European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00110.23X.1019.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 1 Abs 2 lit d der Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II‑VO“) dahin auszulegen, dass er sich auch auf Schadenersatzansprüche gegen ein Organ einer Gesellschaft bezieht, die ein Gesellschaftsgläubiger auf deliktischen Schadenersatz wegen Verletzung von Schutzgesetzen (wie etwa Bestimmungen des Glücksspielrechts) durch das Organ stützt?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:
Ist Art 4 Abs 1 der genannten Verordnung dahin auszulegen, dass sich der Ort des Schadenseintritts bei einer deliktischen Schadenersatzklage gegen ein Organ einer konzessionslos Online-Glücksspiel in Österreich anbietenden Gesellschaft wegen erlittener Spielverluste richtet nach
a) dem Ort, von dem aus der Spieler Überweisungen von seinem Bankkonto auf das von der Gesellschaft geführte Spielerkonto leistet,
b) dem Ort, wo die Gesellschaft das Spielerkonto führt, auf dem Einzahlungen des Spielers, Gewinne, Verluste und Boni gebucht werden,
c) dem Ort, von dem aus der Spieler Spieleinsätze über dieses Spielerkonto tätigt, die letztlich zu einem Verlust führen,
d) dem Wohnort des Spielers als Belegenheitsort seiner Forderung auf Auszahlung seines Guthabens auf dem Spielerkonto,
e) dem Belegenheitsort seines Hauptvermögens?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
Zu I.:
A. Sachverhalt
[1] Die Zweitbeklagte betreibt von ihrem Sitz auf Malta aus die Website www.*.com, über die sie Online-Glücksspiele anbietet. Sie richtet ihr Angebot auf den gesamten europäischen Markt aus. Sie ist Inhaberin einer aufrechten maltesischen Glücksspielkonzession, nicht aber einer Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz.
[2] Der Erstbeklagte war vom 23. 8. 2016 bis 14. 5. 2019 Geschäftsführer der Zweitbeklagten und vom 23. 4. 2015 bis 30. 4. 2019 Vorstandsvorsitzender ihres Mutterkonzerns.
[3] Der im Sprengel des Erstgerichts wohnhafte Kläger stieß über die Werbung eines österreichischen Fernsehsenders auf die Website der Zweitbeklagten. Er spielte im Zeitraum von 30. 11. 2013 bis 20. 1. 2021 dort Online‑Glücksspiele, wobei er seine Einsätze per Mastercard oder per Sofortüberweisung über sein österreichisches Bankkonto abwickelte. Auf diesem Weg veranlasste er Überweisungen von seinem Konto auf ein Echtgeldkonto der Zweitbeklagten bei einer maltesischen Bank. Der jeweilige Betrag wurde auf das Spielerkonto des Klägers bei der Zweitbeklagten in Malta gutgebucht. Entschied sich der Kläger, an einem Glücksspiel teilzunehmen, kam es zur Abbuchung des Spieleinsatzes von diesem Spielerkonto. Im Fall eines Gewinnes wurde dieser ebenso auf dem Spielerkonto verbucht wie Boni, die der Kläger von der Zweitbeklagten erhielt. Ein Guthaben auf dem Spielerkonto hätte der Kläger auch für Sportwetten nutzen oder wieder seinem Bankkonto gutschreiben lassen können. Der Kläger erlitt einen Gesamtspielverlust von 30.672,44 EUR.
B. Prozessstandpunkte der Parteien und bisheriges Verfahren
[4] Der Kläger begehrt die Rückzahlung seines Verlusts von beiden Beklagten. Mangels österreichischer Konzession der Zweitbeklagten sei der Glücksspielvertrag nichtig und der Verlust bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln. Seine Forderung stützte er überdies auf Schadenersatz, weil der Eingriff in das Glücksspielmonopol eine Schutzgesetzverletzung bewirke. Der Erstbeklagte sei als Geschäftsführer der Zweitbeklagten dafür zuständig gewesen, dass diese in Österreich illegales Glücksspiel angeboten habe. Er hafte den Gläubigern persönlich für die Verletzung von Schutzgesetzen wie der Spielerschutzvorschriften des österreichischen Glücksspielgesetzes. Die Zuständigkeit des Erstgerichts wurde auf Art 7 Nr 2 EuGVVO gestützt.
