OGH 4Ob37/97p

OGH4Ob37/97p25.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Sailer als weitere Richter in der Verlassenschafts-Pflegschaftssache nach der am 21.April 1981 verstorbenen, zuletzt in ***** wohnhaft gewesenen Agnes P*****, infolge Revisionsrekurses des Verlassenschaftskurators Dr.Johann Pfeifer, öffentlicher Notar in Liezen, Rathausplatz 3, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Rekursgericht vom 12.Dezember 1996, GZ 1 R 687/96p-71, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liezen vom 19.November 1996, GZ P 86/86-68, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Einziges Nachlaßvermögen der am 21.4.1981 verstorbenen Agnes P***** ist die Liegenschaft EZ ***** Grundbuch W*****, bestehend aus den Grundstücken Nr ***** Baufläche und ***** Baufläche im Gesamtausmaß von 452 m2. Das Anwesen liegt auf einem bewaldeten Hügel südöstlich des Ortes W***** und ist nur über einen steilen verwachsenen Gehweg erreichbar. Eine Zufahrt besteht nicht, Strom-, Wasser- oder Abwasseranschlüsse sind nicht vorhanden. Das auf der Liegenschaft einst vorhandene Wohngebäude ist verfallen, es bestehen noch Mauerreste. Der Einheitswert der Gesamtliegenschaft beträgt S 63.000. Die Liegenschaft wurde im Verlassenschaftsverfahren mit S 4.520 geschätzt. Sie ist mit Pfandrechten in Höhe von ca 54.000 S belastet. Das Inventar weist Nachlaßverbindlichkeiten von ca 62.000 S auf.

Alle als Erben in Frage kommenden Nachkommen und Geschwister der Verstorbenen haben sich ihres Erbrechts entschlagen. Ein Ediktalverfahren blieb fruchtlos. Der Fiskus erklärte, das Heimfallsrecht nicht beanspruchen zu wollen. Die Buchgläubiger waren nicht bereit, ein Zwangsversteigerungsverfahren einzuleiten. Verkaufschancen auf dem Realitätenmarkt bestehen für dieses Objekt nicht. Auch die zuständige Ortsgemeinde erklärte, am Erwerb nicht interessiert zu sein.

Zur Vertretung des ruhenden Nachlasses ist ein Verlassenschaftskurator bestellt.

Das Erstgericht ordnete die Eintragung der Herrenlosigkeit an und ersuchte das Grundbuchsgericht um den Vollzug.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Verlassenschaftskurators nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Die Verlassenschaft falle - wenn kein zur Erbfolge Berechtigter vorhanden sei und niemand die Erbschaft erwerbe - als herrenloses Gut dem Staat anheim. Lehne der Fiskus ein Heimfallsrecht jedoch ab, sei die Verlassenschaft weiterhin gerichtlich zu verwahren. Der Nachlaß sei zu liquidieren, der Reinnachlaß dann zu hinterlegen und zuletzt für den Bund einzuziehen. Hier seien alle Liquidationsversuche gescheitert; es stehe fest, daß kein Liquidationserlös zu erzielen sei und aller Voraussicht nach auch nie lukriert werden könne. Eine Einziehung zugunsten des Bundes komme daher nicht in Betracht. Die Liegenschaft sei als herrenlos anzusehen.

Nach der Lehre könnten auch unbewegliche Sachen derelinquiert werden, wozu bei verbücherten Liegenschaften noch die Eintragung der Herrenlosigkeit ins Grundbuch dazutreten müsse. Einer sinngemäßen Anwendung der §§ 177 AußStrG, 29 Liegenschaftsteilungsgesetz stehe nichts im Wege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Verlassenschaftskurators ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

Die durch § 362 iVm §§ 386, 387 ABGB eröffnete Möglichkeit eines Eigentümers, sich seines Eigentumsrechtes zu begeben und die ihm gehörigen "Sachen" zu derelinquieren, wird von der überwiegenden Lehre auch für Grundstücke bejaht (Klang II2 255; Ehrenzweig System2 I/2 284 f; Dengler, Dereliktion und Okkupation von Liegenschaften, NZ 1983, 182; Spielbüchler in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 387; Pimmer in Schwimann, ABGB II Rz 1 zu § 387; zuletzt Hoyer unter Hinweis auf Ofner, Der Urentwurf und die Beratungsprotokolle des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (1889) I 259 f und II 377 [NZ 1994, 195]), wobei Spielbüchler (aaO Rz 2) entgegen Hoyer (aaO) die Dereliktionsbefugnis auf unbebaute Grundstücke einschränkt.

