Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Beim Erstgericht ist ein Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für den Betroffenen anhängig. Grund für die Einleitung des Verfahrens war die Mitteilung, dass er an einer Psychose leidet, die teilweise dem schizophrenen, teilweise dem manisch-depressiven Formenkreis zuzuordnen ist. Es ist zu befürchten, dass sich der Betroffene durch Handlungen, die er nicht rational zu steuern oder deren Tragweite er nicht zu überblicken vermag, selbst Schaden an seinem Vermögen (darunter Liegenschaften in T*****) zufügt. So soll er beabsichtigt und zum Teil auch schon Schritte unternommen haben, ein Grundstück um 1 Eurocent der Serbisch Orthodoxen Kirche zu verkaufen, für brasilianische Gastarbeiter in deren Heimat einen Flugplatz zu bauen, ein Haus mit 6 Wohnungen zu verschenken und anderes mehr.
Der Betroffene ist Staatsbürger von Liechtenstein, hatte aber bei Einleitung des gegenständlichen Verfahrens seinen ständigen Wohnsitz in T*****, also im Sprengel des Erstgerichtes. Zur Wahrung seiner Rechte im Verfahren wurde ihm der in Dornbirn ansässige Rechtsanwalt Mag. Klaus P. Pichler als einstweiliger Sachwalter bestellt.
Mit der Begründung, seinen Wohnsitz in T***** aufgegeben zu haben und nunmehr in Liechtenstein zu wohnen, beantragte der Betroffene (vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Klaus P. Pichler als nunmehr gewählter, mit eigener Vollmacht ausgestatteter Vertreter) am 29. 1. 2004, das Sachwalterschaftsverfahren einzustellen, weil das Erstgericht weder örtlich noch international zuständig sei.
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die inländische Gerichtsbarkeit gemäß §§ 109 Abs 2, 110 Abs 1 Z 3 JN weiterhin gegeben sei. Der Betroffene habe Liegenschaftsvermögen im Inland; es sei abzuklären, inwieweit er in der Lage ist, über dieses Vermögen zu verfügen, ohne sich der Gefahr einer Selbstschädigung auszusetzen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung aus folgenden Erwägungen:
Richtig sei, dass die Bestimmung des § 110 JN über die inländische Gerichtsbarkeit dann nicht zur Anwendung komme, wenn ein multilaterales oder bilaterales Abkommen besteht. Zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein bestehe ein solcher Vertrag über "Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft" (BGBl Nr. 213/1956, durch BGBl Nr. 99/1968 ergänzt um die Art 15a und 15b). Gemäß Art 14 dieses Vertrages sei die inländische Gerichtsbarkeit Österreichs gegeben, wenn ein liechtensteinischer Landesbürger ("Landesangehöriger") der Fürsorge bedürfe und seinen ständigen Aufenthalt in Österreich habe (Art 14 Abs 1). Ebenso sei die inländische Gerichtsbarkeit zu bejahen, wenn ein liechtensteinischer Landesangehöriger vormundschafts- oder pflegschaftsgerichtlicher Maßnahmen bedürfe, auch wenn eine Fürsorgebedürftigkeit nach liechtensteinischem Recht nicht gegeben sei (Art 14 Abs 2). Die Führung der vormundschafts- oder pflegschaftsbehördlichen Geschäfte seien im Falle des Abs 1 auf Verlangen einer Vormundschafts- oder Pflegschaftsbehörde des Heimatstaates des Pflegebefohlenen dieser abzutreten (Art 14 Abs 3).
Die "Fürsorgebedürftigkeit" des Rekurswerbers richte sich nach liechtensteinischem Recht, das ein Sachwalterschaftsverfahren nicht kenne. Allerdings sehe auch das liechtensteinische Recht die Bestellung eines Beistandes für jene Personen vor, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zur gehörigen Besorgung ihrer Angelegenheiten eines Schutzes bzw einer Fürsorge bedürfen (§§ 270 ff ABGB). Zu den pflegschaftsgerichtlichen Geschäften im Sinne des zitierten Vertrages zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein gehörten demnach auch solche Angelegenheiten, die Gegenstand des anhängigen Sachwalterschaftsverfahrens sind (vgl SZ 69/67; ZfRV 1988, 41).