[5] Der Erstbeklagte erhob die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Art 7 Nr 2 EuGVVO stehe dem Kläger nicht zur Verfügung, weil er die Verantwortlichkeit des Erstbeklagten nur aus dessen Organfunktion ableite. Handlungs- und Erfolgsort lägen in Malta. Dem Erstbeklagten gegenüber sei nicht österreichisches, sondern maltesisches Sachrecht anzuwenden.
[6] Das Verfahren betreffend die Zweitbeklagte ist rechtskräftig beendet und nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens.
[7] Das Erstgericht wies die Klage gegen den Erstbeklagten wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.
[8] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.
[9] Die Voraussetzungen für den Gerichtsstand des Deliktsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 seien nicht erfüllt. Dass der Erstbeklagte im Inland gehandelt hätte, lasse sich dem Klagevorbringen nicht entnehmen. Auch der Erfolgsort liege nicht in Österreich, weil durch die Überweisung eines Betrags auf das von der Zweitbeklagten geführte Spielerkonto noch kein direkter Eingriff in das Rechtsgut des Spielers erfolge. Den Schaden erleide der Kläger erst, wenn er das Guthaben auf dem Spielerkonto für Glücksspieleinsätze verwende und dieses dann verliere, somit in Malta.
[10] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Handlungs- und Erfolgsorts bei Online-Glücksspielen fehle.
[11] Der Revisionsrekurs des Klägers strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn der Bejahung der internationalen Zuständigkeit an.
[12] Der Erstbeklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, jedenfalls ihm nicht Folge zu geben.
C. Relevante Rechtsvorschriften
[13] Art 1 der Rom II-VO lautet:
Abs 1: „Diese Verordnung gilt für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. …“
Abs 2: „Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind
…
d) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus dem Gesellschaftsrecht, dem Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen, die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person sowie die persönliche Haftung der Rechnungsprüfer gegenüber einer Gesellschaft oder ihren Gesellschaftern bei der Pflichtprüfung der Rechungslegungsunterlagen.“
[14] Art 4 Abs 1 der Rom II-VO lautet:
„Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“
[15] § 1311 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) lautet:
„Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet. Hat aber jemand den Zufall durch ein Verschulden veranlasst, hat er ein Gesetz, das zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten; oder hat er sich ohne Not in fremde Geschäfte gemengt, so haftet er für allen Nachteil, welcher außer dem nicht erfolgt wäre.“
[16] § 3 des österreichischen Glücksspielgesetzes (GSpG) lautet:
„Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).“
D. Begründung der Vorlage
Rechtliche Beurteilung
[17] 1.1. Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind nach der österreichischen Rechtsprechung die Klageangaben maßgeblich. Die ausdrückliche Berufung auf einen Gerichtsstand nach der EuGVVO ist nicht erforderlich. Der Kläger muss nur das erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen. Bei den sogenannten „doppelrelevanten Tatsachen“, also jenen, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs abgeleitet wird, muss die Schlüssigkeit desKlagevorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten. Die Frage der internationalen Zuständigkeit ist daher danach zu beurteilen, ob die Klageangaben schlüssig sind.
[18] 1.2. Nach zum österreichischen Recht schon vorliegender Rechtsprechung kann eine Außenhaftung eines Organs einer Gesellschaft bei schuldhafter Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB grundsätzlich bestehen, wobei Spielerschutzvorschriften des GSpG bereits als Schutzgesetze qualifiziert wurden. Eine dem vergleichbare Haftung kennt das maltesische Schadenersatzrecht nach den Behauptungen des Erstbeklagten nicht.
[19] 1.3. Die Behauptung von deliktischen Schadenersatzansprüchen gegen den Erstbeklagten ist – auf Basis österreichischen Schadenersatzrechts – somit nicht unschlüssig. Auf seine Schlüssigkeit zu prüfen ist aber die vom Kläger behauptete Anwendbarkeit österreichischen Sachrechts. Diesbezüglich liegt nach Auffassung des erkennenden Senats kein „acte clair“ vor, sodass die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof geboten erscheint.