Die einzige bisher zu dieser Frage veröffentlichte höchstgerichtliche Entscheidung (GlUNF 151) bejahte zwar materiellrechtlich die Möglichkeit eines Eigentümers, sich seiner - auch unbeweglichen - Sachen zu begeben, lehnte jedoch eine Eintragung der Dereliktion im Grundbuch mit der Begründung ab, eine Grundbuchseinlage könne nicht ohne Eintragung eines Eigentümers bestehen; die Löschung des Eigentumsrechts ohne seine gleichzeitige Übertragung auf einen neuen Erwerber sei unstatthaft.

In jüngerer Zeit schloß sich das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (NZ 1994, 192 = ecolex 1994, 753) den dargestellten Lehrmeinungen an und bewilligte auf Antrag des dort bestellten Verlassenschaftskurators die Eintragung der Herrenlosigkeit eines derelinquierten (unbebauten) Grundstückes.

Eine dem Eintragungsgrundsatz (§ 444 ABGB) entsprechende Eintragung der Herrenlosigkeit eines Grundstückes setze aber in jedem Fall voraus, daß sich der Eigentümer seines Rechtes begeben hat (§ 362 ABGB), was im Zweifelsfall nicht zu vermuten ist (§ 388 ABGB; Spielbüchler aaO Rz 4 zu § 386; Koziol/Welser II10, 32). Die Nichtbenützung von Grundstücken oder die Vernachlässigung von Gebäuden bedeutet noch keine Preisgabe (Klang aaO 257; Spielbüchler aaO Rz 1 zu § 387).

Im vorliegenden Fall ist Eigentümer der Liegenschaft die hereditas iacens, eine durch § 21 Abs 1 ABGB geschützte Vermögensmasse (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 21; SZ 65/108), die der Fürsorgepflicht des Verlassenschafts-Pflegschaftsgerichtes unterliegt. Sie wird vertreten durch den nach §§ 78, 129 AußStrG bestellten Verlassenschaftskurator (Knell, Kuratoren 103; SZ 65/108; NZ 1994, 109; RZ 1996/31). Er allein ist berechtigt, Nachlaßgegenstände mit Genehmigung des zur Aufsicht über seine Tätigkeit berufenen Gerichtes zu veräußern. Das Verlassenschafts- bzw Pflegschaftsgericht hat zu prüfen, ob die zu genehmigenden Maßnahmen den Interessen des Kuranden gerecht werden (Knell aaO 211; SZ 65/108) und sodann die Genehmigung zu erteilen oder zu versagen. Nicht jedoch ist das Gericht dazu berufen, Vertretungshandlungen namens des Kuranden (wozu auch die Preisgabe des Eigentums gehört) vorzunehmen. Diese obliegen allein dem zur Vermögensverwaltung und Vertretung bestellten Kurator. Nur dieser könnte sich daher des Eigentums an der Liegenschaft mit Wirksamkeit für den ruhenden Nachlaß begeben.

Die Preisgabe erfolgt durch die tatsächliche Aufgabe des Besitzes mit dem Willen, das Eigentum an der Sache aufzugeben (§ 362 ABGB). Sie ist eine Willensbetätigung und setzt voraus, daß der Wille zur Aufgabe des Eigentums aus dem verwirklichten äußeren Tatbestand zu erschließen ist. Bei fehlendem Willen geht das Eigentum nicht verloren (Spielbüchler aaO Rz 1 ff zu § 386; Koziol/Welser I10 32, 84 f und II10 92).

Eine derartige auf Aufgabe des Eigentums des ruhenden Nachlasses gerichtete Willensbetätigung des Verlassenschaftskurators ist weder den Feststellungen der Vorinstanzen zu entnehmen, noch auch aus dem Verfahren bisher hervorgekommen. Sie kann durch amtswegiges Vorgehen des Verlassenschaftsgerichtes nicht ersetzt werden.

Die Voraussetzungen für die Eintragung der Herrenlosigkeit liegen daher schon mangels Dereliktion nicht vor.

Dem Revisionsrekurs des Verlassenschaftskurators war daher Folge zu geben und die Beschlüsse der Vorinstanzen entsprechend abzuändern.

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