OGH 4Ob83/82

OGH4Ob83/8218.10.1983

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Dipl.-Ing. Otto Beer sen und Johann Herzog als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter D*****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dr. Harald E. H*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Verlassenschaft nach Johann N***** (S 103/79 des Landesgerichts Innsbruck), wegen 116.397,67 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 17. Dezember 1981, GZ 1 Cg 19/81-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichts Innsbruck vom 27. August 1981, GZ 2 Cr 70/81-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 6.749,22 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.920 S Barauslagen und 357,72 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der protokollierten Firma „Johann N*****“ vom 12. 10. 1949 bis 31. 12. 1969 als Arbeiter sowie vom 1. 1. 1970 bis 15. 4. 1975 und dann wieder vom 6. 8. 1975 bis 5. 9. 1979 als Angestellter beschäftigt. Über das Vermögen der Verlassenschaft nach dem Alleininhaber dieser Firma, Johann N*****, wurde am 9. 8. 1979 zu S 103/79 des Landesgerichts Innsbruck der (Anschluss-)Konkurs eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt. Der Kläger hat daraufhin das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf § 25 Abs 1 KO innerhalb der hier normierten Monatsfrist durch vorzeitigen Austritt gelöst.

Im Konkursverfahren hat der Kläger einen Anspruch auf Abfertigung im Ausmaß von 12 Monatsentgelten, das sind 139.677,20 S netto, als Masseforderung angemeldet. Der Masseverwalter hat diesen Anspruch im Ausmaß von 2 Monatsentgelten, das sind 23.279,53 S netto, anerkannt und die restliche Forderung von 116.397,67 S bestritten.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger die Zahlung dieses Restbetrags samt Anhang. Er habe im August 1975 mit Johann N***** vereinbart, dass die bei der Firma Johann N***** verbrachten Dienstzeiten für alle Ansprüche des Klägers im vollen Ausmaß anzurechnen seien; daraus ergebe sich ein Abfertigungsanspruch im Ausmaß von 12 Monatsentgelten.

Der Beklagte hat eine solche Vereinbarung bestritten und überdies eingewendet, dass die Unzulänglichkeit des Masseerlöses zur vollständigen Befriedigung aller Masseforderungen schon jetzt feststehe. Der Forderung des Klägers gingen Abgabenforderungen der Republik Österreich sowie Beitragsforderungen der Tiroler Gebietskrankenkasse in Millionenhöhe, welche nicht oder nur zum Teil befriedigt werden könnten, im Rang vor. Schon (und auch) aus diesem Grund sei das auf Zahlung binnen 14 Tagen gerichtete Urteilsbegehren des Klägers verfehlt.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens sei die vom Kläger behauptete Anrechnungsvereinbarung tatsächlich getroffen worden, sodass der Abfertigungsanspruch des Klägers gemäß § 23 Abs 1 AngG in der Höhe von 12 Monatsentgelten zu Recht bestehe. Aufgrund der Einwendung des Masseverwalters sei aber auch die Frage der Zulänglichkeit des Befriedigungsfonds zur Abdeckung aller Masseforderungen schon im Titelprozess zu prüfen gewesen; dabei habe sich ergeben, dass verschiedene andere Masseforderungen, die der Forderung des Klägers gemäß §§ 46, 47 KO im Rang vorausgingen, nicht zur Gänze berichtigt werden könnten. Das Zahlungsbegehren des Klägers habe deshalb wegen Unmöglichkeit der Leistung abgewiesen werden müssen.

Das Berufungsgericht erkannte im Sinn des Klagebegehrens. Es führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem durch und nahm dabei die vom Kläger behauptete Anrechnungsvereinbarung gleichfalls als erwiesen an. Außerdem stellte es noch folgenden weiteren Sachverhalt fest:

Im Konkursverfahren S 103/79 des Landesgerichts Innsbruck hat das Finanzamt Innsbruck eine Abgabenforderung von ca 2 Millionen S als Masseforderung angemeldet; die Tiroler Gebietskrankenkasse hat Masseforderungen in der Höhe von mehr als 1.460.000 S angemeldet, die Gemeinde Pfaffenhofen eine Lohnsummensteuer-Forderung von 157.078 S. Alle diese Forderungen - welchen rechtskräftige Exekutionstitel (Rückstandsausweise) zugrunde liegen - sind vom Masseverwalter anerkannt worden. Demgegenüber verfügt die Konkursmasse über Barmittel von rund 1,3 Millionen S. Da aus der Versilberung des Lederlagers weitere 200.000 S bis 250.000 S zu erwarten seien, werde sich das gesamte Massevermögen auf rund 1.500.000 S bis 1.550.000 S belaufen. Weitere Erlöse seien nicht zu erwarten, weil die Außenstände bereits eingetrieben worden und auch zum größten Teil einbringlich gewesen seien. Aus dem Versteigerungserlös der Firmengrundstücke könnten nicht einmal alle Hypothekargläubiger befriedigt werden.