[20] 2. Mit der Reichweite der Ausnahmebestimmung des Art 1 Abs 2 lit d der Rom II‑VO setzte sich der Europäische Gerichtshof – soweit überblickbar – noch nicht auseinander. Seiner Entscheidung in der Rechtssache C‑147/12 , ÖFAB, ist allerdings – für den Bereich des internationalen Zivilprozessrechts – zu entnehmen (Rn 42), dass der Begriff „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ in Art 5 Nr 3 der (damals anzuwendenden) Verordnung Nr 44/2001 dahin auszulegen war, dass er Klagen erfasste, die von einem Gläubiger einer Aktiengesellschaft erhoben werden, um ein Mitglied des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft und einen Anteilseigner der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftbar zu machen, weil sie es zugelassen hatten, dass die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb weiterführt, obwohl sie unterkapitalisiert war und einem Liquidationsverfahren unterworfen werden musste.
[21] 3. Nationale Rechtsprechung zur Reichweite dieser Ausnahmebestimmung fehlt. In der österreichischen und deutschen Literatur finden sich folgende Auffassungen:
[22] 3.1. Wagner, Die neue Rom II‑Verordnung, IPRax 2008, 1, meint, dass eine extensive Interpretation des Art 1 Abs 2 lit d zwar auch die Haftung von Gesellschaftern und Organen für Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft und gegenüber externen Gläubigern einbeziehen würde. Allerdings sprechen nach Wagner aus normativ‑funktionaler Sicht die besseren Gründe dafür, jedenfalls eine Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber Gesellschaftsgläubigern deliktsrechtlich anzuknüpfen.
[23] 3.2. Nach Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 (2021) Rz 5/14 ff sei bei der Ausnahme hinsichtlich der persönlichen Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft fraglich, ob sich diese bloß auf die korporative Haftungs(‑beschränkung) (dh in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform, etwa die Durchgriffshaftung der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft) bezieht oder darüber hinaus auch die Haftung für sonstiges Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft und ihren Gläubigern erfasst. Sie weisen darauf hin, dass die Rechtsprechung des EuGH (Rs C‑147/12 ) jedenfalls im Bereich der internationalen Zuständigkeit eine deliktsrechtliche Qualifikation von Durchgriffshaftungsansprüchen annimmt.
[24] 3.3. Nach Neumayr in KBB7 Art 1 Rom II‑VO Rz 6 gilt die Ausnahme nicht für deliktische Schadenersatzansprüche gegen Gesellschafter und Organwalter.
[25] 3.4. In Deutschland wird zur Ausnahmebestimmung vertreten, dass die Qualifikation im Gesellschaftsrecht radizierter Ansprüche als außervertragliche, insbesondere deliktische Ansprüche denkbar sei, wenn die persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft betroffen sei (Junker in MüKomm8 Art 1 Rz 36). Der deutsche BGH (II ZR 84/05, NJW 2007, 1529) beschäftigte sich damit, welches Recht auf die persönliche Haftung anzuwenden sei, wenn von einer GmbH niederländischen Rechts der auf die Haftungsbeschränkung hinweisende Formzusatz nicht geführt wird, und qualifizierte die persönliche Haftung des Gesellschafters nicht gesellschaftsrechtlich, sondern deliktsrechtlich, weil die Führung eines Firmenzusatzes nicht zu den spezifisch gesellschaftsrechtlichen Pflichten gehöre (vgl auch Junker aaO Rz 38).
[26] 3.5. Auch die vom BGH auf materiell‑deliktsrechtlicher Grundlage entwickelte Existenzvernichtungshaftung (§ 826 BGB), die eine unbestimmte Zahl von Gläubigern schützen soll, denen der Gesellschafter durch sittenwidriges Handeln Schaden zugefügt hat, wird in Deutschland überwiegend deliktsrechtlich qualifiziert (vgl Junker aaO Rz 38 f mwN auch auf davon abweichende Meinungen).
