OGH 4Ob245/98b

OGH4Ob245/98b10.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** GmbH & Co KG, 2. M***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Kammerlander, Piaty & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 480.000,--), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Klägerinnen gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 7. August 1998, GZ 6 R 159/98v-13, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 24. Juni 1998, GZ 10 Cg 65/98i-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Anspruches der Klägerinnen gegenüber der Beklagten auf Unterlassung irreführender Werbebehauptungen wird der Beklagten ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteiles geboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes die Behauptung eines Leser- oder Reichweitenzuwachses für die periodische Druckschrift 'Kleine Zeitung' unter Bezugnahme auf Ergebnisse der Reichweitenuntersuchung Media-Analyse, insbesondere der Media-Analyse 1997, zu unterlassen, wenn tatsächlich im Vergleich zu den Ergebnissen der Reichweitenuntersuchung Media-Analyse für das vorangehende Jahr oder einer sonstigen älteren Media-Analyse, auf die Bezug genommen wird, die Reichweitenveränderung innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegt.

Die Beklagte hat ihre Äußerungskosten endgültig selbst zu tragen."

Die Klägerinnen haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die Beklagte hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Erstklägerin ist Verlegerin der Tageszeitungen "Neue Kronen Zeitung" und "Kurier"; die Zweitklägerin ist ihre persönlich haftende Gesellschafterin. Die Beklagte ist Verlegerin und Herausgeberin der Tageszeitung "Kleine Zeitung".

Die Ausgabe der "Kleinen Zeitung" vom 20. 3. 1998 enthielt auf zwei einander gegenüberliegenden Seiten folgende Werbeeinschaltung:

Die Arbeitsgemeinschaft Media-Analysen führt seit 1965 zur Erhebung von Leserzahlen und Leserinteressen Media-Analysen durch. Nach der Media-Analyse 1996 erzielte die "Kleine Zeitung" österreichweit eine Reichweite von 11,4 % (= 753.000 Leser); nach der Media-Analyse 1997 eine Reichweite von 11,5 % (= 762.000 Leser).

Der Leserzuwachs liegt innerhalb der statistischen Schwankungsbreite. Die Reichweite der "Kleinen Zeitung" lag im maßgebenden Zeitraum demnach österreichweit zwischen 10,9 und 12,1 %.

Die Klägerinnen begehren zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes die Behauptung eines Leser- oder Reichweitenzuwachses für die periodische Druckschrift "Kleine Zeitung" unter Bezugnahme auf Ergebnisse der Reichweitenuntersuchung Media-Analyse, insbesondere der Media-Analyse 1997, zu unterlassen, wenn tatsächlich im Vergleich zu den Ergebnissen der Reichweitenuntersuchung Media-Analyse für das vorangehende Jahr oder einer sonstigen älteren Media-Analyse, auf die Bezug genommen wird, die Reichweitenveränderung innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegt. Nach der Media-Analyse 1997 könne auch angenommen werden, daß die Leserzahl der "Kleinen Zeitung" gleich geblieben oder gar gesunken ist. Die unter Bezugnahme auf die Media-Analyse aufgestellten Behauptungen "die 'Kleine Zeitung' legte auch bundesweit zu" oder "die 'Kleine Zeitung' legte deutlich zu" seien irreführend.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. In der gesamten Veröffentlichung werde nicht auf die Media-Analyse des vorangegangenen Jahres Bezug genommen, sondern es werde die Gesamtentwicklung der "Kleinen Zeitung" seit 1965 dargestellt. Der mündige und verständige Verbraucher sehe eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung der "Kleinen Zeitung".

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Mit dem Einleitungssatz ihrer Werbeeinschaltung "Die Kleine Zeitung legt bundesweit zu und steuert Platz 2 an" behaupte die Beklagte zwar einen Reichweitenzuwachs, obwohl die Veränderung innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegt; die Beklagte sei aber dennoch nicht verpflichtet gewesen, in die Werbeeinschaltung einen entsprechenden Hinweis aufzunehmen. Der mündige und verständige Verbraucher ersehe aus der Graphik, daß die Reichweite der "Kleinen Zeitung" seit 1965 zwar im wesentlichen kontinuierlich zugenommen habe, 1996 und 1997 jedoch nur geringfügig gestiegen sei. Dem Einleitungssatz sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen; auch daraus gehe nicht hervor, daß sich die Reichweite der "Kleinen Zeitung" von 1996 auf 1997 beachtlich erhöht hätte.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Auch aus dem Gesamtzusammenhang des Textes mit den Graphiken sei keine Irreführungseignung ableitbar. Der mündige und verständige Leser erkenne, daß der Trend der 30-jährigen Entwicklungsgeschichte einer Zeitung im Vergleich mit zwei Mitbewerbern gezeigt werde, ohne auf die aktuelle Media-Analyse Bezug zu nehmen. Damit erübrige sich jeder Schwankungsbreitenhinweis, weil die Erhöhung der Reichweite von 1965 bis 1997 außerhalb der statistischen Schwankungsbreite liege.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerinnen ist zulässig und berechtigt.

Die Klägerinnen bekämpfen die Auffassung des Rekursgerichtes, daß die Werbeeinschaltung nicht auch den Eindruck eines Reichweitenzuwachses in der letzten Erhebungsperiode erwecke. Die Behauptung von Veränderungen beziehe sich im Regelfall auf die vorangegangene Erhebung. Im Begleittext werde auch ausdrücklich hervorgehoben, daß die Mitbewerber der "Kleinen Zeitung" "in den letzten Jahren" Leser verloren hätten, die "Kleine Zeitung" dagegen "deutlich" zugelegt habe. Die Behauptung eines Reichweitenzuwachses "in den letzten Jahren" werde vom überwiegenden Teil der Leser zumindest auch auf die Reichweitedaten der Media-Analyse 1997 gegenüber 1996 bezogen. In diesem Zeitraum habe es aber keinen signifikanten Zuwachs gegeben.

