Spruch:
Die Revisionsrekurse der Nebenintervenienten werden zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.151,95 EUR (darin 691,99 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Beklagte verstarb während des Verfahrens. Die zur Verlassenschaftskuratorin bestellte Enkelin der Erblasserin erteilte Rechtsanwalt Dr. W***** H***** Prozessvollmacht. Am 30. 7. 2008 wurde der überschuldete Nachlass der Verlassenschaftskuratorin an Zahlungsstatt überlassen, die am 23. 9. 2008 die dem Rechtsanwalt erteilte Prozessvollmacht widerrief. Seit 21. 9. 2009 ist die Verlassenschaftskuratorin rechtskräftig ihres Amtes enthoben.
Das Erstgericht stellte mit Beschluss vom 6. 10. 2009 fest, dass das Verfahren infolge Enthebung der Verlassenschaftskuratorin gemäß § 158 ZPO unterbrochen ist (ON 85) und wies den Antrag des Klägers vom 16. 9. 2009, einen Prozesskurator zu bestellen, ab (ON 86).
Das Rekursgericht bestätigte letzteren Beschluss. Der Kläger habe eine drohende Gefahr für seine Ansprüche (§ 8 ZPO) nicht behauptet, eine solche Gefahr liege auch nicht vor, weil der Unterbrechungstatbestand des § 158 ZPO nicht verwirklicht sei. Das Vollmachtsverhältnis zum bisherigen Beklagtenvertreter wirke im Anwaltsprozess mangels Bestellung eines anderen Rechtsanwalts gemäß § 36 Abs 1 ZPO fort (ON 93).
Am 30. 4. 2010 beantragte der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Verlassenschaft sei weder durch einen Rechtsanwalt vertreten, noch selbst prozessfähig.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom angenommenen Unterbrechungsgrund auf. Die Beklagte habe mit Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Verlassenschaftskuratorin ihres Amtes enthoben worden sei, zwar ihre Prozessfähigkeit, nicht jedoch ihre Rechts- und Parteifähigkeit verloren. Gemäß § 158 ZPO trete eine Unterbrechung des Verfahrens ex lege ein, wenn eine Partei die Prozessfähigkeit verliere und im Anwaltsprozess nicht durch einen Anwalt vertreten sei. Ein solcher Fall liege nicht vor. Da weder dem Gericht noch den Prozessgegnern gegenüber die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts angezeigt worden sei, sei der gegenüber dem Rechtsvertreter erklärte Vollmachtswiderruf prozessual nicht wirksam geworden (§ 36 Abs 1 ZPO). Die Beklagte sei daher weiterhin anwaltlich vertreten. Der Beschluss, mit dem das Erstgericht zu Unrecht eine Unterbrechung des Verfahrens festgestellt habe, hindere die Fortsetzung des Verfahrens nicht.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ab.
1. Nach § 158 Abs 1 ZPO wird das Verfahren unterbrochen, wenn eine Partei die Prozessfähigkeit verliert, oder wenn der gesetzliche Vertreter einer Partei stirbt, oder dessen Vertretungsbefugnis aufhört, ohne dass die Partei prozessfähig geworden ist, dies allerdings nur dann, wenn die von diesen Veränderungen betroffene Partei weder durch einen Rechtsanwalt noch durch eine andere mit Prozessvollmacht ausgestattete Person vertreten ist. Die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Prozessvollmacht wird Gericht und Gegner gegenüber im Anwaltsprozess erst wirksam, wenn die Partei die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts anzeigt (§ 36 Abs 1 ZPO; Fucik in Rechberger, ZPO3 0§ 36 Rz 1 mwN; 4 Ob 31/04v).
2. In einem Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht bedarf die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner der Anzeige, dass ein anderer Rechtsanwalt zur Vertretung bestellt wurde. Mangels derartiger Anzeige ist die bloße Mitteilung über die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses im Außenverhältnis wirkungslos (4 Ob 179/08i; vgl RIS-Justiz RS0035736 [T5]; RS0109541 [T4]; RS0035744).
3. Ist eine Partei, deren Partei- und Prozessfähigkeit rechtskräftig feststeht, durch einen Rechtsanwalt vertreten, so scheidet eine Unterbrechung des Verfahrens nach § 158 ZPO im Anwaltsprozess auch dann aus, wenn der Rechtsanwalt das Vollmachtsverhältnis beendet, weil die Beendigung Gericht und Prozessgegner gegenüber bis zur Bestellung eines anderen Rechtsanwalts wirkungslos bleibt (4 Ob 31/04v = RIS-Justiz RS0118746).
4. Die Unterschiede der materiellrechtlichen Wirkungen eines Widerrufs der Prozessvollmacht einerseits und seiner verfahrensrechtlichen Folgen gemäß § 36 Abs 1 ZPO andererseits können für das Gericht niemals Anlass sein, einen Vollmachtsmangel gemäß § 37 Abs 1 ZPO von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0111661).
5. Das Rekursgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn es dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen hat. Im Anlassfall ist nämlich unstrittig, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Vollmachtskündigung durch die Verlassenschaftskuratorin noch prozessfähig war. Daher ist der bisherige Rechtsvertreter der Beklagten dem Gericht und dem Prozessgegner gegenüber mangels Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts weiterhin vertretungsbefugt.
6.1. Wird eine natürliche Person nach Vollmachtserteilung geschäftsunfähig, löst dies die Verständigungspflicht des Prozessgerichts gemäß § 6a ZPO beim Pflegschaftsgericht aus; das beim Prozessgericht geführte Verfahren ist in sinngemäßer Anwendung des § 190 Abs 1 ZPO zu unterbrechen (4 Ob 245/04i; RIS-Justiz RS0035234, RS0037720).
6.2. Ein dem § 6a ZPO nachgebildetes Verfahren besteht für juristische Personen nicht. Der angefochtene Beschluss ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Dem Prozessgegner steht weiterhin die Möglichkeit offen, einen Kurator nach § 8 ZPO unter Behauptung der dafür notwendigen Voraussetzungen zu beantragen.
7. Liegen die Voraussetzungen des § 158 ZPO vor, ist das Verfahren ex lege unterbrochen (Fink in Fasching/Konecny² II/1 § 158 ZPO Rz 2). Einem Beschluss, der die Unterbrechung feststellt, kommt daher nur deklarative Bedeutung zu (vgl Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ § 158 Rz 4); ein solcher Beschluss steht auch im Fall seiner Rechtskraft einer nachträglichen gegenteiligen Beurteilung nicht im Wege.
8. Die Revisionsrekurse sind daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.
9. Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat im Zwischenstreit über eine Verfahrensunterbrechung (vgl RIS-Justiz RS0035908) obsiegt und in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, weshalb sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.
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