Unter Bedachtnahme auf den aktenkundigen Sachverhalt bestehe kein Zweifel, dass der Rekurswerber auch nach liechtensteinischem Recht fürsorgebedürftig sei. Außerdem sei klar, dass sich der gegenständliche Vertrag (gemeint ist offensichtlich das erwähnte Rechtshilfeübereinkommen) primär am Wohl des Pflegebefohlenen orientiere.
Aus Art 14 und 15 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein sei abzuleiten, dass die inländische Gerichtsbarkeit eines Vertragsstaates hinsichtlich eines ausländischen Staatsbürgers immer dann zu bejahen sei, wenn eine gewisse Nahbeziehung vorliegt. Auch wenn der Vertrag nur auf den "ständigen Aufenthalt" bzw den "Aufenthalt" Bezug nimmt, bedeute dies nicht, dass für die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit ausschließlich darauf abzustellen wäre; unter Bedachtnahme auf das Wohl des Pflegebefohlenen bilde auch das Vorhandensein von Vermögenswerten einen ausreichenden Anknüpfungsgrund.
Der Betroffene besitze in Österreich (Vorarlberg) mehrere Liegenschaften, die auch ständiger Verwaltungs- und Vertretungshandlungen bedürften. Insofern liege eine Nahbeziehung zum Inland ähnlich wie beim ständigen Aufenthalt eines Fremden in Österreich vor (SZ 69/67).
Da somit das Vorhandensein von Vermögensrechten im Inland dem ständigen Aufenthalt eines Ausländers gleichzusetzen sei, sei im gegenständlichen Fall die inländische Gerichtsbarkeit auch unter Bedachtnahme auf Art 14 Abs 1 des zitierten Vertrages gegeben. Dies solange, bis nicht das liechtensteinische Gericht eine Abtretung im Sinne des Art 14 Abs 3 des Vertrages verlange. Da sowohl in Österreich als auch im Fürstentum Liechtenstein das Wohl des Pflegebefohlenen maßgebend sei, könne eine in einem Vertragsstaat angeordnete notwendige Maßnahme solange nicht aufgehoben werden, als nicht im anderen Vertragsstaat die erforderlichen Anordnungen zum Schutz bzw zur Fürsorge des Staatsangehörigen getroffen worden seien. Sobald eine entsprechende liechtensteinische gerichtliche Anordnung vorliege, sei die von Amts wegen wahrzunehmende inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen, da eine solche Entscheidung in Österreich anerkannt werde (Art 15a des Vertrages). Dasselbe gelte für den Fall, sollte die liechtensteinische Pflegschaftsbehörde die Abtretung der gegenständlichen Sachwalterschaft beantragen.
Solange jedoch weder das eine noch das andere der Fall sei, sei die inländische Gerichtsbarkeit zu bejahen, sodass der angefochtene Beschluss unabhängig davon zu bestätigen sei, ob die Feststellung, wonach der Betroffene nunmehr in Liechtenstein wohnhaft ist, bedeute, dass er dort seinen ständigen Aufenthalt hat.
Die Entscheidung des Rekursgerichtes enthält den Ausspruch, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Soweit ersichtlich fehle nämlich eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zum gegenständlichen Vertrages zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein, insbesondere zur Frage, ob die inländische Gerichtsbarkeit ausgeschlossen ist, wenn ein liechtensteinischer Landesangehöriger zwar in Liechtenstein wohnt, aber im Inland Vermögen besitzt, das verwaltet werden muss.
Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhoben. Er beantragt primär, den Beschluss aufzuheben und das Sachwalterschaftsverfahren für nichtig zu erklären; hilfsweise soll einer der Vorinstanzen die Ergänzung des Verfahrens und neuerliche Entscheidung aufgetragen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber ist der Ansicht, dass das Rekursgericht den Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung und Vormundschaft unrichtig, und zwar in einer den klaren Vertragswortlaut überdehnenden Weise ausgelegt habe. Die internationale Gerichtsbarkeit in Pflegschaftssachen knüpfe nämlich nach diesem Vertrag ausnahmslos an den ständigen oder zumindest gewöhnlichen Aufenthalt des Pflegebefohlenen in einem der Vertragsstaaten an. Das gelte, wie sich aus Art 15 des Vertrags ergäbe, sogar für vorläufige und dringende pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen. Der nachträgliche Wegfall der Voraussetzungen für die internationale Gerichtsbarkeit habe zur Nichtigerklärung des gesamten vorangegangenen Verfahrens zu führen.