Den Klägerinnen ist zuzustimmen, daß die Werbeeinschaltung den Eindruck erweckt, die Reichweite der "Kleinen Zeitung" sei 1997 gegenüber 1996 weiter gestiegen. Das folgt nicht nur aus dem Text auf der ersten Seite der Werbeeinschaltung, wonach die "Kleine Zeitung" deutlich zugelegt habe, während "täglich Alles" und "Kurier" in den letzten Jahren Leser verloren hätten. Auch der Einleitungssatz auf der zweiten Seite "Die Kleine Zeitung legt auch bundesweit zu und steuert Platz 2 an" läßt nur den Schluß zu, daß die Reichweite auch von 1996 auf 1997 zugenommen habe. Dieses Verständnis wird durch die auf derselben Seite abgedruckte Graphik "Der Kampf um Platz zwei in Österreich seit 1965" nicht widerlegt, sondern noch bestätigt. Die Graphik zeigt die Entwicklung von 1965 bis 1997 als im wesentlichen kontinuierliche Aufwärtsentwicklung, die auch für 1996 und 1997 nach oben weist.

Die von der Beklagten verlangte Beurteilung "nach dem Gesamtzusammenhang" führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch wenn die Einschaltung als "Gesamtschau der Leserzahlenentwicklung in den letzten Jahren" gesehen wird, bleibt als wesentliche Aussage, daß die "Kleine Zeitung" seit 1965 kontinuierlich an Reichweite gewonnen hat und noch gewinnt. Letzteres steht aber nicht fest: Laut Media-Analyse 1997 ist die Reichweite der "Kleinen Zeitung" gegenüber 1996 nur von 11,4 % auf 11,5 % gestiegen. Nach den aktuellen Daten der Media-Analyse kann somit nicht gesagt werden, ob der Aufwärtstrend noch anhält. Es ist ebenso wahrscheinlich, daß die Reichweite gleich geblieben oder sogar zurückgegangen ist. Insoweit ist die Werbeeinschaltung der Beklagten zur Irreführung geeignet (ÖBl 1993, 237 - Reichweitenvergleich; ÖBl 1996, 194 - Chronischer Leserschwund).

Diesen irreführenden Eindruck gewinnt der Leser nicht nur, wenn er sich zum Inserat "etwas hinzudenkt", sondern schon aufgrund seines Inhalts: Der Leser entnimmt Text und Graphik, daß die Reichweite der "Kleinen Zeitung" nicht nur gegenüber 1965 zugenommen hat, sondern daß sie auch derzeit noch zunimmt. Welche Information für den Werbekunden wichtiger ist, ob die über die kontinuierliche Aufwärtsentwicklung durch Jahrzehnte oder die über das Anhalten dieses Trends auch in der Gegenwart, kann offen bleiben. Tatsache ist jedenfalls, daß sich die Beklagte nicht darauf beschränkt hat, eine Zunahme der Reichweite in der Vergangenheit zu behaupten, sondern sie in Text und Graphik auch für die Gegenwart in Anspruch nimmt.

Der damit erweckte irreführende Eindruck ist für den Kaufentschluß relevant: Für den Werbekunden bedeutet es einen Unterschied, ob die Leserzahl einer Zeitung stagniert oder weiter wächst. Gerade diesen Eindruck einer ständig wachsenden Leserzahl will die Werbeeinschaltung der Beklagten auch erwecken; es liegt auf der Hand, daß sie wesentlich weniger wirkungsvoll wäre, wenn sie klarstellte, daß nach der letzten Media-Analyse offen ist, ob die Leserzahl weiter gestiegen, gleich geblieben oder sogar gesunken ist.

Die Werbeeinschaltung der Beklagten ist unabhängig davon zur Irreführung geeignet, ob auf den Eindruck des flüchtigen Durchschnittsbetrachters oder auf den des mündigen und verständigen Lesers abgestellt wird. Auf die Frage, welches Verbraucherleitbild maßgebend ist, kommt es daher gar nicht an; es sei aber doch klargestellt, daß das hohe Schutzniveau des österreichischen Wettbewerbsrechts - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - mit Art 7 der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. 9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung vereinbar ist. Zweck der Richtlinie war nicht die Schaffung eines einheitlichen Irreführungsrechts, sondern lediglich die Aufstellung von Mindestanforderungen (Artmann, Europarechtliche Vorgaben für § 2 UWG:

Abkehr vom flüchtigen Verbraucher?, ÖBl 1997, 10 [14] mwN; Rüffler, Irreführende Werbung und Europarecht, WBl 1996, 89 [94ff] mwN; 4 Ob 146/97t; s auch Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 § 24 Rz 12). Die Mitgliedstaaten sind daher nicht gehindert, bei Inlandssachverhalten an strengeren Irreführungsverboten festzuhalten. Bei einem - hier nicht gegebenen - grenzüberschreitenden Sachverhalt ist hingegen Art 30 EGV zu beachten (s Artmann aaO 14ff; Rüffler aaO 96ff; s auch Koppensteiner aaO § 24 Rz 34, der dafür eintritt, auch für Inlandssachverhalte das Verbraucherleitbild des EuGH zu übernehmen, um eine "gespaltene" Auslegung des § 2 UWG zu vermeiden).

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.

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