European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00120.23T.1219.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Klauselentscheidungen, Konsumentenschutz und Produkthaftung
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist einer der im § 29 KSchG genannten Verbände. Er macht gegen das beklagte Seilbahnunternehmen einen ihm von einem Konsumenten abgetretenen Anspruch auf Rückerstattung eines Teils des bezahlten Entgelts für die Saisonkarte für den Winter 2019/20 geltend. Aufgrund der Covid‑19‑Pandemie seien am 16. 3. 2020 für sämtliche Seilbahnen und Skigebiete in ganz Österreich behördliche Betriebssperren in Kraft getreten. Die Nutzungsdauer der Saisonkarte sei aufgrund dieser behördlichen Anordnungen entsprechend verkürzt worden. Der Konsument habe daher gemäß § 1447 ABGB einen aliquoten Rückzahlungsanspruch.
[2] Die Beklagte wandte (ua) ein, der Konsument habe durch die Inanspruchnahme der von der Beklagten und anderen Partnerbetrieben der Saisonkarte angebotenen Verlängerung der Nutzungsdauer („Sommernutzung“) auf seinen Rückzahlungsanspruch verzichtet.
[3] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die außerordentliche Revision desKlägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[6] 1. Den aliquoten Rückforderungsanspruch iSd § 1447 ABGB haben die Vorinstanzen dem Prozessstandpunkt des Klägers folgend grundsätzlich bejaht. Diese Frage kann die Zulässigkeit seiner Revision daher nicht begründen. Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu berufen, theoretisch zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird (RIS‑Justiz RS0102059 [T13, T18]).
[7] 2. Im Revisionsverfahren strittig ist, ob der Anspruch auf Rückzahlung des aliquoten Teils des Entgelts für die Winter-Saisonkarte durch das Angebot einer Ersatznutzung im Sommer und dessen Annahme durch den Konsumenten erloschen ist, dieses Verhalten also zu einer Aufhebung der Rechte und Verbindlichkeiten geführt hat (vgl § 1411ff ABGB). Die Beklagte und ihr folgend die Vorinstanzen verstanden diesen Aufhebungsgrund als (konkludenten) Verzicht, alternativ als (konkludent) vereinbarte Kompensation. Die behauptete Abgeltung des Rückforderungsanspruchs in Geld durch Angebot und Inanspruchnahme einer Ersatzleistung ist ihrem Inhalt nach aber weder Verzicht noch die Vereinbarung einer Kompensation, sondern eine Leistung an Zahlungs statt iSd § 1414 ABGB. Die Leistung an Zahlungs statt iSd § 1414 ABGB ist die mit Willen beider Parteien an die Stelle der ursprünglichen Leistung tretende Erfüllungshandlung, die zugleich die Leistungspflicht ändert. Das Schuldverhältnis erlischt durch die Hingabe und Übernahme des Ersatzgegenstands, weil sich der Gläubiger für befriedigt erklärt und somit das Gläubigerinteresse erfüllt wird (1 Ob 183/98p; RS0111140).
[8] 3. Die Vorinstanzen haben hier das Verhalten des Konsumenten als schlüssige Zustimmungserklärung zu einer solchen Vereinbarung verstanden, wobei sie die Konkludenz seines Verhaltens sowohl in Bezug auf den Abschluss des Vertrags an sich als auch auf die Einbeziehung der „ergänzenden“ AGB in den Vertrag durch stillschweigende Unterwerfung (vgl RS0014506) bejahten.
[9] Ob eine konkludente Willenserklärung vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0043253 [T1, T14, T17]; RS0109021 [T5]; RS0014420 [T16]).
[10] Der Kläger zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht eine aus Gründen der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung (vgl RS0043253 [T7, T8]) unterlaufen ist. Bei der Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen gemäß § 863 ABGB ist zwar Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen. Es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille vorliegt, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen (RS0014157; RS0014146; RS0013947; RS0014420). Maßgebend ist, welche Schlüsse der Partner aus dem Verhalten nach Treu und Glauben abzuleiten berechtigt war (RS0014159 [T3]). Für die Konkludenz eines Verhaltens kommt es allein auf den Eindruck an, den der andere aufgrund dieses Verhaltens gewinnen musste, also auf das Verständnis, das er redlicherweise daraus erschließen durfte und erschlossen hat (RS0014158 [T5, T6]).
[11] Den Beurteilungsrahmen, den die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs durch diese entwickelten Leitlinien gezogen hat, hat das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung nicht überschritten. Die Beklagte verband die als Ersatz für den Nutzungsausfall im Frühjahr gedachte Verlängerung des Gültigkeitszeitraums der Winter-Saisonkarte mit einer intensiven Informations- und Werbekampagne. Die rechtlichen Rahmenbedingungen (Verlängerung des Gültigkeitszeitraums und Verzicht auf Rückerstattungsansprüche bei Annahme dieses Angebots) wurden in „ergänzenden“ Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt und auf der maßgeblichen Homepage zugänglich gemacht. Über die Nutzungsmöglichkeit der an sich abgelaufenen Winter-Saisonkarte im Sommer wurde auf dieser Homepage und bei den teilnehmenden Seilbahnbetrieben mit Hinweisschildern und/oder Kassenaushängen informiert; dies jeweils unter Hinweis auf die ergänzenden AGB. Diese ausnahmsweise Sommernutzung der abgelaufenen Winter-Saisonkarte wurde auch in Medien und auf Social Media beworben. Aus den dazu festgestellten Gesamtumständen ergab sich, dass die Sommernutzung den Kunden, die eine Winter-Saisonkarte erworben hatten, als Ersatz für die aufgrund der Pandemie entfallenen Nutzungsmöglichkeit im Frühjahr 2020 angeboten wurde. Der Konsument, der seinen Anspruch an den Kläger abgetreten hat, nutzte die Saisonkarte im Verlängerungszeitraum vom 29. Mai bis 2. August 2020 an 27 Tagen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Verhalten des Konsumenten, der die angebotenen und erkennbar werthaltigen Ersatzleistungen in Anspruch nahm, erlaube bei Überlegung aller Umstände des Falles und unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche (nur) den zweifelsfreien Schluss, der Konsument habe auf die Rückerstattung des aliquoten Anspruchs im Gegenzug zur Sommernutzung „verzichten“ wollen, sich also mit der Einräumung der Möglichkeit der Sommernutzung an Zahlungs statt einverstanden erklärt, nicht als korrekturbedürftig.
[12] 4. Auch mit seinen Ausführungen zur einzelfallbezogenen Inhalts- und Geltungskontrolle der einschlägigen Klauseln der ergänzenden AGB zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Es kann daher dahin stehen, ob es für das Zustandekommen eines Einvernehmens über die Leistung an Zahlungs statt überhaupt eines Rückgriffs auf die konkludent einbezogenen AGB bedarf.
[13] 5. Die Revision war damit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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