Dazu wurde erwogen:
Das Rekursgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die internationale Zuständigkeit für die Durchführung des gegenständlichen Sachwalterschaftsverfahrens nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft, BGBl 1956/213 idF BGBl 1968/99, zu beurteilen ist (zum grundsätzlichen Vorrang eines solchen Übereinkommens gegenüber der Regelung des § 110 JN siehe Mayr in Rechberger2, Rz 7 zu § 110 JN), hat die einschlägigen Vertragsbestimmungen jedoch unrichtig ausgelegt. Aus Art 14 des Vertrages (dessen Abs 2 unvollständig zitiert wurde) ergibt sich nämlich unmissverständlich, dass die internationale Zuständigkeit den Aufenthalt des Pflegebefohlenen im jeweiligen Vertragsstaat voraussetzt, was gemäß Art 15 des Vertrages auch für vorläufige und dringliche pflegschaftsbehördliche Maßnahmen gilt. Wäre das gegenständliche Verfahren erst nach der Übersiedlung des Betroffenen nach Liechtenstein eingeleitet worden, hätte demnach dem Erstgericht die internationale Zuständigkeit gefehlt.
Anderseits lag bei Einleitung des Verfahrens die internationale Zuständigkeit des Erstgerichtes vor, weil der Betroffene in dessen Sprengel wohnte. Sie ist - entgegen der Rechtsansicht des Rechtsmittelwerbers - gemäß § 29 JN auch nach wie vor aufrecht.
Richtig ist, dass zur Rechtslage vor der WGN 1997 judiziert wurde, die internationale Zuständigkeit müsse im Zeitpunkt der Erlassung der Schutzmaßnahme (hier im Hinblick auf die mittlerweilige Bestellung eines gewählten Vertreters durch den Betroffenen bis zur Beendigung des Sachwalterschaftsverfahrens) gegeben sein; eine perpetuatio fori (perpetuatio iurisdictionis) trete nicht ein (RIS-Justiz RS0007405). Seit der Novellierung des § 29 JN durch die WGN 1997 ist jedoch der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit grundsätzlich wie die unverzichtbare Unzuständigkeit zu behandeln. Die perpetuatio fori (perpetuatio iurisdictionis) tritt also idR (vom hier nicht vorliegenden Fall, dass einer Partei des Verfahrens Immunität zuerkannt wird, abgesehen) auch dann ein, wenn die die inländische Gerichtsbarkeit begründenden Tatbestände - gleich, ob die inländische Gerichtsbarkeit auf autonomem österreichischen Recht oder auf staatsvertraglichen Regelungen beruht - nachträglich wegfallen (Ballon in Fasching2, Rz 18 zu § 29 JN; Mayr in Rechberger2, Rz 2 zu § 29 JN; Fucik in Fasching2, Rz 6 zu § 110 JN).
Zu Recht ist demnach das Erstgericht von einer grundsätzlich möglichen Fortsetzung des Verfahrens ausgegangen und hat seine Entscheidung über die begehrte Einstellung iSd § 110 Abs 2 JN davon abhängig gemacht, ob die Rechte und Interessen des Betroffenen durch die im Ausland zu erwartenden Maßnahmen ausreichend gewahrt sind. Das ist im derzeitigen Verfahrensstadium zu verneinen, weil durch die sofortige Einstellung des Verfahrens vor Übernahme der Pflegschaft durch ein Gericht oder eine Behörde in Liechtenstein eine Rechtsschutzlücke für den Betroffenen entstehen könnte. Immerhin liegen Indizien für eine akute Gefährdung der Vermögensinteressen des Betroffenen vor. Das Erstgericht wird allerdings, um dem Zweck des Übereinkommens zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein Genüge zu tun, pflegschaftsbehördliche Maßnahmen selbst in Fällen der Dringlichkeit primär jenem Land zu überlassen, in dem sich der Pflegebefohlene aufhält (Art 15 des Vertrages), mit den zuständigen Behörden des Fürstentums Liechtenstein das Einvernehmen herzustellen und ihnen die Übernahme des Verfahrens anzubieten haben. Für die sofortige Einstellung bzw Nichtigerklärung des beim Erstgericht anhängigen Verfahrens besteht jedoch kein gesetzlicher Grund.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)