Spruch:
Die Ersitzung setzt Besitz eines Rechtes voraus, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprechen muß. Es ist notwendig, daß die Ausübung des Rechtsinhalts als Recht in Anspruch genommen worden ist; bloße Entgegennahme von Leistungen an sich genügt nicht
Bei einer Reallast brauchen die einzelnen Leistungen weder gleich groß noch gleichartig zu sein; das Ausmaß der Leistungen kann auch von wechselnden Umständen abhängig sein
OGH 11. 4. 1972, 4 Ob 522/72 (KG Leoben R 436/71; BG Irdning C 79/70 )
Text
Die Klägerin begehrte von der Beklagten (rk Pfarrkirche St P in I) die Zahlung von S 12.903.24 samt Zinsen mit der Begründung, die Beklagte schulde diesen Betrag für elektrischen Strom, der ihr in den Jahren 1967 bis 1969 geliefert worden sei.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, sie besitze seit der Aufnahme des Betriebes der Klägerin, nämlich seit dem Jahre 1902, das Recht auf kostenlose Stromlieferung. Die Klägerin habe bis zum Jahre 1957 trotz laufend erfolgter Anschlußwerterhöhung kein Entgelt für die Stromlieferungen verlangt. Überdies seien die bis 31. 7. 1967 gelieferten Stromkosten verjährt. Für das Jahr 1969 seien die Stromkosten entsprechend einem Vorschlag der Klägerin mit einem Betrag von S 2684.30 berichtigt worden.
Unbestritten blieb, daß die Klägerin ein Elektrizitätswerk betreibt und die Beklagte mit Strom versorgte und ferner von dieser bis 1958 kein Entgelt für die Stromlieferungen begehrt hat. In der Chronik der Pfarre I befindet sich folgende Eintragung: "19. 10. 1902. Wurde in I die elektrische Beleuchtung eingeführt. Auch die Kirche empfängt seither unentgeltlich das Licht. Es waren zuerst drei Bogenlampen eingeführt, die aber 1913 in drei je 200 Kerzen starke Metallfadenlampen umgewandelt wurden, nachdem im Werke F eine neue Maschine mit Hochspannung und Wechselstrom aufgestellt wurde." Im Jahr 1958 wurde von der Klägerin in der Pfarrkirche ein Stromzähler montiert, wogegen die Beklagte nichts unternahm. In der Folge wurde zwischen den jeweiligen Obmännern der Klägerin mit der Beklagten wegen einer Bezahlung des gelieferten Stromes verhandelt, wobei von dieser eingeräumt wurde, einzusehen, daß wegen der immer größer gewordenen Stromliefermenge dafür etwas bezahlt werden müßte. Von der Beklagten wurde eine Ermäßigung der Kosten begehrt, worüber jedoch keine Einigung zustande kam. Dennoch setzte die Klägerin ihre Stromlieferungen fort.
Im Lauf des erstinstanzlichen Verfahrens schränkte die Klägerin ihr Begehren um den Gegenwert von je 600 Watt Strom für drei Jahre auf S
11.343.70 ein, welcher Betrag sich nun aus folgenden Jahresbeträgen zusammensetzt:
Für 1967 ................................................. S
4908.66, für 1968 .................................................
S 4515.44, für 1969 unter Berücksichtigung der erfolgten Zahlung
.... S 1919.60.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 6233.65 samt Zinsen statt und wies das Mehrbegehren ab. Es ging von der Feststellung aus, daß bei den zwischen den Streitteilen gepflogenen, der Einbringung der Klage vorausgegangenen Besprechungen eine Einigung über einen ermäßigten Tarif nicht zustandegekommen sei.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß es sich um eine Leistung handelte, die durch die unentgeltliche Lieferung des Stromes durch die Klägerin und dessen Annahme durch die Beklagte im Weg eines schlüssigen Konsenses jeweils nachträglich zur Schenkung geworden sei, so daß die Beklagte dem Gründe nach, da für die letzten drei Jahre ein Entgelt begehrt worden sei, für die Stromkosten hafte. Von den begehrten Beträgen sei aber pro Jahr S 60.- als Zählergutschrift in Abzug zu bringen, außerdem für das Jahr 1967 ein Betrag von S 2863.35, der den Stromkosten für die ersten sieben Monate entspreche. Diese Forderung sei verjährt. Hinsichtlich des Jahres 1969 habe der Obmann der Klägerin erklärt, der Beklagten stehe das Recht zu, im nachhinein den Kleinstabnehmertarif zu wählen. Von diesem Wahlrecht habe die Beklagte bei der Streitverhandlung vom 4. 5. 1971 Gebrauch gemacht, sodaß sich im Hinblick auf die erfolgte Zahlung im Betrage von S 2684.30 für das Jahr 1969 ein Überschuß von S 207.10 ergebe.
Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück.
Es erachtete die vom Erstgericht auf die Aussage des Obmannes der klagenden Partei gegrundete Feststellung, der Beklagten stehe ohne Bedingung das Wahlrecht zu, für das Jahr 1969 den Kleinstabnehmertarif zu wählen, für aktenwidrig und folgerte daraus, daß der Beklagten nicht das Recht zustehe, von der für 1969 begehrten Summe denjenigen Teil in Abzug zu bringen, der über den Kleinstabnehmertarif hinausgehe. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß die Beklagte das Recht auf kostenlosen Strombezug einwendete, weil eine Einigung über eine Ermäßigung des Strompreises für die Jahre 1967 bis 1969 nicht erfolgt sei.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Berufungsgericht das vorliegende Rechtsverhältnis entgegen der Auffassung des Erstgerichtes, daß es sich um eine jeweilige Schenkung gehandelt habe, als eine Reallast. Gegenstand einer Reallast seien in der Regel wiederkehrende Leistungen, wenn sie nicht zugunsten einer bestimmten Person eingeräumt würden, sondern zugunsten eines herrschenden Gründes bestellt worden seien. Eine Reallast sei die Belastung eines Grundstückes mit der Haftung für wiederkehrende Leistungen des jeweiligen Eigentümers. Zu solchen Leistungen sei auch die Lieferung von elektrischem Strom zu zählen. Die Reallast sei ersitzungsfähig. Da der Beginn der Ersitzungszeit mit dem Jahre 1902 anzunehmen sei, sei die Ersitzung bereits im Jahre 1932 abgeschlossen gewesen. Auch bei Berücksichtigung, daß es sich bei der Klägerin um eine juristische Person handle und deshalb von der außerordentlichen Ersitzungszeit von 40 Jahren gemäß § 1472 ABGB auszugehen sei, wäre die Ersitzung der Reallast bereits im Jahre 1942 vollendet gewesen. Erörterungen über die Rechtmäßigkeit und Redlichkeit des Besitzes könnten unterbleiben, während an der Echtheit des Ersitzungsbesitzes der Beklagten nach dem unbekämpft gebliebenen Sachverhalt kein Zweifel bestehen könne. Demnach seien alle Stromlieferungen bis zu der am 31. 3. 1970 erfolgten Zahlung als ersessen anzusehen. Die Ersitzung werde nach § 1497 ABGB erst unterbrochen, wenn derjenige, der sich auf sie berufen wolle, entweder ausdrücklich oder stillschweigend das Recht des andern anerkannt habe oder wenn er von einem Berechtigten belangt und die Klage fortgesetzt werde. Nur durch die erfolgte Teilzahlung am 31. 3. 1970 habe daher die an sich schon vollendete Ersitzung unterbrochen werden können, weil jede Teilzahlung zum Ausdruck bringe, daß der Schuldner auf Abschlag einer weiteren Verpflichtung leisten wollte.
Die Ersitzung umfasse ihrem Umfang nach jedenfalls jene der Beklagten gelieferten Strommengen, die sie 30 Jahre (40 Jahre) vor der Unterbrechung der Fortsetzung der Ersitzung im Jahre 1970 bezogen habe. Diese Strommenge umfasse nicht bloß die von der Klägerin vom Stromverbrauch abgezogenen 600 Watt und bilde demnach den Inhalt der von der Beklagten ersessenen Reallast des Strombezuges.
Die Feststellungen des Erstgerichtes seien aber insofern ergänzungsbedürftig, als noch zu erheben sein werde, welche Strommenge die Beklagte in den letzten 30 (40) Jahren vor 1970 jährlich von der Klägerin geliefert erhalten habe, wobei es ausschließlich auf den von der Beklagten gewöhnlich benötigten Strom anzukommen habe und außerordentliche Stromentnahmen, wie etwa zufolge von Sonderinstallierungen, außer Betracht zu bleiben hätten. Erst nach Feststellung des Umfanges des von der Beklagten ersessenen Strombezugsrechtes werde beurteilt werden können, in welchem Ausmaß die unbestritten gebliebenen Strombezugsmengen der Jahre 1967 bis 1969 von der Ersitzung umfaßt und von der Beklagten daher nicht zu entgelten seien.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Frage, ob das den Stromlieferungen zugrunde liegende Rechtsverhältnis auf einer durch Ersitzung erworbenen Reallast beruht oder ob von einer durch die jeweilige Lieferung und deren Annahme zustandegekommenen Schenkung auszugehen ist, kann auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse nicht eindeutig beantwortet werden.
