European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050NC00011.19S.0522.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 26. 2. 2019, GZ 1 Ps 192/17v‑8, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Graz‑Ost wird nicht genehmigt.
Begründung:
Die Eltern der Minderjährigen ließen sich im Jänner 2019 einvernehmlich scheiden. Nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses langte beim Bezirksgericht Grieskirchen am 26. 2. 2019 eine Ausfertigung des Scheidungsbeschlusses und des Vergleiches über die Scheidungsfolgen ein. Zu welchem Zweck dem Bezirksgericht Grieskirchen diese Ausfertigungen übermittelt wurden, kann dem vorgelegten Akt nicht entnommen werden. Dieser Umstand war aber erkennbar Anlass dafür, dass dieses die Zuständigkeit zur Besorgung „dieser Pflegschaftssache“ dem Bezirksgericht Graz‑Ost übertrug. Nach der Melderegisterauskunft vom 26. 2. 2019 hat die Minderjährige ihren Hauptwohnsitz seit 2. 8. 2018 bei ihrer Mutter, die im Sprengel des Bezirksgerichts Graz‑Ost wohnt.
Das Bezirksgericht Graz-Ost verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit. Eine Übertragung der Zuständigkeit sei dann unzweckmäßig, wenn keine Anordnungen erforderlich seien, die einen speziellen Bezug zum neuen Aufenthaltsort des Kindes hätten.
Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Zuständigkeitsübertragung ist nicht zu genehmigen.
1.1 Nach § 111 Abs 1 JN kann das bisher zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird (RIS‑Justiz RS0046929).
1.2 Voraussetzung für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist in formeller Hinsicht aber, dass das übertragende Gericht ursprünglich zuständig ist (RS0107254; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 111 JN Rz 6 mwN). Nach § 109 JN richtete sich die Zuständigkeit zur Besorgung der Geschäfte, die nach den Bestimmungen über die Rechte zwischen Eltern und Kindern dem Gericht obliegen, danach, in welchem Sprengel der Minderjährige am Tag der Einleitung des Verfahrens (RS0047944) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
2. Der Übertragungsbeschluss beschränkt sich in seiner Begründung auf den Hinweis, dass sich die Minderjährige jetzt ständig in Graz-Ost (nach der im Beschluss angeführten Anschrift am Sitz des Bezirksgerichts Graz‑Ost) aufhält. Nach der Aktenlage war beim übertragenden Gericht kein Pflegschaftsverfahren anhängig, das die Minderjährige betroffen hätte. Zwar bedarf der Vergleich über die Scheidungsfolgen nach § 55a Abs 2 EheG seit dem KindNamRÄG 2013 – soweit er die Rechte der Kinder betrifft – keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung (Koch in KBB5 § 55a EheG Rz 8). Sollte das übertragende Gericht die Übermittlung des Scheidungsfolgenvergleichs aber als Aufforderung zu einem Vorgehen gemäß § 190 Abs 2 letzter Satz ABGB aufgefasst haben und insoweit von der Einleitung eines Verfahrens ausgegangen sein, hatte die Minderjährige ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Sprengel des Bezirksgerichts Grieskirchen. Damit fehlte es aber an der örtlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts Grieskirchen bei der (möglichen) Einleitung eines Verfahrens, sodass eine Vorgehensweise gemäß § 111 JN nicht zulässig ist. Die Genehmigung dieser Übertragung ist daher zu versagen.
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