[27] 3.6. Die vom Europäischen Gerichtshofzu C‑147/12 , ÖFAB,vertretenedeliktische Anknüpfung von Schadenersatzansprüchen externer Gesellschaftsgläubiger im internationalen Zivilverfahrensrecht könnte nach Auffassung des erkennenden Senats auch für den Bereich der Rom II‑VO dafür sprechen, die Ausnahmebestimmung in deren Art 1 Abs 2 lit d ungeachtet ihres weiten Wortlauts eng auszulegen und deliktische Schadenersatzansprüche von Gläubigern der Gesellschaft als davon nicht erfasst anzusehen.
[28] 4. Sollte die Ausnahmebestimmung hier nicht anzuwenden sein, wäre nach der Rom II‑VO primär nach einer Rechtswahl iSd Art 14 der Verordnung anzuknüpfen, dann nach den Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9, schließlich nach der Grundregel des Art 4 Rom II-VO (Neumayr in KBB7 VorArt 1 Rom II-VO Rz 3; 6 Ob 186/21b).
[29] 4.1. Eine Rechtswahl wurde nicht behauptet. Die Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9 Rom II‑VO betreffen Produkthaftung, unlauteren Wettbewerb, Umweltschädigung, Verletzung von Rechten geistigen Eigentums und Arbeitskampfmaßnahmen, sie sind nicht einschlägig.
[30] 4.2. Abzustellen ist daher auf Art 4 Rom II‑VO. Der in dessen Absatz 2 geregelte Fall, dass die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten, liegt nach den Klagebehauptungen nicht vor. Maßgeblich ist somit die Grundregel des Art 4 Abs 1 Rom II‑VO.
[31] 4.3. Danach ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staats anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Mit „Schaden“ ist der Primärschaden gemeint, Bezug genommen wird auf den Ort, an dem das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (Neumayr in KBB7 Art 4 Rom II-VO Rz 3 mwN).
[32] 4.4. Bei reinen Vermögensschäden ohne Verletzung absoluter Rechte – wie sie auch hier zur Diskussion stehen – ist die Bestimmung des Erfolgsorts iSd Art 4 Abs 1 Rom II-VO nach der Literatur schwierig (Melcher, Reine Vermögensschäden im internationalen Zuständigkeits‑ und Privatrecht, VbR 2017, 126; Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 Rz 5/37 ff mwN insbesondere in Fn 81). Bezug zu nehmen ist im Sinn der auch laut ErwG 7 Rom II‑VO vorgesehenen Kohärenz auch auf das Zuständigkeitsrecht gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
[33] 4.5. Für die Bestimmung des Erfolgsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist auf den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs abzustellen (EuGH C‑709/19 , Vereniging van Effechtenbezitters, Rn 26 ff), wobei besondere zuständigkeitsrechtliche Zuweisungskriterien von vornherein für einen Erfolgsort im Wohnsitzmitgliedsstaat des Klägers sprechen können, was zu einem Klägergerichtsstand führt (EuGH C‑12/15 , Universal Music; C‑304/17 , Löber, Rn 34). Als derartige Kriterien kommen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs etwa der Verstoß gegen die Prospektpflicht oder die Verletzung von gesetzlichen Informationspflichten im Wohnsitzstaat des Klägers (EuGH C‑709/19 , Vereniging van Effechtenbezitters)oder die Führung der anlage‑ und schadenstypischen Konten (Bankkonto und Wertpapierdepot) bei Banken im Wohnsitzstaat des Klägers (EuGH C‑304/17 , Löber) in Betracht. Für den Ort, an dem sich ein reiner Vermögensschaden unmittelbar auf einem Bankkonto verwirklicht hat, gilt, dass dort ein Gerichtsstand iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO nur dann begründet werden kann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Sachverhalts eine solche Zuständigkeit stützen (vgl Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 Rz 5/37).