Wie das Rekursgericht zutreffend ausführte, ist die Reallast die Belastung eines Grundstückes mit der Haftung des jeweiligen Eigentümers für die Leistungen. Der Leistungspflichtige wird somit durch das Eigentum am dienenden Grundstück bestimmt (Klang[2] II 618). Zum Wesen der Reallast gehört daher die Verknüpfung der Schuldnerschaft mit dem Eigentum an dem dienenden Grundstück (Spitreich, Die Reallasten im österreichischen Recht, GZ 1886, 391). Für dieses Element der Reallast mangelt es dem bisherigen Verfahren an geeigneten Feststellungen. Die offenbar aus dem Jahre 1913 stammende Eintragung in der Kirchenchronik, wonach auch die Kirche unentgeltlich Licht erhält, gibt keinen verläßlichen Aufschluß in dieser Richtung. Ein Anhaltspunkt für die Bindung der Verpflichtung an das Gründeigentum wäre allenfalls gegeben, wenn festgestellt wäre, daß seit dem Bestand des Elektrizitätswerkes auf dessen Seite ein Eigentümerwechsel eingetreten ist. Da nicht bestritten wurde, daß in der Lieferung des Stroms während der Ersitzungszeit keine Unterbrechung eingetreten ist, könnte daraus der Schluß gezogen werden, daß vom Erwerber als neuem Gründeigentümer die Stromlieferungen weiter erbracht wurden. Bei dieser Frage handelt es sich nicht etwa um den rechtmäßigen Titel, dessen Angabe es bei der langen Ersitzung nach § 1477 ABGB nicht bedürfte, sondern um den Inhalt des durch Ersitzung erworbenen Rechtes.
Die Beklagte beruft sich auf die Ersitzung der Reallast. Die
Ersitzung setzt Besitz eines Rechtes voraus, das seinem Inhalt nach
dem zu erwerbenden Recht entsprechen muß. Es ist notwendig, daß die
Ausübung des Rechtsinhalts als Recht in Anspruch genommen worden
ist; bloße Entgegennahme von Leistungen an sich genügt nicht
(Klang[2] VI 577). Festgestellt erscheint in dieser Richtung nur,
daß die Stromlieferungen von der Beklagten angenommen und nicht
bezahlt wurden. Damit allerdings wäre für die Klägerin nicht ohne
weiters erkennbar gewesen, daß die Beklagte ein Recht auf
unentgeltliche Belieferung mit Strom ausübt. In diesem Belang
könnten möglicherweise entscheidungswesentliche Umstände aus der
Aussage des als Zeugen vernommenen Obmannes der Klägerin gewonnen werden, der bekundete, daß von 1923 bis 1966 die Inkassanten die Verrechnungsstreifen auch der Beklagten überbrachten, diese aber die Zahlung mit dem Hinweis verweigerte, daß sie nicht zu bezahlen brauche. Entspricht diese Zeugenaussage der Wahrheit, dann könnte davon ausgegangen werden, daß die Unentgeltlichkeit der Stromlieferungen von der Beklagten ausdrücklich als Recht in Anspruch genommen wurde und daß es die Klägerin während der Ersitzungszeit dabei bewenden ließ. Feststellungen über diese Umstände wurden nicht vorgenommen.
Für den Fall, daß das Erstgericht auf Grund der Ergebnisse des ergänzten Verfahrens zur Überzeugung gelangt, daß von einer durch Ersitzung erworbenen Reallast auszugehen ist, wäre noch der Umfang der Leistungspflicht zu prüfen, insbesondere in der Richtung, ob nach den Umständen angenommen werden kann, daß es sich um die Lieferung der dem jeweiligen gewöhnlichen Bedarf entsprechenden Strommenge für die Beleuchtung der Kirche handelte. Hiebei wäre zu beachten, daß bei einer Reallast die einzelnen Leistungen weder gleich groß noch gleichartig zu sein brauchen (Klang[2] II 618), sodaß das Ausmaß der Leistung auch von wechselnden Umständen abhängig sein kann (Gschnitzer, Sachenrecht, 160). In diesem Punkte kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht auf den Durchschnitt der gelieferten Strommengen an.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)