Spruch:
Die Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung ist ein öffentlichrechtlicher Hoheitsakt, dessen Form durch Vereinbarung zwischen dem Adressaten und dem Zusteller nicht abgeändert werden kann.
Entscheidung vom 30. Jänner 1968, 4 Ob 573/67.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Das Erstgericht erließ am 2. Juni 1967 einen Wechselzahlungsauftrag gegen die Beklagte, der laut Rückschein am 12. Juni 1967 postamtlich hinterlegt wurde. Am 19. Juni 1967 erhob die Beklagte "Einspruch". Dieser Schriftsatz ist anwaltlich nicht unterfertigt.
Das Erstgericht wies den Einspruch (Einwendungen) als verspätet zurück. Diesen Beschluß bekämpfte die Beklagte mit Rekurs. Sie behauptet darin, sich am 12. Juni 1967 in S. in ihrem zweiten Geschäft aufgehalten zu haben, sie habe von der Hinterlegung des Wechselzahlungsauftrages in St. W. erst am 15. Juni 1967 erfahren.
Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem auf, die Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag vom 2. Juni 1967 unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrunde der beklagten Partei zur Verbesserung, nämlich zur anwaltschaftlichen Fertigung, gegen befristete Wiedervorlage zurückzustellen. Aus der vom Erstgericht eingeholten Mitteilung des Postamtes St. W. vom 27. Juli 1967 ergebe sich, so führte das Rekursgericht aus, daß der Wechselzahlungsauftrag in Wirklichkeit gar nicht beim Postamt, sondern im Geschäftslokal der abwesenden Empfängerin hinterlegt worden und dieser erst am 15. Juni 1967 zugekommen sei. Der Hinterlegungsvorgang im Geschäftslokal habe nicht dem Gesetz entsprochen und habe, abgesehen von der behaupteten Ortsabwesenheit der Adressatin, keine rechtswirksame Zustellung des Wechselzahlungsauftrages herbeiführen können, selbst wenn in der Folge eine Vereinbarung zwischen Postzusteller und der Beklagten getroffen worden sein sollte, die von der gesetzlichen Zustellvorschrift abweiche. Der Vorgang in der unwirksamen Zustellung des Wechselzahlungsauftrages sei erst am 15. Juni 1967 in dem Zeitpunkte saniert gewesen, in dem der Beklagten der Wechselzahlungsauftrag tatsächlich zugekommen sei (§ 108 ZPO.). Erst von diesem Zeitpunkte an habe die dreitägige Frist für die Einwendungen zu laufen begonnen, sodaß die am Montag, dem 19. Juni 1967, zur Post gegebenen Einwendungen der Beklagten noch rechtzeitig gewesen seien und zur Verbesserung hätten zurückgestellt werden sollen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß den unbedenklichen, auf einer postamtlichen Auskunft über den Zustellungsvorgang beruhenden Ermittlungen des Rekursgerichtes ist der Wechselzahlungsauftrag nicht im Sinne der §§ 106 (2), 104 ZPO. postamtlich, sondern im Geschäftslokal der Empfängerin hinterlegt worden. Ein solcher dem Prozeßrecht widersprechender Vorgang kann nicht die Wirkungen einer Zustellung durch postamtliche Hinterlegung hervorrufen, selbst wenn die Beklagte, was aber für den in Frage stehenden Zustellungsversuch nicht bewiesen ist, mit dem Zusteller vereinbart hätte, daß die Hinterlegung nicht beim Postamte, sondern in ihrem Geschäftslokal zu erfolgen habe. Die Zustellung ist ein öffentlich-rechtlicher Hoheitsakt (Fasching II S. 564, § 87 ZPO.) und kann nicht durch Vereinbarungen zwischen einer Partei und dem Zusteller in einer vom Gesetz abweichenden Form vorgenommen werden. Da der Beklagten nach der Aktenlage erst am 15. Juni 1967 der Wechselzahlungsauftrag tatsächlich (§ 108 ZPO.) zugekommen ist, waren die am Montag, dem 19. Juni 1967 zur Post gegebenen Einwendungen nicht verspätet. Bei dieser Sachlage ist es nicht mehr erforderlich, darauf einzugehen, ob die Zustellung auch wegen der Ortsabwesenheit der Beklagten zur Zeit des Zustellungsversuches unwirksam war.
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