Sachbeschluss den verfahrenseinleitenden Antrag insoweit ab, als er die Feststellung der Angemessenheit des vereinbarten Hauptmietzinses zum Gegenstand hatte. Soweit sich das verfahrenseinleitende Begehren darauf richtete, den Anteil des Mietgegenstandes an den Gesamtkosten des Hauses festzustellen, die Legung von Abrechnungen zu erzwingen und die Überprüfung der Betriebskosten vorzunehmen, fasste das Gericht erster Instanz einen Beschluss auf Unterbrechung.
In rechtlicher Hinsicht begründete es die Abweisung des Mietzinsüberprüfungsantrags mit dem Ablauf der Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG.
Dies gelte jedoch nicht für die Überprüfung der Betriebskosten, weil Betriebskostenrückforderungen nur der dreijährigen Verjährungsfrist, nicht aber der Präklusion unterlägen. Deshalb werde über den diesbezüglichen Antrag noch zu entscheiden sein. Gemäß § 37 Abs 3 Z 14 MRG sei aber ein Verfahren, wenn dies zweckmäßig sei, wegen eines anderen anhängigen Verfahrens zu unterbrechen. Dies gelte auch im außerstreitigen Verfahren. Die Zweckmäßigkeit einer Unterbrechung ergebe sich daraus, dass ein inhaltsgleiches Verfahren bei der Schlichtungsstelle anhängig sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Gericht zweiter Instanz beide bekämpften Entscheidungen des Erstgerichtes sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies den verfahrenseinleitenden Antrag zurück. Aus Anlass der Rekurse sei eine dem Erstgericht unterlaufene Nichtigkeit wahrzunehmen. Der neuerlichen (zweiten) Antragstellung stehe nämlich das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegen. Dieses Prozesshindernis sei jederzeit, auch von Amts wegen, wahrzunehmen. Wenn auch die Regelung des § 233 Abs 1 ZPO in § 37 Abs 3 Z 13 MRG nicht genannt sei, bestünden doch keine Bedenken gegen die analoge Anwendbarkeit dieser Bestimmung im außerstreitigen Verfahren. Die Nichtbeachtung des Prozesshindernisses der Streitanhängigkeit stelle im Zivilprozess einen Nichtigkeitsgrund dar, demnach auch im außerstreitigen Verfahren, weil die Nichtigkeitsgründe der ZPO auch für dieses Verfahren gelten, soweit sie dafür in Betracht kämen.
Irrtümlich sprach das Rekursgericht aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses und Abweisung des verfahrenseinleitenden Antrags infolge Präklusion. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Antragstellerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
In analoger Anwendung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ist - ungeachtet des rekursgerichtlichen Ausspruchs - die Entscheidung des Rekursgerichts, mit der der Sachantrag aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde, jedenfalls anfechtbar (WoBl 1993/48; MietSlg 45.733; 46.473 ua).
Auch ist die Beschwer der Antragsgegnerin zu bejahen, weil sie einen prozessualen Nachteil etwa daraus erleiden kann, dass das Begehren nicht als unbegründet abgewiesen, sondern der Antrag zurückgewiesen wurde (SZ 57/23; JBl 1951, 574; 7 Ob 733/78; 7 Ob 689/78; zuletzt 10 ObS 353/99f).
Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist somit zulässig. Es ist aber nicht berechtigt.
Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit besteht nach Lehre und zweitinstanzlicher Rechtsprechung auch im Außerstreitverfahren (vgl Dolinar, Allgemeiner Teil 102; KG Krems MietSlg 39.534; LGZ Wien MietSlg 41.503). Wenn auch die Regelung des § 233 Abs 1 ZPO in § 37 Abs 3 Z 13 MRG nicht aufgezählt ist, bestehen doch keine Bedenken gegen dessen Anwendbarkeit im außerstreitigen Verfahren. Die Außerachtlassung der negativen Prozessvoraussetzung der Streitanhängigkeit behaftet nämlich das später eingeleitete Verfahren mit einem Nichtigkeitsgrund (vgl Fasching Lehrbuch Rz 1184, 1753 ff). Für das außerstreitige Verfahren gelten nach Lehre und Rechtsprechung die Nichtigkeitsgründe der ZPO (vgl Köhler, Das Verfahren in Außerstreitsachen4 Anm 2 zu § 2 mwN; vgl auch 5 Ob 100/94 zu § 37 Abs 1 Z 12 MRG).
Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit verbietet grundsätzlich nur die doppelte Geltendmachung identer Ansprüche zwischen denselben Parteien innerhalb des Zivilprozesses, weshalb keine Streitanhängigkeit vorliegt, wenn über dasselbe Begehren ein Verfahren vor einem Gerichtshof öffentlichen Rechts oder vor einer Verwaltungsbehörde anhängig ist (EvBl 1987/91, 338; Fasching III, 91; Fasching Zivilprozessrecht Rz 1190 mwN; Rechberger ZPO² Rz 10 zu § 233).
Dem AVG hingegen ist das Rechtsinstitut der Streitanhängigkeit grundsätzlich fremd. Nach der Rechtsprechung des VwGH gilt allerdings, dass die in erster Instanz zuständige Behörde vor Rechtskraft aber während Anhängigkeit eines Berufungsverfahrens nicht neuerlich über ein und dieselbe Sache entscheiden darf (VwGH E 96/19/0862; 95/19/0321 ua).
Nun sind die in § 37 Abs 1 MRG genannten Angelegenheiten in das besondere Verfahren außer Streit nach § 37 MRG verwiesen und durch gesetzliche Anordnung von dem Bezirksgericht zu entscheiden, in dessen Sprengel das Miethaus gelegen ist.
Zur Entlastung der Gerichte normiert § 39 Abs 1 MRG, dass für Häuser in bestimmten Gemeinden, die durch Verordnung des BMJ festzulegen sind, diese Verfahren erst dann bei Gericht anhängig gemacht werden können, wenn vorher die Gemeinde (Schlichtungsstelle, Schlichtungsamt) mit der Sache befasst wurden. Die Anrufung der Schlichtungsstelle ist somit eine zwingende Prozessvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren (MietSlg 42.396 uva). Aus Verfassungsgründen ist ein Rechtsmittel von der Schlichtungsstelle als Verwaltungsbehörde an die Gerichte ausgeschlossen. Statt dessen ist eine sukzessive Zuständigkeit insoweit konstruiert, als mit der rechtzeitigen Anrufung des Gerichtes gegen eine Entscheidung der Schlichtungsstelle diese außer Kraft tritt, weshalb die Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausgeschlossen ist (VwGH MietSlg 40.578; VfGH MietSlg 47.447; Würth/Zingher 20 Rz 1 zu § 40 MRG). Die "Sache" im Sinn der §§ 39 und 40 MRG ist durch den das Verfahren vor der Schlichtungsstelle einleitenden Sachantrag definiert. Nur insoweit besteht eine Einheit zwischen dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle und den nachfolgenden gerichtlichen Verfahren, als der bei der Schlichtungsstelle erhobene Antrag (die "Sache") vor Gericht weder erweitert noch geändert werden kann (RIS‑Justiz RS0006307).
Diese Identität der "Sache" im Fall sukzessiver Zuständigkeit gebietet ein Verständnis des Begriffs der Streitanhängigkeit, das es unmöglich macht, das Gericht zur Entscheidung in einer Rechtssache nach § 37 Abs 1 MRG anzurufen, solange über denselben Sachantrag ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle anhängig ist. Anders kann auch der Zielsetzung des § 40 Abs 1 und 2 MRG nicht entsprochen werden, womit ganz deutlich eine Verfahrenseinstellung bzw ein Außerkrafttreten der Entscheidung der Schlichtungsstelle für den Fall der Anrufung des Gerichts vorgesehen ist, also jedenfalls verhindert werden soll, dass ein und dasselbe Verfahren vor Gericht und Behörde anhängig ist. Demnach käme auch eine Anrufung der Schlichtungsstelle nicht in Betracht, wenn über dieselbe Sache ein Verfahren vor Gericht anhängig ist.
Es ist daher festzuhalten, dass die sukzessive Zuständigkeit in Mietrechtsangelegenheiten außer Streitsachen, wie sie in § 40 MRG normiert ist, ein spezifisches Prozesshindernis der Streitanhängigkeit bewirkt, sodass selbst unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 39 MRG (also vorheriger Anrufung der Schlichtungsstelle) eine parallele Verfahrensführung über idente Ansprüche verhindert wird.
Die Entscheidung des Rekursgerichtes erweist sich somit als zutreffend.
Dem Revisionsrekurs war der Erfolg zu versagen.
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