[34] 4.6. In den zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 in Glücksspielfällen gegen die Gesellschaft selbst kürzlich ergangenen Entscheidungen 10 Ob 56/22s und 8 Ob 172/22k ging der Oberste Gerichtshof davon aus, es sei nicht entscheidend, wo die Zweitbeklagte die Spielerkonten führt. Die Einzahlung des Spielers schädige sein Vermögen noch nicht, weil ihm in gleicher Höhe eine Forderung gegen die Zweitbeklagte gegenüberstehe, die er sich jederzeit auf Verlangen wieder auszahlen lassen könne. Erst ein die Gewinne übersteigender Verlust aus dem verbotenen Glücksspiel schädige das Vermögen des Spielers, indem sich sein Auszahlungsanspruch dadurch um den Verlustbetrag vermindere. Als nach Österreich weisend wurde dort der Umstand gewertet, dass die den Schadenersatz begründende Rechtswidrigkeit aus dem Verstoß gegen das österreichische Glücksspielrecht resultiert, also einem Verstoß gegen öffentlich‑rechtliche österreichische Eingriffsnormen.
[35] 4.7. Wendet man diese zum Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO vertretene Auffassung – aufgrund der gebotenen Kohärenz von internationalem Zuständigkeitsrecht und internationalem Privatrecht – auch auf den Ort des Schadenseintritts nach Art 4 Abs 1 Rom II‑VO an, wäre als Belegenheitsort für die Forderung des Klägers auf Auszahlung des Guthabens auf dem Spielerkonto wohl sein gewöhnlicher Aufenthalt heranzuziehen.
[36] 4.8. In diese Richtung ging die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 233/18k zu einem Sachverhalt, in dem ein Kläger von Österreich aus seine Vermögensdisposition getroffen und die Überweisung getätigt hatte. Die Anwendung österreichischen Sachrechts wurde dort bejaht. Der 6. Senat beanstandete – im Rahmen des dort gegen einen in der Schweiz ansässigen Notar, der unrichtige Prüfberichte zu Edelmetallbeständen ausstellte, geführten Verfahrens – nicht, den nach Art 4 Rom II‑VO maßgeblichen Erfolgsort in Hinblick auf die spezifischen Gegebenheiten dieser Situation in Österreich zu lokalisieren.
[37] 4.9. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist für die Beurteilung des Ortes des Eintritts des Primärschadens einerseits maßgeblich, worin dieser besteht, und andererseits, wo dieser – im Sinn einer erstmaligen Verringerung des entsprechenden Vermögensbestandteils – erstmals eingetreten ist. In Betracht kommen hier der Ort, von dem aus der Kläger Überweisungen von seinem Bankkonto auf sein Spielerkonto tätigt, wenn man davon ausgeht, die Forderung des Klägers auf Buchgeld gegenüber seiner Bank sei werthaltiger als diejenige auf Auszahlung eines rechnerischen Guthabens auf dem Spielerkonto gegenüber der Zweitbeklagten, sodass dadurch bereits eine nachteilige Vermögensveränderung eingetreten wäre. Ebenso denkbar wäre, im Sinn der Einwendungen der Beklagten eine endgültige Vermögensverminderung erst durch den auf dem Spielerkonto eingetretenen Verlust anzunehmen und dies – da das Konto in Malta geführt wird – als in Malta eingetretenen Erstschaden zu werten. Da ein solcher Verlust aber davon abhängt, dass der Kläger wieder spielt (und verliert), könnte auch erst dieses zum Verlust führende (weitere) Spiel als erstschadenauslösend beurteilt und auf den Ort dieses Spiels abgestellt werden. Sieht man erst den (endgültigen) Verlust des Anspruchs auf Auszahlung eines Guthabens auf dem Spielerkonto als Erstschaden an, stellt sich die Frage, wo der Ort dieses Anspruchs liegt – in Malta, wo das Konto geführt wird, am Wohnort des Klägers, am Belegenheitsort seines Hauptvermögens oder anderswo.
[38] 4.10. Sollte der Ort des Eintritts des Primärschadens in Österreich liegen, wäre nach Auffassung des erkennenden Senats – im Sinn der genannten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 – auch für die Frage des anzuwendenden Rechts aber davon auszugehen, dass die spezifischen Gegebenheiten der Situation für eine Zuweisung an das materielle nationale Recht des Erfolgsorts sprechen. Eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat iSd Art 4 Abs 3 der Rom II‑VO wäre diesfalls nach Auffassung des erkennenden Senats nicht erkennbar.
Zu II.:
[39] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens beim Obersten Gerichtshof bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf § 90a Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)