Rechtlich schloss sich das Berufungsgericht der in EvBl 1973/81 vertretenen Auffassung an, dass der Masseverwalter auch dann gemäß § 409 ZPO zur Zahlung binnen 14 Tagen bei Exekution zu verurteilen sei, wenn er im Titelprozess die Unzulänglichkeit der Masse eingewendet habe. Der gegenteiligen Entscheidung EvBl 1973/238 könne umso weniger gefolgt werden, als nunmehr auch die in § 7 Abs 1 des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes BGBl 1977/324 normierte Bindung des Arbeitsamtes an die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts über den Anspruch des Arbeitnehmers gegen eine Berücksichtigung des Einwands der Unzulänglichkeit der Masse schon im Titelverfahren spreche. Dem - der Höhe nach nicht bestrittenen - Urteilsantrag des Klägers sei deshalb Folge zu geben und der beklagte Masseverwalter zur Zahlung des eingeklagten Betrags „binnen 14 Tagen“ zu verurteilen gewesen.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird vom Beklagten mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft; der Beklagte beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils abzuändern.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die vom Obersten Gerichtshof in EvBl 1973/81 = AnwBl 1973, 55 vertretene Rechtsansicht, nach welcher die vom Masseverwalter behauptete Unzulänglichkeit des vorhandenen Befriedigungsfonds zur Deckung aller Masseforderungen im Titelverfahren (noch) nicht zu prüfen ist, ist in der Lehre von Holzhammer (Österreichisches Insolvenzrecht 30) unter Hinweis auf Wegan (Österreichisches Insolvenzrecht 54 f) ausdrücklich gebilligt worden; der erkennende Senat, welcher dieser überzeugend begründeten Auffassung schon in seiner (nicht veröffentlichten) Entscheidung 4 Ob 30/81 gefolgt ist, hält daran nach abermaliger Prüfung der Rechtslage auch weiterhin fest: Er geht dabei mit Petschek-Reimer-Schiemer (Das österreichische Insolvenzrecht 536) vor allem davon aus, dass die in § 47 Abs 2 KO normierte Klassenfolge nicht das materielle Bezugsrecht des Massegläubigers verkürzt, sondern sich in erster Linie an die Organe der Konkursverwaltung wendet, für den Fall, dass die Masse nicht für alle gleichzeitig befriedigungsberechtigten Forderungen zureicht, unter ihnen die gegenseitige Einengung des Zugriffsrechts durchzuführen. Wie der Oberste Gerichtshof schon in seiner - von einem verstärkten Senat beschlossenen - Entscheidung vom 6. 2. 1970, 5 Ob 306/69 SZ 43/34 = EvBl 1970/154 = RZ 1970, 101 = SozM IV A 361 ausführlich begründet hat, ist der Masseverwalter zur Erfüllung von Masseforderungen nicht etwa „nach Maßgabe der Bestimmungen der Konkursordnung“, sondern „binnen 14 Tagen bei Exekution“ zu verurteilen. Wollte man nun - der in EvBl 1973/238 vertretenen Auffassung folgend - dem Begehren eines Massegläubigers nur insoweit stattgeben, als eine gleichmäßige Befriedigung aller Masseforderungen schon im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz (§ 406 ZPO) möglich ist, dann wäre der Gläubiger im Fall einer nachträglichen Vermehrung der Masse zu einer nochmaligen Klage gezwungen; jede nachträgliche Verringerung des Massestands würde hingegen den der Entscheidung des Prozessrichters zugrunde zu legenden „Verteilungsentwurf“ - welcher im Übrigen nicht nur bestrittene, sondern auch solche Masseforderungen zu berücksichtigen hätte, die im Verwaltungsweg zu verfolgen sind - umstoßen und den Masseverwalter im Interesse der Gesamtheit der Massegläubiger erst recht zu Einwendungen gegen die Exekutionsführung zwingen. Gerade der Umstand, dass die vorhandenen Befriedigungsmittel, aber auch der Umfang der darauf zu tilgenden Masseforderungen während des Konkursverfahrens stetigen Veränderungen unterworfen sind und mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Titelprozess keineswegs endgültig feststehen, lässt es geboten erscheinen, die Frage der Zulänglichkeit der Masse zur Befriedigung alle Masseforderungen nicht schon im Titelprozess, sondern erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Befriedigung oder Exekutionsführung zu prüfen (so auch Holzhammer aaO; Petschek-Reimer-Schiemer aaO 535 ff; vgl auch Wegan aaO). Die in EvBl 1973/238 dagegen ins Treffen geführten, vor allem aus §§ 35 ff EO abgeleiteten Bedenken können nicht überzeugen: Dass der Masseverwalter die Konkurrenz anderer befriedigungsreifer Masseforderungen nicht mit Klage nach § 35 EO geltend machen kann, folgt zwar nach Ansicht des erkennenden Senats schon daraus, dass § 47 Abs 2 KO im Sinne der obigen Rechtsausführungen keine Beschränkung des materiellen Anspruchs, sondern nur ein Vollstreckungshindernis normiert; gegen die Gewährung eines Klagerechts nach § 36 Abs 1 Z 1 EO (so Petschek-Reimer-Schiemer aaO 537) oder gegebenenfalls einer rechtsähnlichen, den § 39 Abs 1 Z 5, § 42 Abs 1 Z 5 EO entsprechenden Klage - wie sie schon in EvBl 1973/81 = AnwBl 1973, 55 zur Diskussion gestellt worden war - bestehen aber auch nach Ansicht des erkennenden Senats keine Bedenken. Vermeintliche Zweckmäßigkeitserwägungen können aber die in EvBl 1973/238 vertretene Auffassung keinesfalls rechtfertigen; sie sprechen vielmehr im Sinne der obigen Ausführungen für die hier vertretene Auffassung.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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